BT-Drucksache 17/13257

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des aktiven Wahlrechts ab 16 Jahren im Bundeswahlgesetz und im Europawahlgesetz

Vom 24. April 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13257
17. Wahlperiode 24. 04. 2013

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Ingrid Hönlinger, Ulrich Schneider, Volker Beck (Köln),
Kai Gehring, Memet Kilic, Jerzy Montag, Dr. Konstantin von Notz, Claudia Roth
(Augsburg), Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des aktiven Wahlrechts ab 16 Jahren im
Bundeswahlgesetz und im Europawahlgesetz

A. Problem

Jugendliche sind Trägerinnen und Träger eigener demokratischer Grundrechte.
Sie sollen ihre Grundrechtsposition bereits zu dem Zeitpunkt ausüben können,
zu dem sie die erforderliche Einsichtsfähigkeit besitzen. Die bisher für die Aus-
übung des aktiven Wahlrechts geltende Grenze der Vollendung des 18. Lebens-
jahres ist zu hoch angesetzt. Jugendliche verfügen regelmäßig bereits zu einem
früheren Zeitpunkt über die Fähigkeit, sich eine eigene politische Meinung zu
bilden. Dem trägt die Rechtsordnung schon längst dadurch Rechnung, dass sie
Jugendlichen bereits mit der Erreichung des 12. und 14. Lebensjahrs die Mög-
lichkeit gibt, umfassend Entscheidungen im Bereich ihrer Religionsausübung zu
treffen. Eine Reihe von Bundesländern (Berlin, Bremen, Mecklenburg-Vorpom-
mern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein) haben bereits
die Konsequenzen gezogen und in ihren Wahlgesetzen die Beteiligung von Ju-
gendlichen ab Vollendung des 16. Lebensjahres ermöglicht.

B. Lösung

Auf der Grundlage einer Änderung des Artikels 38 Absatz 2 des Grundgesetzes
werden die bisher im Bundeswahlgesetz und im Europawahlgesetz für die Aus-
übung des aktiven Wahlrechts festgesetzten Altersgrenzen für den Beginn des
aktiven Wahlrechts von 18 Jahre auf 16 Jahre herabgesetzt. Jugendliche können
damit mit der Vollendung des 16. Lebensjahres an den Wahlen für den Deut-
schen Bundestag und das Europäische Parlament teilnehmen.

C. Alternativen

Eine Alternative mit dem Ziel der Stärkung des demokratischen Prinzips könnte
das sogenannte Kinder-, Eltern- bzw. Familienwahlrecht sein. Dieser Ansatz
führt aber nicht zu einer Stärkung der persönlichen Rechtsstellung der Jugend-

lichen. Gestärkt werden vielmehr die Rechte der Sorgeberechtigten, deren poli-
tische Anschauungen aber nicht unbedingt mit denen der Jugendlichen überein-
stimmen müssen.

Ein faktisches Elternwahlrecht ist zudem mit dem Grundsatz der Gleichheit der
Wahl nicht in Übereinstimmung zu bringen.

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D. Kosten

Durch eine gezielte Aufklärungsarbeit für junge Menschen können beispiels-
weise für die Bundeszentrale für politische Bildung und für die zuständigen Stel-
len des Landes geringfügige Kosten entstehen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13257

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des aktiven Wahlrechts ab 16 Jahren im
Bundeswahlgesetz und im Europawahlgesetz

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Berlin, den 23. April 2013

Renate Künast, Jürgen T
Fassung der Bekanntmachung vom 8. März 1994 (BGBl. I
S. 423, 555), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom
17. März 2008 (BGBl. I S. 394) geändert worden ist, wird
das Wort „achtzehnte„ durch das Wort „sechzehnte“ ersetzt.

Artikel 3

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am 1. Juni 2014 in Kraft.

rittin und Fraktion
Änderung des Bundeswahlgesetzes

In § 12 Absatz 1 Nummer 1 des Bundeswahlgesetzes in
der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Juli 1993
(BGBl. I S. 1288, 1594), das zuletzt durch Artikel 1 des
Gesetzes vom 12. Juli 2012 (BGBl. I S. 1501) geändert
worden ist, wird das Wort „achtzehnte“ durch das Wort
„sechzehnte“ ersetzt.

