BT-Drucksache 17/2130

Mehr öffentliche Sicherheit durch weniger private Waffen

Vom 16. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2130
17. Wahlperiode 16. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Kai Gehring,
Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, Jerzy Montag, Dr. Konstantin von Notz,
Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mehr öffentliche Sicherheit durch weniger private Waffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Amoktaten der vergangenen Jahre haben uns wiederholt schockiert. Die
Prävention von Amokläufen bedarf einer umfassenden Strategie, die der Kom-
plexität des Phänomens gerecht wird. Dabei geht es zum einen um eine Kultur
der Aufmerksamkeit und Sensibilität gegenüber ersten Anzeichen von sozialer
Isolation und um das Verhindern von Kränkungen und Demütigungen vor allem
in der Schule. Neben Eltern und Gleichaltrigen kommt den Bereichen Jugend-
hilfe und Schule eine besondere Bedeutung zu. Ein ganz zentraler Baustein einer
Präventionsstrategie ist aber auch, die Verfügbarkeit von und den Zugang zu
Waffen erheblich zu erschweren bzw. zu verhindern. Denn die Amoktaten der
vergangenen Jahre in Deutschland wurden mit legalen Waffen begangen. Die
jugendlichen Täter konnten sich zuhause mit Waffen und Munition versorgen.
Solange einsatzfähige Waffen zusammen mit Munition in Privathaushalten zu
finden sind, stellen sie ein Risiko für die öffentliche Sicherheit dar. Die bestehen-
den Vorschriften zur Sicherung von Waffen und Munition reichen nicht aus. Ein-
satzfähige Waffen müssen raus aus den Privatwohnungen.

Halbautomatische Waffen mit großem Kaliber – die 9 mm Beretta, mit der in und
um Winnenden 15 Menschen getötet wurden, ist ein grausamer Beweis dafür –
sind ein unkontrollierbares Risiko. Sie dürfen als Sportgeräte nicht länger zuge-
lassen werden. Gleiches gilt für Munition mit hoher Durchschlagkraft. Kein
Schütze braucht Geschosse, die sogar die Sicherheitsausrüstung der Polizei
durchschlagen.

Geschätzt gibt es in Deutschland knapp 10 Millionen erlaubnispflichtige Schuss-
waffen. Diese astronomisch anmutende Zahl zeigt, wie dringend eine bessere
Regulierung ist.

Ein weiteres drängendes Problem sind die sogenannten Anscheinswaffen: Mit
Gas-, Schreckschuss- und Signalwaffen, die überall im Handel erhältlich sind,

werden unzählige Straftaten begangen. Sie können von allen Personen über
18 Jahre ohne Bedürfnis und ohne den Nachweis von Zuverlässigkeit oder
Kenntnissen im Umgang mit Waffen frei gekauft werden. Angesichts ihres Ge-
fahrenpotentials müssen der Erwerb und das Führen solcher Waffen einge-
schränkt werden.

Drucksache 17/2130 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Das Waffengesetz kann seine Wirkung nur entfalten, wenn der Vollzug erheblich
verbessert wird. Die meisten Behörden haben völlig unzureichende Kapazitäten,
um eine wirksame Kontrolle umzusetzen. In den dafür zuständigen Bundeslän-
dern ist eine bessere Ausstattung mit gut ausgebildetem Personal dringend erfor-
derlich. Überfällig sind auch effektive einheitliche Verwaltungsvorschriften und
die umgehende Einführung eines nationalen Waffenregisters.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Entwurf zur Reform des Waffengesetzes vorzulegen, der

1. die gleichzeitige Aufbewahrung von funktionsfähigen Schusswaffen und Mu-
nition in Privatwohnungen grundsätzlich untersagt. Waffen und Munition
müssen örtlich getrennt oder an einem besonders gesicherten Ort außerhalb
der Wohnung aufbewahrt werden,

2. den Erwerb und Besitz von Sportwaffen an den Nachweis einer sicheren
Lagerungsmöglichkeit für Munition und Waffen außerhalb der Wohnung
koppelt,

