BT-Drucksache 17/1397

Gute öffentlich geförderte Beschäftigung - Eine Alternative zu Langzeiterwerbslosigkeit und Ein-Euro-Jobs

Vom 20. April 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1397
17. Wahlperiode 20. 04. 2010

Antrag
der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald,
Heidrun Dittrich, Werner Dreibus, Diana Golze, Dr. Barbara Höll, Katja Kipping,
Harald Koch, Jutta Krellmann, Stefan Liebich, Dr. Gesine Lötzsch, Cornelia
Möhring, Petra Pau, Richard Pitterle, Dr. Axel Troost, Halina Wawzyniak, Jörn
Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Gute öffentlich geförderte Beschäftigung – Eine Alternative zu Langzeit-
erwerbslosigkeit und Ein-Euro-Jobs

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die derzeitige Lage auf dem Arbeitsmarkt erfordert schnelle Schritte zur Ein-
richtung öffentlich geförderter, gemeinnütziger Beschäftigung als Alterna-
tive zu Langzeiterwerbslosigkeit. Die Politik darf die hohe Langzeiterwerbs-
losigkeit nicht akzeptieren. Sie muss im Zusammenspiel mit einer aktiven
und nachhaltigen Beschäftigungspolitik einen Ausweg aufweisen und Lang-
zeiterwerbslosen wieder eine Perspektive geben, statt sie über Ein-Euro-Jobs
lediglich aus der Statistik zu entfernen.

2. Seit Jahren leidet Deutschland unter der Geißel einer hohen Langzeiterwerbs-
losigkeit. Die Krise verschärft das Problem. Die Zahl der Menschen, die ein
Jahr oder länger arbeitslos sind, steigt und lag im Februar 2010 bei 965 009.
Für die Zukunft ist zu befürchten: Insbesondere viele ältere Beschäftigte, die
nach Beendigung von Kurzarbeit oder infolge von Unternehmensinsolven-
zen in den kommenden Monaten ihren Arbeitsplatz verlieren, haben noch
weniger Chancen, in den regulären Arbeitsmarkt zurückzukehren.

3. Die hohe Langzeiterwerbslosigkeit ist das Ergebnis einer falschen Wirt-
schafts- und Beschäftigungspolitik der aktuellen und der vergangenen
Bundesregierung. Statt mit größerem Konjunkturprogramm die Binnen-
nachfrage zu stärken und so neue Arbeitsplätze zu schaffen, wurden Sozial-
leistungen gekürzt und öffentliche Investitionen gedrosselt. Statt die öffent-
liche Daseinsvorsorge zu stärken und damit neue Arbeitsplätze in diesem
Bereich zu schaffen, wurden Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut und mit
Privatisierungen Arbeitsplätze vernichtet. Die Politik hat hingenommen, dass
sich die Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau verfestigt hat, statt die steigende

Arbeitsproduktivität zum Wohle aller zu nutzen und Initiativen zur Verkür-
zung der Arbeitszeit anzustoßen. Hinzu kommt, dass Langzeiterwerbslose im
Rahmen der Arbeitsmarktpolitik völlig unzureichend gefördert werden und
in perspektivlose Maßnahmen abgeschoben werden.

4. Um gute Arbeitsbedingungen in öffentlich geförderter Beschäftigung mög-
lich zu machen, ist ein grundlegender Kurswechsel in der Arbeitsmarktpoli-
tik notwendig.

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Durch die Hartz-Gesetze wurde die soziale Lage der Langzeiterwerbslosen
erheblich verschärft, statt diese mit einer aktiven und nachhaltigen Arbeits-
markt- und Beschäftigungspolitik zu fördern. Mit den Hartz-Gesetzen haben
CDU, CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sinnvolle Arbeits-
marktinstrumente für öffentlich finanzierte Arbeitsplätze abgeschafft und
stattdessen Ein-Euro-Jobs eingeführt. Ein-Euro-Jobs verdrängen bestehende
Arbeitsplätze, sie disziplinieren Erwerbslose, führen sie aber nicht aus der
Hilfebedürftigkeit heraus.

