BT-Drucksache 17/2016

Keine Patente auf Pflanzen und Tiere

Vom 9. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2016
17. Wahlperiode 09. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Matthias Miersch, Dirk Becker, Gerd Bollmann, Marco
Bülow, Petra Crone, Dr. Peter Danckert, Elvira Drobinski-Weiß, Sebastian Edathy,
Petra Ernstberger, Dr. Edgar Franke, Iris Gleicke, Dr. Eva Högl, Oliver Kaczmarek,
Dr. Bärbel Kofler, Ute Kumpf, Christine Lambrecht, Burkhard Lischka, Thomas
Oppermann, Holger Ortel, Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Marianne Schieder
(Schwandorf), Olaf Scholz, Frank Schwabe, Sonja Steffen, Christoph Strässer,
Kerstin Tack, Ute Vogt, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Keine Patente auf Pflanzen und Tiere

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Zahl der Anmeldungen so genannter Biopatente auf Tiere und Pflanzen
nimmt deutlich zu. Auslegungsbedürftige und lückenhafte Rechtsgrundlagen
werden genutzt, um immer weitergehende Ansprüche durchzusetzen, die gra-
vierende Folgen für die Fragen der Ernährung und Landwirtschaft haben. Es
geht letztlich um den freien Zugang zum weltweiten Genpool und um die
Frage, ob sogar klassische Züchtungsverfahren in den Händen von wenigen
multinationalen Konzernen liegen. Der Versuch ist offenkundig, mit Hilfe
des Patentrechts individuelle Rechte auf immer weitere Teile der Nahrungs-
mittelkette der Bevölkerung national und international auszuweiten.

2. Die Ansprüche reichen von Futtermitteln für Tiere bis hin zu Lebensmitteln
wie Fleisch, das von diesen Tieren gewonnen wird. Die Patentansprüche be-
treffen sogar Verfahren, die für ganze Pflanzen- und Tiergruppen oder sogar
generell für alle Pflanzen angemeldet werden. Beispiele dafür sind das
Schweinepatent (EP 1651777), das sich auf das Zuchtverfahren, alle Folge-
generationen der mit diesem Patent gezüchteten Schweine sowie auf alle
Schweine erstreckt, die das relevante Markergen tragen, sowie das Baum-
züchtungspatent (EP 0483514), das sich auf alle Bäume erstreckt.

Ein aktuelles Beispiel ist die Patentanmeldung WO 2009097403 des Kon-
zerns Monsanto Agrar Deutschland GmbH für das Fleisch von Schweinen,
die mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert wurden. Die Monsanto
Agrar Deutschland GmbH beansprucht ein Patent auf Schinken und Schnit-

zel, da diese durch die Verfütterung einer Gen-Soja-Sorte aus dem Hause
Monsanto eine erhöhte Konzentration von ungesättigten Fettsäuren enthalten
und somit eine Erfindung des Konzerns sein sollen.

Ein weiteres Beispiel ist das Patent EP 1330552, das ein Verfahren zur erhöh-
ten Milchleistung bei gentechnisch veränderten Rindern betrifft, welches
nach Einspruch durch die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes

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(EPA) (bestehend aus drei technischen Experten und einer Juristin) in der
erteilten Fassung vollständig aufrechterhalten wurde. Insbesondere den Ein-
wand, die patentierbare Erfindung rufe bei Tieren „Leiden ohne wesentlichen
medizinischen Nutzen für den Menschen oder das Tier“ hervor, hielt die
Einspruchsabteilung für nicht ausreichend belegt. Die Entscheidung kann mit
einer Beschwerde angefochten werden.

