BT-Drucksache 17/13715

System der Kriminal- und Rechtspflegestatistiken in Deutschland optimieren und auf eine solide rechtliche Grundlage stellen

Vom 4. Juni 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13715
17. Wahlperiode 04. 06. 2013

Antrag
der Abgeordneten Frank Hofmann (Volkach), Michael Hartmann (Wackernheim),
Christine Lambrecht, Petra Ernstberger, Gabriele Fograscher, Iris Gleicke,
Wolfgang Gunkel, Daniela Kolbe (Leipzig), Ute Kumpf, Kirsten Lühmann,
Thomas Oppermann, Gerold Reichenbach, Rüdiger Veit, Dr. Dieter Wiefelspütz,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

System der Kriminal- und Rechtspflegestatistiken in Deutschland optimieren
und auf eine solide rechtliche Grundlage stellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das derzeitige kriminalstatistische System ist im Hinblick auf die Anforderun-
gen einer rationalen, evidenzbasierten Kriminalpolitik optimierungsbedürftig.
Aktuelle, umfassende und verlässliche kriminalstatistische Daten sind eine not-
wendige Bedingung für rationale Kriminalpolitik. Die Politik braucht aktuelle
und verlässliche statistische Nachweise über Ausmaß, Struktur und Entwick-
lung der registrierten Kriminalität einerseits, über die Strafverfolgung, Strafvoll-
streckung und den Strafvollzug andererseits, denn diese sind unerlässliche
Grundlage für alle weiteren erfolgreichen Planungen und Entscheidungen von
kriminal- und strafrechtspolitischen Maßnahmen, aber auch zur Kontrolle der
bestehenden Systeme.

Es fehlt in Deutschland nicht an Statistiken, es existieren genügend (z. B.: Poli-
zeiliche Kriminalstatistik (PKS), Staatsanwaltschaftsstatistik, Justizgeschäfts-
statistik der Strafgerichte, Strafverfolgungsstatistik, Bewährungshilfestatistik,
Strafvollzugsstatistik, Maßregelvollzugsstatistik). Das gegenwärtige deutsche
System der Kriminal- und Strafrechtspflegestatistiken ist jedoch gekennzeichnet
durch eine Vielzahl von unverbundenen Statistiken, die verschiedenen Zwecken
dienen, jeweils spezifische Erhebungseinheiten (Fall, Personen, Verfahren) und
Erhebungsmerkmale aufweisen und (zum Teil) unterschiedliche Erhebungs-
und Aufbereitungskonzepte, insbesondere unterschiedliche Zählweisen, verfol-
gen (wie z. B. Erfassung der jährlichen Massen, Stichtagszählung). So zählt bei-
spielsweise die PKS einen Tatverdächtigen nur einmal, unabhängig davon, wie
viele Ermittlungsverfahren gegen ihn im Jahr durchgeführt werden. Wenn die
Staatsanwaltschaft dagegen gegen einen Beschuldigten z. B. drei Ermittlungs-
verfahren im Jahr durchführt, zählt sie drei Beschuldigte, weil jedes Ermitt-

lungsverfahren gezählt wird. Wir haben es mit nicht aufeinander abgestimmten
Zählweisen zu tun. Im Schnitt werden so aus einem Tatverdächtigen bei der
Polizei 2,1 Beschuldigte bei der Staatsanwaltschaft. Die Statistiken sind unter-
einander also nicht kompatibel. Dies führt dazu, dass zahlreiche, kriminalpoli-
tisch höchst relevante Fragen auf der Grundlage der jetzigen Kriminalstatistiken
nicht zu beantworten sind. Deutschland ist mit seinem kriminalstatistischen Sys-

Drucksache 17/13715 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

tem außerdem inzwischen weit hinter den in einigen anderen europäischen Län-
dern entwickelten Systemen zurückgeblieben.

Das Parlament ist als Gesetzgeber und in seiner Funktion als Kontrollinstanz ge-
fordert. Das Problem einer jeden Aussage zur Entwicklung von Kriminalität, die
auf Daten über „registrierte“ Kriminalität gestützt ist, besteht darin, dass unklar
ist, ob die statistischen Zahlen die Entwicklung der „Kriminalitätswirklichkeit“
widerspiegeln oder ob sie lediglich das Ergebnis einer Verschiebung der Grenze
zwischen Hell- und Dunkelfeld sind. Ohne Zusatzinformationen aus Dunkel-
feldforschungen bleibt deshalb ungewiss, ob die kriminalstatistischen Zahlen
die Entwicklung der „Kriminalitätswirklichkeit“ adäquat wiedergeben. Schließ-
lich bleibt ohne Befragung unbekannt, wie Kriminalität wahrgenommen wird,
wie hoch die Kriminalitätsfurcht ist, welche Erfahrungen die Bürgerinnen und
Bürger mit Strafverfolgungsbehörden und Strafverfolgungsmaßnahmen ge-
macht und diese verarbeitet haben, wie schließlich ihre Einstellungen zu Krimi-
nalität, Strafe, Strafrecht und Strafverfolgung sind.

