BT-Drucksache 17/13962

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung - Drucksachen 17/13661, 17/13955 - Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999

Vom 12. Juni 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13962
17. Wahlperiode 12. 06. 2013

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Agnes Brugger,
Viola von Cramon-Taubadel, Ingrid Hönlinger, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz,
Katja Keul, Memet Kilic, Ute Koczy, Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Omid
Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof
Schmidt, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 17/13661, 17/13955 –

Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz
in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen
Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den
Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der
Republik Serbien vom 9. Juni 1999

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag stimmt der Verlängerung des Mandats für die Betei-
ligung der Bundeswehr an der friedenssichernden KFOR-Mission der Vereinten
Nationen in Kosovo zu. In Anbetracht der weiterhin angespannten Lage im
Norden des Kosovo ist die Beibehaltung der derzeitigen Truppenstärke ange-
bracht. Für die erwartete Umbruchphase im Zuge der Umsetzung der am
19. April 2013 zwischen Serbien und Kosovo erzielten Vereinbarung ist die
Gewährleistung der Sicherheit durch die KFOR-Mission von besonderer Be-
deutung. Angesichts einer denkbaren Eskalation von Protesten durch eine in der
Vergangenheit immer wieder gewalttätige Minderheit ist die Präsenz von KFOR
notwendiger denn je.

Der Deutsche Bundestag bekräftigt die auf dem Gipfel in Thessaloniki 2003 für
alle Länder des Westbalkans eröffnete Perspektive eines Beitritts zur Europä-
ischen Union, die auch für das Kosovo gilt. Für den angestrebten Beitritt ist der
Aufbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unentbehrlich. Zugleich ist die

Beitrittsperspektive ein wichtiger Anreiz hierfür. Ein demokratisches und
rechtsstaatliches Kosovo liegt im Interesse der Europäischen Union und
Deutschlands als notwendige Voraussetzung für Frieden, Stabilität und Sicher-
heit in der weiterhin von Spannungen geprägten Region.

Der Aufbau demokratischer Institutionen in Kosovo kommt trotz des mehrjäh-
rigen Engagements der internationalen Gemeinschaft nur schleppend voran.
Besorgniserregend sind Berichte über Manipulationen der Parlamentswahlen

Drucksache 17/13962 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2010/2011 und andauernden Druck auf kritische Stimmen in den Medien. Wei-
terhin leidet die Bevölkerung unter organisierter Kriminalität, Klientelismus
und endemischer Korruption bis in höchste staatliche Ebenen. Diese Praktiken
stellen zudem eine schwere Bürde für die Überwindung der schwachen sozio-
ökonomischen Entwicklung des Landes dar, das zu den ärmsten Europas ge-
hört. Ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Die Ar-
beitslosenquote von über 40 Prozent zählt zu den höchsten in Europa. Beson-
dere soziale Sprengkraft birgt die immense Jugendarbeitslosigkeit von über
70 Prozent, die aufgrund der Altersstruktur der Bevölkerung in den kommen-
den Jahren noch zunehmen wird. Für die Bekämpfung der nicht zuletzt auch
unter den benachteiligten Minderheiten hohen Arbeitslosigkeit sind stärkere
Bemühungen bei der Einrichtung eines modernen Schul- und Ausbildungssys-
tems und die Schaffung von Arbeitsplätzen unabdingbar.

Die Lage der Roma und weiterer nichtserbischer Minderheiten ist nach wie vor
von Ausgrenzung, Armut und Perspektivlosigkeit geprägt. Der Deutsche
Bundestag zeigt sich besonders besorgt über die Situation der rückkehrenden
Minderheitenangehörigen. Die Integrationsmaßnahmen in Kosovo sind völlig
unzureichend. Leidtragende sind insbesondere Kinder, von denen laut UNICEF
74 Prozent nach ihrer Rückkehr in das Kosovo keine Schule mehr besuchen.
UNICEF beschreibt in einer Studie vom März 2012 psychosoziale und gesund-
heitliche Probleme bei rückkehrenden Kindern aus den benachteiligten Minder-
heiten. Dennoch schloss die Bundesregierung 2010 ein Rückübernahmeabkom-
men mit dem Kosovo ab, das die Rückführung von etwa 12 000 kosovarischen
Minderheitenangehörigen in den nächsten Jahren vorsieht. Amnesty Interna-
tional hat die deutsche Abschiebepraxis im Staatenbericht von 2013 erneut an-
geprangert, da Roma in Kosovo vielfach diskriminiert werden.

