BT-Drucksache 17/1847

Informationen über die vom deutschen Einsatzkontingent ISAF in Gewahrsam genommenen 33 Personen

Vom 21. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1847
17. Wahlperiode 25. 05. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Marieluise Beck (Bremen),
Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken, Ingrid Hönlinger, Thilo Hoppe,
Uwe Kekeritz, Katja Keul, Memet Kilic, Ute Koczy, Agnes Malczak, Kerstin
Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele, Josef Philip Winkler und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Informationen über die vom deutschen Einsatzkontingent ISAF in Gewahrsam
genommenen 33 Personen

Die Grundrechte gelten aufgrund der Grundrechtsbindung aller Gewalten ge-
mäß Artikel 1 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) für deutsches Staatshandeln
auch im Ausland. Die deutsche Staatsgewalt ist unabhängig vom Handlungsort
an die Grundrechte gebunden. Gleiches gilt für die Menschenrechte. Menschen-
rechtliche Verpflichtungen aus Verträgen, denen die Bundesrepublik Deutsch-
land beigetreten ist – wie beispielsweise die Europäische Menschenrechtskon-
vention (EMRK) und der Internationale Pakt über bürgerliche und politische
Rechte (IPBPR) – beanspruchen Geltung gegenüber einem Vertragsstaat, wenn
er effektive territoriale oder personale Kontrolle ausübt – unabhängig vom Ort,
an dem sich das staatliche Handeln des Vertragsstaates manifestiert. Daneben
gelten bei Auslandseinsätzen die Regelungen des humanitären Völkerrechts.

Das Grundgesetz bestimmt in Grundzügen auch sein Verhältnis zur Staatenge-
meinschaft. Insofern geht es von der Notwendigkeit einer Abgrenzung und Ab-
stimmung mit anderen Staaten und Rechtsordnungen aus. Die Reichweite der
Grundrechte ist – so die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts – im Einzelfall unter Berücksichtigung von Artikel 25 GG zu ermitteln.
Dabei können je nach den einschlägigen Verfassungsnormen Modifikationen
und Differenzierungen zulässig oder geboten sein (vgl. Bundesverfassungs-
gericht – BVerfGE – 100, 313, 362 f. m. Nachw.).

Gemäß Artikel 24 der Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan vom
27. Januar 2004 sind die Freiheit und Menschenwürde der afghanischen Bürger
unantastbare Grundrechte. Artikel 25 gewährt das Grundrecht der Unschulds-
vermutung. Artikel 31 gewährt umfassende Verfahrensgrundrechte, unter ande-
rem die Rechte eines Beschuldigten, unmittelbar nach seiner Festnahme über die
erhobene Anschuldigung informiert zu werden sowie zur Widerlegung der An-

schuldigung oder zur Durchsetzung seiner Rechte einen Verteidiger zu bestim-
men. Afghanistan verfügt damit seit dem 27. Januar 2004 über eine – gerade im
regionalen Kontext – moderne und demokratische Verfassung.

In einigen grundrechtlich, menschenrechtlich und verfahrensrechtlich gewähr-
leisteten Kernelementen weicht die deutsche Rechtslage somit nicht von der
afghanischen ab. Daher führt eine Abgrenzung und Abstimmung beider Rechts-

Drucksache 17/1847 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

ordnungen nicht dazu, dass die im Grundgesetz und völkerrechtlichen Verträgen
gewährleisteten Garantien bei deutschem Staatshandeln in Afghanistan weiter
auszulegen sind, als bei innerstaatlichem Handeln.

Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung,
Thomas Kossendey, teilte dem Vorsitzenden des Ausschusses für Menschen-
rechte und Humanitäre Hilfe, Tom Koenigs, am 10. März 2010 schriftlich mit,
dass 33 Personen durch Soldatinnen und Soldaten vor dem Jahr 2009 von den
unter ISAF-Mandat (ISAF – Internationale Sicherheitsunterstützungsgruppe in
Afghanistan) stehenden deutschen Kräften in Gewahrsam genommen wurden.

Der Bundestagsabgeordnete Volker Beck fragte mit Schreiben vom 18. März
2010 schriftlich nach, was mit den in Gewahrsam genommenen Personen nach
ihrer Freilassung geschehen sei, ob sie auf freien Fuß gesetzt oder anderen In-
stanzen überstellt wurden, und wenn ja, welchen. Zudem, ob es vor der Freilas-
sung oder Überstellung Urteile oder andere Verfahren gab, die die in Gewahr-
sam Genommenen in rechtsstaatlicher Weise einbezogen hatten.

Der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg,
antwortete mit Schreiben vom 26. April 2010, dass das deutsche Einsatzkontin-
gent der ISAF keine Personen in Gewahrsam genommen habe, seitdem am
26. April 2007 der „Befehl zur Behandlung von Personen, die bei Auslandsein-
sätzen von deutschen Soldatinnen oder Soldaten in Gewahrsam genommen wer-
den“ herausgegeben worden sei, der erstmalig eine umfangreiche und detail-
lierte Dokumentation auch für Freilassung oder Übergabe von Gewahrsamsper-
sonen zur Pflicht gemacht habe.

Über die vom deutschen Einsatzkontingent ISAF bis zum 26. April 2007 gemel-
deten 33 in Gewahrsam genommenen Personen lägen jedoch hinsichtlich der
von dem Bundestagsabgeordneten Volker Beck erbetenen Auskünfte keine be-
lastbaren Informationen vor.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie lauten die Namen der 33 in Gewahrsam genommenen Personen?

