BT-Drucksache 17/1447

Abmahnmissbrauch im Online-Handel

Vom 21. April 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1447
17. Wahlperiode 21. 04. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine), Ulrich Kelber, Doris
Barnett, Klaus Barthel, Petra Crone, Dr. Peter Danckert, Martin Dörmann, Elvira
Drobinski-Weiß, Sebastian Edathy, Dr. Edgar Franke, Peter Friedrich, Iris Gleicke,
Rolf Hempelmann, Dr. Eva Högl, Ute Kumpf, Christine Lambrecht, Burkhard
Lischka, Manfred Nink, Thomas Oppermann, Holger Ortel, Heinz Paula,
Dr. Wilhelm Priesmeier, Marianne Schieder (Schwandorf), Sonja Steffen,
Christoph Strässer, Kerstin Tack, Wolfgang Tiefensee, Andrea Wicklein, Waltraud
Wolff (Wolmirstedt), Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Abmahnmissbrauch im Online-Handel

Online-Handel erfreut sich weltweit steigender Beliebtheit. Er bietet vielfältige
neue Möglichkeiten für den Wirtschaftsstandort Deutschland und eröffnet eine
nie dagewesene Flexibilität und Kostenersparnis bei den Geschäftspartnern. Die
weltweite Vermarktung angebotener Produkte und Dienstleistungen wird deut-
lich vereinfacht. Diese neue Möglichkeit des Warenvertriebs wird gerade von
jungen und kleinen Firmen und so genannten Startups genutzt und führt zu deut-
lichen Steigerungsraten bei Firmengründungen in Deutschland.

Die Vereinfachung des elektronischen Handels, die innovativen Geschäftsprak-
tiken und die vielfachen Werbemöglichkeiten haben dem Online-Handel in den
letzten Jahren deutliche Zuwachsraten beschert.

Neben dem klassischen Online-Handel, bei dem Anbieter und Kunden direkt
miteinander in Verbindung treten, gewinnen virtuelle Marktplätze immer mehr
an Bedeutung. Bei dieser Art von virtuellem Handel wird über das Internet eine
Art Marktplatz hergestellt, bei dem es zu einem Warenaustausch zwischen An-
bieter und Abnehmer kommt.

Für die Verbraucherinnen und Verbraucher führen Online-Handel und elektroni-
sche Marktplätze zu einer größeren Angebotsvielfalt und erleichtern den Zugang
zu Informationen über die einzelnen Produkte und Dienstleistungen. Selbstbe-
stimmter Konsum wird so erleichtert. Gleichzeitig steigt durch vereinfachte Ver-
gleichsmöglichkeiten die Markttransparenz, was in der Regel zu sinkenden Ver-
braucherpreisen und mehr Wettbewerb führt.

Für einen funktionierenden und fairen Wettbewerb ist die Einhaltung der Ver-
braucherschutzvorschriften unabdingbar. Korrekte Informationen über Produkt-

qualität, Preise und Versandkosten sowie die Gewährung der gesetzlich garan-
tierten Widerrufsmöglichkeiten sind notwendig.

Laut einer Umfrage von Januar 2009 beziehen sich mehr als die Hälfte der ge-
meldeten Abmahnungen auf Versuche, Verbraucherrechte unzulässig einzu-
schränken. Weil – anders als in anderen europäischen Ländern – in Deutschland
grundsätzlich keine Behörde die Einhaltung des Lauterkeitsrechts und des

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Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen kontrolliert, stellen Abmahnun-
gen grundsätzlich ein nützliches und notwendiges wettbewerbsrechtliches Mit-
tel zur Selbstreinigung des Marktes dar.

Dennoch wird das Instrument der Abmahnung in der Praxis häufig missbraucht,
was den Internethandel unnötig erschwert und die bestehenden Möglichkeiten
eingrenzt. Gerade bei den kleinen und jungen Unternehmen führt dies in der Pra-
xis zu enormen Schwierigkeiten beim E-Commerce. So existieren inzwischen
Anwaltskanzleien und Unternehmen, die darauf spezialisiert sind, Unternehmen
abzumahnen, ohne dass sie ein tatsächliches Interesse an einer Verfolgung des
behaupteten Rechtsverstoßes haben. Ziel der Abmahnung ist vielmehr über die
Anwaltskosten Einnahmen zu generieren.

Dieser Abmahnmissbrauch ist nicht auf den Online-Handel beschränkt. Dort
sorgt er aber gerade bei kleinen und mittelständischen Betrieben für große Un-
sicherheit. So weist eine Studie zum Online-Handel von Februar 2010 aus, dass
die meisten Abmahnungen von Wettbewerbern bzw. Konkurrenten stammen.
Aus Sicht der Online-Händler dienen die Abmahnungen vor allem dazu, Geld
zu verdienen und Wettbewerber zu behindern. Bei 52 Prozent der Händler haben
die Abmahnungen erheblichen finanziellen Schaden verursacht; für 10 Prozent
war der Schaden sogar existenzbedrohend. Laut Studie sind außerdem
93 Prozent der Händler der Meinung, dass der Rechtsrahmen geändert werden
muss – vor allem hinsichtlich Reduzierung der Kosten für eine Abmahnung und
Einschränkung des Kreises der Abmahnberechtigten.