Artikel 2

Änderung des Europawahlgesetzes

In § 6 Absatz 1 Nummer 1 des Europawahlgesetzes in der

Das belegen auch die positiven Erfahrungen, die auf Länder- gendlicher bei.

ebene mit dem Herabsetzen des Wahlalters gemacht worden
sind. Die Länder Berlin, Bremen, Mecklenburg-Vorpom-
mern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt

Ziel muss es sein, dass Jugendliche selbst früher wählen kön-
nen – nicht ihre Eltern je nach Kinderzahl.
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Begründung

A. Allgemeines
Demokratie lebt von der Gestaltung, der Einmischung und
dem politischen Engagement aller Bürgerinnen und Bürger.
Dazu gehören auch die Jugendlichen, denn sie tragen mit
Kreativität, Flexibilität und Mut wesentlich zum gesell-
schaftlichen Wandel bei. Sie sind neuen Ideen gegenüber
aufgeschlossen und haben gleichzeitig den größten Einfluss
auf Gleichaltrige. Einstellungen und Verhaltensweisen der
Jugendlichen heute sind ein Indikator für den Zustand der
Gesellschaft von morgen.

Es ist deshalb von zentraler Bedeutung, dass Jugendliche in
ihrem Lebensalltag demokratische Erfahrungen machen und
sich selbst als Rechteinhaber/innen wahrnehmen. Dazu ge-
hören das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe und der An-
spruch, an Richtungsentscheidungen mitwirken zu können.
Über Teilhabeprozesse wird ein demokratisches Grundver-
ständnis vermittelt, ein wesentlicher Beitrag, um sich in un-
serer Gesellschaft wirklich zu Hause zu fühlen und die De-
mokratie langfristig abzusichern.

Jugendliche sind Trägerinnen und Träger eigener demokrati-
scher Rechte, die gewährleistet und deren tatsächliche Um-
setzung gefördert werden müssen Eine unverzichtbare Vor-
aussetzung für eine stärkere Partizipation von Jugendlichen
ist die Einführung eines Wahlrechts ab 16 Jahren bei Bun-
destagswahlen. Das Wahlrecht ab 16 Jahren ist ein deutliches
Signal an junge Menschen, dass sie von Zukunftsentschei-
dungen, von denen sie selbst am stärksten betroffen sind,
nicht länger ausgeschlossen sind.

Ergebnisse der Jugendsozialisations- und Entwicklungsfor-
schung belegen, dass die Selbständigkeit Jugendlicher durch
veränderte Bedingungen des Aufwachsens zugenommen
hat. Jugendliche sind beispielsweise in ihren Familien zu-
nehmend in Aushandlungsprozesse einbezogen und werden
im Zuge gesellschaftlicher Umbrüche immer früher mit Ent-
scheidungssituationen konfrontiert. Jugendliche sind dane-
ben die Generation, die sich durch die höchste Engagement-
bereitschaft auszeichnet und sich überdurchschnittlich
häufig zivilgesellschaftlich und bürgerschaftlich engagiert.
Sie zeigen durch ihre Mitarbeit in Jugendverbänden, Initiati-
ven und anderen Beteiligungsformen ihre Einsatzbereit-
schaft für die zukunftsfähige Entwicklung unserer Gesell-
schaft. Es bestehen keine hinreichenden Zweifel, dass
Jugendliche von ihrer sozialen Kompetenz, ihrer Reife und
ihrer intellektuellen Urteilsfähigkeit her früher als mit
18 Jahren politisch entscheidungsfähig sind. Daher ist es
nicht begründbar, warum den 16- und 17-jährigen Bürgerin-
nen und Bürgern das Wahlrecht vorenthalten wird. Die
Berechtigung zur Beteiligung an öffentlichen Wahlen sollte
deswegen nicht länger an das heutige Volljährigkeitsalter
von 18 Jahren gebunden werden, sondern auch 16- und
17- Jährigen ermöglicht werden.

bei den Wahlen zur Bürgerschaft 2011 erstmals sogar an einer
Landtagswahl teilnehmen. Landesweite Wahlstatistiken der
Altersgruppe 16 bis 18 liegen derzeit nicht vor. Allerdings
hat eine repräsentative Wahlstatistik, die anlässlich des erst-
maligen Wahlrechts für die 16- und 17-Jährigen 1996 in Nie-
dersachsen durchgeführt wurde, ergeben, dass die Wahlbe-
teiligung der Jugendlichen mit 56,5 Prozent nur leicht unter
dem hannoverschen Durchschnitt von 57 Prozent lag. Die
Analyse kommt zu dem Schluss, dass die 16- und 17-Jährigen
mit ihrer Stimmvergabe sehr rational umgingen. Insbesonde-
re die Ideen der an den Rändern des politischen Spektrums
stehenden Parteien fanden bei den Jugendlichen keinen Wi-
derhall.

