BT-Drucksache 17/14558

Wissenschaftliche Erkenntnisse über Doping in Deutschland seit 1950, Beteiligung des Bundes an Projekten zur Dopingforschung und deren Finanzierung durch den Bund

Vom 13. August 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14558
17. Wahlperiode 13. 08. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Kerstin Andreae, Daniela Wagner,
Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Britta Haßelmann, Ingrid Hönlinger,
Tom Koenigs, Memet Kilic, Dr. Konstantin von Notz, Claudia Roth (Augsburg),
Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wissenschaftliche Erkenntnisse über Doping in Deutschland seit 1950,
Beteiligung des Bundes an Projekten zur Dopingforschung und deren
Finanzierung durch den Bund

Die Dopingpraktiken in der Bundesrepublik Deutschland sind seit 2008 Gegen-
stand einer von der Bundesregierung mit 550 000 Euro finanzierten wissen-
schaftlichen Studie mit dem Titel „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus
historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“. Die von
zwei Forschergruppen an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und
an der Humboldt-Universität zu Berlin geleiteten Forschungen sollten im Früh-
jahr 2013 zum Abschluss gebracht werden und in einen Bericht münden, der die
zuvor in Auszügen der Öffentlichkeit vorgestellten drei Teilstücke ausführlich
darstellt und miteinander verbindet. Nachdem der „Süddeutschen Zeitung“ das
Dokument zugespielt wurde (Süddeutsche Zeitung vom 3./4. August 2013), hat
am 5. August 2013 auch der Sportausschuss des Deutschen Bundestages den Ab-
schlussbericht erhalten. Die Angaben dazu, warum das Bundesinstitut für Sport-
wissenschaft (BISp) die Veröffentlichung des zweiten Berichts der Berliner For-
schergruppe (Zeitraum ab 1972 bis 1989) nicht übernimmt, sind widersprüch-
lich. Ebenso unklar ist, warum der dritte Teil der Arbeit (Zeitraum 1990 bis 2007)
nicht fertiggestellt werden konnte.
Nach bisherigen Erkenntnissen wurde Dopingforschung insbesondere an der
sportmedizinischen Abteilung des Universitätsklinikums Freiburg, aber auch an
anderen Standorten wie Saarbrücken und Köln, seitens staatlicher Stellen nicht
nur toleriert, sondern auch finanziell vom Bund über das BISp gefördert. So
konstatiert ein Forscher bereits im Zwischenbericht zur zweiten Untersuchungs-
phase (1972 bis 1989), dass hier „die zweite Phase sportmedizinisch angeleiteten
Dopings [begann], unter Mitwirkung von Teilen des neugegründeten Bundes-
instituts für Sportwissenschaft.“ (G. Spitzer, Vortragstext zur Kurzfassung der
Ergebnisse des zweiten Projektjahres bei der Präsentation von Zwischen-
ergebnissen des Teilprojektes an der Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin,
September 2011). Es ist jedoch fraglich, ob alle Erkenntnisse der Berliner
Forschergruppe Eingang in den Abschlussbericht finden, da mit dem BISp als

Projektgeber eine Vereinbarung zur Auftragsdatenvereinbarung abgeschlossen
wurde. Die Forscher haben diese Vereinbarung ihrerseits wiederholt beklagt und
als Einschränkung ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit bezeichnet, welche „die
Freiheit der Wissenschaft gefährdet“ (DER TAGESSPIEGEL vom 6. November
2012). Im Mittelpunkt der Vorwürfe steht der inzwischen verstorbene ehemalige
Leiter der Sportmedizin an der Freiburger Universtitätsklinik Joseph Keul. Er
soll laut Studie Doping über Jahre erforscht und verharmlost haben. Dabei sollen
auch Anabolika an Minderjährige getestet worden sein.

Drucksache 17/14558 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Nach jüngsten Medienberichten wurden für die Aufarbeitung der westdeutschen
Vergangenheit wichtige Akten von staatlichen Stellen zurückgehalten bzw. ver-
nichtet (Süddeutsche Zeitung vom 31. Juli 2013, S. 29). Andere, nun auf-
getauchte Akten belegen erstmals die frühe Förderung der Dopingforschung
durch das Bundesministerium des Innern (BMI)/BISp ab 1972. Demnach wur-
den in Freiburg außer mit Anabolika auch Versuche mit dem Wachstumshormon
Somatropin und mit Insulin durchgeführt (Main-Post vom 30. Juli 2013, S. 2).
Außerdem sollen nach Erkenntnissen der Berliner Forscher Minderjährige sys-
tematisch in medizinische Experimente zur Leistungssteigerung über Doping
einbezogen worden sein (DER TAGESSPIEGEL vom 5. August 2013, S. 18).