Ein weiteres Problem ergibt sich bei der Polizeilichen Kriminalstatistik aus dem
regelmäßig hohen Stellenwert von Aufklärungsquoten und deren Fehl- und Über-
interpretation. Auf der „Jagd“ nach hohen Aufklärungsquoten werden Ressour-
cen falsch eingesetzt. Sie werden dort gebündelt, wo die Politik glaubt, hohe
Aufklärungsraten zu produzieren und nicht etwa dort, wo die Kriminalität
besonders sozialschädlich ist. So soll es Spezialisten geben, die bei bekannten
Tätern aus Serien Einzeldelikte machen können – damit werden aus einem auf-
geklärten (Serien-)Fall z. B. zehn aufgeklärte (Einzel-)Fälle. Dies ist zwar gut
für die Statistik, dient aber nicht der Sicherheit. Die Gesamtaufklärungsquote
hat keine eigenständige Aussagekraft, der Bevölkerung wird hier etwas vorge-
spielt. In 80 bis 90 Prozent der Fälle kommt es sowieso durch die Bevölkerung
zur Anzeige und die Anzeigenden geben auch die Hinweise auf die Tatverdäch-
tigen. So ist beispielsweise jeder gemeldete Ladendiebstahl gut für die Statistik,
weil der Täter meist mitgeliefert wird. Ebenso gut für die Statistik ist die
Beschäftigung mit kleinen Rauschgiftdelikten. Diese gehören zur Gruppe der
Kontrolldelikte; hier gibt es keinen Geschädigten und kein Opfer, das Anzeige
erstattet, aber mit der Entdeckung der Straftat ist zugleich der Tatverdächtige er-
mittelt worden und der Fall also bereits aufgeklärt. Durch wirklich eigene, meist
langwierige Ermittlungen muss die Polizei dann versuchen, die Straftaten, bei
denen Hinweise und Spuren dürftig sind, möglichst gerichtsfest aufzuklären.
Das ist mühsam, Kräfte bindend und für die Aufklärungsquote nicht gewinn-
bringend. Die Aufklärungsquote sagt zudem nichts über die spätere tatsächliche
rechtliche Beurteilung des Gerichts aus. Im Jahr 2011 übergab die Polizei ca.
2,1 Millionen Tatverdächtige an die Staatsanwaltschaft. Es stellt sich die Frage,
ob die Polizei auch in ihrer rechtlichen Beurteilung bestätigt wird und die Be-
schuldigten tatsächlich wegen dieser Delikte verurteilt werden. Auf 100 wegen
Mordes oder Totschlags ermittelte erwachsene Tatverdächtige kamen 2010
nämlich insgesamt nur 24 wegen dieser Delikte Verurteilte. Bei einfacher vor-
sätzlicher Körperverletzung waren es 15 Prozent, bei gefährlicher und schwerer
Körperverletzung (§§ 224, 226, 231 des Strafgesetzbuchs – StGB) 17 Prozent
und bei Raub, räuberischer Erpressung, räuberischem Angriff auf Kraftfahrer
(§§ 249 bis 252, 255, 316a StGB) 28 Prozent. Was mit den erwachsenen Tatver-
dächtigen geschehen ist, die nicht verurteilt worden sind, ob das Verfahren ein-
gestellt wurde, ob ein Freispruch oder eine Verurteilung wegen eines anderen
Delikts erfolgte, ob die Polizei den Tatverdacht dramatisiert hat oder die Justiz
zu „lasch“ ist, ist auf der Grundlage der Strafrechtspflegestatistiken nicht zu be-
antworten. Da es in Deutschland keine Verlaufsstatistik gibt, kann statistisch
nicht ermittelt werden, wie die Ermittlungsverfahren gegen Beschuldigte abge-
schlossen werden, die von der Polizei wegen eines bestimmten Delikts als Tat-

verdächtige ermittelt worden sind.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13715

Ein massives Problem ist zudem, dass Staatsanwälte und Richter jedes Jahr
100 000fach Sanktionen aussprechen, wobei auf Grundlage der Strafrechtspfle-
gestatistiken die Frage, wie diese überhaupt wirken, nicht zu beantworten ist.
Erst kürzlich hat die Regierungskoalition im Bundestag mit dem „Warn-
schussarrest“ für jugendliche Straftäter – gegen die kritische Meinung der
Experten – eine weitere Sanktionsmöglichkeit durchgesetzt. Da es in Deutsch-
land keine fortlaufende Rückfallstatistik gibt, kann statistisch jedoch gar nicht
ermittelt werden, wie ein derartiger „Warnschussarrest“ und andere Strafen und
Sanktionen beim Täter wirken. Ein präventives Strafrecht muss sich aber einer
empirischen Prüfung stellen. Ansonsten kann keine Aussage darüber getroffen
werden, ob mit einer bestimmten Strafe das Präventionsziel auch erreicht wer-
den kann. Hiervon hängt jedoch ganz bedeutend ab, ob diese Strafe überhaupt
gerechtfertigt ist. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten betrachtet reicht es
nicht aus, von einer eingriffsintensiven Sanktion lediglich positive Effekte zu er-
warten. Vielmehr braucht es empirisch überprüfbare und hinreichend gesicherte
Anhaltspunkte für die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Sanktion.

