BT-Drucksache 17/13493

Altersarmut bekämpfen - Mit der Garantierente

Vom 15. Mai 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13493
17. Wahlperiode 15. 05. 2013

Antrag
der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Birgitt
Bender, Ekin Deligöz, Kai Gehring, Katrin Göring-Eckardt, Priska Hinz (Herborn),
Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Markus Kurth, Monika Lazar,
Dr. Tobias Lindner, Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Tabea Rößner,
Elisabeth Scharfenberg, Ulrich Schneider und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Altersarmut bekämpfen – Mit der Garantierente

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Einkommensschere zwischen Arm und Reich geht in unserer Gesellschaft
weiter auseinander. Dies betrifft auch die Älteren. So betrug der Anteil der älte-
ren Personen mit einem Einkommen unter der Armutsrisikogrenze im Jahr
2010 14 Prozent und war damit nur leicht unterdurchschnittlich. Wenn nicht
entschieden gegengesteuert wird, geht die Schere bei den Alterseinkommen
weiter auseinander. Ohne Gegenmaßnahmen werden die Altersarmut und der
Bezug von Grundsicherung im Alter in den nächsten Jahren gravierend zu-
nehmen. Noch im Jahr 2011 bezogen nur 2,6 Prozent der über 65-Jährigen
Grundsicherung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, doch die Tendenz
ist steigend, und die Dunkelziffer der verdeckt Armen ist in dieser Gruppe
höher als etwa beim Arbeitslosengeld II.

Das Zusammenwirken von dauerhaft hoher Arbeitslosigkeit, unterbrochenen
Erwerbsbiographien, ausgeweitetem Niedriglohnsektor, der Zunahme von Selb-
ständigen mit geringen Einkommen sowie das sinkende Rentenniveau erhöhen
für eine wachsende Zahl von künftigen Rentnerinnen und Rentnern das Armuts-
risiko. Besonders betroffen sind heute Personen mit unterbrochenen Versiche-
rungsbiografien, Teilzeiterwerbstätige, Selbständige, Geringverdienende. Alters-
armut ist vor allem weiblich und dies wird ohne politisches Gegensteuern auf
absehbare Zeit auch so bleiben. Denn nach den bisherigen Prognosen werden
Frauen, vor allem die Mütter unter ihnen, auch zukünftig nur eine geringe Rente
beziehen.

Die Rentenversicherung verliert an Legitimation, wenn Menschen, die lange
Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung waren, letztlich doch auf Für-
sorgeleistungen angewiesen sind. Die Rentenversicherung muss zu einer solida-

rischen Sozialversicherung mit einem Mindestniveau weiterentwickelt werden,
das vor Altersarmut schützt. Mit der Einführung der Garantierente wird das Ziel
einer vor Altersarmut schützenden Mindestteilhabe umgesetzt. Die Rentenver-
sicherung muss dabei so ausgestaltet werden, dass für langjährig Versicherte der
Bezug von Grundsicherung im Normalfall vermieden wird. Die Bedingungen
für den Bezug der Garantierente sind dabei so zu setzen, dass sie nicht nur von
Männern, sondern gerade auch von Frauen realistisch zu erreichen sind.

Drucksache 17/13493 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die Garantierente allein reicht jedoch nicht aus, um Altersarmut umfassend zu
bekämpfen. Sie muss flankiert werden durch weitere präventive Maßnahmen in
der Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik. Altersarmut ist zudem mehr als reine Ein-
kommensarmut. Sie drückt sich u. a. auch in sozialer Vereinsamung und
schlechten Wohnsituationen aus. Deswegen muss auch in diesen Bereichen an-
gesetzt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

noch in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf für eine Garantierente als
Bestandteil der Rentenversicherung vorzulegen, der folgende Eckpunkte um-
fasst:

1. Geringe Rentenansprüche von Rentnerinnen und Rentnern mit 30 und mehr
Versicherungsjahren werden durch eine steuerfinanzierte Garantierente so
aufgestockt, dass die Gesamtrente mindestens 30 Entgeltpunkte beträgt.