Der Deutsche Bundestag begrüßt das Abkommen zwischen Serbien und Ko-
sovo vom 19. April 2013 und die darin bekundete Kompromissbereitschaft bei-
der Seiten. Insbesondere Serbiens Bereitschaft zum Abbau der unrechtmäßigen
serbischen Parallelstrukturen in Nordkosovo ist von erheblicher Bedeutung.
Das Abkommen birgt eine historische Chance zur dauerhaften Lösung des
Konflikts. Der Deutsche Bundestag verleiht seiner Hoffnung Ausdruck, dass
die Gesellschaften beider Länder den Kompromiss mitzutragen bereit sind und
alle gesellschaftlichen Institutionen vor Ort Bereitschaft zeigen, sich für Aus-
söhnung und Frieden zu engagieren.

Für den Erfolg des Abkommens kommt es nun entscheidend darauf an, dieses
mit Leben zu füllen. Im Dialog zwischen Serbien und Kosovo sind bereits in der
Vergangenheit zahlreiche Vereinbarungen getroffen worden, die das Leben der
Bürgerinnen und Bürger beider Staaten erleichtern, von denen einige jedoch bis-
lang nur unzureichend oder zögerlich umgesetzt worden sind. Bei der Umset-
zung des Abkommens muss ferner garantiert werden, dass eine faktische Teilung
des Kosovo ausgeschlossen und die Gleichheit aller vor dem Gesetz und der
Staatsgewalt gewahrt wird. Auch ist zu vermeiden, dass ein Landesteil in die
Lage versetzt wird, durch Obstruktionen und Blockademöglichkeiten die
Zukunftsfähigkeit des gesamten Landes in Frage zu stellen. Grundlage der
kosovarischen Verfassung bleibt der Ahtisaari-Plan mit seinen weitreichenden
Minderheitenrechten und Autonomieregelungen für Gemeinden mit serbischer
Bevölkerungsmehrheit. Die Eingliederung der Gemeinden der in Enklaven
lebenden Mehrheit der serbischen Bevölkerung in Kosovo zeigt, dass eine Inte-
ressenwahrung innerhalb des multiethnischen Kosovo möglich ist. Das Abkom-
men zwischen Serbien und Kosovo ist ein erneutes Signal an die in Nordkosovo
lebende Minderheit der serbischen Bevölkerung, die im Ahtisaari-Plan festge-
schriebenen Minderheitenrechte wahrzunehmen und sich am Aufbau des jungen
Landes zu beteiligen. Die kosovarische Regierung ist aufgerufen, weitere An-

strengungen zur Integration der serbischen Minderheit zu unternehmen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13962

Der Deutsche Bundestag bekräftigt seine Unterstützung für die Anerkennung
des Kosovo und stellt fest, dass die Grenzen des Landes festgelegt sind. Der
Deutsche Bundestag bedauert, dass einige Mitgliedstaaten der Europäischen
Union das Kosovo weiterhin nicht völkerrechtlich anerkennen. Die fehlende
Eindeutigkeit der Europäischen Union in dieser Frage belastet die Handlungs-
fähigkeit der EU gegenüber dem Land und seinen Nachbarn. Insbesondere wird
der Abschluss von Verträgen wie des den angestrebten EU-Beitritt vorbereiten-
den Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens und eines Visumserleichte-
rungsabkommens erschwert. Der 2012 begonnene Visadialog hat eine Perspek-
tive für Reisefreiheit der kosovarischen Bürgerinnen und Bürger trotz Status-
neutralität der Gemeinschaft eröffnet. Der Dialog bedarf jedoch deutlich erhöh-
ter Anstrengungen, um die in der Region einzig noch für Kosovo bestehende
Visumpflicht endlich abzuschaffen.

Die Statusneutralität der Europäischen Union schadet der Glaubwürdigkeit und
Durchsetzungskraft ihrer Rechtsstaatsmission EULEX und schwächt damit die
Bemühungen für den Aufbau des Rechtsstaats in Kosovo. So verfügt unter an-
derem EULEX weiterhin nicht über die nötige Bewegungsfreiheit zur Durch-
setzung von Rechtsstaatlichkeit im Norden des Kosovo. Weiterhin verfügt die
für robustere Einsätze ausgestattete Polizeieinheit der EULEX (Formed Police
Units) nicht über ausreichend Personal, so dass immer wieder KFOR-Truppen
ersatzweise eingesetzt und über Gebühr belastet werden müssen.