Zudem bereitet auch die Tatsache, dass Entscheidungen im Vollstreckungsver-
fahren überhaupt nicht statistisch erfasst werden, Probleme. Momentan ist die
Geldstrafe die vorrangig verhängte Strafe in Deutschland, die in der Regel durch
Strafbefehl der Staatsanwaltschaft, also ohne richterliches Mitwirken, erfolgt. In
Zeiten der immer weiter auseinanderklaffenden Schere zwischen Arm und
Reich können viele der zu einer Geldstrafe Verurteilten diese Schuld nicht be-
gleichen. Wie häufig Geldstrafen notleidend werden, so dass es zur Umwand-
lung in eine Ersatzfreiheitsstrafe kommt bzw. wie häufig diese Ersatzfreiheits-
strafen durch gemeinnützige Arbeit ersetzt werden, ist auf der Grundlage der
Strafrechtspflegestatistiken nicht beantwortbar.

Es ist richtig, was im 1. Periodischen Sicherheitsbericht (PSB) steht: Ohne Er-
folgskontrolle ist das kriminalrechtliche System wie „eine Firma ohne Buchhal-
tung, die in seliger Unkenntnis vom Ausmaß ihres Gewinns oder ihres Verlustes
arbeitet“ (vgl. 1. PSB, S. 444). Im Strafrechtsbereich erlaubt sich der Staat, ohne
anständige Buchhaltung zu arbeiten. Dabei haben die staatlichen Organe die
rechtliche Pflicht, mit der Strafe auch zu resozialisieren. Tatsächlich aber
schränken sie die bürgerlichen Rechte ein, ohne eine Kontrolle über die Wirk-
samkeit dieser Maßnahmen zu haben.

Die beschriebenen Defizite des bestehenden kriminalstatistischen Systems las-
sen sich nachhaltig nur beheben, wenn die amtlichen Daten über Kriminalität,
Strafverfolgung und Strafvollstreckung in einer statistischen Datenbank mitein-
ander verknüpft werden. Eine umfassende Optimierung des kriminalstatis-
tischen Systems setzt somit die Schaffung einer solchen Datenbank voraus, wie
dies bereits in einigen europäischen Staaten geschehen ist und sich dort bewährt
hat. Dies lässt sich voraussichtlich erst in einer längerfristigen Perspektive er-
reichen.

Zur kurz- bzw. mittelfristigen Verbesserung der Datensituation zu Kriminalität
und strafrechtlicher Sozialkontrolle wäre daher für die Übergangszeit eine Reihe
von schneller umsetzbaren Maßnahmen notwendig. Diese dienen der Behebung
akuter Defizite; sie sind darüber hinaus – zumindest teilweise – notwendige
Zwischenschritte für die Schaffung einer statistischen Datenbank.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Praxis der Periodischen Sicherheitsberichte als eine über die Kommentie-
rung der Einzelstatistiken hinausgehende, übergreifende und auch wissen-
schaftliche Befunde einbeziehende Form der Berichterstattung fortzuführen
und gesetzlich zu verankern;

Drucksache 17/13715 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. eine statistikbegleitende, bundesweit repräsentative und in regelmäßigen Ab-
ständen durchgeführte Bevölkerungsbefragung über Opfererfahrungen und
Sicherheitsempfinden zu veranlassen, die als Ergänzung des Systems der Kri-
minal- und Strafrechtspflegestatistiken als sog. Dunkelfeldforschung das Ziel
setzt, Opfer von Straftaten und Opfersituationen zu erkennen, das Anzeige-
verhalten sowie die Gründe für Anzeige und Nichtanzeige zu bestimmen, die
subjektive Wahrnehmung von Kriminalität sowie die Einstellungen zu Strafe
und Strafrecht zu messen;

3. eine bundesgesetzliche Grundlage für die Strafrechtspflegestatistiken zu
schaffen;

4. die folgenden Statistiken einzuführen und so das derzeitige statistische Sys-
tem im Hinblick auf eine evidenzbasierte Kriminalpolitik zu ergänzen, Er-
hebungseinheiten und -merkmale stärker anzugleichen und durch krimino-
logische Merkmale anzureichern:

a) eine personenbezogene Beschuldigtenstatistik in staatsanwaltschaftlichen
Ermittlungsverfahren auf der Grundlage von Daten des Zentralen Staats-
anwaltschaftlichen Verfahrensregisters (ZStV);

b) eine verbesserte Strafvollzugsstatistik (Ergänzung durch eine personen-
bezogene Zu- und Abgangsstatistik und statistische Erfassung und Aus-
weisung des Jugendarrests);

c) eine Eckdaten beinhaltende Vollstreckungsstatistik, die auch nachträg-
liche Entscheidungen erfasst;

d) eine periodische Rückfallstatistik auf der Grundlage von Registerdaten,
die die bisherige und laufende Legalbewährungsuntersuchung ablösen
könnte;

5. langfristig die Voraussetzungen für die Umstellung auf ein Datenbanksystem
zu schaffen, das verlaufsstatistische Analysen ermöglicht und insbesondere
deliktsbezogen die Art der Erledigung im Prozess strafrechtlicher Sozialkon-
trolle nachweist.

