BT-Drucksache 17/12451

Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidungen sichern - Korruptives Verhalten effektiv bekämpfen

Vom 25. Februar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12451
17. Wahlperiode 25. 02. 2013

Antrag
der Abgeordneten Kathrin Vogler, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Dr. Martina
Bunge, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia
Möhring, Yvonne Ploetz, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Harald Weinberg,
Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidungen sichern – Korruptives Verhalten
effektiv bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Eine gesetzliche Regelung zur Strafbarkeit der Bestechung von Ärztinnen und
Ärzten sowie von Zahnärztinnen und Zahnärzten ist dringend erforderlich. Denn
seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 29. März
2012, Az.: GSSt 2/11) steht fest, dass die „Bestechung“ von niedergelassenen
Vertragsärztinnen und -ärzten durch die Pharmaindustrie nach jetziger Gesetzes-
lage nicht strafbar ist.

Der BGH entschied, dass die geltenden Straftatbestände gegen Korruption
(§§ 299 und 331 ff. des Strafgesetzbuchs – StGB) nicht anwendbar sind, wenn
Vertragsärztinnen und -ärzte von einem Pharmaunternehmen Vorteile als Ge-
genleistung für die Verordnung von Arzneimitteln dieses Unternehmens ent-
gegennehmen. Allerdings verwies der BGH im Hinblick auf die Entscheidung
darüber, ob korruptives Verhalten im Gesundheitswesen strafwürdig ist und
zukünftig mittels neu zu schaffender Straftatbestände verfolgt werden sollte,
ausdrücklich auf den Gesetzgeber.

Der BGH-Beschluss führte zur Einstellung von Tausenden Ermittlungsverfahren
wegen Bestechlichkeit gegen niedergelassene Vertragsärztinnen und -ärzte und
wegen Bestechung gegen Pharmareferentinnen und -referenten. Die jetzige
Situation könnte von beiden Seiten geradezu als Freibrief verstanden werden,
wenn nicht kurzfristig eine Gesetzesänderung erfolgt, die korruptives Verhalten
im Gesundheitswesen unter Strafe stellt.

Die bestehenden Regelungen gegen korruptive Handlungen von Ärztinnen und
Ärzten sind nicht ausreichend wirksam. Das Berufsrecht verbietet es zwar Ärz-
ten, zum Beispiel Geschenke oder andere Vorteile anzunehmen oder sich ver-
sprechen zu lassen. Allerdings sind diese Regelungen bei vielen Ärztinnen und

Ärzten wenig bekannt und können vor allem auch nur mangelhaft durchgesetzt
werden. Prinzipiell sind Sanktionen bis hin zum Widerruf der Approbation
durch die zuständige Landesbehörde möglich, de facto können aber nur äußerst
selten derart spürbare Sanktionen verhängt werden. Die Selbstüberwachung
durch berufsrechtliche Regelungen ist hier grundsätzlich wenig angebracht. Es

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existieren keine Anreize für die beauftragten Körperschaften der Ärzteschaft,
effektiv gegen korruptive Handlungen im Zusammenhang mit der ärztlichen
Tätigkeit vorzugehen. Außerdem bleiben diejenigen, welche die Vorteile ge-
währen (z. B. die Industrie) verschont, obwohl die Initiative häufig gerade von
diesen ausgeht.

Auch die Regelungen im Sozialrecht (vor allem § 128 des Fünften Buches
Sozialgesetzbuch – SGB V), die seit 2009 die unzulässige Zusammenarbeit zwi-
schen Vertragsärztinnen und -ärzten und nichtärztlichen Leistungserbringern,
z. B. auch im Zusammenhang mit der Arzneimittelverordnung, gesetzlich ver-
bieten, kranken von Anfang an an mangelhaften Ermittlungs- und Sanktions-
kompetenzen der beauftragten Institutionen der Selbstverwaltung. Insbesondere
die Selbstüberwachung der Ärzteschaft durch die zuständigen ärztlichen Kör-
perschaften hat aller Verbote zum Trotz offensichtlich nicht ausreichend zu einer
Verbesserung der Situation beigetragen. Sowohl berufs- als auch sozialrecht-
liche Normen sind immanent ungeeignet, korruptive Handlungen effektiv zu be-
kämpfen. Die Institutionen der Selbstverwaltung können die Arbeit von Straf-
verfolgungsbehörden nicht ersetzen.

