BT-Drucksache 17/14237

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 17/8989, 17/14214 - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2012)

Vom 26. Juni 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14237
17. Wahlperiode 26. 06. 2013

Änderungsantrag
der Abgeordneten Britta Haßelmann, Ingrid Hönlinger, Kerstin Andreae,
Dr. Thomas Gambke, Sven-Christian Kindler, Oliver Krischer, Dr. Tobias Lindner,
Jerzy Montag, Brigitte Pothmer, Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/8989, 17/14214 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes
(Aktienrechtsnovelle 2012)

Der Bundestag wolle beschließen:

Artikel 1 Nummer 21 wird wie folgt gefasst:

‚21. § 394 wird wie folgt geändert:

a) Der bisherige Wortlaut wird Absatz 1.

b) Dem Absatz 1 werden die folgenden Sätze angefügt:

„Die Berichtspflicht folgt aus dem Innenverhältnis der Aufsichtsratsmit-
glieder zu der Gebietskörperschaft. Ist eine Gebietskörperschaft an der
Gesellschaft beteiligt, kann die Satzung die Verschwiegenheitspflicht
der Aufsichtsratsmitglieder aufheben und die Öffentlichkeit der Sitzun-
gen vorsehen.“

c) Folgender Absatz 2 wird angefügt:

„(2) Absatz 1 ist entsprechend anwendbar, wenn Aufsichtsratsmit-
glieder

1. auf Veranlassung einer der Rechtsaufsicht einer Gebietskörperschaft
unterstehenden rechtsfähigen Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des
öffentlichen Rechts oder

2. auf Veranlassung eines Unternehmens, an dem eine oder mehrere
Gebietskörperschaften mit insgesamt mehr als 50 vom Hundert be-
teiligt sind,
in den Aufsichtsrat gewählt oder entsandt worden sind.“‘

Berlin, den 25. Juni 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Drucksache 17/14237 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung

1. Zur Funktion des § 394 des Aktiengesetzes (AktG)

§ 394 AktG kommt im primär zivilrechtlich geprägten System des Aktienrechts
eine Schlüsselfunktion zu, da an dieser Stelle verfassungsrechtlich fundierten
öffentlichen Interessen Rechnung getragen wird. Beteiligt sich die öffentliche
Hand an einem Unternehmen, so tut sie dies, weil sie mit der Beteiligung be-
sondere öffentliche „Interessen“ verfolgt (vgl. z. B. § 65 Absatz 1 Nummer 1 der
Bundeshaushaltsordnung – BHO: „wichtiges Interesse des Bundes“). Wie und
ob die Ziele der öffentlichen Hand verfolgt und erreicht werden, bedarf dabei in
der Demokratie des Grundgesetzes der Kontrolle und Überprüfung. Deshalb
entsendet die öffentliche Hand Vertreter in den Aufsichtsrat (vgl. für den Bund
§ 65 Absatz 6 BHO) und deshalb unterliegen die Vertreter der öffentlichen Hand
im Aufsichtsrat nach § 394 Satz 1 AktG grundsätzlich nicht der Geheimhaltung
und müssen – selbst wenn es Geheimhaltungsinteressen gibt – diese nach Satz 2
der Vorschrift zurücktreten, wenn die Informationen für den Zweck der öffentli-
chen Kontrolle („Zwecke der Berichte“) erforderlich ist. Diese Regelung ist aus
Sicht der antragstellenden Fraktion auch ein verfassungsrechtliches, jedenfalls
aber verfassungspolitisches, Gebot. Zur praktischen Relevanz dieser Fragen sei
nicht nur auf den Berliner Flughafenskandal mit seiner mangelhaften Tätigkeit
der Aufsichtsgremien hingewiesen, sondern auch auf die aktuelle Diskussion
um Stuttgart 21 im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG (DB AG). Hier besteht
ein offensichtliches Interesse der Öffentlichkeit und des Staates, dass sich die
Vertreter des Bundes für ihr Verhalten unter Angabe aller Fakten vor der Öffent-
lichkeit rechtfertigen müssen, um weiteren Schaden für die öffentlichen Finan-
zen (die DB AG gehört eben dem Bund) abzuwenden.

2. Zur gegenwärtigen verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung

Der unter Nummer 1 dargelegte verfassungsrechtliche Zweck der Regelung wird
allerdings in der gegenwärtigen Praxis der betroffenen Gesellschaften und der
Bundesregierung oft ignoriert und negiert. So streitet die antragstellende Frak-
tion gegenwärtig vor dem Bundesverfassungsgericht (2 BvE 2/11) um die Frage,
ob und inwieweit die Bundesregierung (und mittelbar die betroffenen Gesell-
schaften) verpflichtet ist, aus dem Bereich der zu 100 Prozent im Eigentum des
Bundes stehenden DB AG und von staatseigenen oder von ihm finanzierten
Banken Informationen zu übermitteln. Gerade dieser Rechtsstreit zeigt, dass
auch Regelungen im Bereich des § 394 AktG, die – jedenfalls beim richtigen
verfassungsrechtlichen Verständnis – eigentlich mit großer Klarheit auf öffent-
liche Kontrolle zielen, immer wieder genutzt werden, um im Interesse der Vor-
stände und Aufsichtsräte eine wirksame öffentliche Kontrolle im Bereich der
Staatsbeteiligungen zu verhindern. Aus diesem Grund müssen alle Regelungs-
vorschläge mit großer Umsicht darauf geprüft werden, ob sie auch – bei böswil-
liger Interpretation – Anlass zu weiteren Beschränkungen geben können (dazu
Nummer 3).

