BT-Drucksache 17/13925

zu der Empfehlung für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen über ein umfassendes Handels- und Investitionsabkommen, transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft genannt, zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika KOM(2013) 136 endg.; Ratsdok. 7396/13 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft nur mit starken Standards

Vom 12. Juni 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13925
17. Wahlperiode 12. 06. 2013

Antrag
der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Kerstin Andreae, Bärbel Höhn,
Josef Philip Winkler, Ekin Deligöz, Viola von Cramon-Taubadel, Hans-Josef Fell,
Dr. Thomas Gambke, Kai Gehring, Ingrid Hönlinger, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz,
Katja Keul, Susanne Kieckbusch, Sven-Christian Kindler, Sylvia Kotting-Uhl,
Dr. Tobias Lindner, Dr. Konstantin von Notz, Dr. Hermann E. Ott, Tabea Rößner,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Elisabeth Scharfenberg,
Arfst Wagner (Schleswig), Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Empfehlung für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zur
Aufnahme von Verhandlungen über ein umfassendes Handels- und
Investitionsabkommen, transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft
genannt, zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von
Amerika
KOM(2013) 136 endg.; Ratsdok. 7396/13

hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3
des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von
Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der
Europäischen Union

Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft nur mit starken
Standards

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Eine transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) würde die
Kooperation der beiden größten Wirtschaftsräume der Welt auf vielen Feldern
verstärken. Neben der Beseitigung von Zöllen sollen vor allem sogenannte
nichttarifäre Handelshemmnisse abgebaut und Regeln vereinheitlicht werden.

Sofern es zustande kommt, wäre TTIP das größte und umfassendste Handels-
abkommen weltweit. Es würde sich stark auf die Regelungskompetenz der Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union auswirken und hat deutliche Auswirkun-
gen auch auf Drittstaaten.

Drucksache 17/13925 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Angesichts der Tragweite und der Bedeutung muss das Abkommen neue Stan-
dards in Sachen demokratischer Beteiligung der Parlamente und der Zivilgesell-
schaft im Verhandlungsprozess setzen. Umfassende Transparenz muss auf allen
Stufen des Verhandlungs- und Implementierungsprozesses gewährleistet wer-
den. Die Europäische Kommission und die Bundesregierung stehen in der
Pflicht, die Parlamente und die Zivilgesellschaft unaufgefordert zeitnah und um-
fassend über Ziele, konkrete Inhalte und Fortschritte der Verhandlungen zu in-
formieren. Die Fehler, die bei den Verhandlungen vergleichbarer internationaler
Abkommen zu erheblichen Schwierigkeiten geführt haben, müssen bei TTIP
vermieden werden. Die Risiken und Befürchtungen in Bezug auf die Auswir-
kungen müssen ernst genommen werden.

Der Deutsche Bundestag begrüßt die Bestrebungen der Bundesregierung und
der Europäischen Union, die Handels- und Investitionsbeziehungen mit den
USA im Rahmen des TTIP zu vertiefen. Angesichts von Finanz- und Banken-
krise wurde erneut deutlich, dass es international vereinbarte Standards und auch
eine Stärkung gemeinsamer Kontrollmechanismen braucht.

Der Deutsche Bundestag erkennt die Chancen für Wirtschaft und Beschäftigung
auf beiden Seiten des Atlantiks, die TTIP bieten kann. Diese Chancen ergeben
sich etwa aus einfacheren Marktzugängen für kleine und mittlere Unternehmen,
der Harmonisierung von neu zu entwickelnden industriellen Normen, z. B. in
Zukunftsbereichen wie den Erneuerbaren Energien, Effizienztechnologien, Um-
welttechnologien oder der Elektromobilität sowie dem Abbau von Handels-
hemmnissen in Form von umweltschädlichen Subventionen auf beiden Seiten.
Der Abbau der verbleibenden Zölle verspricht angesichts des hohen bilateralen
Handelsvolumens ebenfalls Vorteile.

Das Ziel einer vertieften Partnerschaft sollte aber mehr sein als freier Handel. Es
muss darum gehen, soziale und ökologische Standards auf beiden Seiten des
Atlantiks zu stärken. Bei richtiger Ausgestaltung könnte eine engere transatlan-
tische Zusammenarbeit auch für den Klimaschutz positive Impulse setzen.
Wenn es gelingt, gemeinsame Visionen über die zukünftigen sozial-ökologi-
schen Erfordernisse und Bedingungen des Welthandels zu formulieren, könnten
diese als neue Leitplanke für die Globalisierung dienen.