Am 20. und 21. Juli 2010 werden in einer mündlichen Verhandlung vor der
Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes (EPA) das so ge-
nannte Brokkoli-Patent (Verfahren G 2/07; Nummer EP 1069819) und das
Tomaten-Patent (Verfahren G 1/08; Nummer EP 1211926) erörtert. Dabei
geht es um die Patentierung von Verfahren zur Erhöhung von Inhaltsstoffen
durch klassische Methoden der Kreuzung und Selektion. Das Brokkoli-Pa-
tent soll sich z. B. auf das Züchtungsverfahren, daraus gewonnene genieß-
bare Brokkoli-Pflanzen, Teile solcher Pflanzen sowie auf Samen erstrecken.
Da die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes den Antrag auf
Widerruf der erteilten Patente zurückgewiesen und entschieden hat, dass
beide Patente in geänderter Form aufrechterhalten werden können, muss nun
die Große Beschwerdekammer über die Aufrechterhaltung der Patente ent-
scheiden. Beide Fälle betreffen somit das Patentierungsverbot von im
Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen nach Arti-
kel 53b des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ). Gegenstand der
Prüfung wird die Rechtsfrage sein, ob Art und Umfang der technischen Mit-
wirkung des Menschen so beschaffen sein können, so dass das Verbot des
Artikels 53b EPÜ ausgehebelt werden kann. Die Große Beschwerdekammer
hat gemäß ihrer Verfahrensordnung die Öffentlichkeit und die Präsidentin des
Europäischen Patentamtes eingeladen, sich zu den anhängigen Rechtsfragen
zu äußern. Es gingen zahlreiche so genannte Amicus-curiae-Schriftsätze inte-
ressierter Einzelpersonen und Organisationen ein. Auch die Präsidentin des
EPA hat in Schriftform Stellung genommen. In der mündlichen Verhandlung
wird die Große Beschwerdekammer die Patentinhaber, die Einspruchsführer
und die Präsidentin anhören. Bereits diese beiden Verfahren zeigen, dass die
Grenzen zwischen patentierbaren technischen Verfahren und nicht patentier-
baren herkömmlichen Züchtungsverfahren verschwimmen und einer deut-
licheren Grenzziehung durch den Gesetzgeber bedürfen.

3. Bislang ist nur die Patentierung von Tierrassen und Pflanzensorten verboten.
Ein generelles Verbot der Patentierung von Tieren und Pflanzen fehlt in den
maßgeblichen Rechtsgrundlagen. Damit beziehen sich die Verbote nicht auf
Teile von Pflanzen oder Tieren, wie etwa auf das Saatgut oder auf Gense-
quenzen. Somit kann es zu der nicht nachvollziehbaren Entscheidung kom-
men, wonach ein Patent auf eine Sorte versagt wird, dagegen aber ein Patent
auf eine Gensequenz, die in vielen Pflanzensorten vorkommt, sehr wohl ver-
geben wird. Das Patentierungsverbot könnte dadurch umgangen werden, in-
dem ein nichtsortenspezifischer bzw. ein nichttierrassenspezifischer Patent-
anspruch formuliert wird, den der Patentanmelder später nur für die ihn
interessierende einzelne Pflanzensorte experimentell begründet und gegen-
über Dritten durchsetzt, wobei offen ist, ob ein entsprechendes Vorgehen am
Kriterium der Offenbarung (Artikel 83 EPÜ) scheitern könnte.

In diesem Zusammenhang ist auch die Ausnahme zu nennen, wonach gemäß
Artikel 4 Absatz 2 der Biopatentrichtlinie Verfahren, die sich auf mehr als
eine Pflanzensorte oder Tierrasse beziehen, patentierbar sein sollen. Das
Patentierungsverbot gilt also nicht oberhalb oder unterhalb der Ebene von
Pflanzensorten und Tierrassen.

