BT-Drucksache 17/12683

Für soziale Gerechtigkeit statt gesellschaftlicher Spaltung - Bilanz nach 10 Jahren Agenda 2010

Vom 12. März 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12683
17. Wahlperiode 12. 03. 2013

Antrag
der Abgeordneten Katja Kipping, Diana Golze, Matthias W. Birkwald,
Dr. Martina Bunge, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Jutta Krellmann,
Cornelia Möhring, Yvonne Ploetz, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer,
Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und
der Fraktion DIE LINKE.

Für soziale Gerechtigkeit statt gesellschaftlicher Spaltung –
Bilanz nach 10 Jahren Agenda 2010

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Am 14. März 2003 hat der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard
Schröder im Deutschen Bundestag mit der Agenda 2010 ein Programm des
offen angekündigten Sozialabbaus vorgelegt. Nachdem SPD und BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN mit der Riester-Rente die Teil-Privatisierung der Alters-
sicherung und mit den ersten beiden Hartz-Gesetzen die Deregulierung des
Arbeitsmarktes bereits beschlossen waren, trieben sie das Programm des
Sozialabbaus durch die Agenda 2010 auf die Spitze. In dem Grundkonflikt
kapitalistischer Gesellschaften zwischen Kapital und Lohnarbeit verschob
die Regierung mit der Agenda 2010 die Kräfteverhältnisse eindeutig zu Las-
ten der abhängig Beschäftigten. Ziele der Agenda 2010 waren die Senkung
der Löhne und der Abbau des Sozialstaats.

2. Gewerkschaftlich und politisch erkämpfte Rechte der Beschäftigten – gute
Löhne, gute Arbeit, Flächentarifverträge und damit starke Gewerkschaften,
Kündigungsschutz und ein paritätisch finanzierter, gut ausgebauter Sozial-
staat – galten plötzlich als Hindernisse für den Standortwettbewerb und für
Beschäftigung. Arbeitslosigkeit wurde als Problem falscher „Anreize“ fehl-
interpretiert. Die soziale Absicherung und die angeblich fehlende Eigenver-
antwortung der Erwerbslosen wurden zur Ursache der Massenerwerbslosig-
keit erklärt. SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN machten die Deregulie-
rung der Arbeitsmärkte und den Abbau der paritätisch finanzierten Sozialver-
sicherungen zum Handlungsauftrag ihrer Regierung. Ganz offen formulierte
der damalige Bundeskanzler die neue Richtung der Regierungspolitik: „Wir
werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und
mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen.“ (Regierungser-

klärung „Mut zum Frieden und Mut zur Veränderung“, Plenarprotokoll des
Deutschen Bundestages 15/32)

3. Mit der Umsetzung der konkreten Maßnahmen der Agenda 2010 wurde der
Prozess der gesellschaftlichen Spaltung massiv beschleunigt. Durch die Kür-
zung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes, die Abschaffung der Arbeits-
losenhilfe durch die Einführung von „Hartz IV“ auf Sozialhilfeniveau und

Drucksache 17/12683 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

die drastische Verschärfung der Zumutbarkeits- und Sanktionsregeln wurde
die soziale Sicherung der Erwerbslosen radikal zusammengekürzt und in
ihrem Charakter grundlegend verändert. Durch den Nachhaltigkeitsfaktor
wurde das Rentenniveau nach der sog. Riester-Reform noch einmal abge-
senkt. In der Gesundheitspolitik wurde das Krankengeld durch die Abschaf-
fung eines Feiertags teilprivatisiert; die Versicherten mussten zudem weitere
Belastungen durch deutlich ausgeweitete Zuzahlungen und Eigenanteile
ertragen. Die sozialen Auswirkungen dieser Aktivitäten: Privatisierung so-
zialer Risiken, Verletzung sozialer Grundrechte und massive Entlastung der
Unternehmen. Damit ging auch eine Ausgrenzung von Sozialleistungsbezie-
henden aus demokratischen Prozessen und ein Abbau ihrer demokratischen
Rechte einher.

