BT-Drucksache 17/12496

Syrische Flüchtlinge nicht im Stich lassen

Vom 27. Februar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12496
17. Wahlperiode 27. 02. 2013

Antrag
der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Tom Koenigs, Volker Beck (Köln),
Memet Kilic, Viola von Cramon-Taubadel, Ingrid Hönlinger, Jerzy Montag,
Kerstin Müller (Köln), Dr. Konstantin von Notz, Claudia Roth (Augsburg),
Wolfgang Wieland und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Syrische Flüchtlinge nicht im Stich lassen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Angesichts der Eskalation der Gewalt in Syrien sucht eine immer größer wer-
dende Zahl von Menschen Zuflucht in den Nachbarländern, für die die Auf-
nahme und Versorgung der Schutzsuchenden zunehmend zu einer Belastung
werden. Bis zu 70 000 Menschen sind nach Schätzungen der Vereinten Nationen
bereits ums Leben gekommen, zu Beginn des Jahres hat sich allein die Zahl der
registrierten Flüchtlinge auf mehr als 830 000 erhöht. Bis Juni 2013 wird die
Zahl der syrischen Flüchtlinge nach Schätzungen der Vereinten Nationen auf
1,1 Millionen ansteigen.

In Deutschland wenden sich täglich verzweifelte Menschen mit Familie in
Syrien an das Auswärtige Amt und an Abgeordnete des Deutschen Bundestages
mit der Bitte, ihnen beim Nachzug ihrer Angehörigen aus Syrien und den Nach-
barländern Syriens zu helfen.

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) hat bereits
mehrfach an den Bundesminister des Innern und die Innenminister der Länder
appelliert, syrischen Flüchtlingen in Deutschland den Nachzug von Familien-
angehörigen aus der Region unabhängig vom Vorliegen der auf nationaler oder
europarechtlicher Ebene geregelten Familiennachzugsvoraussetzungen zu er-
leichtern.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages,
Ruprecht Polenz (CDU), und der Beauftragte der Bundesregierung für Men-
schenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Markus Löning (FDP), haben sich
bereits für eine Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland ausgesprochen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. weitere Mittel, die gemessen an der Wirtschaftskraft Deutschlands einen

fairen Anteil an dem von den Vereinten Nationen ermittelten Hilfsbedarf
ausmachen, zur Unterstützung der Anrainerstaaten bei der Aufnahme und
Versorgung der syrischen Flüchtlinge bereitzustellen;

2. syrische Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen und dafür auch gegenüber
den EU-Mitgliedstaaten zu werben;

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3. die Einreise von syrischen Staatsangehörigen, die von ihren Angehörigen
nach Deutschland eingeladen werden, erheblich zu erleichtern;

4. den Abschiebestopp für syrische Staatsangehörige in Deutschland zu verlän-
gern und den Betroffenen einen sicheren Aufenthaltsstatus zu gewähren;

5. sich gegenüber den Ländern dafür einzusetzen, dass syrische Studierende in
Deutschland aufenthaltsrechtlich so gestellt werden, dass sie ihr Studium
nicht abbrechen müssen;

6. keine Überstellungen von syrischen Asylsuchenden im Rahmen des Dublin-
II-Verfahrens in EU-Mitgliedstaaten vorzunehmen, in denen kein vollständi-
ger Abschiebestopp nach Syrien besteht;

7. sich im Rat der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass alle Mitglied-
staaten einen vollständigen Abschiebestopp nach Syrien veranlassen und den
syrischen Flüchtlingen einen sicheren Aufenthaltsstatus gewähren;

8. das deutsch-syrische Rückübernahmeabkommen unverzüglich aufzukündi-
gen.

Berlin, den 26. Februar 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Zu Nummer 1

Vier Millionen Syrerinnen und Syrer sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.
2,5 Millionen brauchen dringend Nahrungsmittelhilfe. Zwei Millionen Men-
schen sind in Syrien auf der Flucht. Über 750 000 mussten in Nachbarländer
fliehen. Der harte Winter und die dramatische Versorgungslage erschweren die
ohnehin untragbare Situation. Die Vereinten Nationen (VN), das Internationale
Komitee vom Roten Kreuz, der Rote Halbmond und andere Hilfsorganisationen
benötigen die tatkräftige Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, um
das Leid in Syrien und den Anrainerstaaten zu mindern. Zwar wurden auf der
internationalen Geberkonferenz für Syrien am 30. Januar 2013 Hilfszusagen von
1,5 Mrd. US-Dollar abgegeben, diese Mittel werden aber nur bis Juni 2013 aus-
reichen. Die Bundesregierung steht daher in der Pflicht, ihre zugesagten Mittel
schnell auszuzahlen und weitere humanitäre Hilfe zu leisten.

Zu Nummer 2

Direkte Unterstützung kann die Bundesregierung auch durch die Aufnahme von
syrischen Flüchtlingen aus den Nachbarländern Syriens leisten. Das wäre ein
Zeichen der Solidarität für syrische Flüchtlinge und die Nachbarländer, die mit
der Aufnahme der Flüchtlinge an ihre Grenzen stoßen.