Berlin, den 4. Juni 2013

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

Begründung

Zu Abschnitt II

Zu Nummer 1

Für die gezielte Entwicklung und Umsetzung von Bekämpfungs-, Präventions-
und Sanktionsmaßnahmen in allen Kriminalitätsbereichen werden mehr fun-
dierte und aussagekräftige Informationen über Umfang und Erscheinungsfor-
men von Kriminalität benötigt. Die PKS ist hierfür eine wertvolle Informations-
quelle. Sie bildet jedoch nur einen kleinen Ausschnitt der Kriminalität ab. Ein
Problem stellen u. a. die oft mehrjährigen Bearbeitungszeiten und die bei einzel-
nen Fachdienststellen bestehenden Bearbeitungsrückstände sowie die mitunter
beträchtlichen Zeitabstände zwischen der Tatbegehung und deren Aufdeckung
dar. Die PKS als Ausgangsstatistik, d. h. als eine Statistik, in der die Fälle nach
Abschluss der polizeilichen Ermittlungen bei der Abgabe des Verfahrens an die

Staatsanwaltschaft statistisch erfasst werden, kann daher die Kriminalitätslage

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/13715

im Jahr der Erfassung nur bedingt widerspiegeln. Darüber hinaus sind neben der
Polizei viele andere Institutionen und Behörden mit Fällen von Kriminalität
befasst. Deutlich befriedigendere Antworten auf (aktuelle) Fragen der inneren
Sicherheit lassen sich daher nur aus einer vergleichenden Betrachtung dieser
Datensammlungen unter Einbeziehung wissenschaftlicher Analysen und Er-
kenntnisse gewinnen.

Diese Aufgabe hat der erstmals 2001 erstellte umfassende Periodische Sicher-
heitsbericht übernommen, der unter Beteiligung namhafter Wissenschaftler aus
den Bereichen Kriminologie, Soziologie und Psychologie sowie Praktikern aus
dem Bereich der inneren Sicherheit erarbeitet wurde. Neben statistischen Daten
von Polizei und Justiz enthält der Bericht auch wissenschaftliche Erkenntnisse,
Bewertungen und Prognosen zur verschiedenen Bereichen von Kriminalität
sowie Vorschläge zu ihrer Bekämpfung. Unter Zuhilfenahme weitergehender
Erkenntnisse, insbesondere aus dem Bereich der Dunkelfeldforschung und aus
Opferbefragungen, wurde das Lagebild der Kriminalität wissenschaftlich näher
beleuchtet und um Erkenntnisse aus der Opferperspektive ergänzt. An den
Ersten Periodischen Sicherheitsbericht schloss sich 2006 der Zweite Periodische
Sicherheitsbericht an. Seitdem wurde kein neuer Bericht verfasst. Die Praxis der
Periodischen Sicherheitsberichte als eine über die Kommentierung der Einzel-
statistiken hinausgehende, übergreifende und auch wissenschaftliche Befunde
einbeziehende Form der Berichterstattung soll daher fortgeführt und gesetzlich
verankert werden.

Zu Nummer 2

Die Bundesregierung in der Zeit der Großen Koalition war der Überzeugung,
dass Opferbefragungen ein weiterer wichtiger Ansatz zur Kriminalitätsanalyse
und für die Kriminalpolitik sind. Die seit 2009 bestehende Regierung aus CDU/
CSU und FDP hat jedoch die Vorbereitungen zu einer umfassenden Dunkelfeld-
untersuchung durch eine Arbeitsgruppe ins Leere laufen lassen. Überlegungen
und Forderungen aus der Wissenschaft bleiben ungehört. Die Struktur der regis-
trierten Kriminalität kann nicht das exakte Abbild der wirklichen Kriminalitäts-
lage darstellen. Schwere Deliktsformen werden häufiger angezeigt als leichtere,
was eine Überrepräsentation dieser und somit eine Verzerrung der Kriminalitäts-
wirklichkeit bedeutet. Das Ziel von Dunkelfelduntersuchungen ist es, Erkennt-
nisse über das Gesamtaufkommen bestimmter Straftaten einschließlich des sog.
(relativen) Dunkelfeldes, also den bei der Polizei nicht bekannten Straftaten, zu
gewinnen. Denn während sich amtliche Kriminalstatistik lediglich auf das
„Hellfeld“ amtlich registrierter Vorgänge – und somit nur auf einen kleinen Aus-
schnitt von Kriminalität – bezieht, versuchen Dunkelfelduntersuchungen ein
etwas umfassenderes Bild von Umfang und Struktur von Kriminalität zu liefern.
Hierzu bedient man sich der Befragung zufällig ausgewählter Personen bezüg-
lich ihrer Erfahrungen als Opfer (Opferbefragungen) oder Täter (Täterbefragun-
gen) von Straftaten, sofern sie solche gemacht haben. Die in den Befragungen
festgestellten Erfahrungen mit Kriminalität ermöglichen dann (statistische)
Rückschlüsse auf das Kriminalitätsaufkommen in der Bevölkerung. Bereits seit
den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist das Bundeskriminalamt
(BKA) auf dem Gebiet der Dunkelfeldforschung tätig. Es kamen durchweg in-
teressante Einblicke zustande, aber ohne die notwendige Nachhaltigkeit. Hierzu
fehlte es an eigenen Finanzierungstiteln. Dabei ist eine periodische und bundes-
weit durchgeführte, statistikbegleitende repräsentative Dunkelfeldbefragung zu
Viktimisierung, Anzeigeverhalten, Kriminalitätsfurcht sowie Einstellungen zu
Strafe und den Institutionen der Strafrechtspflege ebenso notwendig wie die
Ausstattung mit ausreichenden Haushaltstiteln, wie sie in den USA, in England
und den Niederlanden längst üblich ist. Da sich im letzten Jahrzehnt des vergan-