4. Das Versprechen mehr Erwerbsarbeit zu schaffen, wurde nicht eingelöst.
Zwar ist die Zahl der Erwerbstätigen gestiegen, die Zahl der geleisteten Ar-
beitsstunden liegt dagegen im Jahr 2011 auf demselben Niveau wie im Jahr
2000. Die Bilanz von zehn Jahren Deregulierung und Flexibilisierung zeigt
damit nicht einen Zuwachs, sondern lediglich eine Umverteilung von Arbeit:
Vollzeitarbeitsplätze sind zurück gegangen, Teilzeitarbeit und insbesondere
geringfügige Beschäftigung haben massiv zugenommen. Aus sozialpoliti-
scher Perspektive ist entscheidend, dass sich die Qualität der Arbeit massiv
verschlechtert hat – besonders betroffen sind Frauen. Der Anteil prekärer und
nicht Existenz sichernder Arbeit, wie Leiharbeit und Minijobs, steigt enorm
an. Im Niedriglohnsektor arbeiten mittlerweile fast acht Millionen Beschäf-
tigte. Etwa 1,3 Millionen Erwerbstätige beziehen ergänzend Hartz-IV-Leis-
tungen. Die öffentliche Hand subventioniert mit Steuergeldern in Milliarden-
höhe prekäre Arbeitsverhältnisse.

5. Die Lohnquote ist seit dem Jahr 2000 um etwa 5 Prozentpunkte gefallen. Der
wirtschaftliche Zuwachs ist damit an den abhängig Beschäftigten vorbei ge-
gangen. Der Großteil der Menschen in Deutschland hat in den ersten zehn
Jahren des neuen Jahrtausends real – teilweise dramatische – Einkommens-
verluste erlitten, während sich der Zuwachs bei den reichsten 10 Prozent der
Gesellschaft konzentriert (vgl. Bundesregierung: Lebenslagen in Deutsch-
land, Entwurf des 4. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung
vom 17. September 2012, S. XX). Folglich hat sich auch die Verteilung des
gesellschaftlichen Reichtums immer weiter auseinanderentwickelt. Nach den
Angaben der Bundesregierung im Vierten Armuts- und Reichtumsbericht
verfügen die obersten 10 Prozent der Bevölkerung über die Hälfte des Ver-
mögens, während die untere Hälfte gerade einmal 1 Prozent besitzt. Vermö-
gende und Unternehmen waren die sozialen Nutznießer der Agenda-Politik.
Ihre Einkommen und Vermögen sind in den ersten zehn Jahren des Jahrtau-
sends dramatisch gestiegen, während die Einkommen und Vermögen der
Mehrheit stagniert oder sogar gesunken sind. In der Finanzmarktkrise sind
die Vermögen der Wohlhabenden durch die öffentliche Hand – auf Kosten
massiver Staatsverschuldung – geschützt worden.

6. Die Strukturreformen durch die Agenda 2010 veränderten den Sozialstaat
grundlegend. Dies zeigt sich besonders drastisch bei der sozialen Sicherung
von Erwerbslosen. Durch die Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosen-
geldes und die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe droht den Beschäftigten im
Falle der Erwerbslosigkeit schnell der soziale Absturz. Zudem wird über-
haupt nur noch ein kleiner Teil der Erwerbslosen über die Arbeitslosenversi-
cherung abgesichert. Zwei Drittel der Erwerbslosen ist mit Hartz IV auf be-
dürftigkeitsgeprüfte und repressive Fürsorgeleistungen angewiesen. Die
Höhe der Grundsicherungsleistungen ist bewusst niedrig angesetzt worden,
um vermeintlich nötige Anreize zur Arbeitsaufnahme zu setzen. „Wir haben

einen funktionierenden Niedriglohnsektor aufgebaut, und wir haben bei der
Unterstützungszahlung Anreize dafür, Arbeit aufzunehmen, sehr stark in den

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Vordergrund gestellt“, teilte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder
in Davos 2005 in einer Rede mit. Hartz IV ist Armut und Ausgrenzung per
Gesetz: Diese Aussage ist unverändert zutreffend. Die Reformen in der Al-
terssicherung und in der Gesundheitspolitik zielten vornehmlich auf eine Re-
duzierung des Leistungsniveaus der Sozialversicherungen und auf die Verla-
gerung der Kosten für die sozialen Risiken auf die Versicherten. Damit
werden Sicherungslücken und sozialer Ausschluss vorprogrammiert sowie
teure marktförmige Sicherungssysteme ohne sozialen Ausgleich gefördert.
Nutznießer dieses Abbaus des Leistungsniveaus der Sozialversicherungen
sind ausschließlich die Unternehmen, deren Beteiligung an der Finanzierung
der sozialen Sicherungssysteme – sogenannte Lohnnebenkosten – reduziert
wurde.

