BT-Drucksache 17/14708

Rezeptdatenhandel durch Apothekenrechenzentren und Datenaufbereitungsfirmen

Vom 4. September 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14708
17. Wahlperiode 04. 09. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Birgitt Bender, Dr. Konstantin von Notz, Beate
Walter-Rosenheimer, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald Terpe, Britta Haßelmann,
Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, Maria Klein-Schmeink, Dr. Tobias Lindner,
Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Josef Philip Winkler und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rezeptdatenhandel durch Apothekenrechenzentren und
Datenaufbereitungsfirmen

Die Veröffentlichung des Artikels „Pillendreher als Datendealer“ im Nachrich-
tenmagazin „DER SPIEGEL“ vom 19. August 2013 hat erneut die Diskussion
entfacht, inwieweit der Datenschutz beim Rezeptdatenhandel be- bzw. missach-
tet wird und inwieweit mit gehandelten Rezeptdaten für externe Datenaufberei-
ter und Pharmafirmen eine Reidentifizierung von personenbezogenen Daten
(Versicherte, Ärztinnen und Ärzte, Apothekerinnen und Apotheker) möglich ist.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat bereits im Jahr 2012 mit mehre-
ren Schriftlichen Fragen sowohl das Vorgehen der pharmazeutischen Herstelle-
rin Novartis Pharma GmbH (Sitz in Bayern) (siehe Schriftliche Fragen 27 auf
Bundestagsdrucksache 17/9263, 51 auf Bundestagsdrucksache 17/9855 und
89 auf Bundestagsdrucksache 17/10606) als auch der aktuell wieder kritisierten
Akteure (siehe Schriftliche Fragen 66 auf Bundestagsdrucksache 17/8724, 73,
74, 75 auf Bundestagsdrucksache 17/10270 und 65, 66 auf Bundestagsdruck-
sache 17/10503) kritisch begleitet. Im „Fall Novartis“ wurden ärztliche Verord-
nungsdaten von Praxisrechnern gezogen. Im aktuell diskutierten Fall hat laut
eidesstattlicher Erklärung eines ehemaligen Mitarbeiters der Datenauswertungs-
gesellschaft „GFD“ mit Sitz in Karlsfeld das Apothekenrechenzentrum „Ver-
rechnungsstelle der Süddeutschen Apotheken GmbH“ (VSA) Rezeptdaten mit
Personenbezug unverschlüsselt an die GFD weitergegeben. Ferner soll das Da-
tenaufbereitungsunternehmen „IMS Health GmbH & Co. OHG“ (IMS) unzurei-
chend verschlüsselte Daten an die Pharmaindustrie verkauft haben.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Trifft es zu, dass für Zwecke außerhalb der Abrechnung mit gesetzlichen
Krankenkassen Rezeptdaten ausschließlich anonymisiert verwendet werden
dürfen?
2. Für welche sonstigen Zwecke dürfen die (anonymisierten) Rezeptdaten ver-
wendet werden?

3. In welcher Weise müssen Rezeptdaten von welchen Stellen aufbereitet wer-
den, um den gesetzlichen Datenschutzvorgaben nach Bundesdatenschutz-
gesetz und Sozialgesetzbuch für Zwecke außerhalb des Abrechnungswesens
zu entsprechen?

Drucksache 17/14708 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wird bundesweit nach denselben Maßstäben zwischen Anonymisierung und
Pseudonymisierung unterschieden?

4. a) Welche Fälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen gegenüber Apo-
thekenrechenzentren, Datenaufbereitungsfirmen oder Pharmafirmen der
Vorwurf erhoben wurde, unzureichend anonymisierte Rezeptdaten verar-
beitet und/oder verkauft zu haben?

b) Was haben die Bundesregierung bzw. ihre nachgeordneten Behörden, wie
z. B. das Bundesversicherungsamt, in diesen Fällen unternommen?

c) Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Stand (Prüfung durch die
Beauftragten für Datenschutz in Bund und Ländern, Stand staatsanwalt-
licher Ermittlungen) in diesen und den in der Vorbemerkung der Fragestel-
ler genannten Fällen?

5. Welche Erkenntnisse bezüglich Einhaltung und Missachtung des Datenschut-
zes liegen der Bundesregierung über den im genannten Bericht im Nachrich-
tenmagazin „DER SPIEGEL“ beschriebenen Rezeptdatenhandel vor, und
wie bewertet sie diese Informationen?