2. Warum wurden diese Personen in Gewahrsam genommen?

3. Wann wurde zuletzt eine Person von deutschen Streitkräften in Afghanistan
in Gewahrsam genommen?

4. Wann wurden diese 33 Personen in Gewahrsam genommen, und wann wie-
der entlassen?

5. Welche der 33 Personen wurden nach Ablauf des Gewahrsams auf freien Fuß
gesetzt?

6. Was geschah mit jenen Personen, die nach Ablauf des Gewahrsams nicht auf
freien Fuß gesetzt wurden?

Wurden sie an andere Instanzen übergeben?

Wenn ja, an welche, und wann?

7. Auf welcher rechtlichen Grundlage erfolgte die Freilassung oder Übergabe
der in Gewahrsam genommenen Personen?

8. Wurde bei der Übergabe der in Gewahrsam genommenen Personen darauf
geachtet, ob die Institutionen, in deren Hände sie übergeben wurden, ihre
Menschenrechte verletzen und waren die übergebenden deutschen Stellen
darüber informiert, dass es nach Ansicht der Bundesregierung regelmäßig zu
Menschenrechtsverletzungen durch afghanische Sicherheitskräfte (Militär,
Polizei, der afghanische Geheimdienst NDS) kommt (Bundestagsdrucksache

16/10804, Antwort der Bundesregierung zu Frage 8)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1847

9. Wurden die in Gewahrsam genommenen Personen nach ihrer Festnahme
über die gegen sie erhobenen Anschuldigungen informiert?

10. Erhielten die in Gewahrsam genommenen Personen zur Widerlegung der
Anschuldigung oder zur Durchsetzung ihrer Rechte die Gelegenheit, einen
Verteidiger zu bestimmen?

11. Wurde vor der Freilassung oder Übergabe ein Verfahren durchgeführt, in
das die in Gewahrsam Genommenen einbezogen oder in dessen Verlauf sie
angehört wurden?

12. Nach welchen verfahrensrechtlichen Grundsätzen richtete sich jeweils

a) die Ingewahrsamnahme,

b) der Gewahrsam und

c) die Beendigung des Gewahrsams durch Freilassung oder Überstellung

der 33 in Gewahrsam genommenen Personen?

Wurden die Verfahrensgrundrechte aus dem Grundgesetz, der EMRK und
des IPBPR sowie des III. Genfer Abkommens beachtet?

13. Was waren Anlass und Gründe zur Erteilung des „Befehls zur Behandlung
von Personen, die bei Auslandseinsätzen von deutschen Soldatinnen oder
Soldaten in Gewahrsam genommen werden“?

14. Inwieweit wurden bei der Erteilung des „Befehls zur Behandlung von Per-
sonen, die bei Auslandseinsätzen von deutschen Soldatinnen oder Soldaten
in Gewahrsam genommen werden“ auf das afghanische Verfahrensrecht
oder auf die Vorgaben der afghanischen Behörden Rücksicht genommen?

15. Waren deutsche Streitkräfte nach dem 26. April 2007 an Ingewahrsamnah-
men anderer unter ISAF-Kommando stehenden Einsatzkontingente betei-
ligt?

Wenn ja, wie oft, und in welcher Form?

16. Verfolgt die deutsche Regierung, was mit Personen geschieht, die unter in-
direkter Beteiligung deutscher Streit- und Sicherheitskräfte in Gewahrsam
genommen wurden?

Wie gewährleistet die Bundesregierung, dass die Rechte der Personen, die
unter indirekter Beteiligung deutscher Streit- und Sicherheitskräfte in Ge-
wahrsam genommen wurden, von allen am Verfahren beteiligten Instanzen
respektiert werden?

17. Gibt es Direktiven der ISAF, die die Beteiligung von ISAF-Streitkräften an
Ingewahrsamnahmen der afghanischen Sicherheitskräfte regeln, und wie
lauten sie?

18. Sind die in der Antwort zu Frage 2 beschriebenen Gründe zur Ingewahr-
samnahme nach Erteilung des „Befehls zur Behandlung von Personen, die
bei Auslandseinsätzen von deutschen Soldatinnen oder Soldaten in Ge-
wahrsam genommen werden“ nicht mehr eingetreten?

Falls doch, warum wurden nach Erteilung des Befehls keine Personen
mehr in Gewahrsam genommen?

19. Hatten die afghanischen Behörden von den vom deutschen Einsatzkontin-
gent ISAF in Gewahrsam genommenen Personen Kenntnis?

Haben sie deren Überstellung verlangt?

Drucksache 17/1847 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
20. Wie kommt der Bundesminister der Verteidigung zu der Aussage, der „Be-
fehl zur Behandlung von Personen, die bei Auslandseinsätzen von deut-
schen Soldatinnen oder Soldaten in Gewahrsam genommen werden“ habe
erstmalig eine umfangreiche und detaillierte Dokumentation auch für Frei-
lassung oder Übergabe von Gewahrsamspersonen zur Pflicht gemacht, ob-
gleich das Bundesministerium der Verteidigung auf Bundestagsdrucksache
16/6282 erklärt hatte, es habe bereits zuvor rechtliche Vorgaben für die
Behandlung von Gefangenen gegeben, die bei Auslandseinsätzen von deut-
schen Soldatinnen und Soldaten in Gewahrsam genommen werden?

Sahen jene rechtlichen Vorgaben nicht zumindest eine rudimentäre Doku-
mentationspflicht vor?

Falls es diese Dokumentationspflicht bereits schwächer ausgeprägt gab, sie
jedoch unbeachtet blieb, wäre es denkbar, dass auch rechtliche Vorgaben
zum Schutze der Menschenrechte der in Gewahrsam Genommenen unbe-
achtet geblieben sein könnten?

Berlin, den 21. Mai 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.