Unter diesen schlechten Rahmenbedingungen erbringt das Land Berlin den
Beweis, dass man öffentlich geförderte Beschäftigung strategisch zur Be-
kämpfung der Langzeiterwerbslosigkeit einsetzen kann. Es ist nicht hinzu-
nehmen, dass derzeit die Bundesregierung selbst diese beschränkten Mög-
lichkeiten öffentlich geförderter Beschäftigung durch eine restriktive
Mittelvergabe erschwert.

5. Gute Arbeitsbedingungen in öffentlich geförderter Beschäftigung heißt, diese
muss zusätzlich und freiwillig sein, voll sozialversicherungspflichtig und
nach Tarif oder ortsüblich entlohnt werden. Mindestens muss die Entlohnung
die Existenz für einen Alleinstehenden sichern, ohne dass aufstockende Leis-
tungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) notwendig sind.
Öffentlich geförderte Beschäftigung beruht auf einem Arbeitsvertrag.

Vorschläge, die diese Kriterien nicht erfüllen, sind abzulehnen. Hierzu zählt
insbesondere jede Form von Niedriglohnbeschäftigung. Aber darunter fallen
auch nicht freiwillig und nicht unter dem Status Arbeitnehmer bzw. Arbeit-
nehmerin laufende Tätigkeiten wie Ein-Euro-Jobs oder die Bürgerarbeit.

Die neuen Arbeitsplätze werden sich zu einem erheblichen Teil selbst-
finanzieren, da die Beschäftigten Sozialbeiträge und Steuern zahlen und
staatliche Sozialleistungen entfallen. Mehrausgaben sind jedoch notwendig,
da nur so ein armutsfestes Einkommen gewährleistet werden kann. Wenn die
Politik Milliardenbeträge für die Bankenrettung zur Verfügung stellt, muss
auch Geld für die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit da sein.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

öffentlich geförderte Beschäftigung im Jahr 2010 und darüber hinaus zu ermög-
lichen, indem die gesetzlichen und finanziellen Grundlagen für ein dauerhaftes
gesellschaftliches Instrument geschaffen werden, um zusätzliche und gesell-
schaftlich wichtige Tätigkeiten zu erledigen und Langzeiterwerbslosigkeit zu-
rückzudrängen.

Die öffentlich geförderte Beschäftigung genügt dabei folgenden Kriterien:

● Öffentlich geförderte Beschäftigungsverhältnisse sind im Umfang von
500 000 Stellen zu schaffen. Zur Finanzierung werden die im Rahmen des
SGB II vorgesehenen passiven Leistungen (Grundsicherung und Kosten der
Unterkunft) und aktiven Leistungen (Eingliederungsleistungen) bei Erwerbs-
losigkeit zusammengeführt und durch staatliche Zuschüsse ergänzt. In die-
sem Zusammenhang werden die Ein-Euro-Jobs abgeschafft.

● Öffentlich geförderte Beschäftigung ist freiwillig und orientiert sich an tarif-
lichen Entlohnungen. Sind diese nicht vorhanden, an der ortsüblichen Entloh-
nung. Die Bezahlung für eine öffentlich geförderte Tätigkeit muss existenz-
sichernd sein, wobei die unterste Grenze ein noch einzuführender flächen-
deckender gesetzlicher Mindestlohn bildet. Begleitende Qualifizierungs-
maßnahmen tragen dazu bei, Arbeitsplatzanforderungen und persönliche
Voraussetzungen in Übereinstimmung zu bringen. Die Arbeitsplätze werden

für die Dauer von drei bis fünf Jahren eingerichtet. Sie sichern für Personen
ab dem 60. Lebensjahr den nahtlosen Übergang in die Rente.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1397

● Öffentlich geförderte Beschäftigung wird transparent vergeben, in klarer Ab-
grenzung zum öffentlichen Dienst und zur freien Wirtschaft eingerichtet, um
die Verdrängung regulärer Arbeitsplätze zu verhindern. Die Vorhaben müs-
sen zusätzlich und im öffentlichen Interesse sein.

Die Etablierung von regionalen Beiräten stellt dabei ein wesentliches Instrument
dar.