Drei Faktoren führen dazu, dass eine Missbrauchspraxis insbesondere im On-
line-Handel festzustellen ist:

Erstens ist gerade im Online-Handel eine Vielzahl an kleinteiligen und ver-
schachtelten Vorschriften zu beachten und damit die Zahl möglicher Verstöße
enorm hoch. Eine auf IT-Recht spezialisierte Anwaltskanzlei kommt auf mehr
als 300 gängige Gründe für Abmahnungen bei eBay, Amazon und anderen On-
line-Shops.

Zweitens können im Internet angesichts der einfachen Zugänglichkeit der Web-
seiten unproblematisch in kurzer Zeit kleinste Rechtsverstöße aufgefunden wer-
den, die Massenabmahnungen gegen eine Vielzahl von Händlern und damit eine
lukrative Einnahmequelle ermöglichen.

Drittens kann der Abmahnende durch die Möglichkeit am „Begehungsort“ zu
klagen, Gerichte in ganz Deutschland anrufen. Er kann sich so das Gericht aus-
suchen, das die eigene Rechtsauffassung unterstützt und großzügige Kostener-
stattungen durch hohe Streitwertfestsetzungen ermöglicht.

Im Urheberrecht hat der Deutsche Bundestag in der 16. Legislaturperiode eine
Regelung eingeführt, wonach bei der erstmaligen Abmahnung in einfachen Fäl-
len die ersatzfähigen Kosten auf 100 Euro beschränkt werden. Hierin kann ein
guter Ansatz gesehen werden, der sich auch auf andere Rechtsgebiete ausweiten
ließe.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die durchschnittliche An-
zahl von Abmahnungen sowie die finanziellen Folgen für die einzelnen
Unternehmer im Online-Handel, die durch die hier als Abmahnmissbrauch
beschriebene Praxis verursacht werden?

2. Aufgrund welcher Verstöße werden nach Erkenntnis der Bundesregierung
die Unternehmen abgemahnt?
3. Welche Auswirkungen haben die abgemahnten Verstöße auf den Wettbewerb
und auf die Durchsetzung von Verbraucherrechten?

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4. Sieht die Bundesregierung alternative Möglichkeiten, die abgemahnten
Wettbewerbsverstöße zu beseitigen?

5. Welche Aufgaben haben aus Sicht der Bundesregierung die Betreiber von
virtuellen Marktplätzen an der Bekämpfung von Wettbewerbsverstößen?

6. Plant die Bundesregierung zur Lösung dieser Problematik gesetzgeberisch
tätig zu werden, und wenn ja, wie sieht der Zeitplan der Bundesregierung
aus?

7. Welche konkreten Gesetzesvorschläge gibt es bzw. sind in Planung (etwa
Ausweitung der Deckelung des Ersatzes der erstattungsfähigen Abmahn-
kosten bei erstmaligem Verstoß auf das Wettbewerbsrecht; Senkung des
Streitwerts bei Erstabmahnungen; Begrenzung des Kreises der Abmahn-
berechtigten)?

8. Plant die Bundesregierung eine auf einzelne Gesetze, etwa das Gesetz ge-
gen den unlauteren Wettbewerb, beschränkte Lösung oder schwebt ihr eine
allgemeine Lösung vor (die z. B. auch den Bereich geistiger und gewerb-
licher Schutzrechte umfasst)?

9. Gibt es schon erste Ergebnisse der Überlegungen des Bundesministeriums
der Justiz, das sich schon in der letzten Legislaturperiode mit dem Ab-
mahnmissbrauch beschäftigt hat, und wie lauten diese?

10. Gibt es Überlegungen, den „fliegenden Gerichtsstand“ einzuschränken?

Sieht die Bundesregierung in einer Abschaffung des fliegenden Gericht-
stands zumindest auch eine Möglichkeit zur Entschärfung des Abmahn-
missbrauchs, indem der Abmahnende sich nicht mehr ein Gericht aus-
suchen kann, das die ihm günstige Rechtsauffassung teilt?

11. Wie sehen die ersten Erfahrungen mit dem neuen § 97a des Urheberrechts-
gesetzes aus, der in bestimmten Fällen die ersatzfähigen Aufwendungen auf
100 Euro beschränkt?

Inwieweit haben sich die Begriffe „erstmalige Abmahnung“, „einfach ge-
lagerte Fälle“ und „unerhebliche Rechtsverletzung“ dieser Norm in der
Praxis nach Auffassung der Bundesregierung bewährt?

12. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass eine Bekämpfung des Abmahn-
missbrauchs auf EU-Ebene erfolgen muss?

Ist der Abmahnmissbrauch bisher Gegenstand der Verhandlungen über
eine EU-Verbraucherrechterichtlinie gewesen?

Wenn ja, wie hat sich die Bundesregierung hierzu positioniert?

Wenn nein, plant die Bundesregierung diesbezügliche Initiativen und ggf.
welche?

Berlin, den 21. April 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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