BT-Drucksache 17/162

Neuausrichtung der bisherigen Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus

Vom 4. Dezember 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 17/162
17. Wahlperiode 04. 12. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Petra Pau, Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald, Steffen
Bockhahn, Roland Claus, Sevim Dag˘delen, Heidrun Dittrich, Dr. Dagmar
Enkelmann, Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, Katja Kipping, Jan Korte, Wolfgang
Neskovic, Jens Petermann, Richard Pitterle, Dr. Petra Sitte, Frank Tempel, Halina
Wawzyniak, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Neuausrichtung der bisherigen Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus

Die seit 2001 vom Bund geförderten Programme gegen Rechtsextremismus
sollen laut Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP in „Extremismus-
bekämpfungsprogramme“ umgewandelt werden (S. 87), die sich gleicher-
maßen gegen rechten und linken „Extremismus“ so wie gegen Islamismus rich-
ten sollen. Im gleichen Sinne soll das „Bündnis für Demokratie und Toleranz“
(BfDT) einen stärkeren Schwerpunkt im Bereich „Linksextremismus“ bilden,
die bisherigen Aussteigerprogramme Rechtsextremismus zu Aussteigerpro-
grammen Extremismus und schließlich der Fonds für Opfer rechtsextremer
Gewalt zu einem Fonds für Opfer des Extremismus werden.

Diese inhaltliche Verschiebung ist rein ideologisch motiviert, denn nach wie
vor wird niemand begründet bestreiten können, dass die extreme Rechte in
zahlreichen Regionen des Landes die primäre reale und alltägliche Bedrohung
für zahlreiche Menschen darstellt. 140 Tote und ungezählte Verletzte durch
rechte Gewalt seit 1990 sprechen eine deutliche Sprache.

Faktisch bedeuten die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag mehr als eine
Halbierung der Mittel im Kampf gegen die extreme Rechte. Wenn mit den
gleichen Mitteln (bisher 24 Mio. Euro für zwei Bundesprogramme, ca. 1 Mio.
Euro BfDT, ca. 300 000 Euro Opferfonds) jetzt Projekte im gesamten Bereich
„Extremismus“ gefördert werden sollen, handelt es sich in jedem Fall um eine
massive Kürzung für den Bereich Rechtsextremismus.

Die hier angekündigten Veränderungen sind nicht das Ergebnis einer wissen-
schaftlichen Evaluation der bisherigen Bundesprogramme. Völlig unabhängig
von einer solchen Evaluation nimmt die Bundesregierung hier politisch moti-
vierte Veränderungen vor, die im Ergebnis die Auseinandersetzung mit der
extremen Rechten schwächen werden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Plant die Bundesregierung die Überarbeitung der Leitlinien der Bundes-
programme „VIELFALT TUT GUT. Jugend für Vielfalt, Toleranz und
Demokratie“ und „Kompetent für Demokratie – Beratungsnetzwerke gegen
Rechtsextremismus“, um die im Koalitionsvertrag angekündigte Auswei-
tung der Arbeit der Bundesprogramme auf die Bereiche „Linksextremis-
mus“ und „islamistische Bestrebungen“ umzusetzen?

Drucksache 17/162 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

a) Welche konkreten Vorschläge zur Veränderung der Leitlinien gibt es
bisher, und bis wann will die Bundesregierung hier konkrete Vorschläge
machen?

2. Will die Bundesregierung die Ausweitung der Arbeit der Bundesprogramme
auf die Bereiche „Linksextremismus“ und „islamistische Bestrebungen“ im
Rahmen der bestehenden Lokalen Aktionspläne, Modellprojekte, Mobilen
Beratungen und Opferberatungen umsetzen, oder will sie hierfür auf die
Etablierung neuer Projekte, Aktionspläne etc. setzen?

a) Wenn die Bundesregierung auf eine Aufgabenausweitung im Rahmen der
bestehenden Projekte setzt, wird sie dann den finanziellen und personel-
len Rahmen der jeweiligen Projekte entsprechend der Aufgabenerweite-
rung anpassen, oder ist an eine solche Aufstockung der Mittel nicht ge-
dacht?

b) Geht die Bundesregierung davon aus, dass für die von ihr vorgeschlagene
Ausweitung des Themengebiets der Bundesprogramme neues Fachperso-
nal gewonnen werden muss, oder geht sie davon aus, dass alle Bereiche
des „Extremismus“ vom selben Personal bearbeitet werden können?