7. In Ostdeutschland hat die Agenda 2010 besonders katastrophale Wirkungen
gezeitigt. Der ohnehin zerrüttete Arbeitsmarkt ist durch Hartz IV, Billiglöhne,
Zeitarbeit und Aufstockerpraxis weiter geschwächt worden. Im Resultat des-
sen ist auch heute noch die Arbeitslosigkeit im Osten doppelt so hoch wie im
Westen, die Löhne und Gehälter liegen nach wie vor bei nur rd. 75 Prozent
derer im Westen, die Zahl der Billiglohn- und Zeitarbeitsverhältnisse mit
ihren verheerenden Wirkungen auch auf die künftigen Renten ist im Osten
doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt, die Abwanderung vornehmlich
junger Menschen in den Westen mit ihren Konsequenzen für die gesellschaft-
liche Entwicklung hält unvermindert an. Die vom Grundgesetz geforderte
Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist mit der Agenda 2010 in
noch weitere Ferne gerückt.

8. Rhetorisch wurde die Agenda 2010 als ein Beitrag zur Förderung der sozialen
Mobilität angepriesen. „Aktivierung“ und „Fordern und Fördern“ waren die
Schlüsselwörter bei Hartz IV; der Umbau des Sozialstaats in ein „Trampolin“
war das Leitmotiv im so genannten Schröder-Blair-Papier von 1998, mit dem
der soziale Kahlschlag ideologisch vorbereitet wurde. Auch hier zeigt die
Bilanz: Misserfolg auf ganzer Linie. Die Zahl der Menschen in Armut hat seit
Ende der 90er-Jahre deutlich zugenommen. Die Mittelschicht in Deutschland
schrumpft dagegen seit 15 Jahren. Soziale Mobilität findet in erster Linie als
Abstieg statt. Hinzu kommt, dass die Verharrungstendenzen zunehmen. Wer
einmal abgestiegen ist, kommt nicht wieder hoch (Bertelsmann Stiftung
(Hg.): Mittelschicht unter Druck? Gütersloh 2012). Besonders dramatisch ist,
dass Armut zunehmend nicht nur eine vorübergehende Episode im Lebens-
lauf bleibt, sondern sich dauerhaft verfestigt; immer mehr Menschen werden
schlicht abgehängt. Der Anteil der Menschen in dauerhafter Armut stieg seit
Ende der 90er-Jahre von 4,7 Prozent auf 8,5 Prozent (2009) an (Bundesregie-
rung: Lebenslagen in Deutschland. Der Vierte Armuts- und Reichtumsbericht,
2013, S. 462).

9. Soziale Polarisierung bei Vermögen und Einkommen, Privatisierung sozialer
Risiken, Missachtung sozialer Grundrechte und ein massiver Qualitätsverlust
der Arbeit: Das ist die Bilanz der Agenda 2010. Dass dieser Angriff auf die
sozialen Rechte von der Mehrheit der Menschen zutreffend als Verstoß gegen
grundlegende Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit angesehen wurde, zeig-
ten die zahlreichen Proteste gegen die Agenda 2010. Ungeachtet der erschre-
ckenden sozialen Bilanz gilt die Agenda 2010 der politischen Elite weiterhin
als Erfolg. So hat die amtierende Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel ihrem
Vorgänger in ihrer ersten Regierungserklärung 2005 „ganz persönlich“ ge-
dankt, „dass er mit seiner Agenda 2010 mutig und entschlossen eine Tür auf-
gestoßen hat, eine Tür zu Reformen, und dass er die Agenda gegen Wider-
stände durchgesetzt hat“ (http://archiv.bundesregierung.de/Content/DE/
Archiv16/Regierungserklaerung/2005/11/2005-11-30-regierungserklaerung-

von-bundeskanzlerin-angela-merkel.html). Folgerichtig steht auch die Politik
der beiden Regierungen von Dr. Angela Merkel – unabhängig von dem jewei-