Expertinnen und Experten schätzen den Schaden durch Korruption für das deut-
sche Gesundheitssystem auf jährlich 5 bis 17 Mrd. Euro, wobei von einer hohen
Dunkelziffer ausgegangen werden muss. Korruption im Gesundheitswesen
beschränkt sich keinesfalls auf die Beeinflussung (zahn-)ärztlichen Verhaltens
durch die Industrie. Der Versichertengemeinschaft und den Patientinnen und
Patienten wird darüber hinaus ein großer materieller und auch gesundheitlicher
Schaden durch korruptives Verhalten einer Vielzahl von Akteuren zugefügt. Die
zentrale Rolle von Ärztinnen und Ärzten bei der medizinischen Behandlung und
die großen Geldsummen, die diese Leistungen oft kosten, prädestinieren sie für
Vorteilsangebote Dritter. Dabei erstreckt sich das korruptive Verhalten häufig
auf Zahlungen der Pharmaindustrie für das unwirtschaftliche Verordnen be-
stimmter Arzneimittel zum Schaden des Kostenträgers, aber auch für soge-
nannte Anwendungsbeobachtungen. Zahlungen oder weitere geldwerte Vorteile
anderer Leistungserbringerinnen und -erbringer, auch Krankenhäuser, werden
auch für die Überweisung von Patientinnen und Patienten (Fangprämien) ge-
währt. Überzogene Vortrags- oder Beratungshonorare werden ebenfalls zur
„Honorierung“ des ärztlichen Verordnungsverhaltens eingesetzt.

Nichtärztliche medizinische Berufe genauso wie der Krankenhaussektor, die
Medizintechnik, die Rehabilitation, die Pharmazie oder der Wissenschaftsbe-
reich sind ebenfalls in den Fokus zu nehmen. Auch für diese gilt es mittelfristig,
wirksame Regelungen zur Bekämpfung von korruptivem Verhalten einzuführen.
Da aber die Entscheidungen über Diagnose und Therapie – bei Zustimmung der
Patientin bzw. des Patienten – in der Regel Ärztinnen und Ärzte treffen, ist hier
eine gesetzliche Regelung besonders wichtig.

Selbstverständlich haben alle Patientinnen und Patienten das Recht auf eine gute
und unabhängige Behandlung, ungeachtet, wer die Behandlung bezahlt oder ob
sie ambulant oder stationär erfolgt. Der BGH-Beschluss sollte zum Anlass ge-
nommen werden, die fachliche Unabhängigkeit von und für Ärztinnen und
Ärzte als hohes Gut zu definieren und entsprechend zu schützen. Die Gesund-
heitsversorgung muss sich am medizinischen Bedarf und Patienteninteresse und
nicht am Interesse der Anbieter ausrichten. Der Arztberuf ist gekennzeichnet
durch eine besonders große Verantwortung für das Wohl der Patientinnen und
Patienten. Bei der Behandlung von gesetzlich Versicherten übernimmt die Ärz-
tin bzw. der Arzt aber auch Verantwortung für eine wirtschaftliche Verordnungs-
weise und damit für die finanzielle Stabilität des Solidarsystems. Beide Güter
sind besonders schützenswert und rechtfertigen eine spezielle Strafnorm, die

Ärztinnen und Ärzten in ihrer fachlichen Unabhängigkeit schützt.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12451