Darüber hinaus bietet die Formulierung in der Biopatentrichtlinie und im

deutschen Patentrecht, wonach „im Wesentlichen biologische Verfahren“
nicht patentierbar sein sollen, Interpretationsspielräume. Auch die weiteren

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Definitionen sind unzureichend. So bestimmt § 2a Absatz 3 Nummer 2 des
Patentgesetzes, dass es sich dabei um Verfahren handelt, die vollständig auf
natürlichen Phänomenen wie Kreuzung oder Selektion beruhen. Kreuzungs-
und Selektionsverfahren werden demnach für patentierbar gehalten, wenn
ihnen einzelne technische Schritte hinzugefügt werden. Erkennbar wird da-
mit auch eine semantische Unklarheit zwischen „im Wesentlichen biologi-
schen Verfahren“ und „vollständig auf natürlichen Phänomenen beruhenden“
Verfahren, die derzeit ebenfalls Gegenstand von gerichtlichen Verfahren ist.
Die Möglichkeit der Patentierung von Verfahren, die nicht „im Wesentlichen
biologisch“ sind, hat in der Praxis zudem dazu geführt, dass Patente auf
mehrstufige Verfahren beantragt werden, bei denen biologischen Züchtungs-
und Selektionsschritten ein technischer Schritt hinzugefügt wird, um intellek-
tuelles Eigentum am gesamten Verfahren zu begründen.

Ferner werden moralische Erwägungen kaum als Ausschlussgrund für die
Patentierbarkeit von Pflanzen oder Tieren wirksam. Dieses gilt auch für
sozial-ethische Aspekte. Sozial-ethische Einwände hinsichtlich der Wirkung
eines Patents werden zugunsten des moralischen Status des zu patentierenden
Gegenstands häufig ausgeblendet. Die Patentierung kann jedoch jahrhundert
alte Züchtungs- und Selektionsleistungen und deren Nutzen mit einer Rechts-
erteilung für eine breite Bevölkerungsgruppe ausschließen.

Auch die Grenzziehung zwischen Entdeckung und Erfindung taugt aufgrund
der technologischen Weiterentwicklung nicht mehr. Im Bereich der Gen-
sequenzierung ist demnach die technologische Barriere für die Entdeckung
eines Genbestandteils im Vergleich zu früheren Jahrzehnten deutlich gesun-
ken. Demgegenüber hält das EPA biologisches Material für patentierbar, das
mit Hilfe eines technischen Verfahrens aus seiner natürlichen Umgebung iso-
liert oder hergestellt wird, wenn dessen Eigenschaften erstmals beschrieben
werden, obwohl es zuvor schon in der Natur vorhanden war.

Problematisch ist zudem die Reichweite des Patentschutzes. Die genannten
Beispiele belegen, dass sich die Patentanträge zunehmend auf die gesamte
Wertschöpfungskette erstrecken, so z. B. auf eine Sojabohne mit erhöhtem
Ölgehalt, auf das gewonnene Öl und die Produkte, in denen das Öl enthalten
ist. Ein „zu breiter Antrag“ ist kein Ablehnungsgrund, so dass immer stärker
versucht wird, mit Anmeldungen, die eine breite Wirkung entfalten, den
Stoffschutz kontinuierlich zu erweitern. Selbst die teilweise Ablehnung von
bestimmten Ansprüchen führt dann letztlich immer noch zu weitgehenden
Rechten.

Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass es nicht Behörden und Gerichten
überlassen bleiben darf, diese grundsätzlichen und elementaren Fragen zu
klären. Dieses betrifft auch institutionelle Fragen, die sich inzwischen aus
wissenschaftlichen Begleitstudien ergeben.

4. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie warnte 2007 in der Studie „Patentschutz und Innovation“ aus-
drücklich vor „Fehlentwicklungen im europäischen Patentsystem“. Einge-
reichte Anmeldungen seien zunehmend untereinander vernetzt. Anmelder
gingen verstärkt dazu über, Bündel von relativ ähnlichen Anmeldungen ein-
zureichen, um ihre Patentportfolios aufzubauen. Die Qualität der eingehen-
den Patentanmeldungen sei gesunken. Trotz der steigenden Anzahl von An-
meldungen und trotz der sinkenden Qualität der Anmeldungen sei die
Patenterteilungsrate mit 67 Prozent fast konstant. Kritik an diesen Zahlenver-
hältnissen komme nicht nur von Praktikern innerhalb und ausserhalb des
EPA, sondern sogar vom Vorsitzenden des Verwaltungsrates des EPA. Auch
zeigten aktuelle Studien eine Reihe von Faktoren auf, die zu Verzerrungen im

