BT-Drucksache 17/1743

Bundeswaldgesetz ändern - Naturnahe Waldbewirtschaftung fördern

Vom 18. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1743
17. Wahlperiode 18. 05. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch,
Herbert Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Eva Bulling-
Schröter, Roland Claus, Katrin Kunert, Caren Lay, Sabine Leidig, Michael Leutert,
Thomas Lutze, Kornelia Möller, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kersten Steinke,
Sabine Stüber, Alexander Süßmair und der Fraktion DIE LINKE.

Bundeswaldgesetz ändern – Naturnahe Waldbewirtschaftung fördern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In Deutschland befinden sich auf ca. 11,1 Millionen Hektar Wälder und Forsten,
was ungefähr 31 Prozent der Landesfläche entspricht. Die forstliche Bewirt-
schaftung des Waldes dient – neben den Holzimporten – der Rohstoffversorgung
der nachgelagerten einheimischen Holzwirtschaft, die den nachwachsenden
Rohstoff Holz sowohl stofflich als auch energetisch verwertet. Beide Nutzungen
gewinnen weiter an Bedeutung und stehen damit zunehmend in Konkurrenz
zueinander. Dieses Spannungsverhältnis und der gestiegene Nutzungsdruck
infolge hoher Nachfrage führen zu Interessenkonflikten und gefährden das Ziel
einer zunehmend naturnahen Waldbewirtschaftung.

Die im so genannten Cluster „Forst und Holz“ zusammengefassten Branchen
haben mit ihren ungefähr 1,3 Millionen Beschäftigten eine hohe gesamtwirt-
schaftliche Bedeutung. Die nachhaltige Nutzung des Waldes bildet eine wich-
tige Grundlage für die ländliche Entwicklung. Neben der forstlichen Nutzung
bieten Wälder und Forste vielfältige Möglichkeiten für Freizeit- und Tourismus-
dienstleitungen, sowie zur Umweltbildung. Darüber hinaus erfüllt der Wald
wichtige Gemeinwohlleistungen wie Klima-, Wasser-, Boden-, Arten- und Na-
turschutz.

Um eine naturnahe Waldbewirtschaftung zu fördern und den Ausbau der erneu-
erbaren Energien beispielsweise durch die Anlage von Kurzumtriebsplantagen
voranzubringen, ist eine Novelle des Bundeswaldgesetzes (BWaldG) überfällig.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

das BWaldG mit den folgenden Zielen zu ändern:

1. Unter Berücksichtigung der Bestimmungen im Sinne der naturnahen Wald-

bewirtschaftung im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) eine Neudefini-
tion des Begriffs „ordnungsgemäße Forstwirtschaft“ vorzunehmen. Dabei
müssen der Schutz der natürlichen Ressourcen, die Sicherung der gemein-
wohlorientierten Waldfunktionen und die Bewahrung der Biodiversität im
Fokus stehen. Die Nutzung von gentechnisch verändertem Saat- und Pflanz-
gut ist auszuschließen und die fachliche Waldbewirtschaftung durch qualifi-
ziertes Personal in bedarfsgerechter Anzahl einzufordern;

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2. Erleichterung der Anlage von Agroforstsystemen und Kurzumtriebsplan-
tagen durch eine Klarstellung, dass diese nicht als Wald im Sinne des
BWaldG gelten;

3. gezielte Unterstützung von Kleinprivatwaldbesitzerinnen und Kleinprivat-
waldbesitzern durch Aufhebung der Beschränkungen für Forstwirtschaft-
liche Vereinigungen. Durch eine verbesserte Beratung und Betreuung soll die
wirtschaftliche und strukturelle Entwicklung des Kleinprivatwaldes vorange-
bracht werden;

4. Konkretisierung der Verkehrssicherungspflicht entsprechend der aktuellen
Rechtsprechung zugunsten einer naturnahen Waldbewirtschaftung. Das freie
Betretungsrecht der Wälder muss erhalten und mit den durch Biotop- und
Totholz ausgehenden „waldtypischen Gefahren“ in Einklang gebracht wer-
den.

Berlin, den 18. Mai 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Das seit dem 2. Mai 1975 in Kraft getretene Gesetz zur Erhaltung des Waldes
und zur Förderung der Forstwirtschaft (Bundeswaldgesetz – BWaldG) hat sich
weitgehend bewährt. Deutschland ist zu fast einem Drittel mit Wald bestockt,
der Umbau hin zu stabileren und naturnahen Mischwäldern wird dennoch seit
vielen Jahren geführt. Dabei spielen Baumartenwahl, Struktur der Bestände und
Holzerntetechnologie eine wichtige umweltpolitische Rolle. Kahlschläge sollen
vermieden, Bodenverdichtung und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln redu-
ziert werden.

Trotz der bereits erreichten Erfolge der einheimischen Forstwirtschaft wird seit
einigen Jahren auf akuten Änderungsbedarf am BWaldG hingewiesen. Bereits
im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD im Jahr 2005 wurde eine
Novelle angekündigt, diese scheiterte aber an der Uneinigkeit der Koalition.
Auch im aktuellen Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP wird auf die
Notwendigkeit zur Überarbeitung des BWaldG hingewiesen. Der Bundesrat hat
im Jahr 2009 einen Entwurf zur Änderung des BWaldG beschlossen und diesen
erneut am 12. Februar 2010 an den Deutschen Bundestag überwiesen (Bundes-
tagsdrucksache 17/1220). Zwischen den meisten Akteuren besteht bezüglich
den Novellierungsnotwendigkeiten bei der Verkehrssicherungspflicht, Kurz-
umtriebsplantagen bzw. Agroforstsystemen und Forstwirtschaftlichen Vereini-
gungen Einigkeit. Hingegen ist seit Jahren strittig, ob die Definition der
„ordnungsgemäße Forstwirtschaft“ im BWaldG im Sinne einer naturnahen
Waldbewirtschaftung eng zu fassen und detailliert zu beschreiben ist bzw. wel-
che Regelungen auf Bundes-, und welche auf Landesebene angesiedelt werden
sollen.