Zu Nummer 3

Es häufen sich Hilfeersuchen verzweifelter in Deutschland lebender syrischer
Staatsangehöriger, die keine Möglichkeit haben, Verwandte zu sich zu holen.
Grund hierfür sind die strengen Vorgaben beim Familiennachzug, die eine Ein-
reise nur für die „Kernfamilie“ – dies sind Ehegatten und minderjährige Kinder
anerkannter Flüchtlinge und Asylberechtigter – zulassen. Bei anderen Schutz-

berechtigten ist der Nachzug selbst von Ehegatten und minderjährigen Kindern

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12496

in aller Regel ausgeschlossen. Der Nachzug weiterer Verwandter wie erwach-
sener Kinder, Geschwister oder Eltern zu ihren in Deutschland lebenden An-
gehörigen ist unabhängig von deren Status nahezu ausgeschlossen.

Auch deutschen Staatsangehörigen syrischer Abstammung gelingt es kaum,
Verwandte nach Deutschland zu holen, selbst wenn die Finanzierung des Auf-
enthalts gesichert ist. Denn ein Visum wird regelmäßig unter Hinweis auf eine
Rückkehrprognose und mangelnde Verwurzelung der Antragsteller im Heimat-
land abgelehnt. Vor diesem Hintergrund muss in Bezug auf syrische Staats-
angehörige dringend eine Lösung außerhalb der strengen Regelungen zum
Familiennachzug gefunden werden. Die Anordnung des Auswärtigen Amts vom
12. Oktober 2012 in Bezug auf Erleichterungen beim Erfordernis des Nachwei-
ses ausreichender deutscher Sprachkenntnisse für den Familiennachzug reicht
hier bei weitem nicht aus.

Zu Nummer 4

Für die bereits in Deutschland aufgenommenen Syrerinnen und Syrer muss die
Situation verbessert werden. Die Innenminister der Länder haben sich mit dem
Bundesminister des Innern zwar darauf verständigt, den Abschiebungsstopp für
Syrien zu verlängern. Eigentlich stünde damit geduldeten Flüchtlingen aus
Syrien laut Gesetz eine Aufenthaltserlaubnis zu. Nach dem Beschluss der Innen-
ministerien sollen sie aber weiterhin lediglich Duldungen bekommen.

Zu Nummer 5

Etwa 2 100 syrische Studentinnen und Studenten leben in Deutschland. Viele
haben existenzielle Probleme. Sie können ihren Lebensunterhalt nicht mehr
sichern, weil Geldtransaktionen aus Syrien nicht mehr möglich sind. Hier muss
schnell und möglichst unbürokratisch geholfen werden. Ein Abdrängen der Be-
troffenen ins Asylsystem und damit die Aufgabe des Studiums müssen verhin-
dert werden.

Zu Nummer 6

Während nur wenige EU-Mitgliedstaaten weiterhin versuchen, syrische Staats-
angehörige nach Syrien abzuschieben, gibt es aus einigen Mitgliedstaaten,
darunter Griechenland, beunruhigende Berichte, wonach Syrern der Zugang
zum Staatsgebiet oder Asylverfahren verweigert wird und sie in Nachbarländer,
beispielsweise die Türkei, zurückgeschoben werden. Die große Mehrheit der
EU-Mitgliedstaaten hat jedoch keinen förmlichen Abschiebestopp nach Syrien
erlassen. Syrer sollten auch nicht in die Nachbarstaaten Syriens zurückgeschickt
werden, da diese Staaten ohnehin die große Mehrheit der Kriegsflüchtlinge auf-
genommen haben und zudem über keine Asylgesetzgebung zum Schutz von
Flüchtlingen verfügen.

Zu Nummer 7

Die Behandlung und der Schutzstatus für syrische Flüchtlinge sind innerhalb der
EU von großen Unterschieden gekennzeichnet. Viele EU-Mitgliedstaaten,
darunter Deutschland und Schweden, garantieren Flüchtlingen aus Syrien ein
gewisses Maß an Sicherheit. In anderen hingegen, wie beispielsweise Griechen-
land, können Flüchtlinge kaum auf Hilfe hoffen; ihnen drohen Internierung und
Abschiebung. Es müssen gemeinsame Schritte unternommen werden, um
Flüchtlingen aus Syrien in allen EU-Mitgliedstaaten akzeptable Bedingungen
und einen sicheren Aufenthaltsstatus zu garantieren. Dabei ist die Auffassung
des UNHCR zu beachten, wonach syrische Zivilistinnen und Zivilisten mit gro-
ßer Wahrscheinlichkeit unter die Flüchtlingsdefinition der Genfer Flüchtlings-

konvention fallen.

Drucksache 17/12496 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Zu Nummer 8

In Anbetracht des immer brutaleren Vorgehens der syrischen Regierung hat
Deutschland den diplomatischen Druck auf diese erhöht. Dazu passt jedoch
nicht, dass das Anfang 2009 in Kraft getretene Rückübernahmeabkommen
zwischen Deutschland und Syrien weiterhin in Kraft bleibt. Auch wenn derzeit
praktisch keine Rückführungen nach Syrien möglich sind, ist eine unverzügliche
Aufkündigung des Rückübernahmeabkommens dringend erforderlich, da es
jegliches menschenrechtliche Fundament vermissen lässt. Das Festhalten an
dem Abkommen verleiht dem derzeitigen Regime Baschar al-Assads den An-
schein völkerrechtlicher Anerkennung und sendet zudem ein falsches Signal an
eine künftige syrische Staatsführung.

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