6. Teilt die Bundesregierung die Darstellung der „Ärzte Zeitung“ (20. August
2013, „So blöd ist doch keiner“), dass

a) etliche Ausnahmen von der Pflicht zur Anonymisierung bestehen, so für
die Rezepte in Modellvorhaben, bei der hausarztzentrierten Versorgung,
bei der besonderen ambulant-ärztlichen Versorgung, in strukturierten Be-
handlungsprogrammen und bei der integrierten Versorgung, und

b) hier Rezeptdaten bis auf den einzelnen Verordner genau erfasst und auch
zu Marktforschungszwecken veräußert werden können?

Falls ja, wie bewertet die Bundesregierung dies, und sieht sie hier gesetz-
geberischen Handlungsbedarf?

7. Kann die Bundesregierung die Aussage des Versorgungsforschers Gerd
Glaeske (DIE ZEIT vom 22. August 2013, „Gläserner Patient“) bestätigen,
dass über „private Deals“ einzelne Ärztinnen/Ärzte und Apothekerinnen/
Apotheker Durchschriften von Rezepten direkt an Datenaufbereitungsunter-
nehmen liefern?

Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass dies gegen Datenschutz-
vorgaben verstößt und dabei auch gegen die Schweigepflicht verstoßen wird?

8. a) Ist die Darstellung im oben genannten Artikel im Nachrichtenmagazin
„DER SPIEGEL“ korrekt, dass im Juli 2012 unter Beteiligung des Bun-
desministeriums für Gesundheit (BMG) und des bayerischen Landes-
amtes eine Kompromisslinie für die Datenlieferungen von VSA an IMS
vereinbart wurde?

b) Ist es außerdem zutreffend, dass diese Kompromisslinie aus pseudonymi-
sierten Rezeptdaten besteht – Pseudonyme, die nach Einschätzung des
schleswig-holsteinischen Landesdatenschutzbeauftragten datenschutz-
rechtlich unzureichend sind und eine Identifizierung realer Personen
„ohne größeren Aufwand“ zulassen?

c) Wie bewertet die Bundesregierung dieses Vorgehen aus heutiger Sicht,
nachdem das „Norddeutsche Apothekenrechenzentrum“ (NARZ) ein sol-
ches Vorgehen unter Verweis auf Verstöße gegen den Datenschutz aufge-
geben hat?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14708

9. Ist es aus Sicht der Bundesregierung hinnehmbar, wenn 14 von 16 Bundes-
ländern zur Erkenntnis gelangen (taz.die tageszeitung vom 21. August
2013, „Das Gesetz ist klar“), dass die Pseudonymisierung des Apothekenre-
chenzentrums VSA nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt und nur
die Landesdatenschutzbehörden Bayerns und Hessens anderer Meinung
sind, und wenn demzufolge an dieselben Unternehmen und Institutionen je
nach Bundesland höchst unterschiedliche Anforderungen an die Anonymi-
sierung gestellt werden?

10. Welchen Klärungsbedarf sieht die Bundesregierung angesichts dieser sich
widersprechenden Einschätzungen der Landesdatenschutzbeauftragten?

11. Welche konkreten Maßnahmen hat das BMG ergriffen, um die Weitergabe
von Rezeptdaten an die Pharmaindustrie überprüfen zu lassen (Darstellung
in der Süddeutschen Zeitung vom 20. August 2013, „Daten auf Rezept“)?

Wie engagiert sich die Bundesregierung für eine Klärung der Vorwürfe und
für eine datenschutzrechtlich akzeptable Lösung beim Rezeptdatenhandel?

12. Gibt es nach Wissen der Bundesregierung unangemeldete, stichprobenhafte
Kontrollen über die Einhaltung des Datenschutzes in den Rechenzentren
und anderen privaten Unternehmen, die mit Rezeptdaten handeln?

Wenn ja, durch wen, und wie häufig?

Wenn nein, warum nicht?

13. Besteht nach Einschätzung der Bundesregierung Anlass, die gesetzlichen
Voraussetzungen für den Handel mit Rezeptdaten zu verändern?

14. Besteht nach Einschätzung der Bundesregierung Anlass, die kommerzielle
Verwertung von Rezeptdaten einzuschränken bzw. zu unterbinden (siehe
Pressemitteilung des Verbands der Ersatzkassen e. V. vom 19. August 2013)?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, wie?

Berlin, den 4. September 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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