3. Großkaliber-Kurzwaffen für den privaten Besitz und die private Nutzung ver-
bietet,

4. ein Verbot von Munition mit besonderer Durchschlagskraft vorsieht,

5. eine generelle Begrenzung für den privaten Waffenbesitz beinhaltet. Maßstab
muss der tatsächliche Bedarf sein,

6. unverzüglich das in der EU-Waffenrichtlinie 2008/51/EG vorgesehene zen-
trale elektronische Waffenregister einführt,

7. für Kauf und Besitz von Schreckschuss-, Reizstopp- und Signalwaffen die
Vorlage des kleinen Waffenscheins vorsieht. Zudem muss durch eine Buch-
führungs- und Kennzeichnungspflicht sichergestellt werden, dass solche
Waffen nur noch an Personen verkauft werden, deren Zuverlässigkeit und per-
sönliche Eignung vorher behördlich überprüft wurden.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung darüber hinaus auf,

1. sich mit den Bundesländern darauf zu verständigen, in der Verwaltungspraxis
die bestehenden gesetzlichen Regelungen tatsächlich einzuhalten und die
erheblichen Vollzugsdefizite zu beseitigen,

2. die Allgemeine Waffengesetz-Verordnung (AWAffV) zu ergänzen und für
halbautomatische Waffen künftig keine Genehmigungen mehr zu erteilen,

3. zu prüfen, ob eine Neuauflage der am 31. Dezember 2009 ausgelaufenen
Amnestieregelung geboten ist,

4. in Zukunft darauf zu verzichten, nicht mehr benötigte Waffen und Munitions-
bestände von Bundeswehr, Bundespolizei und anderen Stellen des Bundes zu
verkaufen. Die entsprechenden Bestände an Waffen und Munition sind statt-
dessen zu vernichten.

Berlin, den 15. Juni 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2130

Begründung

Unter dem Eindruck des Amoklaufs von Winnenden hat die große Koalition das
Waffenrecht 2009 überarbeitet. Neben kleineren Änderungen, etwa bei den
Altersgrenzen, wurde die Möglichkeit zu unangemeldeten Kontrollen in Privat-
haushalten geschaffen, um die gesetzmäßige Lagerung zu überprüfen.

Entscheidende Lücken im Gesetz und Defizite beim Vollzug wurden aber nicht
angegangen. Zentrale Forderungen der vom Amoklauf betroffenen Eltern wur-
den übergangen, weil sich hier die Interessen der Schützen- und Waffenlobby
wieder einmal durchsetzten. Der Zugang zu Waffen bleibt zu einfach. Der Besitz
von halbautomatischen Waffen und gefährlicher Munition wurde nicht ausrei-
chend beschränkt.

Der Bundesrat hat die Schwächen der Reform erkannt (vgl. Entschließung vom
10. Juli 2009 – Bundesratsdrucksache 577/1/09). Die Bundesregierung verwei-
gert sich hartnäckig dieser Erkenntnis. Sie sorgt sich laut Koalitionsvertrag, „ob
es beim Vollzug der Kontrollen unzumutbare Belastungen für die Waffen-
besitzer“ geben könnte. In einer Stellungnahme (vgl. Bundesratsdrucksache
577/09 (Beschluss)) benennt sie die Risiken der Zugänglichkeit von Waffen in
Privatwohnungen und der Lagerung von Waffen und Munition am selben Ort.
Sie zieht aber keine Konsequenzen daraus. Auch die Problematik der erlaubnis-
freien Waffen ist ihr bekannt. Aber auch hier ist keine Initiative zur Gesetzesver-
besserung zu erkennen.

Zu II. – Änderung des Waffengesetzes

Zu Nummer 1

Der leichte Zugang zu legalen Waffen und legaler Munition in der eigenen Woh-
nung hat die Amoktaten der vergangen Jahre überhaupt erst ermöglicht. Häufig
waren es Familienangehörige, die so an die Waffen gelangen konnten, in man-
chen Fällen aber auch die Schützen selbst, die ihre Waffen auf andere Menschen
richteten. Funktionsfähige Waffen und Munition müssen daher grundsätzlich
raus aus den Privatwohnungen.

