BT-Drucksache 17/1873

Pläne der Bundesregierung zur Behebung der Deckungslücke bei privat krankenversicherten Hartz-IV-Beziehenden

Vom 26. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1873
17. Wahlperiode 26. 05. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Harald Weinberg, Dr. Martina Bunge, Matthias W. Birkwald,
Klaus Ernst, Diana Golze, Inge Höger, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Katrin
Kunert, Cornelia Möhring, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer,
Kathrin Vogler, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Pläne der Bundesregierung zur Behebung der Deckungslücke bei privat
krankenversicherten Hartz-IV-Beziehenden

Am 2. Februar 2007 beschloss der Deutsche Bundestag mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD im Rahmen des GKV-Wettbewerbsstär-
kungsgesetzes (GKV-WSG) eine Regelung, um die es mittlerweile viel Streit
gibt und die Tausende unverschuldet in eine Schuldenfalle treibt.

Wer privat krankenversichert ist und gleichzeitig Arbeitslosengeld II (ALG II)
bezieht, muss mehr als die Hälfte seines Regelsatzes aufwenden, um Kranken-
und Pflegeversicherungsbeiträge zu zahlen. Ein Wechsel in die gesetzliche
Krankenversicherung (GKV) ist nicht möglich. Es gibt zwar einen staatlichen
Zuschuss zu diesen privaten Krankenversicherungen, jedoch bleibt, eine Ver-
sicherung im Basistarif vorausgesetzt, eine Deckungslücke von 183,09 Euro.

Zwar regelt das Versicherungsvertragsgesetz, dass die privaten Versicherungen
den Hilfebedürftigen auch bei Zahlungsrückständen keine Leistungen verwei-
gern dürfen. Jedoch wächst dadurch in der Zeit des ALG-II-Bezuges Monat für
Monat ein Schuldenberg an. Sollte der Ausstieg aus der Hilfebedürftigkeit ge-
lingen, kann die private Krankenversicherung (PKV) die Leistungen zudem
sofort kürzen.

Von einer von den Hilfebedürftigen selbstverschuldeten Situation kann nicht die
Rede sein. Zwar haben sie sich irgendwann mehr oder weniger freiwillig gegen
eine Absicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung entschieden, aber sie
haben nicht diese Folgen absehen können.

Insgesamt ist dies ein völlig unzumutbarer, wenn nicht sogar nach Auffassung
der Fragesteller ein verfassungswidriger Zustand, den es nur deshalb gibt, weil
sich die Fraktionen der CDU/CSU und SPD im Gesetzgebungsprozess im
Herbst/Winter 2006/2007 bis zur Bundestagswahl 2009 nicht auf eine Lösung
einigen konnten. Die Fraktion der SPD war der Ansicht, dass nicht der Steuer-
zahler für diese Deckungslücke aufkommen könne, zumal die gesetzliche Kran-
kenversicherung für erwerbslose Mitglieder auch nur den Betrag des Zuschusses
zur privaten Krankenversicherung erhält. Die Fraktion der CDU/CSU war der

Ansicht, dass die private Krankenversicherung im Basistarif ohnehin schon bei
Hilfebedürftigen per Gesetz auf die Hälfte des ihr eigentlich zustehenden Geldes
verzichten muss und nicht noch weniger erhalten solle. Man einigte sich dann
durch Untätigkeit und das bewusste Offenlassen dieser Gesetzeslücke darauf,
dass die Hilfebedürftigen zahlen sollten, obwohl klar ist, dass sie dieses Geld
nicht aufbringen können.

Drucksache 17/1873 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Bereits in der letzten Wahlperiode hat die Fraktion DIE LINKE. in einem An-
trag die Bundesregierung zum Handeln aufgefordert (Bundestagsdrucksache
16/12734). Nun liegt ein weiterer Antrag der Fraktion DIE LINKE. vor (Bun-
destagsdrucksache 17/780). Zudem hat der Bundesminister für Gesundheit
bereits im Januar 2010 angekündigt, eine Lösung für dieses Problem auf den
Weg zu bringen. Geschehen ist bisher nichts. In Antworten der Bundesregie-
rung seitdem ist leider kein Fortschritt festzustellen.

Tausende Betroffene warten auf eine schnelle Lösung, da sie überschuldet sind,
teilweise bereits völlig ohne Perspektive, diese Schulden wieder zurückzahlen
zu können, durch den ständigen Druck auch psychisch leiden und keine eigene
Handlungsmöglichkeit haben. Ihre einzige Hoffnung liegt in einer Neuregelung
durch die Bundesregierung.