Bereits seit dem Jahr 2004 besteht eine Berichtspflicht im Sozialgesetzbuch
(§ 81a Absatz 5 bzw. § 197a Absatz 5 SGB V) über die Tätigkeiten der „Stellen
zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen“. Diese sind bei den
Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen bzw. deren Verbänden
eingerichtet, um unter anderem korruptives Verhalten im Gesundheitswesen zu
beobachten und zu dokumentieren. Die Ausgestaltung des Berichtsauftrags und
die entsprechenden Kompetenzen der Stellen sind jedoch offenbar ungeeignet,
tatsächlich ausreichende Informationen darüber zu erhalten, denn auch acht
Jahre nach Einführung der Berichtspflicht im Zweijahresturnus verfügt die Bun-
desregierung über enttäuschend wenige Daten über das Ausmaß und die Aus-
wirkungen von korruptiven Handlungen (Bundestagsdrucksache 17/10547).
Auch neue Daten wurden bis Ende Januar 2013 nicht an die Parlamentarier wei-
tergeleitet.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. schnellstmöglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, demzufolge korruptives
Verhalten von Ärztinnen und Ärzten, von Zahnärztinnen und Zahnärzten so-
wie von anderen Leistungserbringerinnen und -erbringern und sonstigen
Beteiligten im Gesundheitswesen, etwa der Pharma- und Medizinprodukte-
industrie, unter Strafe gestellt oder in weniger schweren Fällen mit einer
Geldbuße geahndet wird. Durch § 130 des Gesetzes über Ordnungswidrig-
keiten entsteht durch die Schaffung von Straf- und Ordnungswidrigkeiten-
tatbeständen auch eine Haftung der Unternehmen, sofern sie korruptives
Verhalten ihrer Beschäftigten nicht wirksam unterbinden.

a) Eine Ärztin oder ein Arzt, die oder der für die ärztliche Tätigkeit einen
mehr als geringfügigen Vorteil annimmt oder eine Person, die einen sol-
chen Vorteil gewährt, verhält sich strafbar bzw. ordnungswidrig. Von dem
neuen Straftatbestand bzw. der Ordnungswidrigkeit werden sowohl mate-
rielle als auch immaterielle Vorteile umfasst.

b) Zur Verantwortung gezogen werden somit sowohl Empfängerinnen und
Empfänger von Bestechungsgeldern und Vorteilen, als auch diejenigen,
die bestechen bzw. Vorteile gewähren oder versprechen, zum Beispiel die
Vertreterinnen und Vertreter der Pharma- oder Medizinprodukteindustrie
sowie auch deren Arbeitgeber. Für Tätigkeiten außerhalb der ärztlichen
Leistungserbringung an der Patientin bzw. dem Patienten, wie etwa Fach-
vorträge oder Gutachten, mit denen Einfluss auf das Leistungsgeschehen
im Gesundheitswesen genommen wird, dürfen Vorteile nur in einem an-
gemessenen Rahmen gewährt werden, sodass daraus kein Umgehungstat-
bestand manifestiert wird.

c) Die Strafbarkeit sollte über den beim BGH beratenen Gegenstand hinaus
nicht nur für Vertragsärztinnen und -ärzte gelten, sondern muss sämtliche
selbständig tätigen Ärztinnen und Ärzte sowie Zahnärztinnen und Zahn-
ärzte einbeziehen, damit auch Privatversicherte, Selbstzahlerinnen und
Selbstzahler sowie durch Arbeits- und Wegeunfälle Geschädigte und
Patientinnen und Patienten in zahnärztlicher Behandlung nicht schlechter-
gestellt werden.

d) Die Strafbarkeit muss auch für angestellte Ärztinnen und Ärzte gelten.
Zwar könnten sich Angestellte bereits nach dem bestehenden § 299 StGB
strafbar machen. Doch dieser Straftatbestand erscheint hier nicht geeignet,
da dessen Schutzgut des freien Wettbewerbs und damit primär den Schutz
der jeweiligen Arbeitgeberin bzw. des jeweiligen Arbeitgebers und dessen
Mitbewerberinnen und Mitbewerber, hier nicht greift. Vielmehr ist eine
spezielle Strafrechtsnorm notwendig, die explizit den Schutz der Patien-

tinnen und Patienten zum Ziel hat;

Drucksache 17/12451 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
2. die Berichtspflichten in den §§ 81a und 197a SGB V dahingehend zu kon-
kretisieren, dass aussagefähige Daten über das Ausmaß der Korruption im
Gesundheitswesen erhoben werden. Diese Daten sollen zeitnah zusammen
mit einer Zusammenfassung eingeführter oder geplanter Maßnahmen zur
Bekämpfung dieser Missstände dem Deutschen Bundestag vorgelegt werden.

Berlin, den 25. Februar 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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