Eine der zentralen Herausforderungen einer alternden und
schrumpfenden Gesellschaft ist es, einen fairen Interessen-
ausgleich zwischen den Generationen zu schaffen. Die Inte-
ressen nachfolgender Generationen werden jedoch heute
häufig ignoriert und strukturell vernachlässigt. Im Zuge des
demografischen Wandels könnte sich diese Fehlentwicklung
weiter verschärfen. Die Generationenschichtung wandelt
sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten gravierend.
Bereits im kommenden Jahr werden erstmals weniger Jugend-
liche unter 20 Jahren als Menschen über 65 Jahren in
Deutschland leben. Im Jahr 2050 wird der Anteil der Älteren
in der Gesellschaft fast doppelt so hoch sein wie der der Jün-
geren. Zur Ermöglichung eines fairen Interessenausgleichs
zwischen den Generationen ist eine Absenkung des Wahlal-
ters deshalb sinnvoll und notwendig. Die Senkung des akti-
ven Wahlalters auf 16 Jahre erweitert die demokratischen
Teilhabemöglichkeiten Jugendlicher um einen grundlegen-
den und essenziellen Bereich. Jugendliche werden in den
Medien hauptsächlich defizitorientiert dargestellt, als eine
Risikogruppe, die meistens mit Problemen wie Gewalt,
Alkoholmissbrauch oder Politikverdrossenheit in Verbin-
dung gebracht wird. Dieses Bild entspricht nicht der Realität.
Eine Misstrauenskultur ihnen gegenüber ist unangemessen,
Jugendliche verdienen das Vertrauen der älteren Generatio-
nen. Jugendliche sind die am stärksten zivilgesellschaftlich
engagierte Gruppe und können durchaus politische Verant-
wortung übernehmen.

Deshalb ist jede Wahlaltersgrenze politisch festzulegen. Eine
objektiv messbare „Reife zur Wahl“ gibt es nicht und bedarf
einer gesellschaftlichen und politischen Diskussion. Dieses
Problem kann das immer wieder diskutierte Familienwahl-
recht keinesfalls lösen. Ein durch die Eltern ausgeübtes Stell-
vertreter-Wahlrecht ist ohne die Verletzung elementarer
demokratischer Rechte nicht umsetzbar. Es widerspricht
demokratischen Grundsätzen wie der Gleichheit der Wahl.
Die Wahlentscheidung muss persönlich getroffen werden.
Der politische Wille ist nicht übertragbar. Nur die Absen-
kung des selbst ausgeübten aktiven Wahlalters trägt zur Ver-
wirklichung und Stärkung der demokratischen Rechte Ju-
und Schleswig-Holstein haben das aktive kommunale Wahl-
recht auf 16 Jahre abgesenkt. In Bremen dürfen 16-Jährige

Die Einführung des aktiven Wahlrechts ab 16 Jahren sollte
zusätzlich durch weitere Maßnahmen begleitet werden, so

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Wahlperiode – 5 – D

zum Beispiel durch eine Verstärkung und Verbesserung der
politischen Bildung in Schulen, Jugendeinrichtungen, El-
ternhäusern und Medien. Der Bedarf und das Interesse an
qualifizierten Informationen über die Funktionsweisen unse-
res demokratischen Systems sind bereits heute groß und wer-
den mit einem früheren Wahlrecht bei Jugendlichen weiter
steigen.

Auch sollte früher mit einer politischen Sensibilisierung be-
gonnen werden. Das wiederum kann zu einem verstärkten
politischen Interesse bei ansonsten eher uninteressierten Ju-
gendlichen beitragen und sie zu einem größeren Engagement
motivieren.

Eine Erweiterung der Wahlrechtsmöglichkeiten für Jugend-
liche ist nicht nur ein Gewinn an Selbstbestimmung und Teil-
habechancen, sondern trägt zur Verbesserung und Belebung
der demokratischen Kultur der gesamten Gesellschaft bei.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1

Bei Bundestagswahlen wird das Wahlalter für das aktive
Wahlrecht auf die Vollendung des 16. Lebensjahres herabge-
setzt.

Zu Artikel 2

Die Herabsetzung des Wahlalters soll auch bei Europawah-
len und hier gleichermaßen für Deutsche und in Deutschland
wohnende Unionsbürger gelten.

Zu Artikel 3

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes. Als Zeit-
punkt des Inkrafttretens wurde bewusst ein Termin nach den
Wahlen der Jahre 2013 und 2014 gewählt; dies vor allem,
um den Trägern der Bildungsarbeit, den Schulen, Jugendein-
richtungen und auch den Betroffenen selbst eine hinreichen-
de Zeit zu geben, um sich auf die neu auf sie zukommende
Verantwortung vorzubereiten. Im Übrigen soll das Gesetz
erst nach der erforderlichen Verfassungsänderung in Kraft
treten. Im Verfahren ist sicherzustellen, dass auch die Ver-
kündung erst nach der Verfassungsänderung erfolgt (vgl.
BVerfGE 32, 199, 212; 34, 9, 24 f.).

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