BT-Drucksache 17/13488

Abschaffung des Optionszwangs - Ausdruck einer offenen Gesellschaft

Vom 15. Mai 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13488
17. Wahlperiode 15. 05. 2013

Antrag
der Abgeordneten Memet Kilic, Josef Philip Winkler, Ulrich Schneider, Volker
Beck (Köln), Kai Gehring, Ingrid Hönlinger, Jerzy Montag, Dr. Konstantin von
Notz, Claudia Roth (Augsburg), Wolfgang Wieland und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Abschaffung des Optionszwangs – Ausdruck einer offenen Gesellschaft

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Eine nachhaltige Integrationspolitik sollte alles daransetzen, dass sich Men-
schen unserer freiheitlichen und pluralen Gesellschaft zugehörig fühlen und
Deutsche sein wollen, werden wollen oder auch bleiben wollen. Junge Deut-
sche dazu zu zwingen, die deutsche Staatsangehörigkeit abzulegen – sie gar
zwangsweise auszubürgern – das ist integrationspolitisch kontraproduktiv.

2. Zu einer offenen Gesellschaft der Vielfalt gehört eine Politik der Mehr-
staatigkeit. Die traditionelle Monokultur des geltenden Staatsangehörig-
keitsrechts ist nicht mehr zeitgemäß. Deutsche haben heutzutage unter-
schiedlichste Wurzeln. Seit Jahren erfolgt über die Hälfte aller Einbürgerun-
gen unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit. Es ist kein sachlicher Grund er-
sichtlich, warum die generelle Hinnahme von Mehrstaatigkeit, die in vielen
europäischen Ländern schon seit etlichen Jahren erfolgreich praktiziert wird,
in Deutschland nicht funktionieren soll.

3. Im Jahr 1999 wollte die damalige rot-grüne Koalition das veraltete Staats-
angehörigkeitsrecht reformieren und die doppelte Staatsangehörigkeit ein-
führen. So sollten in Deutschland geborene Kinder nicht deutscher Eltern
einen deutschen Pass erhalten, zusätzlich zu der Staatsangehörigkeit ihrer
Eltern. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens setzten CDU/CSU und FDP
aber über ihre seinerzeitige Bundesratsmehrheit die sogenannte Options-
pflicht durch. Demzufolge werden hunderttausende junge Deutsche dazu ge-
zwungen, sich bis zu ihrem 23. Geburtstag zwischen ihrem deutschen Pass
und der Staatsbürgerschaft ihrer Eltern zu entscheiden. Deutschland ist das
einzige Land dieser Erde, das eine solche Regelung kennt. Im Jahr 2013
werden nun die ersten rund 3 300 Optionspflichtigen 23 Jahre alt. Von ihnen
hatten bis zum Jahresanfang 2013, so das Bundesministerium des Innern,
mehr als 500 Betroffene noch keine Erklärung abgegeben, welche Staats-
angehörigkeit sie behalten wollen (Ausschussdrucksache 17(4)681). Ihnen

droht nun die Ausbürgerung. Diese Deutschen laufen Gefahr, wie allein
16 Personen im Januar dieses Jahres, zu Ausländerinnen und Ausländern im
eigenen Land gemacht zu werden.

4. Dieser Missstand hängt nicht nur mit der inadäquaten Information der Be-
troffenen durch die zuständigen Behörden zusammen, sondern auch mit der
verbürokratisierten, für die Betroffenen völlig unübersichtlichen und zum

Drucksache 17/13488 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Teil auch unkalkulierbaren Anwendungspraxis. So erfolgt z. B. eine Aus-
bürgerung – und zwar ausnahmslos bzw. auch ohne schuldhaftes Verhalten
der Betroffenen – auch dann,

• wenn sie zwar einen Anspruch auf Beibehaltung ihrer ausländischen
Staatsangehörigkeit haben, die sog. Beibehaltungsgenehmigung (gemäß
§ 29 Absatz 3 des Staatsangehörigkeitsgesetzes) aber nicht rechtzeitig bis
zur Vollendung des 21. Lebensjahres beantragt haben, bzw. selbst dann,

• wenn sie die Aufgabe ihrer ausländischen Staatsangehörigkeit zwar bean-
tragt haben, das Ausbürgerungsverfahren aber durch die ausländische
Botschaft nicht rechtzeitig beendet worden ist.