Entscheidungsverhalten zugunsten einer Patentgewährung führten. Dazu ge-
höre der Mangel an Kontrollen. Ausdrücklich heißt es: „Wenn unberechtigt

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ein Patent erteilt worden ist, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es bestehen
bleibt“ (siehe Gutachten Nummer 1/07 des Bundesministeriums für Wirt-
schaft und Technologie, S. 13). Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben,
dass die Finanzierung des EPA vor allem durch die Einnahmen aus Gebühren
erfolgt. Es gilt der Grundsatz, dass die Nutzer des europäischen Patent-
systems die anfallenden Kosten desselben, insbesondere also jene des EPA,
vollauf tragen. Das aktuelle Finanzierungsmodell des Europäischen Patent-
amtes (EPA) schafft somit Anreize, Patentanträgen im Zweifel stattzugeben.
Am Beispiel der so genannten Biopatente zeigt sich jedoch, dass sich die
Wirkungen auf Fragen der gesamten Bevölkerung erstrecken können. Ange-
sichts dieses Umstandes ergibt sich die Notwendigkeit, durch sachgerechtere
Finanzierungs- und Kontrollmechanismen diesen Herausforderungen ge-
recht zu werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich auf europäischer Ebene für ein Verbot der Patentierung von Pflanzen und
Tieren einzusetzen;

2. im nationalen Patentrecht die Berücksichtigung bio-ethischer und sozial-ethi-
scher Einwände stärker zu ermöglichen und dementsprechend auch bei der
Europäischen Kommission darauf hinzuwirken, dass das europäische Patent-
recht diese Berücksichtigung vorsieht;

3. bei der Europäischen Kommission darauf hinzuwirken, dass das europäische
Patentrecht im Hinblick auf den technologischen Fortschritt und die Patenter-
teilungs- sowie Patentanmeldepraxis angepasst wird. So muss z. B. das Ver-
bot der Patentierung herkömmlicher und klassischer Züchtungsverfahren, die
auf Kreuzung und Selektion beruhen, deutlicher gefasst werden. Der Begriff
„im Wesentlichen biologische Verfahren“ ist deutlicher abzugrenzen. Da-
rüber hinaus muss sichergestellt werden, dass für diese Verfahren und die
daraus hervorgegangenen Pflanzen und Tiere keine Patente erteilt werden
können, auch wenn ein technischer Verfahrensschritt hinzukommt;

4. sicherzustellen, dass Eingriffe in den Bereich des Sortenschutzes unterblei-
ben und die Praxis des Europäischen Patentamtes bei pflanzenbezogenen
Patenten sorgsam zu beobachten. Die Biopatentrichtlinie legt fest, dass Pflan-
zensorten (ebenso wie Tierrassen) nicht patentiert werden dürfen. Der Vor-
rang des Sortenschutzes muss gewährleistet bleiben. Wenn Sortenschutz ge-
währt werden kann, darf ein Patent nicht erteilt werden;

5. nach der mündlichen Verhandlung der Großen Beschwerdekammer des
Europäischen Patentamtes am 20. und 21. Juli 2010 die Entscheidung zu den
Brokkoli- und Tomaten-Patenten sogleich nach deren Veröffentlichung ein-
gehend zu prüfen und dem Deutschen Bundestag unverzüglich das Ergebnis
ihrer Bewertung vorzulegen;

6. das Patenterteilungsverfahren am EPA zu überprüfen und sich auf europäi-
scher Ebene dafür einzusetzen, dass das bestehende Finanzierungmodell und
die vorhandenen Kontrollmechanismen den großen Herausforderungen an-
gepasst werden, die sich angesichts der Reichweite und Wirkung der erteilten
Patente für weite Teile der Bevölkerung und der Wirtschaft ergeben können.

Berlin, den 9. Juni 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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