Nach Auskunft der Bundesregierung wird „intensiv“ an einer Lösung der Pro-
blematik gearbeitet. Ähnliche Aussagen hatte allerdings auch schon die Bundes-
regierung vor der Bundestagswahl getroffen – bis heute ohne Ergebnis.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Aktivitäten, z. B. Treffen auf Arbeitsebene, Treffen auf Minister-
ebene etc. hat es bereits gegeben, um dieses Problem zu lösen, was war
Gegenstand der Verhandlungen, und was waren die (Zwischen-)Ergebnisse?

2. Welche Lösungswege sind prinzipiell denkbar?

3. Welche Positionen vertreten das Bundesministerium für Gesundheit und das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales?

4. Wann wird voraussichtlich mit einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zu
rechnen sein?

5. Wird es eine rückwirkende Lösung geben, und wenn ja, ab welchem Zeit-
punkt soll sie gelten?

6. Erkennt die Bundesregierung, dass viele Betroffene in einer schwierigen bis
existenzbedrohenden Situation sind, weil sie

a) teils die Forderungen der Versicherungsunternehmen bedienen und nur
weniger als den halben Regelsatz zum Leben haben,

b) die Forderungen nicht erfüllen und ständig mit der Angst leben, in eine
Zwangsvollstreckung zu geraten,

c) sich wegen der Forderungen der Versicherungsunternehmen bei Fami-
lienmitgliedern oder Bekannten verschuldet haben,

d) ohne Möglichkeit sind, ihre Situation zu verbessern,

e) wenn sie nicht mehr hilfebedürftig sind, ihnen wegen ihrer Schulden bei
dem Versicherungsunternehmen Leistungen gekürzt werden?

7. Erkennt die Bundesregierung, dass aufgrund der in Frage 6 genannten Pro-
bleme hier ein sehr dringlicher Handlungsbedarf besteht, und wie wird sie
diesem gerecht?

8. Was empfiehlt die Bundesregierung einer Person, die neu in diese Problem-
situation kommt?

9. Was empfiehlt der Bundesregierung einem Hilfebedürftigen, der von Januar
2009 bis Mai 2010 auf diese Weise bereits über 3 000 Euro Schulden aufge-
baut hat?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1873

10. Was empfiehlt die Bundesregierung einem Hilfebedürftigen, der die Forde-
rungen der privaten Krankenversicherung immer bedient hat, sich dafür
aber in seinem Bekanntenkreis entsprechend verschuldet hat?

11. Was empfiehlt die Bundesregierung der privaten Krankenversicherung?

Sollte sie zunächst auf die Durchsetzung von Forderungen verzichten?

12. Wie sollen die ARGEn und kommunalen Träger sich verhalten, auch und
gerade angesichts der Gerichtsurteile, die sie verpflichten, auch die De-
ckungslücke zu übernehmen, und angesichts der angekündigten Regelung
durch die Bundesregierung?

13. Wie viele Gerichtsurteile hat es bislang gegeben, die für die Betroffenen
positiv ausgingen?

14. Wie viele Gerichtsurteile hat es bislang gegeben, die für die Betroffenen
negativ ausgingen?

15. Wie viele Personen sind nach dem aktuellen Kenntnisstand der Bundes-
regierung von diesem Problem betroffen, also ALG-II-beziehend und PKV-
versichert?

16. Wie viele ALG-II-Beziehende sind in der GKV versichert?

17. Sieht es die Bundesregierung angesichts dieser Zahlen als atypisch für einen
ALG-II-Beziehenden an, in der PKV krankenversichert zu sein?

Ist es zudem im Besonderen atypisch bereits vor dem 1. Januar 2009 arbeits-
los und privat krankenversichert gewesen zu sein?

18. Liegt damit eine atypische Bedarfslage, im Sinne des Urteils des Bundes-
verfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 vor, das als Kriterien dafür
„laufende, nicht nur einmalige, besondere Bedarfe“ gefordert und dabei
wiederholt auf eine „atypische Bedarfslage“ verwiesen hat, und sollte die
Deckungslücke damit in die Härtefallregelung aufgenommen werden?

19. Wie ist die Dynamik der Anzahl der Betroffenen?

20. Wie wird die Bundesregierung die Frage der „Altfälle“ regeln, also derjeni-
gen, die bereits vor dem 1. Januar 2009 erwerbslos und privat krankenver-
sichert waren?

21. Beabsichtigt die Bundesregierung mit ihrer Neuregelung, dass nicht nur ein
sicherer und praktikabler Versicherungsschutz gewährt wird, sondern auch
das ALG II in voller Höhe den Betroffenen zur Verfügung steht, ohne dass
sie sich weiter verschulden müssen?

Berlin, den 26. Mai 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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