BT-Drucksache 17/13908

zu den angekündigten Vorschlägen der EU-Kommission zur Bankenrestrukturierung und -abwicklung hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Bankenunion beschleunigen statt bremsen - Über eine Abwicklungskompetenz der Europäischen Kommission die Haftung der Steuerzahler beenden

Vom 12. Juni 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13908
17. Wahlperiode 12. 06. 2013

Antrag
der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Priska Hinz (Herborn), Manuel Sarrazin,
Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, Ingrid Hönlinger, Susanne Kieckbusch,
Memet Kilic, Sven-Christian Kindler, Dr. Tobias Lindner, Claudia Roth (Augsburg),
Elisabeth Scharfenberg, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Harald Terpe und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu den angekündigten Vorschlägen der EU-Kommission zur
Bankenrestrukturierung und -abwicklung

hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3
des Grundgesetzes

Bankenunion beschleunigen statt bremsen – Über eine Abwicklungskompetenz
der Europäischen Kommission die Haftung der Steuerzahler beenden

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Interbankenmarkt in der Eurozone ist hochgradig fragmentiert. Bis zur
Eurokrise wurden Liquiditätsbedarfe zwischen Kreditinstituten über den Inter-
bankenmarkt ausgeglichen, heute findet dies nur noch über die Europäische
Zentralbank (EZB) statt. Im Sommer 2008 hat die EZB 463 Mrd. Euro an Kre-
ditinstitute verliehen und gleichzeitig 216 Mrd. Euro an Einlagen von Kredit-
instituten angenommen. Heute hat die EZB 824 Mrd. Euro verliehen und
nimmt 556 Mrd. Euro an Einlagen an. Damit hat die EZB durch ihre liquiditäts-
zuführenden Maßnahmen das Versiegen privater Kapitalströme kompensiert
und einen unkontrollierten Zusammenbruch des südeuropäischen Bankensek-
tors verhindert. Entsprechend sind auch die TARGET-Salden im Euroraum an-
gestiegen, die eindeutig die Zersplitterung des Interbankenmarktes dokumen-
tieren.

Derzeit besteht in einigen Staaten der Eurozone ein Teufelskreis zwischen an-
gespannten Staatsfinanzen und wackelnden Banksystemen. Die Unsicherheit
über den Wertberichtigungsbedarf der Banken wird als Eventualverbindlichkeit

der Staaten betrachtet, was zu Ratingabstufungen und Kursverlusten bei den
Staatsanleihen geführt hat. Da die Staatsanleihen vor allem von nationalen Ban-
ken gehalten werden, wurden diese noch weiter belastet, was sich erneut auf die
Eventualverbindlichkeiten der Staaten niedergeschlagen hat.

Dieser Teufelskreis muss durch einen Befreiungsschlag beendet werden. Dazu
ist eine vollständige Bereinigung der Bankbilanzen notwendig, die als erster

Drucksache 17/13908 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Schritt vor einem gemeinsamen Bankenabwicklungs- und Restrukturierungs-
mechanismus erfolgen muss. Im Anschluss an diese Bereinigung, die gerade
von der Europäischen Zentralbank geplant wird, ist ein einheitlicher Abwick-
lungs- und Restrukturierungsmechanismus der wichtigste Schritt zur Wieder-
herstellung eines gemeinsamen Finanzmarkts in der Eurozone. Blieben die
Kompetenzen zur Abwicklung weiter in nationaler Hand, würde ein besonders
lasches Vorgehen zulasten der Steuerzahler und zugunsten der Bankgläubiger
zu einem Wettbewerbsvorteil für entsprechend vorgehende Mitgliedstaaten
führen. Die aktuelle Restrukturierungsarchitektur setzt damit Anreize, die
Steuerzahler für Bankverluste aufkommen zu lassen, während der Weg für eine
grenzüberschreitende Beteiligung der Investoren verschlossen ist. Blieben die
Kompetenzen zur Abwicklung weiter in nationaler Hand, bestünde weiterhin
die Gefahr, dass fiskalisch gut aufgestellte Mitgliedstaaten über ein entspre-
chendes Vorgehen ihren Banken einen Wettbewerbsvorteil zukommen lassen,
während fiskalisch schwächere Staaten ihre Banken durch Gläubigerbeteiligun-
gen sanieren müssten. Fairer Wettbewerb innerhalb eines Binnenmarktes muss
über einen Wettbewerb der Geschäftsmodelle von Kreditinstituten erfolgen,
nicht über einen Wettbewerb der spendierfreudigsten Mitgliedstaaten.

Analog zur Argumentation für eine europäische Bankenaufsicht und für ein
gemeinsames regulatorisches Regelwerk, welches zur Verringerung der Auf-
sichtsarbitrage eingeführt wurde, ist ein einheitliches Abwicklungs- und Re-
strukturierungsregime unabdingbar für einen Erfolg der Bankenunion.