genen Jahrhunderts die Technik der Datenverarbeitung und der Datenaufberei-
tung entscheidend weiterentwickelt und umfassend Einzug in die Behörden ge-

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halten hat, sind Bevölkerungsbefragungen und Dunkelfeldforschungen nun auf
hohem wissenschaftlichem Niveau möglich. Damit sind alle Voraussetzungen
gegeben, um die Wirklichkeit von Kriminalität und den Umgang der Sicher-
heitsbehörden und der Justiz sichtbar zu machen sowie die Entscheidungen des
Gesetzgebers und die Wirkungen von Sicherheitsgesetzen (Evaluierungen) auf
einer soliden empirischen Basis bewerten zu können.

Wichtig wären Dunkelfelduntersuchungen auch im Bereich von politisch moti-
vierter Kriminalität im rechten Spektrum gewesen, wie das Beispiel der „NSU-
Morde“ belegt. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wäre dem Staat (Polizei und Ver-
fassungsschutz) die rechtsextreme politische Motivation und der rechtsextremis-
tische Alltagsterror nicht entgangen, wenn in diesem Bereich Bevölkerungs-
befragungen durchgeführt worden wären und das so genannte Hellfeld der poli-
tisch motivierten Kriminalität im Rahmen der PKS diskutiert worden wäre. In der
erstmals 2001 veröffentlichten Broschüre der Friedrich-Ebert-Stiftung „Rechte
Strukturen in Bayern“ wurde auf die rechtsextreme Gewalt hingewiesen. In der
2005 erschienenen aktualisierten Neuauflage wurde ein eigenständiges Kapitel
„Rechtsterrorismus“ eingefügt. Der Innenminister Günther Beckstein sprach
2003 von Anzeichen für die Struktur einer „Braunen Armee Fraktion“. Trotz-
dem und gegen den erklärten Willen des Verfassungsschutzpräsidenten Heinz
Fromm schloss der Bundesminister des Innern Wolfgang Schäuble 2006 die Ab-
teilung Rechtsextremismus, da er der Ansicht war, ein Referat Rechtsextremis-
mus sollte ausreichen. Die offizielle Zählweise der Todesopfer rechtsextremer
Gewalt bleibt auch nach langer Diskussion unverständlich. Die Sicherheitsbe-
hörden zählten im Zeitraum von 1990 bis 2009 47 Todesopfer rechtsextremer
Gewalt, Opferberatungsstellen und Journalisten kamen auf bis zu 181 Todes-
opfer. Diese „Zurückhaltung“ der Sicherheitsbehörden ist ansonsten unbekannt.
Bei der Interpretation der Zahlen der PKS gehen die Experten üblicherweise da-
von aus, dass die Sicherheitsbehörden sich eher auf die schwere Straftat bzw. die
höhere Gefährdung festlegen als später Staatsanwaltschaft und insbesondere das
Gericht. Doch auch mit dem neu eingerichteten Gemeinsamen Abwehrzentrum
gegen Rechtsextremismus (GAR) wurde diese Zählweise nicht verändert. Die
Straftaten werden in der Regel nicht dort neu bewertet, sondern sie werden, wie
schon bisher, durch die Polizei vor Ort bewertet. Rechtsextreme Gewalttaten
werden weiterhin negiert, bagatellisiert und verharmlost. Anzeigen werden nicht
ernst genommen, deshalb unterbleiben sie auch vielfach. Die Entschließung des
Deutschen Bundestages zu der vereinbarten Debatte „Mordserie der Neonazi-
Bande und die Arbeit der Sicherheitsbehörden“ (Bundestagsdrucksache 17/7771)
muss mit Leben gefüllt werden. Die Verfassungsschutzbehörden wollen sich als
Frühwarnsystem verstehen, doch dazu brauchen sie umfassende Kenntnis über
rechtsextreme Kriminalität. Das Mittel dazu sind systematische und wiederkeh-
rende Opferbefragungen/Opferstudien im Bereich Rechtsextremismus. Darüber
hinaus könnte man damit auch wieder verlorengegangenes Vertrauen wiederge-
winnen und die Anzeigebereitschaft erhöhen. Es könnte Aufgabe des BKA sein,
eine derartige Studie in Auftrag zu geben, denn das BKA hat die gesetzliche
Aufgabe, die gesamte Entwicklung der Kriminalität zu beobachten (§ 2 Absatz 6
Satz 2 BKAG) und nicht nur das in der PKS erfasste Hellfeld.