Unabhängig von der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Dopingvergangenheit
in Deutschland liegt es im Verantwortungsbereich der Bundesregierung, zur
Beteiligung und Finanzierung des Bundes an Projekten der Dopingforschung
Auskunft zu geben.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welchem Umfang haben Einrichtungen der Universitätsklinik Freiburg
seit 1970 Fördermittel des Bundes für sportmedizinische Forschung und ins-
besondere für Projekte mit Bezug zur Dopingforschung erhalten (bitte nach
Jahren, Bezeichnung des Forschungsprojektes, Höhe der Fördersumme, und
Projektleiter auflisten)?

2. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Zahl der über das BISp
geförderten Anträge zur Forschung mit im Sport verbotenen Substanzen seit
1970?

3. Mit welcher Summe wurden diese Forschungsprojekte bis 1989 vom BISp
gefördert, und welche Sportmediziner an welchen Universitäten waren daran
beteiligt (bitte Titel der Arbeiten, den Förderzeitraum und die jeweilige För-
dersumme angeben)?

4. In welchen dieser Studien dienten Kadersportler als Probanden?

5. Für wie viele und welche dieser Studien wurden Minderjährige als Probanden
herangezogen (bitte Titel angeben)?

6. Wie verhält sich die Bundesregierung zu dem Vorwurf, dass der Einsatz von
jugendlichen Probanden in der Dopingforschung als Missbrauch einzuschät-
zen ist?

7. Wie verhält sich die Bundesregierung zu ihren eigenen Aussagen laut Bun-
destagsdrucksache 12/1781, wonach „[k]einem der vom BISp geförderten
Forschungsprojekte, bei denen Substanzen, die auf der Doping-Liste des IOC
enthalten sind, eingesetzt wurden, […] eine Zielsetzung zugrunde [lag],
Doping zu fördern“, die „Zielsetzung […] zu jeder Zeit eindeutig und aus-
schließlich auf Verhinderung von Doping im Leistungssport ausgerichtet“
war, insbesondere „[a]llen vom BISp geförderten Forschungsprojekten mit
anabolen Steroiden […] keine leistungssteigernde Zielsetzung zugrunde“ lag
und die „Probanden […] keine Kader-Athleten und damit keine Hochleis-
tungssportler“ waren?

8. Hat die Bundesregierung Kenntnis über den Verbleib der für die Antwort auf
die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD von 1991 (Bundestagsdrucksache
12/1781) zu Rate gezogenen Akten?

a) Wenn diese Akten vernichtet wurden, mit welcher Begründung wurde
dies getan?

b) Wenn die Akten noch immer existieren, hatten die Forschungsgruppen

der Studie „Doping in Deutschland von 1950 bis heute“ Zugriff auf diese,
und wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14558

9. Wie verhält sich die Bundesregierung zu Medienberichten, wonach bereits
Anfang der 70er-Jahre von der sportmedizinischen Abteilung des Univer-
sitätsklinikums Freiburg die leistungsfördernde Wirkung von Wachstums-
hormonen und Insulin untersucht wurde?

10. Trifft es zu, dass das BMI bezüglich der Wirkung von Wachstumshormonen
ein Gutachten in Auftrag gegeben hat?

11. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung dazu vor, woher die sport-
medizinische Abteilung des Universitätsklinikums Freiburg Anfang der
70er-Jahre das damals nur aus den Hypophysen von Leichen zu gewin-
nende Wachstumshormon für ihre Versuche bezog?

12. Haben die Forschergruppen des Projektes „Doping in Deutschland von
1950 bis heute“ zu jedem Zeitpunkt vollen Zugriff auf alle Akten die die
sportmedizinische Abteilung des Universitätsklinikums Freiburg betreffen
und auf die Datenbanken des BISp gehabt?

Wenn nein, welche Akten wurden nach Kenntnis der Bundesregierung von
den Wissenschaftlern vergeblich angefragt, und aus welchem Grund stan-
den diese nicht zur Verfügung (bei sog. Vernichtungsermächtigungen bitte
Betreff der Akten und den Zeitpunkt ihrer Vernichtung angeben)?

13. Wann genau wurde den beteiligten Forschern durch das BISp die Unter-
zeichnung einer Vereinbarung zur Auftragsdatenverarbeitung abverlangt,
und auf wessen Veranlassung geschah das?

14. Welchen Wortlaut bzw. welche wesentlichen inhaltlichen Regelungen hat
die zwischen den Forschergruppen und dem BISp unterzeichnete Verein-
barung zu Auftragsdatenverarbeitung?

15. Teilt die Bundesregierung die von der Forschergruppe wiederholt vor-
gebrachte Kritik an der Vereinbarung zur Auftragsdatenverarbeitung (DER
TAGESSPIEGEL vom 6. November 2012), und wenn nein, warum nicht?