Nötig ist daher mehr als die vom Bundesminister der Finanzen Dr. Wolfgang
Schäuble vorgeschlagene Vernetzung nationaler Abwicklungsbehörden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einer raschen Übertragung der Kompetenzen für die Bankenrestrukturierung
und -abwicklung auf die Europäische Kommission auf Basis von Artikel 114
AEUV zuzustimmen.

Berlin, den 12. Juni 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Abwicklungen und Restrukturierungen von Banken müssen vorrangig der
Sicherung der Finanzmarktstabilität dienen und nach dem Prinzip der Kosten-
minimierung erfolgen. Die anfallenden Kosten sollen dabei in erster Linie von
den Anteilseignern und in zweiter Linie von den Gläubigern getragen werden.
Erst danach sollen die Mittel des Bankenfonds eingesetzt werden, um darüber-
hinausgehende notwendige Finanzierungsmittel bereitzustellen und die priva-
ten Einlagen zu schützen.

Der Bankenfonds soll gespeist werden durch eine substantielle Bankenabgabe,
deren individuelle Höhe sich nach der Größe, der Art der Finanzierung, der In-
terdependenz und dem Systemrisiko der jeweiligen Bank richtet. So werden ge-
zielt diejenigen an den Kosten von Bankenrettungen beteiligt, die am meisten
davon profitieren: die Banken selber. Um die Fehlanreize des „too big too fail“
zu beseitigen, muss eine Bankenabgabe mindestens die Refinanzierungsvor-
teile abschöpfen, die große systemrelevante Banken derzeit aufgrund einer im-

pliziten Staatsgarantie als Gewinn vereinnahmen. Durch eine derartige „Be-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13908

steuerung“ der Systemrelevanz können Fehlimpulse einer Subventionierung
durch implizite Staatsgarantien beendet werden und angemessene und ausrei-
chende Beiträge zum Aufbau eines schlagkräftigen europäischen Restrukturie-
rungsfonds erhoben werden.

Eine europarechtliche Rechtsgrundlage für die Schaffung einer europäischen
Abwicklungsbehörde (Single Resolution Mechanism, SRM) bieten Artikel 114
AEUV und subsidiär auch Artikel 352 AEUV. Artikel 114 Absatz 1 AEUV ist
die wesentliche Rechtsgrundlage für die Harmonisierung des Binnenmarkt-
rechts. Auf dieser Rechtsgrundlage können das Europäische Parlament und der
Rat, im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nach Artikel 294 AEUV, Maß-
nahmen zur Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen,
die die Verwirklichung des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. Nach der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) kann von der Kom-
petenz zur Harmonisierung des Binnenmarktes Gebrauch gemacht werden,
wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens muss es unterschiedliche
Rechts- oder Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten geben, die durch den
europäischen Rechtsakt angeglichen werden sollen. Zweitens muss der europä-
ische Rechtsakt geeignet sein, die Voraussetzungen für den Binnenmarkt zu
verbessern. Auf diese Rechtsgrundlage wurde bereits die European Banking
Authority (EBA) gestützt, die mit der Verordnung Nr. 1093/2010 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errich-
tung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbe-
hörde), ABl. L 331 v. 15.12.2010, S. 12, errichtet worden ist.

Beide von der Rechtsprechung des EuGH geforderten Voraussetzungen wären
für die Einrichtung einer europäischen Abwicklungsbehörde erfüllt. Die Beibe-
haltung der Bankenabwicklung in nationaler Hand kann aus den unter Ab-
schnitt I. aufgezeigten Gründen zu Wettbewerbsverzerrungen auf dem euro-
päischen Bankenmarkt führen. Auch die Annahme des Richtlinienvorschlages
für einen Rahmen für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und
Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinien 77/91/EWG und 82/891/
EG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/
EG, 2007/36/EG und 2011/35/EG sowie der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010
(KOM 2012(280)) wird an diesem Befund wenig ändern, da diese Richtlinie
nur eine Koordination der nationalen Abwicklungssysteme vorsieht. Durch die
Errichtung einer europäischen Abwicklungsbehörde könnte zukünftig verhin-
dert werden, dass national unterschiedliche Abwicklungsregime- und entschei-
dungen zu Wettbewerbsverzerrungen auf dem europäischen Bankenmarkt füh-
ren können. Stattdessen würden gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Ak-
teure auf dem Binnenmarkt gewährleistet, wenn einheitliche Regelungen und
Entscheidungen für die Abwicklung und Restrukturierung von grenzüber-
schreitend tätigen, systemrelevanten Banken gelten. In der Rechtsprechung des
EuGH ist anerkannt, dass Artikel 114 AEUV nicht nur eine Harmonisierung
des materiellen Rechts, sondern als Annex-Kompetenz auch die Ausübung von
Verwaltungsbefugnissen auf europäischer Ebene ermöglicht (EuGH-Urteil v.
2.5.2006, Rs. C-217/04, Vereinigtes Königreich/Europäisches Parlament zur
Gründung der Europäischen Agentur für Netz- und Informationssicherheit,
ENISA). Dabei besteht einerseits die Möglichkeit, die Kommission selbst mit
der Wahrnehmung der Verwaltungsaufgabe zu betrauen, es besteht aber nach
der Rechtsprechung auch die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen
die Verwaltungsaufgaben auf neu eingerichtete europäische Einrichtungen zu
stützen. Dabei müssen nach der Rechtsprechungs des EuGH (EuGH, a. a. O.,
Rn. 45) die „einer solchen Einrichtung übertragenen Aufgaben […] in engem
Zusammenhang mit den Bereichen stehen, auf die sich die Rechtsakte zur An-
gleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften beziehen.“ Es ist keine