Die Präzisierung des § 11 BWaldG ist eine wichtige Grundlage zur weiteren
Entwicklung naturnaher forstlich genutzter Wälder. Der Begriff „ordnungs-
gemäße Forstwirtschaft“ (gute fachliche Praxis) in § 11 BWaldG soll dahin-
gehend ausgestaltet werden, dass eine größere Naturnähe durch die Wahl
standortgerechter einheimischer Baumarten, kahlschlagsfreies Wirtschaften,
Waldrandgestaltung, Reduzierung der Bodenbearbeitung und Bodenverdich-

tung, Vermeidung des Einsatzes von Herbiziden, Pestiziden und Düngemitteln,
waldverträgliche Wilddichten und Verzicht auf gentechnisch verändertes

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1743

Pflanz- und Saatgut erreicht wird. Darüber hinaus sind soziale und Qualifizie-
rungsstandards für die Erholungs- und Bildungsfunktion des Waldes, sowie für
die in der Forstwirtschaft Beschäftigten zu entwickeln. Alle Aufgaben sind
durch qualifiziertes forstliches Personal abzusichern.

Agroforstwirtschaft ist eine Form der Landnutzung, bei der Holzpflanzen
(Bäume, Sträucher etc.) auf landwirtschaftlicher Nutzfläche angebaut werden.
Räumliche Anordnung und zeitliche Abfolge können kombiniert werden. Bei-
spielhafte Agroforstsysteme sind Streuobstwiesen zur Obstproduktion, Hude-
wälder zur Weidehaltung oder Kurzumtriebsplantagen zur Energiegewinnung.
Agroforstwirtschaft bieten durch die Kombination forst- und landwirtschaft-
licher Pflanzen die Möglichkeit, energetische, stoffliche und landwirtschaftliche
Nutzungen zu verbinden. Bei gut konzipierten Agroforstsystemen stehen die
land- und forstwirtschaftlichen Pflanzen nicht in Konkurrenz zueinander, son-
dern unterstützen sich gegenseitig. Agroforstsysteme sind im Hinblick auf ihre
ökologischen Leistungen so anzulegen, dass keine großflächigen Monokulturen
entstehen. Das gilt insbesondere für Kurzumtriebsplantagen. Werden verschie-
dene Agroforstsysteme miteinander kombiniert und verschiedene Baumarten
genutzt, kann durch die erhöhte Strukturvielfalt ein wichtiger Beitrag zu mehr
Naturschutz in der Agrarlandschaft und für eine attraktivere Kulturlandschaft
geleistet werden.

Typische Merkmale des Waldökosystems wie Waldinnenklima, Waldvegetation
und Bodenentwicklung fehlen bei Agroforstsystemen. Im Sinne des BWaldG ist
jedoch „jede mit Forstpflanzen bestockte Grundfläche“ als Wald zu verstehen.
Damit treffen die aktuellen Regelungen im engeren Sinne auch auf Agroforst-
systeme zu, die sich jedoch nach den Bestimmungen des BWaldG nicht im Sinne
einer ordnungsgemäßen Forstwirtschaft bewirtschaften ließen. Daher sollen in
§ 2 Absatz 1 BWaldG die Begriffe „Agroforstsystem“ und „Kurzumtriebsplan-
tage“ so vom Begriff „Wald“ abgegrenzt werden, dass sie nicht Wald im Sinne
des BWaldG sind.

Die nachhaltig nutzbaren Holzreserven des Kleinprivatwaldes werden bisher auf
Grund geringer Organisationskraft und fehlender Kooperation nur ungenügend
erschlossen. Die wirtschaftliche Position der Vermarktungsstrukturen für die
Eigentümerinnen und Eigentümer des Kleinprivatwaldes sollten gestärkt wer-
den. Dazu ist ein kooperativer Ansatz durch mehr Beratung in professionell
geführten anerkannten Forstwirtschaftlichen Zusammenschlüssen nötig. Die
Beschränkungen der Forstwirtschaftlichen Vereinigungen sollten aufgehoben
und ihre Aufgaben in den Bereichen Erzeugung, Waldbau, Absatz und Transport
erweitert werden. Im § 40 BWaldG sind der vorhandenen Aufzählung in Absatz 1
die anerkannten Forstwirtschaftlichen Vereinigungen hinzuzufügen.

Eine naturnahe Waldbewirtschaftung trägt zum Erhalt der Biodiversität durch
stehendes und liegendes Tot- und Biotopholz bei. Nach neusten Erkenntnissen
sollten aus naturschutzfachlichen Gründen mindestens 30 bis 60 Festmeter
Totholz pro Hektar vorhanden sein. Für Besucherinnen und Besucher können
sich daraus zusätzliche Risiken ergeben. Die Rechtsprechung hat die von
Tot- und Biotopholz ausgehenden Gefahren als „waldtypisch“ eingestuft. Diese
waldtypischen Gefahren sollten in § 14 Absatz 1 ausdrücklich erwähnt werden,
um die Verkehrssicherungspflicht für Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer in
diesen Fällen einzuschränken.

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