3. Welche zivilgesellschaftlichen Ansprechpartner im Bereich der „Linksextre-
mismusprävention“ hat die Bundesregierung bisher ausgemacht, welche
zivilgesellschaftlichen Ansprechpartner sind ihr bekannt?

Kann die Bundesregierung Modellprojekte, Bürgerinitiativen, Runde Tische,
Elternzusammenschlüsse, Vereine etc. nennen, die sich mit aktuellem
„Linksextremismus“ befassen und als mögliche Ansprechpartner für ent-
sprechende Projekte in Frage kommen?

Um welche Projekte, Initiativen etc. handelt es sich hier?

4. Kann die Bundesregierung konkrete Schwerpunktregionen des „Linksextre-
mismus“ benennen in denen analog zur extremen Rechten ein Klima der
Einschüchterung und Angst vorherrscht?

Um welche Regionen handelt es sich, und haben sich hier bürgerschaftliche
Strukturen entwickelt, die jetzt gezielt unterstützt werden sollen?

5. Welche zivilgesellschaftlichen Ansprechpartner im Bereich der Bekämp-
fung des Islamismus hat die Bundesregierung bisher ausgemacht, welche
zivilgesellschaftlichen Ansprechpartner sind ihr bekannt?

Kann die Bundesregierung Modellprojekte, Bürgerinitiativen, Runde Tische,
Elternzusammenschlüsse, Vereine etc. nennen, die sich mit Islamismus be-
fassen und als mögliche Ansprechpartner für entsprechende Projekte in
Frage kommen?

Um welche Projekte, Initiativen etc. handelt es sich hier?

6. Kann die Bundesregierung konkrete Schwerpunktregionen des Islamismus
benennen, in denen analog zur extremen Rechten ein Klima der Einschüch-
terung und Angst vorherrscht?

Um welche Regionen handelt es sich, und haben sich hier bürgerschaftliche
Strukturen entwickelt, die jetzt gezielt unterstützt werden sollen?

7. Hat die Bundesregierung die Kritik zahlreicher Wissenschaftler an der Um-
wandlung der Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus in Extremismus-
bekämpfungsprogramme (vgl. z. B. Frankfurter Rundschau vom 10. Novem-
ber 2009) zur Kenntnis genommen, und spielt diese Kritik für die weiteren
Entscheidungen der Bundesregierung eine Rolle?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/162

8. Inwieweit beabsichtigt die Bundesregierung im Rahmen der geplanten
Neuausrichtung der Bundesprogramme auch Bestrebungen und Haltungen
sog. gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in größeren Teilen der Be-
völkerung (wie sie in zahlreichen Studien wissenschaftlich belegt sind:
z. B. Prof. Wilhelm Heitmeyer: „Deutsche Zustände“; Dr. Oliver Decker/
Prof. Elmar Brähler: „Vom Rand zur Mitte“ u. a.) in den Fokus zu nehmen,
oder sieht die Bundesregierung hier keinen Handlungsbedarf?

9. Welche Aussagen der durch die Bundesregierung geförderten Evaluation
der Bundesprogramme „VIELFALT TUT GUT. Jugend für Vielfalt, Tole-
ranz und Demokratie“ und „Kompetent für Demokratie – Beratungsnetz-
werke gegen Rechtsextremismus“ haben den Anlass für eine generelle Ver-
änderung des Ansatzes der Programme gegeben?

Gibt es in der Evaluation der Bundesprogramme überhaupt die Empfeh-
lung, die Bundesprogramme auf die anderen „Extremismusbereiche“ aus-
zudehnen?

Wenn nein, auf welcher Grundlage hat die Bundesregierung dann diese
Entscheidung getroffen, und hat sie mit den von ihr finanzierten Evaluato-
ren über diese Ausweitung gesprochen?

10. Teilt die Bundesregierung die von Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de
Maizière, im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ (21./22. November
2009) geäußerte Ansicht, die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung
gegen Rechtsextremismus seien zu wenig koordiniert gewesen, und wenn die
Bundesregierung diese Auffassung teilt, wie und bis wann will sie hier kon-
krete Abhilfe schaffen?

11. Ist in diesem Zusammenhang an eine neue und gebündelte Zuständigkeit
für die verschiedenen Bundesprogramme gedacht, und wo sollte diese Zu-
ständigkeit liegen?

Berlin, den 4. Dezember 2009

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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