Frage, dass eine europäische Bankenabwicklung im Zusammenhang mit um-
fassenden Bemühungen der Rechtsangleichung im europäischen Bankenrecht

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steht. Auch aus der sogenannten Meroni-Rechtsprechung des EuGH (Rs. 9/56
und Rs. 10/56), sofern sie auf eine europäische Bankenabwicklung überhaupt
Anwendung findet, ergeben sich keine durchgreifenden europarechtlichen Be-
denken für die Schaffung einer europäischen Bankenabwicklung. Diese Recht-
sprechung aus den 50er-Jahren, auf die der EuGH in jüngerer Zeit nur noch
gelegentlich zurückgegriffen hat (zuletzt Urteil vo. 26.5.2005, Rs. C-301/02 P,
Tralli), steht jedenfalls einer Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf die
Kommission nicht entgegen. Denn die Meroni-Rechtsprechung bezweckt, dass
keine Kompetenzen auf neu geschaffene Einrichtungen auf europäischer Ebene
übertragen werden, die nicht in den Verträgen ausdrücklich vorgesehen sind,
bei denen Kompetenzen ausgeübt werden, die nicht bereits der europäischen
Ebene übertragen wurden und bei denen kein ausreichender Rechtsschutz für
die von den Verwaltungsentscheidungen Betroffenen gewährleistet ist. Bei
einer entsprechenden Ausgestaltung der europäischen Bankenabwicklung be-
stehen daher keine Bedenken in Hinblick auf die Meroni-Rechtsprechung.

Selbst wenn man zur Ansicht käme, dass Artikel 114 keine hinreichende
Grundlage für einen einheitlichen Abwicklungsmechanismus bietet, könnte der
einheitliche europäische Bankenabwicklungsmechanismus dennoch unter Zu-
hilfenahme der Flexibilitätsklausel des Artikels 352 AEUV errichtet werden,
was allerdings eine Einstimmigkeit im Rat voraussetzen würde. In der Vergan-
genheit ist die Einrichtung einer Vielzahl von EU-Agenturen auf diese Rechts-
grundlage gestützt worden. Grundsätzlich ist Artikel 352 AEUV aber nur dann
heranzuziehen, wenn nicht bereits eine spezielle Kompetenzvorschrift in den
europäischen Verträgen vorhanden ist.

Auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht bestehen keine durchgreifenden Be-
denken gegen die Errichtung einer europäischen Abwicklungsbehörde, die auf
einen europäischen Bankenfonds zugreifen könnte. Die Interdependenzen auf
dem europäischen Bankenmarkt, insbesondere bei systemrelevanten Banken,
bieten eine hinreichende Rechtfertigungsgrundlage für die Einrichtung eines
Bankenfonds auf europäischer Grundlage.

Um im Abwicklungsfall eine im Hinblick auf die Finanzstabilität schonende
Good-Bank-Bad-Bank-Lösung zu ermöglichen, braucht es neben einem ban-
kenfinanzierten Restrukturierungsfonds auch eine fiskalische Garantie, die die
Liquidität der Bad-Bank sichert. Bei der Abwicklung von Teilen der ehemali-
gen West-LB durch die Erste Abwicklungsanstalt (EAA) übernehmen die Nord-
rhein-Westfälischen Sparkassenverbände im Innenverhältnis relevante Teile der
Abwicklungsrisiken, während im Außenverhältnis das Land Nordrhein-West-
falen eine Ausfallhaftung für die Sparkassenverbände übernimmt, um die Re-
finanzierungskosten der Anstalt zu senken. Analog könnte auf europäischer
Ebene eine solche Garantie für den bankenfinanzierten Restrukturierungsfonds
erteilt werden, insbesondere solange dieser in seiner Startphase noch nicht über
ausreichende Mittel verfügt. Dabei muss eindeutig festgelegt werden, dass Ver-
luste aus einer Abwicklung vom bankenfinanzierten Fonds getragen werden
müssen.

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