Zu Nummer 3

Sowohl aus Datenschutzgründen als auch zur Sicherung der flächendeckenden
Durchführung und der haushaltsrechtlichen Absicherung bedürfen die Perso-
nenstatistiken der Strafrechtspflege einer bundesgesetzlichen Grundlage. Ledig-
lich die PKS hat eine gesetzlich verankerte Grundlage (§ 2 Absatz 6 Nummer 2
des Gesetzes über das BKA und die Zusammenarbeit des Bundes und der Län-
der in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten). Für die Führung von Strafrechts-

pflegestatistiken fehlt diese völlig, der Bundesgesetzgeber hat in diesem Bereich
bisher noch keinen Gebrauch von seiner Gesetzgebungskompetenz gemacht.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/13715

Strafrechtspflegestatistiken beruhen dann letztendlich auf den Verwaltungsan-
ordnungen der Länder. Wegen des Fehlens einer gesetzlichen Grundlage sind die
kontinuierliche und flächendeckende Durchführung dieser koordinierten Län-
derstatistiken sowie deren haushaltsrechtliche Absicherung auf Länder- wie auf
Bundesebene nicht garantiert. Außerdem spiegeln sich in diesen Statistiken auch
mehr die Interessen der Länder wider, weniger aber die Interessen des Bundes
und des Bundesgesetzgebers. Einige Bundesländer verzichten zudem (zeit-
weise) auf Statistiken in diesem Bereich. So wurde zwischen 1998 und 2003 die
Führung der Staatsanwaltschaftsstatistik in Schleswig-Holstein ausgesetzt, die
Strafverfolgungsstatistik wurde in Sachsen-Anhalt erst ab dem 1. Januar 2007
eingeführt, in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gibt es bis heute noch
keine Bewährungshilfestatistik, in Hamburg ist die Aufbereitung der Bewäh-
rungshilfestatistik seit 1992 ausgesetzt und in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-
Anhalt und Thüringen gibt es bis heute keine Maßregelvollzugsstatistik.

Daher muss endlich eine bundesgesetzliche Grundlage für die Personenstatis-
tiken der Strafrechtspflege geschaffen werden, mit der die kontinuierliche,
flächendeckende und denselben Regelungen unterliegende Durchführung dieser
Statistiken und die Weitergabe der entsprechenden Einzeldatensätze an das Sta-
tistische Bundesamt gesichert werden.

Zu Nummer 4

Zu Buchstabe a

In der vergangenen Zeit wurde das Strafbefehlsverfahren zur Verfahrensverein-
fachung und -beschleunigung wiederholt erweitert. Im Zuge dessen wurden
auch die der Staatsanwaltschaft eingeräumten Nichtverfolgungsermächtigungen
ausgebaut. Zunehmend wurde auf das richterliche Mitwirkungserfordernis bei
Opportunitätsentscheidungen verzichtet und die Entscheidungskompetenz der
Staatsanwaltschaft durch den Ausschluss von Kontrollrechten des Verletzten ge-
stärkt. Sowohl bei der Einstellung unter Auflagen nach § 153a der Strafprozess-
ordnung (StPO) als auch beim Strafbefehlsantrag nach § 407 StPO tritt an die
Stelle richterlicher Strafzumessung faktisch die Sanktionsfestlegung der Staats-
anwaltschaft. Soweit beim Strafbefehl oder bei der Verfahrenseinstellung aus
Opportunitätsgründen die Zustimmung des Gerichts erforderlich ist, wird zwar
die Teilhabe des Gerichts formell gewährleistet, es besteht jedoch die Gefahr,
dass die Mitwirkung des Gerichts faktisch auf eine reine „Gegenzeichungshand-
lung“ reduziert wird. Anhaltspunkte hierfür geben sowohl Äußerungen aus der
Praxis als auch die in empirischen Forschungen festgestellte geringe Ableh-
nungsrate der Gerichte. Die Staatsanwaltschaft agiert jedoch in einer statisti-
schen Grauzone, denn es wird nicht erfasst, bei welchen Tat- und Tätergruppen
sie von ihrer Sanktionskompetenz Gebrauch macht, ebensowenig welcher Art
die Anregungen sind, die nach § 45 Absatz 2 und 3 des Jugendgerichtgesetzes
(JGG) ergehen. Es existiert zwar eine Staatsanwaltschaftsstatistik (StA-Statis-
tik), doch diese folgt einer ganz anderen Ausrichtung. Daher bedarf es einer
eigenen Personenstatistik über Beschuldigte in staatsanwaltschaftlichen Ermitt-
lungsverfahren, vergleichbar der Strafverfolgungsstatistik (StVerfStat), in der
demografische Merkmale der Beschuldigten, die Tatvorwürfe und die das Er-
mittlungsverfahren abschließende Entscheidung der Staatsanwaltschaft erfasst
werden. Um einen zusätzlichen Erhebungsaufwand zu ersparen, ist zu prüfen,
ob die Daten des Zentralen Staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregisters künftig
auch für statistische Zwecke genutzt werden könnten.