2. Alle Versicherungszeiten werden als Voraussetzung für den Bezug der
Garantierente anerkannt, und zwar

a) Beitragszeiten, in denen Beiträge gezahlt wurden, also insbesondere bei
Erwerbstätigkeit und Bezug von Arbeitslosengeld I und bis zur Abschaf-
fung der Beitragszahlung durch die jetzige Regierungskoalition auch
Arbeitslosengeld II, bei Kindererziehung und seit dem 1. April 1995
Zeiten der Pflege,

b) Anrechnungszeiten wie Zeiten der Arbeitslosigkeit, in denen keine Bei-
träge gezahlt wurden, Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit und Nicht-
erwerbstätigkeit wegen Schwangerschaft oder Mutterschutz,

c) Zurechnungszeiten, also die Zeit zwischen dem Eintritt einer Erwerbs-
minderung und dem 60. Lebensjahr,

d) Berücksichtigungszeiten wegen Pflege für die Zeit vom 1. Januar 1992
bis 31. März 1995,

e) bis zu einem Stichtag, und zwar für Geburten vor dem Eintreten des
Rechtsanspruchs auf eine U3-Kinderbetreuung, werden auch die Berück-
sichtigungszeiten für Kindererziehung bis zum zehnten Lebensjahr des
jüngsten Kindes bei den Mindestversicherungszeiten mitgezählt.

3. Um einen Einstieg in eine umfassende und verlässlich vor Armut schützende
soziale Rentenversicherung zu schaffen, soll die Garantierente zunächst nur
für Neurentnerinnen und Neurentner ausgezahlt werden.

4. Die Garantierente soll bei der gesetzlichen Rentenversicherung angesiedelt
sein. Diese überprüft auf einfachen Antrag die sonstigen Alterssicherungs-
einkommen. Wenn es in Zukunft eine einheitliche Renteninformation über
alle drei Säulen der Alterssicherung gibt, erfolgt die Aufstockung auto-
matisch ohne Antrag.

5. Auf die Garantierente werden alle Renten aus der ersten, zweiten und dritten
Säule der Alterssicherung angerechnet. Für die eigene geförderte private
und betriebliche Altersvorsorge gilt ein Selbstbehalt in Höhe von 20 Pro-
zent.

6. Bei Ehepaaren und eingetragenen Lebenspartnerschaften werden zur Berech-
nung der Garantierente die eigenen Ansprüche zusammengezählt und an-
schließend halbiert. Die Auszahlung der Garantierente erfolgt individuell,
wobei vorrangig bei der Person mit den geringeren eigenen Ansprüchen auf-
gestockt wird.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13493

7. Zur Finanzierung wird ein steuerfinanzierter Zuschuss zur Rentenversiche-
rung eingeführt.

Berlin, den 14. Mai 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP wurde angekündigt, in die-
ser Legislaturperiode Maßnahmen gegen Altersarmut zu ergreifen. Dazu wurde
ein Rentendialog mit Verbänden durchgeführt, und sogar mehrere Referenten-
entwürfe des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wurden erstellt. Die
Koalitionsfraktionen haben es jedoch in den letzten vier Jahren nicht geschafft,
sich auf ein gemeinsames Konzept zur Bekämpfung der Altersarmut zu einigen.
Im Gegenteil hat die Bundesregierung durch die Streichung der Rentenbeiträge
für Arbeitslosengeld-II-Beziehende zu einer Verschärfung der absehbar anstei-
genden Altersarmut beigetragen.

Nach über siebenjähriger unionsgeführter Bundesregierung wird den Frauen
nun im Jahr der Bundestagswahl eine höhere „Mütterrente“ versprochen: Eine
nachhaltige und solidarische Finanzierung hat sie dafür nicht. Stattdessen soll
die Mütterrente aus den Rücklagen der Rentenversicherung bezahlt werden, die
dann binnen weniger Jahre komplett aufgebraucht sind. Drohende Altersarmut
ist aber eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Deswegen braucht es
hier eine Steuerfinanzierung. Die Union will den Notgroschen der Rentenver-
sicherung für etwas ausgeben, was die meisten von Altersarmut bedrohten
Frauen nicht vor dem Bezug der Grundsicherung bewahren wird.