Eine breite regulatorische Harmonisierung bringt allerdings nur dann einen
Mehrwert, wenn die bisherigen Errungenschaften in der EU und in der Bundes-
republik Deutschland im Bereich der Sozial-, Umwelt-, Lebensmittel-, Gesund-
heits- und Datenschutzstandards sowie der Verbraucherrechte gesichert bzw. ge-
stärkt werden. Die Sicherung dieser Standards und Rechte, insbesondere des
Vorsorgeprinzips, ist Grundvoraussetzung für nachhaltig positive Effekte auf
Wohlstand, Beschäftigung und Lebensqualität in Europa. Der Europäischen
Kommission, die die Verhandlungen führt, müssen bezüglich dieser Punkte be-
reits im Verhandlungsmandat konkrete Vorgaben gemacht werden. Der Deut-
sche Bundestag verweist in diesem Zusammenhang mit Nachdruck auf die
acquis communautaires im Bereich der Produktsicherheit, des Umweltschutzes,
des Verbraucher- und Gesundheitsschutzes und des Tierschutzes sowie der ILO-
Arbeits- und Sozialstandards (ILO = Internationale Arbeitsorganisation). Kul-
turgüter und audiovisuelle Medien stehen in Europa unter anderem aufgrund der
Konvention der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissen-
schaft und Kultur (UNESCO) unter einem besonderen Schutz und gelten nicht
als reine Wirtschaftsgüter. Die Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass
die Sorgen des Bundestages, aber auch der Umwelt-, Verbraucherschutz- und
Agrarverbände sowie der Gewerkschaften bezüglich einer Aufweichung dieser
europäischen sowie nationalen Standards ernst genommen und ausgeräumt wer-
den. Genauso müssen die Sorgen zahlreicher europäischer Bürgerrechts- und

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13925

Verbraucherorganisationen ernst genommen werden, die gemeinsam fordern,
dass sowohl Rechtsfragen bezüglich immaterieller Güter als auch datenschutz-
rechtliche Regelungen nicht Gegenstand des Abkommens sein sollen. In diesem
Zusammenhang wird unter anderem auf die Gefahr verwiesen, dass ein Abkom-
men die derzeit laufenden Verhandlungen bezüglich einer EU-Datenschutzre-
form konterkarieren könnte.

Diese Sorgen sind berechtigt und bestehen genauso in den USA. In der Vergan-
genheit haben Freihandelsabkommen allzu oft einen Abbau sozialer und ökolo-
gischer Standards und eine Einschränkung der demokratischen Handlungsmög-
lichkeiten der Vertragsstaaten mit sich gebracht. Eine solche Entwicklung
lehnen wir ab. Die Weiterentwicklung von Standards auf nationaler und trans-
nationaler Ebene im Rahmen der notwendigen sozial-ökologischen Transforma-
tion der Gesellschaften hin zu einer nachhaltigeren Lebens- und Wirtschafts-
weise muss während der Verhandlungen und nach deren Abschluss möglich
bleiben.

Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass der Abschluss eines transatlantischen
Abkommens als protektionistische handelspolitische Blockbildung insbeson-
dere gegen Asien wahrgenommen wird und dadurch die Bemühungen um ein
multilaterales Handelsregime im Rahmen der Welthandelsorganisation weiter
gefährdet werden. Ein solcher Vertrag darf nicht den gegenseitigen Protektionis-
mus zwischen den verschiedenen Weltregionen verstärken. Der Deutsche Bun-
destag stellt fest: Es geht nicht um eine Blockbildung gegen den Rest der Welt,
sondern ein solches Abkommen soll so angelegt sein, dass es in einen multilate-
ralen Prozess münden kann.

II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich gegenüber der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten der
Europäischen Union für eine sehr transparente Verhandlungsführung ein-
zusetzen. Das Europäische Parlament, die nationalen Parlamente sowie die
Akteure der Zivilgesellschaft müssen während der Verhandlungen und der
dann folgenden Implementierung unaufgefordert, zeitnah und umfassend
über die Ziele, Inhalte und die Fortschritte der Verhandlungen bzw. deren
konkrete Umsetzung informiert werden und die Möglichkeit von Stellung-
nahmen so rechtzeitig erhalten, dass diese noch in den Verhandlungen be-
rücksichtigt werden können.

Zudem soll sie sich für die Einrichtung eines Beratergremiums aus zivil-
gesellschaftlichen Interessenträgern einsetzen, das kontinuierlich und umfas-
send von der Kommission über die laufenden Verhandlungen unterrichtet
wird. Darüber hinaus muss das Verhandlungsmandat öffentlich gemacht
werden;

2. gegenüber der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten der Euro-
päischen Union sicherzustellen, dass bei den Verhandlungen die bisherigen
Errungenschaften in der EU und in der Bundesrepublik Deutschland im Be-
reich der Sozial-, Umwelt-, Lebensmittel- und Gesundheitsstandards, des Da-
tenschutzes sowie der Verbraucherrechte unbedingt beibehalten werden.