Zu Buchstabe b

Die Strafvollzugsstatistik informiert über die Zahl der Justizvollzugsanstalten
und deren Belegungskapazität, den Bestand sowie die Zu- und Abgänge der

Gefangenen und Verwahrten. Darüber hinaus werden für die einsitzenden Straf-

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gefangenen persönliche und kriminologische Merkmale erhoben. Allerdings
beschränken sich diese Daten hinsichtlich der im Freiheits- oder Jugendstraf-
vollzug befindlichen Gefangenen sowie der Sicherungsverwahrten auf einige
demografische und kriminologische Strukturdaten und werden nur zum
31. März eines Erhebungsjahrs erfasst. Zusätzlich stellt das Statistische Bundes-
amt für einige ausgewählte Kalendermonate noch einige Daten zusammen, die
aus den aggregierten Eckzahlen der Landesjustizverwaltungen über Zugang,
Abgang und Bestand im Strafvollzug insgesamt bestehen. Auch hinsichtlich der
in psychiatrischen Krankenhäusern und Entziehungsanstalten aufgrund straf-
richterlicher Anordnungen untergebrachten Personen stehen aggregierte Zu-
und Abgangsdaten sowie die zum 31. März erfassten Bestandsdaten inklusive
einige wenige demografische Merkmale zur Verfügung. Das Problem, das jede
Stichtagserhebung mit sich bringt, ist, dass keine zuverlässigen statistischen An-
gaben über die Anzahl derjenigen Gefangenen existieren, die jährlich ihre Strafe
antreten oder jährlich entlassen werden. Zu- und Abgänge werden nicht perso-
nenbezogen erfasst, was bedeutet, dass bei Stichtagserhebungen eben nur ein
Teil der Gefangenen erfasst wird, denn je kürzer die Freiheits- oder Jugendstrafe
ausfällt, desto geringer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie in die jährliche
Stichtagserhebung einbezogen wird. Im Ergebnis wird die Zahl der zu kurzzei-
tigen Strafen verurteilten Gefangenen somit im Vergleich zu den langzeitigen
Einsitzenden unterschätzt. Darüber hinaus entsteht eine systematische Verzer-
rung durch die Erfassung bei Verlegungen von einer Anstalt in eine andere. Au-
ßerdem enthält keine der Ländervollzugsstatistiken Angaben über angebotene
Resozialisierungsmaßnahmen oder Behandlungs-, Therapie- und Arbeitsmög-
lichkeiten im Vollzug.

Zum Jugendarrest fehlen, da er keine Strafe, sondern ein Zuchtmittel ist, jegliche
Statistiken.

Der Gesetzgeber ist an dieser Stelle gefordert; es muss eine Beobachtung aller
Maßnahmen und eine Evaluation der Ausgestaltung des Vollzugs erfolgen. Dies
kann jedoch ohne belastbares statistisches Material nicht gelingen.

In Zeiten des immer weiteren Vordringens von Teilprivatisierung im Bereich des
Strafvollzugs – inzwischen gibt es vier teilprivatisierte Justizvollzugsanstalten
im Bundesgebiet – und des Privatisierungstrends im Bereich des Maßregelvoll-
zugs bedarf es erst recht einem hohen Maß an Transparenz.

Daher müssen in der Strafvollzugsstatistik neben der bestehenden Stichtagser-
hebung eine personenbezogene Zu- und Abgangsstatistik eingeführt werden und
die vollzuglichen Maßnahmen der Resozialisierung jedenfalls in ihren Grund-
zügen abgebildet werden. Zudem muss der Vollzug des Jugendarrestes (Urteils-,
Ungehorsams- und neuerdings auch „Warnschussarrest“) statistisch erfasst und
ausgewiesen werden.

Zu Buchstabe c

Von der Bewährungshilfestatistik abgesehen, die über Unterstellungen einen
hauptamtlichen Bewährungshelfer sowie über die Arten der Beendigung dieser
Unterstellungen informiert, fehlen statistische Informationen sowohl zur Straf-
vollstreckung, insbesondere zur Geldstrafenvollstreckung, sowie zu den nach-
träglichen Änderungen einer Sanktion. Diese wird nur im Fall des Widerrufs der
Straf- und Strafrestaussetzung zur Bewährung erfasst, aber auch nur im Falle
einer Unterstellung unter einen hauptamtlichen Bewährungshelfer. Alle sons-
tigen nachträglichen Änderungen, wie beispielsweise die Anordnung vorbehal-
tener (oder nachträglicher) Sicherungsverwahrung, Änderung der Höhe der
Geldstrafe, Anordnung von Ersatzfreiheitsstrafen, die Anordnung von Ungehor-
samsarrest usw. bleiben undokumentiert. Als Zwischenschritt bis zur Realisie-

rung einer umfassenden Datenbank könnte eine Nutzung der Eintragungen im
Bundeszentralregister geprüft werden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/13715

Zu Buchstabe d

Eine der wichtigsten Aufgaben des Strafrechts ist es, zu verhindern, dass Straf-
täter rückfällig werden. Die Strafe dient auf der einen Seite dazu, das durch die
Handlung des Täters geschaffene Unrecht durch die Strafe aufzuwiegen, um die
verletzte Rechtsordnung auf diese Weise wiederherzustellen. Sie dient dem
Schuldausgleich und stellt auf diese Weise die Gerechtigkeit wieder her. Auf der
anderen Seite soll die Strafe jedoch dem Schutz der Gesellschaft dienen und
zukünftige Straftaten verhindern. Strafrecht hat also auch eine präventive Funk-
tion. Deswegen ist es wichtig, die Rückfälligkeit regelmäßig statistisch zu er-
fassen.