Schützen sollten ihre Waffen oder die Munition, bei entsprechenden Sicherheits-
vorkehrungen auch beides, in den Schützenhäusern verwahren. So entfiele auch
der häufige Transport. Die Waffen wären dort, wo sie legal benutzt werden kön-
nen.

Die notwendigen Investitionen in Sicherheitsmaßnahmen sind für einen Verein
und seine Mitglieder tragbar. Zudem sind sie kostengünstiger als die entspre-
chenden Vorkehrungen in der eigenen Wohnung. Auch die Kontrolle wird er-
leichtert, da dann nicht mehr die Wohnungen von 1,5 Millionen Sportschützen
überprüft werden müssten.

Die Trennung von Waffen und Munition ist eine sichere Alternative. Wenn die
Munition im Schützenverein lagert, sind in Privatwohnungen keine einsatzberei-
ten Waffen mehr zugänglich.

Für Jäger können abweichende Regelungen gefunden werden, die der besonde-
ren Situation – etwas dem Fehlen von Vereinshäusern – gerecht werden. Auf-
grund der höheren Anforderungen, die an die Zuverlässigkeit von Jägern gestellt
werden, ist dies aber auch zu rechtfertigen.

Zu Nummer 2

Die Berechtigung für Erwerb und Besitz von Sportwaffen hängt schon nach gel-
tendem Rechts davon ab, dass der Schütze die entsprechende Sportart in einem

Verein ausübt. Der Nachweis über die sichere Lagerung von Waffen und Muni-
tion, beispielsweise im Vereinshaus, ist also sachgerecht und zumutbar.

Drucksache 17/2130 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Zu Nummer 3

Großkaliber-Kurzwaffen haben im privaten Bereich keine Existenzberechti-
gung. Gerade Großkaliber-Kurzwaffen sind wegen ihrer leichten Handhabbar-
keit und ihrer enormen Durchschlagskraft ein nicht zu vertretendes Sicherheits-
risiko. Sie dürfen nicht länger als Sportgeräte eingestuft werden. Das Schießen
mit ihnen darf nicht mehr in Sportordnungen genehmigt werden. Auch der Bund
Deutscher Kriminalbeamter hat ihren Einsatz im Schießsport ausdrücklich kriti-
siert.

Zu Nummer 4

Die Leistungskraft der verwendeten Geschosse ist entscheidend für das Sicher-
heitsrisiko, das sie darstellen. Munition, die ein besonders hartes Material, gerin-
ges Geschossgewicht und hohe Geschossgeschwindigkeit verbindet, ist beson-
ders gefährlich. Dazu gehören auch die unter dem makabren Namen „Cop-
Killer“ zu trauriger Berühmtheit gelangten Geschosse. Sportschützen benötigen
keine Munition, die sogar dünne Wände oder die Schutzausstattung von Polizei-
beamten durchschlagen kann. Ihr Verbot wäre ein effektiver Beitrag zur öffent-
lichen Sicherheit.

Zu Nummer 5

Die Erteilung eines Jagdscheins ist an hohe Voraussetzungen gebunden. Auch
wenn die individuelle Eignung zum Waffenbesitz also nicht in Frage steht, ber-
gen auch Jagdwaffen, die in Privatwohnungen lagern, erhebliche Missbrauchs-
risiken (so benutzte etwa der Amokschütze von Bad Reichenhall im Jahr 1999
Jagdgewehre). Deshalb ist es nicht sachgerecht, bei Jägern mit einem Jahresjagd-
schein grundsätzlich den Bedarf nach Waffen als gegeben vorauszusetzen. Die
Bedarfsprüfung muss verschärft, die Zahl der Waffen begrenzt werden.