Maßnahmen gegen Altersarmut müssen frühzeitig ergriffen werden, um lang-
fristig eine Wirkung zu entfalten. Die grüne Garantierente ist konzeptionell aus-
gereift, nachhaltig finanzierbar und kann sofort umgesetzt werden.

Die Rentenbiographien derjenigen, die in den nächsten Jahren in Rente gehen,
sind schon geschrieben. Präventive Maßnahmen allein reichen deshalb nicht
mehr aus, um ihre Situation zu verbessern. Die Bürgerinnen und Bürger müssen
sich darauf verlassen können, dass sie als langjährige Versicherte der gesetz-
lichen Rentenversicherung im Alter in der Regel nicht auf Leistungen der
Grundsicherung angewiesen sein werden. Die Bedingungen für den Bezug der
Garantierente müssen dabei so gesetzt werden, dass sie nicht nur von Männern,
sondern auch von Frauen realistisch zu erreichen sind.

Ein großer Teil der Bevölkerung hat kein Vertrauen mehr in die gesetzliche
Rente. Viele fragen sich, ob sie in der gesetzlichen Rentenversicherung noch
ausreichend Rentenansprüche erwerben können, um im Alter über ein aus-
reichendes Einkommen zu verfügen. Dies hat zur Folge, dass sowohl die Be-
reitschaft, Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung zu zahlen als auch
zusätzlich privat vorzusorgen, abnimmt. Die Säule der privaten Vorsorge ist
aber angesichts des sinkenden Rentenniveaus, welches die gesetzliche Renten-
versicherung absichern kann, unabdingbar. Vor diesem Hintergrund ist es wich-
tig, dafür zu sorgen, dass die Rentenversicherung so ausgestaltet wird, dass sie
vor Armut schützt und sich eigene Beiträge lohnen.

Verdeckte Armut im Alter ist nicht hinnehmbar. Alle, die einen Anspruch auf
Leistungen haben, sollten diesen auch in Anspruch nehmen. Leistungen, die auf

die Bekämpfung von Altersarmut abzielen, müssen deswegen auch so aus-

Drucksache 17/13493 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
gestaltet werden, dass dies möglich und realistisch ist. Ein Erfolg der unter Rot-
Grün eingeführten Grundsicherung für Ältere und Erwerbsunfähige war, dass
der Anteil der verdeckt Armen im Alter zurückgegangen ist. Nach einer aktuellen
Studie der Armutsforscherin Irene Becker kommen aber immer noch auf eine
Person, die Grundsicherung im Alter bezieht, zwei, die zwar einen Anspruch
hätten, diesen aber nicht wahrnehmen. Auch deswegen muss die Garantierente
eingeführt werden.

Der Steuerzuschuss zur Finanzierung der Garantierente beträgt in den ersten
Jahren deutlich weniger als 1 Mrd. Euro. Ohne weitere Maßnahmen könnte der
Zuschuss bis 2030 auf bis zu 5 Mrd. Euro ansteigen. Der Anstieg kann und
sollte durch verschiedene Maßnahmen, wie die Weiterentwicklung zu einer
Bürgerversicherung sowie die Wiedereinführung von Mindestrentenbeiträgen
für Arbeitslose, mittel- und langfristig begrenzt werden, weil durch diese Maß-
nahmen zusätzliche eigene Ansprüche aufgebaut werden. Außerdem wird der
Anstieg der Kosten der Garantierente durch weitere präventive Maßnahmen
insbesondere in der Arbeitsmarktpolitik – wie die Einführung eines gesetz-
lichen Mindestlohnes – deutlich reduziert.

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