Drucksache 17/12683 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

ligen Koalitionspartner – in einer weitgehenden Kontinuität zur Agenda
2010. Mit Maßnahmen, wie beispielsweise der Rente erst ab 67 Jahren und
dem sog. Sparpaket von 2010 mit zahlreichen Kürzungen im Sozialhaushalt,
setzten die Regierungen von Dr. Angela Merkel den Kurs der rot-grünen
Regierung konsequent fort. Eine politische Strategie zur Bekämpfung von
sozialer Ungleichheit und Armut findet sich dagegen nicht. Trotz massiver
sozialer Verwerfungen propagiert Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel die
neoliberalen Reformen der Agenda 2010 nunmehr auch gegenüber den EU-
Partnerländern. Die europäischen Partnerländer sollen sich in ihrer Politik an
der Agenda 2010 orientieren. Mit dieser Politik forciert die Bundeskanzlerin
einen europaweiten Wettbewerb zu Lasten von Löhnen und Sozialstandards.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

ein Programm zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit – eine „Agenda Sozial“ –
aufzulegen. Ein solches Programm verteilt die Früchte des wirtschaftlichen
Fortschritts von oben nach unten um, verringert die soziale Ungleichheit, und
nutzt damit den Reichtum der Gesellschaft für die Stärkung des sozialen Zusam-
menhalts.

1. Mit einer umfassenden Strategie wird das Ziel guter Arbeit verfolgt. Die Ver-
handlungsmacht der Gewerkschaften und das System der Flächentarifver-
träge sind zu stärken. Die Beschäftigten werden über eine höhere Lohnquote
mehr am wirtschaftlichen Zugewinn beteiligt. Erwerbslosigkeit und Nied-
riglöhnen wird entgegengetreten und prekäre Beschäftigung eingedämmt.
Stattdessen wird gut entlohnte, mindestens aber existenzsichernde und sozial
abgesicherte Arbeit gefördert. In diesem Zusammenhang sind folgende erste
Schritte notwendig:

a) Die Möglichkeiten zur Befristung von Arbeitsverträgen werden stark ein-
geschränkt, der Kündigungsschutz wird ausgebaut. Die erzwingbare Mit-
bestimmung der Beschäftigten wird auf personelle und wirtschaftliche
Fragen ausgedehnt.

b) Es wird ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 10 Euro ein-
geführt; die Allgemeinverbindlicherklärung von höheren tariflichen (Min-
dest-)Löhnen wird erleichtert.

c) Als Sofortmaßnahmen müssen in der Leiharbeit das Prinzip „gleicher
Lohn für gleiche Arbeit“ und eine Flexibilitätsprämie eingeführt werden,
langfrist ist Leiharbeit zu verbieten. Minijobs werden in sozialversiche-
rungspflichtige Beschäftigung umgewandelt.

d) Zur Umverteilung der Tätigkeiten sowohl zwischen Männern und Frauen,
zur gerechteren Verteilung der Erwerbsarbeit sowie zur Prävention von
stressbedingten Erkrankungen wird eine Offensive gegen die Entgrenzung
der Arbeitszeit und für Arbeitszeitverkürzung initiiert. Diese Offensive
sucht die Zusammenarbeit mit den Tarifparteien und zielt auf eine Redu-
zierung der maximal zulässigen Wochenarbeitsstunden, den Kampf gegen
Überstunden, auf Maßnahmen gegen grenzenlose Erreichbarkeitsanforde-
rungen während der Freizeit sowie auf die Förderung von individuellen
Formen der Arbeitszeitverkürzung, wie z. B. Sabbatjahre, ab.

e) Der sozial-ökologische Umbau sowie die Konversion von Rüstungspro-
duktion hin zu ziviler Produktion sollen durch ein entsprechendes Kon-
junkturprogramm unterstützt werden.