Der Deutsche Bundestag erklärt seine Ansicht, dass für eine dauerhafte Stabili-
tät auf dem Westbalkan eine möglichst gleichzeitige Heranführung der Staaten
an die Europäische Union notwendig ist. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen
das Kosovo und die Region des Westbalkans mit den bestehenden Konflikten
und Blockaden zu einem Schwerpunkt der europäischen und deutschen Politik
werden. Die Europäische Union braucht endlich ein ebenso engagiertes wie ab-
gestimmtes Vorgehen, um diesen Teil Europas auf dem Weg zu europäischer
Integration und nachhaltigem Frieden zu unterstützen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– innerhalb der Europäischen Union auf die völkerrechtliche Anerkennung
des Kosovo in seinen bestehenden Grenzen durch alle Mitgliedstaaten zu
drängen;

– im Rahmen der Europäischen Union, des Europarats und der OSZE für eine
regionale Konfliktlösung einzutreten, die multiethnische Zusammenarbeit
auf allen Ebenen fördert und darauf abzielt, den Ländern der Region einen
möglichst gemeinsamen Weg in die EU zu ermöglichen;

– sich auf Ebene der Europäischen Union für eine kohärente und wirksame
Unterstützung der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in Kosovo
und insbesondere der Rechtsstaatsmission EULEX einzusetzen;

– sich dafür einzusetzen, dass die notwendigen politischen Rahmenbedingun-
gen geschaffen werden, EULEX für einen gleichermaßen erfolgreichen wie
in der Bevölkerung glaubwürdigen Einsatz im gesamten Gebiet des Kosovo
auszustatten und diesen zu ermöglichen;

– sich gegenüber den dafür befähigten EU-Mitgliedstaaten dafür einzusetzen,
dass ausreichend gendarmerieähnliche Polizeikräfte für die Formed Police
Units der EULEX ins Kosovo entsandt werden;

– Serbien und Kosovo zur vollständigen Umsetzung der im Dialog der vergan-
genen Monate getroffenen Vereinbarungen aufzufordern;

Drucksache 17/13962 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
– den Beginn von Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union mit Serbien
von glaubhaften Schritten zur Umsetzung des Abkommens zwischen Ser-
bien und Kosovo und zum Abbau der Parallelstrukturen in Nordkosovo ab-
hängig zu machen;

– sich dafür einzusetzen, dass ungeachtet des fehlenden Konsenses in der EU
über den Status des Kosovo ausreichend Mittel für das Kosovo bereitge-
stellt, diese prioritär für Infrastruktur, Bildung und Ausbildung eingesetzt
werden und durch hinreichende Transparenz sichergestellt wird, dass das Ri-
siko von Verlust und Fehlleitung infolge von Korruption minimiert wird;

– die im Bundeshaushalt für Krisenprävention, Friedenserhaltung und Kon-
fliktbewältigung für Südosteuropa eingestellten Mittel nicht weiter zu ver-
ringern;

– bereitgestellte Mittel insbesondere für Bildung, Versöhnung und multiethni-
sche Zusammenarbeit zu verwenden und mit Blick auf die ausgesprochen
junge Altersstruktur des Kosovo verstärkt Projekte zu fördern, welche sich
der politischen Partizipation sowie der Stärkung von Eigeninitiative und in-
terkultureller Kompetenz von Jugendlichen widmen;

– sich dafür einzusetzen, dass direkt und über Mittelzuwendungen an die ko-
sovarische Regierung gezielt Projekte in den mehrheitlich serbisch bewohn-
ten Gebieten und insbesondere in Nordkosovo gefördert werden, die die Ko-
operationsbereitschaft mit den kosovarischen Institutionen fördern;

– gegenüber der kosovarischen Regierung auf die Einhaltung eines angemes-
senen Umgangs mit den Minderheiten auf dem Gebiet des Kosovo zu drän-
gen;

– sich für rasche Fortschritte im Visadialog zwischen Europäischer Union und
Kosovo sowie eine zügige Aufhebung der Visumpflicht einzusetzen;

– sich gegenüber den Bundesländern für eine Aussetzung der zwangsweisen
Rückführung von Minderheitenangehörigen aus dem Kosovo einzusetzen
und dabei insbesondere das Wohl der Kinder vorrangig zu berücksichtigen
und die Regierungen anderer EU-Mitgliedstaaten aufzufordern, ebenso zu
verfahren;

– sich gegenüber der kosovarischen Regierung für den Schutz religiöser Hei-
ligtümer einzusetzen.

Berlin, den 12. Juni 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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