3. Zu den diskutierten Regelungsvorschlägen im Bereich § 394 AktG

• Nach dem Referentenentwurf sollte in § 394 folgender Satz angefügt
werden:

„Die Berichtspflicht folgt aus dem Innenverhältnis der Aufsichtsratsmit-
glieder zu der Gebietskörperschaft.“

Im Regierungsentwurf heißt es nunmehr:

„Die Berichtspflicht nach Satz 1 kann auf Gesetz oder Rechtsgeschäft be-
ruhen.“

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14237

Jedenfalls diese letztere Fassung schafft mehr Interpretationsprobleme als
sie löst. Zu fragen wäre z. B., ob es jeweils einer spezifischen gesetzlichen
Anordnung bedarf oder ob für den Bereich des Bundes bereits § 65 Ab-
satz 6 BHO oder das allgemeine Beamtenrecht, auf dem Weisungen an
entsandte Beamte „beruhen“ können, ausreichen. Überdies ist zu fragen,
warum nicht Handlungsformen der Kommunen (etwa Satzung) gleichfalls
ausreichen sollen, um derartige Pflichten zu begründen. Der im Referen-
tenentwurf vorgeschlagene Satz (siehe oben) hingegen löst solche Inter-
pretationsprobleme nicht aus. Aus Sicht der Fraktion ist dabei klar, dass
das Innenverhältnis zwischen entsandter oder gewählter Aufsichtsperson
und der entsendenden Körperschaft entscheidend ist und dass dieses
Innenverhältnis verfassungsrechtlich vorgeprägt ist. Konkret: Im Innen-
verhältnis müssen angesichts der verfassungsrechtlichen Bindungen um-
fassende Berichtspflichten vorgesehen sein. Zu diesem Verständnis trägt
der Satz des Referentenentwurfs zwar nichts bei; er stellt jedoch immerhin
klar, dass nicht durch interne Regelungen der Gesellschaft die Berichts-
pflichten beschränkt werden können. Der Antrag der Fraktion sieht daher
vor, zu dieser Fassung zurückzukehren.

• Der Referentenentwurf schlug ferner vor, folgenden Satz anzufügen:

„Ist eine Gebietskörperschaft an einer nichtbörsennotierten Gesellschaft
beteiligt, kann die Satzung die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichts-
ratsmitglieder und die Öffentlichkeit der Sitzungen regeln.“

Nach der Begründung des Referentenentwurfs sollte es damit möglich
werden, in der Satzung die Verschwiegenheitspflicht gänzlich aus-
zuschließen und dort – abweichend von der allgemeinen Regelung des
Aktiengesetzes – auch die Öffentlichkeit von Sitzungen des Aufsichtsrates
möglich zu machen. Beide Ziele sind aus Sicht der antragstellenden Frak-
tion richtig. Es spricht viel dafür, dass unsinnige Diskussionen darüber, ob
etwas geheimhaltungsbedürftig ist, durch eine Transparenzregelung in der
Satzung von vorneherein der Boden entzogen werden könnte. Ähnliches
gilt für die Öffentlichkeit von Aufsichtsratssitzungen: Beispielsweise in
der aktuellen Diskussion um Stuttgart 21 wäre es durchaus sinnvoll, dass
die Aufsichtsgremien der DB AG öffentlich debattieren, damit es nicht
erneut zur Verschleierung der Kosten für das Bundesvermögen DB AG
kommt.

Dennoch konnte die Formulierung des Referentenentwurfs nicht unver-
ändert übernommen werden. Denn sie könnte – bei böswilliger Interpre-
tation (siehe Nummer 2) – auch weiteren Beschränkungen der Informa-
tionspflichten Tür und Tor öffnen. Ihrem Wortlaut nach erlaubt sie
nämlich auch Verstärkungen der Verschwiegenheitspflicht. Da dies aus
Sicht der antragstellenden Fraktion verfassungsrechtlich mehr als proble-
matisch wäre, wurde eine Formulierung gewählt, die das ausschließt.

Verzichtet wurde dabei auf einen Schwellenwert für die öffentliche Betei-
ligung. Nicht öffentliche Anteilseigner sind nämlich insoweit hinreichend
geschützt, wie die Begründung des Referentenentwurfs richtig darlegt:
„Dies kann […] den allgemeinen gesellschaftrechtlichen Schutzmecha-
nismen überlassen bleiben.“

• Der Bundesrat (Bundesratsdrucksache 852/11) hat ferner die Klarstellung
vorgeschlagen, dass die Berichtspflichten und die Ausnahmen von der
Verschwiegenheitspflicht nicht nur für Unternehmen gelten sollen, an de-
nen sich die öffentliche Hand unmittelbar beteiligt hat, sondern auch für
Aufsichtsratsmitglieder,

„1. die auf Veranlassung einer der Rechtsaufsicht einer Gebietskörper-

schaft unterstehenden rechtsfähigen Körperschaft, Anstalt oder Stif-
tung des öffentlichen Rechts oder

Drucksache 17/14237 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
2. die auf Veranlassung eines Unternehmens, an dem eine oder mehrere
Gebietskörperschaften mit insgesamt mehr als 50 vom Hundert betei-
ligt sind, in den Aufsichtsrat gewählt oder entsandt worden sind.“

Aus Sicht der antragstellenden Fraktion ist dieses Anliegen gut nachvoll-
ziehbar. Es kann nicht hingenommen werden, dass Gesellschaften und
Gebietskörperschaften sich dem verfassungsrechtlich notwendigen Kon-
trollinteresse durch Schachtelbeteiligungen entziehen. Dabei hat der
Bundesrat eindrucksvoll dargelegt, dass solche problematischen Hand-
lungsformen gegenwärtig durchaus in relevanten Bereichen vorkommen
(Tochtergesellschaften von Universitäten, Universitätskliniken, öffent-
lich-rechtlichen Banken oder mittelbaren Beteiligungen an Unternehmen
in Privatrechtsform).

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