5. Der Optionszwang grenzt insbesondere junge Deutsche mit türkischen
Wurzeln aus. Über 200 000 Optionskinder, das sind rund 70 Prozent aller
Optionspflichtigen, stammen aus einem türkischen Elternhaus (vgl. Bundes-
tagsdrucksache 17/12321, S. 2 f.). Zudem sind sie seit 2007 einer besonders
schmerzlich empfundenen Benachteiligung ausgesetzt: Seitdem haben alle
Unionsbürgerinnen und Unionsbürger einen gesetzlichen Anspruch darauf,
ihren deutschen Pass und die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern zu behalten.
Zurecht fühlen sich die Kinder der größten Einwanderergruppe ungerecht
behandelt. Demnach soll das in Deutschland geborene und aufgewachsene
Kind beide Staatsangehörigkeiten beibehalten dürfen, dessen Eltern bei-
spielsweise aus dem griechischen Samos stammen, nicht aber das Kind, des-
sen Eltern in dem 20 km entfernten türkischen Kusadasi geboren wurden.
Eine solche Benachteiligung kann seitens dieser jungen Deutschen nur als
Diskriminierung aufgrund der türkischen Herkunft ihrer Eltern verstanden
werden.

6. In einer Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages im
März 2013 kam die Mehrheit der Sachverständigen zu dem Schluss, dass eine
Abschaffung des Optionszwangs verfassungsrechtlich geboten und integra-
tionspolitisch sinnvoll wäre. Selbst der von der Bundestagsfraktion der CDU/
CSU benannte Gutachter, Prof. em. Kay Hailbronner, sieht bei der Abschaf-
fung des Optionszwangs keine rechtlichen Probleme. Er stellte fest, dass
sämtliche Rechtsfragen, die sich bei einer Abschaffung des Optionszwangs
bzw. der Hinnahme von Mehrstaatigkeit ergeben könnten, „lösbar und durch
einschlägige völkerrechtliche Vereinbarungen auch im Wesentlichen befrie-
digend geregelt worden sind“. Prof. Kay Hailbronner bezog seine Feststel-
lung explizit auch auf etwaige „Loyalitätskonflikte“.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf zur Abschaffung des Optionszwangs im Staatsangehörig-
keitsgesetz vorzulegen.

Berlin, den 14. Mai 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13488

Begründung

Die Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) „Einbürge-
rungsverhalten von Ausländerinnen und Ausländern in Deutschland sowie
Erkenntnisse zu Optionspflichtigen“ kam im Jahr 2012 zu folgendem Ergebnis
(S. 263 ff.):

1. Über zwei Drittel aller Betroffenen erklärten, sie hätten ihre bisherige
Staatsangehörigkeit gern beibehalten.

2. Würde die doppelte Staatsangehörigkeit in Deutschland zugelassen, dann
würden jeweils

• ein Drittel der 33 Prozent der Eingebürgerten und nochmal 35 Prozent
der im Verfahren Befindlichen einen Antrag auf Wiedereinbürgerung
stellen.

• Von den nicht Eingebürgerten würden sogar 64 Prozent sicher und
weitere 10 Prozent vermutlich – insgesamt also 75 Prozent – einen Ein-
bürgerungsantrag stellen.

Ein großer Teil der Optionspflichtigen versucht laut dem BAMF die Options-
entscheidung hinauszuzögern in der Hoffnung, dass eine neue Mehrheit im
Deutschen Bundestag endlich die doppelte Staatsbürgerschaft ohne Options-
zwang ermöglicht.

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