Zur Ausweitung und Finanzierung bereits vorhandener Ansätze der öffentlich
geförderten Beschäftigung in den Bundesländern ist in der Übergangsphase das
Programm „JobPerspektive“ (Beschäftigungszuschuss nach § 16e SGB II) ent-
sprechend anzupassen und finanziell aufzustocken.

Berlin, den 20. April 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Laut Statistikbericht der Bundesagentur für Arbeit vom Februar 2010 „Grund-
sicherung für Arbeitsuchende: Verweildauer von Hilfebedürftigen“ erhielten
im Zeitraum Januar 2005 bis Dezember 2008 12,6 Millionen Menschen dauer-
haft oder zeitweise Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
61,5 Prozent davon verweilten drei Jahre und länger innerhalb des oben genann-
ten Zeitraumes im Leistungsbezug. Im Vergleich zum Februar 2009 hat die An-
zahl der von Arbeitslosigkeit Betroffenen absolut um 91 000 zugenommen. Da-
gegen lag die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Dezember 2009
nach Hochrechnungen der Bundesagentur für Arbeit bei 27,55 Millionen. Dies
bedeutet gegenüber dem Vorjahr einen Rückgang um 87 000. Damit gibt es
deutliche Anzeichen dafür, dass es auf dem Arbeitsmarkt enger wird.

Dieser Entwicklung und dem Anstieg der Langzeiterwerbslosigkeit steht die
Bundesregierung hilflos gegenüber. Es bestehen keine Konzepte, wie dem zu
begegnen ist.

Ein-Euro-Jobs sind keine Arbeitsverhältnisse. Sie disziplinieren die Betroffenen
und belassen sie im Grundsicherungsbezug. Die Programme „Kommunal-
Kombi“ und „JobPerspektive“ sind bisher nicht so angelegt, öffentliche Be-
schäftigung zu guten Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.

Das Programm „Kommunal-Kombi“, der Eintritt musste bis 31. Dezember 2009
erfolgen, war nur ausgewählten Kommunen mit besonders hoher Arbeitslosigkeit
zugänglich und legte den Bundeszuschuss auf 500 Euro fest. Finanzschwache
Kommunen waren damit kaum in der Lage, dieses Instrument zu nutzen. Die
darüber erzielten Einkommen sind zwar voll sozialversicherungspflichtig,
schließen aber niedrige Löhne nicht aus. Eine Alternative zu dem Auslaufen des
Programms „Kommunal-Kombi“ hat die Bundesregierung nicht vorgelegt.

In das Programm „JobPerspektive“ wird durch eine neue Eingliederungsmittel-
verordnung vom Dezember 2009 massiv eingegriffen, sodass die bisherige Nut-
zung für die Finanzierung öffentlich geförderter Beschäftigung erschwert wird
und neue Vorhaben nicht möglich sind.

Die kurzfristige Ausweitung der öffentlichen Beschäftigung auf Bundesebene
kann über eine Änderung der Eingliederungsmittelverordnung erfolgen. Damit
wären wesentlich mehr als die bisher tatsächlich geplanten öffentlich geförder-

ten Arbeitsplätze für die Dauer von mindestens drei Jahren zu sichern und kon-

Drucksache 17/1397 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
tinuierlich auszubauen. Um einen breiten Kreis der Langzeiterwerbslosen in die
öffentlich geförderte Beschäftigung einzubeziehen, müssen die Zugangsbedin-
gungen für „JobPerspektive“ (§ 16e Absatz 1 Satz 1 SGB II) verändert werden.

Die Finanzierung der öffentlich geförderten Beschäftigung kann in einem ersten
Schritt über die Aufnahme eines Haushaltsvermerkes in den Einzelplan 11 um-
gesetzt werden, der die Mittel aus dem „Eingliederungstitel“ und die Mittel aus
der Beteiligung des Bundes an den „Kosten der Unterkunft und Heizung“ für die
öffentlich geförderte Beschäftigung nutzbar macht. Diese Mittel müssen durch
staatliche Zuschüsse ergänzt werden, um eine mindestens existenzsichernde
Entlohnung zu ermöglichen. Langfristig ist die Finanzierung der öffentlich
geförderten Beschäftigung mit einem eigenständigen Budget in den Haushalt
aufzunehmen.

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