2. Mit einer umfassenden Reform wird das Steuersystem umgebaut. In der
Summe der Maßnahmen werden bis zu 180 Mrd. Euro für die notwendige ge-
sellschaftliche Umverteilung von oben nach unten, von privat zu öffentlich

und zu Gunsten eines zukunftsfähigen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells
mobilisiert.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/12683

a) Vermögende und große Unternehmen werden wieder nach dem fundamen-
talen Prinzip der Steuergerechtigkeit, der Besteuerung nach der wirtschaft-
lichen Leistungsfähigkeit und zur Finanzierung des Gemeinwesens heran-
gezogen. Hierzu werden Vermögende durch eine Reform der Erbschafts-
und Schenkungsteuer sowie die Wiedererhebung der Vermögensteuer in
Form der Millionärsteuer höher besteuert. Die Millionärsteuer beinhaltet,
dass der Teil des Privatvermögens von Millionären, welcher oberhalb von
1 Mio. Euro liegt mit 5 Prozent besteuert wird. Große Unternehmen wer-
den insbesondere durch die Anhebung des Körperschaftsteuersatzes von
15 auf 25 Prozent stärker belastet. Banken und Finanzinstitute werden ge-
zielt durch die Einführung der Finanztransaktionssteuer höher belastet.

b) Auch bei der Einkommensteuer erfolgt eine konsequente Rückkehr zum
Grundprinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähig-
keit. Durch die Anhebung des Grundfreibetrags auf 9 300 Euro, die Be-
gradigung des Tarifverlaufs, die Anhebung des Spitzensteuersatzes auf
53 Prozent ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen in Höhe von
65 000 Euro, die Einführung einer Reichensteuer mit einem Satz in Höhe
von 75 Prozent ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen in Höhe von
1 Mio. Euro sowie die Besteuerung von Kapitalerträge zum persönlichen
Steuersatz wird die Bevölkerungsmehrheit mit niedrigen und mittleren
Einkommen bis zu einer Einkommenshöhe von 6 000 Euro brutto entlastet
und dafür hohe Einkommen stärker in die Pflicht genommen.

3. Der soziale Schutz von Erwerbslosen und die Arbeitsförderung werden aus-
gebaut.

a) Der Schutz durch die Arbeitslosenversicherung wird deutlich verbessert.
Insbesondere werden die Einschnitte durch die Agenda 2010 wieder zu-
rückgenommen und Sperrzeiten beim Arbeitslosengeld abgeschafft. Um
die Bundesagentur für Arbeit zu konjunkturpolitischem Handeln zu be-
fähigen, wird die Defizithaftung des Bundes wieder eingeführt und die
Abschaffung des Finanzierungsbeitrags des Bundes zur Arbeitsförderung
zurückgenommen.

b) Hartz IV muss überwunden und durch eine sanktionsfreie soziale Min-
destsicherung ersetzt werden. Auf dem Weg zu diesem Ziel ist eine so-
fortige Anhebung der Regelsätze auf 500 Euro, die Abschaffung der Sank-
tionen und der Bedarfsgemeinschaftskonstruktion sowie die deutliche
Aufstockung des Eingliederungstitels für Maßnahmen der aktiven Ar-
beitsförderung nötig.

c) Die Arbeitsförderung darf nicht Motor für prekäre Beschäftigung sein. Sie
ist auf nachhaltige Arbeitsförderung und Vermittlung in gute Arbeit aus-
zurichten. Aus- und Weiterbildung von Erwerbslosen sowie von Beschäf-
tigten wird ausgebaut. Es werden neue Rahmenbedingungen geschaffen
für gute öffentlich geförderte Beschäftigung.

4. In der Rentenpolitik werden Sicherungsziele wieder in den Mittelpunkt ge-
stellt und die Ziele der Lebensstandardsicherung sowie der Armutsvermei-
dung in der gesetzlichen Rentenversicherung verankert, indem das Siche-
rungsniveau vor Steuern auf mindestens 53 Prozent festgelegt, der
Solidarausgleich ausgebaut und eine Solidarische Mindestrente eingeführt
werden.

Drucksache 17/12683 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

5. Eine gute Versorgung in Gesundheit und Pflege ist politisch zu organisieren
mit einer solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung. Kurzfristig
werden die Kürzungen in der Gesundheitspolitik durch die Agenda 2010
zurückgenommen. Leistungskürzungen und Zuzahlungen durch das Gesetz
zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung werden ebenso
zurückgenommen wie der Sonderbeitrag der Versicherten in Höhe von
0,9 Prozentpunkten. Die paritätische Finanzierung wird wiederhergestellt.

Berlin, den 12. März 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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