Das europäische Vorsorgeprinzip darf nicht ausgehebelt werden. Bestehende
Rückverfolgbarkeits- und Kennzeichnungsregelungen müssen als Instru-
mente des Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltschutzes weiterhin Be-
stand haben und die jeweils höherwertigen Standards des Partnerlandes sol-
len als Untergrenze übernommen bzw. anerkannt werden.

Drucksache 17/13925 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Regulierungen, Beschränkungen, Kennzeichnungsvorschriften oder fiska-
lische Maßnahmen, die der Ressourceneinsparung, dem Umwelt-, Klima-,
Gesundheits- oder Verbraucherschutz oder der Verbesserung von Arbeitsbe-
dingungen dienen, müssen auch in Zukunft möglich sein. Die Zustimmung
zum Abkommen selbst im Rat ist davon abhängig zu machen, ob diese Kri-
terien ausreichend berücksichtigt wurden;

3. die Zustimmung zum Verhandlungsmandat ebenso wie zu dem Abkommen
selbst im Rat davon abhängig zu machen, dass die folgenden Maßstäbe ein-
gehalten werden:

a) Der Bereich Audiovisuelle Medien und Kultur muss, wie bei allen ver-
gleichbaren Freihandelsabkommen der EU und ihrer Mitgliedstaaten, aus
dem Abkommen ausgenommen werden.

b) Das Importverbot für in der EU nicht zugelassene pflanzliche und tieri-
sche Lebensmittel, wie z. B. Produkte von Tieren, die mit Wachstumsför-
derern behandelt wurden, Produkte von geklonten Tieren und Produkte,
die in unzulässiger Weise behandelt wurden (z. B. Chlorbehandlung von
Hähnchen), darf nicht angetastet werden.

c) Das Importverbot für Chemikalien, die nicht den Registrierungs- und Prü-
fungsanforderungen der REACH-Verordnung (Europäische Chemikalien-
verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung
chemischer Stoffe – Verordnung (EG) Nr. 1907/2006) entsprechen, darf
ebenfalls nicht angetastet werden.

d) Die europäischen Zulassungs-, Kennzeichnungs-, Rückverfolgbarkeits-
und Koexistenzvorschriften für gentechnisch veränderte Organismen stel-
len keine Verhandlungsmasse dar, auch nicht im Rahmen inoffizieller Ver-
einbarungen oder veränderter „Verfahrensanweisungen“.

e) Die Patentierbarkeit von lebenden Organismen, insbesondere landwirt-
schaftlichen Nutztieren und -pflanzen, darf durch das Abkommen keines-
falls noch ausgeweitet werden. Das Abkommen soll vielmehr die Zielset-
zung und die Forderungen des einstimmigen Beschlusses vom 9. Februar
2012 zum interfraktionellen Antrag „Keine Patentierung von konventionell
gezüchteten landwirtschaftlichen Nutztieren und -pflanzen (Bundestags-
drucksache 17/8344) berücksichtigen.

f) Auch vor dem Hintergrund großer Divergenzen zwischen den transatlan-
tischen Partnern darf das Abkommen keine Verpflichtungen zur ver-
schärften Durchsetzung von Immaterialgüterrechten enthalten, die über
die Regelungen des jetzigen Übereinkommens über die handelsbezogenen
Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) hinausgehen.

g) Der weitgehend über das Grundrecht auf Datenschutz (Artikel 8 der
Charta der Grundrechte der Europäischen Union – EU-GRC) auch verfas-
sungsrechtlich abgesicherte Besitzstand der Datenschutzregulierung darf
über das Abkommen keine Absenkung erfahren oder in den laufenden
Prozess der EU-Datenschutzreform eingreifen. Das Abkommen muss die
EU-Datenschutzvorschriften, einschließlich derjenigen zu internationalen
Datenübermittlungen, umfassend achten und sollte eine Ausnahme in
Bezug auf den Datenschutz im Sinne von Artikel XIV des Allgemeinen
Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) vorsehen.

h) Das Abkommen darf keine Bestimmungen etwa im Bildungsbereich ent-
halten, die die Ausnahmeregelungen für öffentliche Dienstleistungen ge-
fährden oder den Druck erhöhen, den öffentlichen Dienstleistungssektor
zu liberalisieren.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/13925

i) Das Abkommen darf keine Bestimmung enthalten, die der Einführung
einer Finanztransaktionssteuer entgegensteht.

j) Das Abkommen soll eine gemeinsame Strategie zum Abbau umwelt-
schädlicher Subventionen beinhalten.

k) Investoren-Staat-Schiedsgerichtsverfahren müssen ausgeschlossen wer-
den. Das Niveau des Rechts- und Investitionsschutzes in der EU und in
den USA ist ausreichend hoch, um von der Einführung von zusätzlichen
Klagemöglichkeiten mit Missbrauchspotential abzusehen.

Berlin, den 12. Juni 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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