16. Bei welchen weiteren Forschungsprojekten im Rahmen der sportwissen-
schaftlichen Forschung des BISp wurden zwischen Auftraggeber und
Forschungsnehmer Vereinbarungen zur Auftragsdatenverarbeitung unter-
zeichnet?

17. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung für die Gründe der feh-
lenden Ergebnisse der Berliner Forschergruppe den Zeitraum 1990 bis
2007 betreffend vor?

18. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Einschätzung der Berliner Forschergruppe, dass ein Dopingverbot
durch ein entsprechendes Gesetz zu sichern sei und dies ein „unerlässlicher,
zeitnah zu implementierender Schritt“ sei (Zusammenfassende Darstellung
zum Projekt „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-
soziologischer Sicht um Kontext ethischer Legitimation“, S. 36)?

19. Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um „eine öffentliche
Thematisierung der sportpolitischen Ziele im Leistungssport und glaub-
würdige Anti-Dopingbemühungen von Sportverbänden und Sportpolitik“
zu gewährleisten, wie sie nach Auffassung der Autoren der Studie „Doping
in Deutschland von 1950 bis heute“ (Zusammenfassende Darstellung zum
Projekt „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziolo-
gischer Sicht um Kontext ethischer Legitimation“, S. 36) notwendig ist?

20. Welche Gründe haben nach Ansicht der Bundesregierung dazu geführt,
dass die Berliner Forschergruppe seit März 2012 keine Gelder für ihre For-
schung bekommen hat, was einen nachteiligen Einfluss auf die Ergebnisse

der Jahre 1990 bis 2007 hat?

Drucksache 17/14558 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
21. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung in Bezug auf nachträg-
liche Anträge der Berliner Forscher zur Bewilligung von Geldern vor, um
den Zeitraum 1990 bis 2007 abzuschließen, und welche Fristen zum Ab-
schluss der Forschungen wurden hierbei gesetzt?

22. Gedenkt die Bundesregierung, den rechtshistorischen Teil aus Phase III der
Studie „Doping in Deutschland von 1950 bis heute“, welche den Zeitraum
1989/1990 bis 2007 behandelt, nochmals gesondert finanziell zu fördern
und somit zu einem Abschluss zu bringen?

a) Wenn nein, warum nicht?

b) Wenn ja, für wann und in welcher Höhe ist die finanzielle Förderung
geplant?

23. Wie verhält sich die Bundesregierung zu der Aussage der Projektnehmer,
dass „[g]erade wenn Forschungsergebnisse auch im Sinne (sport-)politi-
scher Beratung genutzt werden sollen, […] die Option unerlässlich
[scheint], darüber nachzudenken, wie die gründliche Auswertung der Daten
zur Phase III gewährleistet werden kann“ (Zusammenfassende Darstellung
zum Projekt „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-
soziologischer Sicht um Kontext ethischer Legitimation“, S. 22)?

24. Wer hat nach Kenntnis der Bundesregierung Joseph Keul für die Verleihung
des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse vorgeschlagen, das ihm 1990 ver-
liehen wurde?

25. Gedenkt die Bundesregierung, eine Aberkennung des Bundesverdienst-
kreuzes für Joseph Keul vorzuschlagen, nachdem der Nachweis über seine
Dopingpraktiken nun geliefert wurde, und wenn nein, warum nicht?

26. In welcher Form hat die Bundesregierung die 2007 vom Universitätsklini-
kum Freiburg eingesetzte Untersuchungskommission zur Erforschung der
Vergangenheit der Sportmedizin unterstützt?

27. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus den Vorwürfen der Leiterin der Freiburger Untersuchungskommission,
wonach deren Nachforschungen u. a. durch einen manipulierten Arbeits-
auftrag behindert wurden (www.welt.de vom 7. Februar 2013)?

28. Beabsichtigt die Bundesregierung in Anbetracht der eigenen Einschätzung
der Berliner Forschergruppe, dass die „ethische Bearbeitung [des dritten
Berichtszeitraums nach 1989/90] kaum über eine Reflexion von Kontinui-
täten und Trends hinaus[geht]“ (Strang et al., Inhaltlicher Schlussbericht
gemäß Schnittstellenkonzept zum Vorhaben „Doping in Deutschland von
1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer
Legitimation“, S. 85) weitere wissenschaftliche Studien zum Thema an-
fertigen zu lassen, etwa zum offenen Zeitraum 1990 bis 2007 oder zur
Anwendung des in medizinischen Studien gewonnenen Dopingwissens im
bundesdeutschen Sport bis 1990?

a) Wenn nein, warum nicht?

b) Wenn ja, für wann ist ein solches Projekt bzw. sind solche Projekte ge-
plant?

Berlin, den 13. August 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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