Im Gegensatz zu einigen Nachbarländern (wie zum Beispiel der Schweiz,
Schweden oder Österreich) wird in Deutschland eine Rückfallstatistik nicht
regelmäßig durchgeführt, sondern nur in unregelmäßigen Abständen erhoben.
Wenn man von den fünf Rückfallstatistiken des Gemeinsamen Bundesausschus-
ses absieht, die methodisch fraglich sind und auf freiheitsentziehende Sank-
tionen beschränkt waren (Bezugsjahre waren 1980 bis 1984), dann gibt es bis-
lang zwei Rückfallstatistiken, die alle Sanktionen einbeziehen, erschienen 2003
(Bezugsjahr 1994) und 2010 (Bezugsjahr 2004).

Dabei sind sich viele Kriminologen sicher, dass eine regelmäßige Rückfallsta-
tistik ein wichtiges Kriterium für die Strafrechtspolitik darstellen und dazu bei-
tragen könnte, die Sicherheit innerhalb des Landes zu erhöhen. Rückfälle fest-
zustellen ist nämlich der erste Schritt, um Rückfälligkeit vermeiden zu können.

Die Rückfallquote, bezogen auf bestimmte strafgesetzliche Normen (zum Bei-
spiel Vergewaltigung), kann darauf hinweisen, dass andere oder gar neue For-
men von Vollzug oder Therapieangeboten notwendig sind, um eine niedrigere
Rückfallquote zu erreichen. Dies ist auch wichtig, um die Einstellung der Bevöl-
kerung zu beeinflussen. So führte Prof. Klaus Michael Beier im Jahr 2007 eine
Studie durch, die besagt, dass bei Sexualverbrechen die Rückfallquote bei rund
80 Prozent liegt. Dies ruft bei der Bevölkerung das Gefühl hervor, dass bei der-
artigen Verbrechen nicht genug gehandelt wird, dass also die Gesetze unzurei-
chend sind. Dies kann letztlich sogar zu einer geringeren Normentreue führen.
Daher wäre es wichtig, eine regelmäßige Rückfallstatistik aufzustellen, bezogen
vor allem auch auf die verletzten Normen, um eine sichere Aussage treffen zu
können. Somit könnte letztlich besser entschieden werden, ob Handlungsbedarf
besteht. So führte die hohe Rückfallquote bei Sexualstraftaten in den 90er-Jahren
zu dem Gesetz der Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen
Straftaten von 1998. Auch um festzustellen, welche durchgeführte Sanktion die-
jenige ist, die einen Straffälligen am ehesten davon abhält, rückfällig zu werden,
ist es unerlässlich, zunächst einmal eine Rückfallstatistik aufzustellen. Ein
Rückschluss auf die entsprechende Sanktion ist selbstverständlich nur in Gren-
zen zu ziehen, da der Rückfälligkeit immer ein Bündel verschiedener Ursachen
zu Grunde liegt (zum Beispiel wirtschaftliche Situation und Persönlichkeit des
Täters). Zumindest könnte eine Rückfallstatistik wichtige Rahmendaten bezüg-
lich der Erfolgsquote diverser Sanktionen liefern. Somit ließe sich unter ande-
rem überprüfen, ob eine Haft- oder eine Bewährungsstrafe effektiver ist.

Da die Rückfallquote ein wichtiges Instrument zur Messung des Erfolges der
Kriminal- und Strafrechtspolitik darstellt und Antworten auf die Frage gibt, ob
die angestrebten Präventionsziele erreicht werden, wäre es wünschenswert, sie
gesetzlich zu institutionalisieren.

Zu Nummer 5

Es fehlt in Deutschland nicht an Statistiken, es existieren genügend. Allerdings
sind die deutschen Kriminal- und Strafrechtspflegestatistiken unverbunden und

weder inhaltlich noch erhebungsmethodisch aufeinander abgestimmt. Erhe-

Drucksache 17/13715 – 10 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

bungseinheiten (Fall, Personen, Verfahren) und Erhebungsmerkmale der einzel-
nen Statistiken sind nur teilweise kompatibel. Auch werden die Statistiken nach
je eigenen Zähl- und Aufbereitungsregeln erstellt. Eine Umstellung des vorherr-
schenden Systems erscheint sinnvoll, um dessen Defizite nachhaltig zu beheben.
Hierfür sollten auf lange Sicht gesehen alle amtlichen Daten über Kriminalität,
Strafverfolgung und Strafvollstreckung mit pseudonymisierten Personendaten
in einer statistischen Datenbank miteinander verknüpft werden. Natürlich muss
dies unter Abwägung von Kosten- und Nutzengesichtspunkten geschehen. Eine
komplette Umstellung des Systems erfordert einen erheblichen organisatori-
schen und technischen Vorlauf und bedarf daher längerfristiger Planungen. In
anderen Ländern hat sich jedoch eine solche Datenbanklösung bereits bewährt.

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