Zu Nummer 6

Die Richtline über die Kontrolle des Erwerbs und Besitzes von Waffen (2008/51/
EG) schreibt die Einrichtung eines nationalen Waffenregisters bis Ende 2014 vor.
Praktiker fordern seit langem ein solches Register. Nach der Waffenrechtsreform
von 2009 ist seine Einführung aber erst für 2012 vorgesehen. Die positiven Er-
fahrungen der Freien und Hansestadt Hamburg und der vielfältige Nutzen eines
Registers sollten zu seiner schnelleren Einführung anspornen (Kontrollen wer-
den erleichtert, Polizeibeamte können sich selbst besser schützen, indem sie vor
einem Einsatz die mögliche Bewaffnung des Gegenübers überprüfen können).

Zu Nummer 7

Bisher müssen nur für das Führen von Schreckschuss-, Reizstopp- und Signal-
waffen die Voraussetzungen für den sogenannten kleinen Waffenschein erfüllt
sein. Sie müssen in Zukunft auch für den Erwerb gelten, der bis jetzt allen Perso-
nen über 18 Jahren möglich ist. In der Praxis besitzen auch Personen solche
Waffen, deren Zuverlässigkeit und persönliche Eignung nicht geprüft wird. Der
Waffen- und Sprengstoffbericht des Bundeskriminalamts belegt, dass mehr als
die Hälfte der bei Straftaten sichergestellten Waffen in diese Kategorie fallen.
Das zeigt, wie dringlich eine stärkere Reglementierung ist.

Zu III. – Weitere Maßnahmen

Zu Nummer 1

Die verschärften gesetzlichen Vorschriften über die sichere Lagerung von Waf-
fen und Munition müssen vor Ort besser kontrolliert und durchgesetzt werden.

Dort wird oft mit sehr wenig Personal und antiquierten Methoden gearbeitet, eine
Vernetzung zwischen den zuständigen Behörden findet kaum statt. Einheitliches

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/2130

Vorgehen und die Nutzung der Möglichkeiten des Waffengesetzes (wie etwa der
Nachweis der sicheren Aufbewahrung oder das Vorschreiben bestimmter Sicher-
heitsmaßnahmen) müssen im Sinne der öffentlichen Sicherheit ausgeschöpft
werden.

Zu Nummer 2

Nach § 6 der Allgemeinen Waffengesetz-Verordnung (AWAffV) sind bestimmte
halbautomatische Schusswaffen bereits als Sportwaffen ausgeschlossen. Dieser
Ausschluss muss auf alle halbautomatischen Waffen, die mit einer Hand zu be-
dienen sind, erweitert werden. Die im Privatbesitz befindlichen Waffen sollten
gegen finanzielle Entschädigung eingesammelt und vernichtet werden.

Zu Nummer 3

Während der Ende 2009 ausgelaufenen Amnestie wurden erhebliche Mengen
von Waffen und Munition abgegeben, z. B. allein in Hamburg 4 615 legale und
illegale Schuss-, Hieb- und Stichwaffen sowie mehrere Tonnen Munition. Eine
Neuauflage der Amnestie sollte daher geprüft werden, ebenso, ob auch diejeni-
gen straffrei bleiben sollen, die illegal gelagerte Munition unbrauchbar machen
oder bei den Behörden abgeben.

Zu Nummer 4

Bis heute werden Waffen aus Beständen von Polizeien und Bundeswehr – meist
über die VEBEG GmbH, das Verwertungsunternehmen des Bundes – an Interes-
sierte verkauft. Mehrfache Recherchen des ZDF-Magazins Frontal21 haben dies
ergeben. Dies war und ist Praxis verschiedener Bundesländer (u. a. Nieder-
sachsen), es wurden aber auch immer wieder ausgemusterte Munition und Waf-
fen aus Beständen von Bundespolizei und Bundeswehr angeboten. Selbst wenn
die Käufer vertrauenswürdig sind, tragen staatliche Stellen so zur Aufrüstung der
Gesellschaft bei.

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