BT-Drucksache 17/12358

Wirksamkeit sozialgesetzlicher und berufsrechtlicher Möglichkeiten zur Sanktionierung der Korruption im Gesundheitswesen

Vom 18. Februar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12358
17. Wahlperiode 18. 02. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kathrin Vogler, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Dr. Martina
Bunge, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Cornelia Möhring, Jens Petermann, Yvonne
Ploetz, Kathrin Senger-Schäfer, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich und der
Fraktion DIE LINKE.

Wirksamkeit sozialgesetzlicher und berufsrechtlicher Möglichkeiten zur
Sanktionierung der Korruption im Gesundheitswesen

Der Bundesgerichtshof (BGH, Beschluss vom 29. März 2012, Az. GSSt 2/11)
entschied, dass die geltenden Straftatbestände des § 299 und der §§ 331 ff.
des Strafgesetzbuchs (StGB) nicht anwendbar sind, wenn Vertragsärztinnen und
Vertragsärzte von einem Pharmaunternehmen Vorteile als Gegenleistung für die
Verordnung von Arzneimitteln dieses Unternehmens entgegennehmen. Seitdem
steht fest, dass die „Bestechung“ von niedergelassenen Vertragsärztinnen und
Vertragsärzten durch die Pharmaindustrie nach jetziger Gesetzeslage nicht
strafbar ist. Deshalb wies der BGH die Entscheidung darüber, ob korruptives
Verhalten im Gesundheitswesen strafwürdig ist und zukünftig mittels neu zu
schaffender Straftatbestände verfolgt werden sollte, ausdrücklich zurück an den
Gesetzgeber.

In der Kleinen Anfrage vom 8. August 2012 richteten Abgeordnete der Fraktion
DIE LINKE. im Deutschen Bundestag einen Fragenkatalog an die Bundes-
regierung zu ärztlichem Fehlverhalten und möglichen Sanktionierungen der Be-
stechung von niedergelassenen Vertragsärztinnen und Vertragsärzten (s. Bun-
destagsdrucksache 17/10440).

In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage (s. Bundestagsdrucksache 17/10547)
erklärt die Bundesregierung, dass etwaige Konsequenzen aus dem BGH-Be-
schluss sorgfältig geprüft werden müssten, und die Bundesregierung „derzeit“,
d. h. im Sommer 2012, damit befasst gewesen sei.

Da der Bundesregierung zu vielen Fragen keine Erkenntnisse vorlagen, initi-
ierte sie eine Abfrage bei den für die Umsetzung dieser Vorschriften zuständi-
gen Institutionen und Verbänden (Kassenärztliche Bundesvereinigung, Kassen-
zahnärztliche Bundesvereinigung, Bundesärztekammer, Bundeszahnärztekam-
mer und GKV-Spitzenverband). Diese Abfrage wurde am 22. August 2012 ver-
sandt, mit Befristung zur Beantwortung bis zum 4. Oktober 2012. Knapp vier
Monate nach der Kleinen Anfrage dauerte die Auswertung der Antworten

immer noch an (vgl. Antwort auf die Schriftliche Frage 93 der Abgeordneten
Kathrin Vogler vom 20. Dezember 2012 auf Bundestagsdrucksache 17/11976).

Zu Beginn des Jahres 2013 haben sich nicht nur die gesetzlichen Krankenkassen,
sondern selbst Abgeordnete aus den Reihen der Fraktion der CDU/CSU und eine
CDU-Landesjustizministerin dahingehend geäußert, dass gesetzliche Neurege-
lungen und ggf. auch Verschärfungen im Strafrecht notwendig wären (vergleiche
unter anderem: Ärztezeitung vom 7. Januar 2013, Handelsblatt vom 2. Januar

Drucksache 17/12358 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2013, DIE WELT vom 8. Januar 2013, Westfalenblatt vom 3. Januar 2013).
Auch der Bundesminister für Gesundheit, Daniel Bahr, hat ausdrücklich klarge-
stellt, dass bei Korruption im Gesundheitswesen Ermittlungen der Staatsanwalt-
schaften zukünftig möglich sein müssten. (www.derwesten.de vom 18. Januar
2013).

Eine Gesetzesänderung muss – sofern es noch innerhalb dieser Legislaturperiode
erfolgen soll – schnell in die Wege geleitet werden. Mit dieser konkreten Erwar-
tungshaltung äußerte sich inzwischen auch der Patientenbeauftragte der Bundes-
regierung (www.spiegel.de vom 18. Januar 2013).

Die Antworten der angefragten Institutionen und Verbände wurde den fragenden
Abgeordneten nicht weitergeleitet, stattdessen tauchten Zahlen daraus in der
Presse auf (Handelsblatt vom 8. Januar 2013, DER SPIEGEL vom 13. Januar
2013 und FAZ vom 18. Januar 2013). Auf Nachfrage des Gesundheitsausschus-
ses des Deutschen Bundestages wurden am 28. Januar 2013 viele, aber nicht alle
Daten aus den Antworten in einem nichtöffentlichen Bericht den Abgeordneten
zur Verfügung gestellt. Rückschlüsse bleibt die Bundesregierung nach wie vor
schuldig.

Daher werden nicht oder nichtöffentlich beantwortete Fragen aus der Kleinen
Anfrage vom 8. August 2012 erneut gestellt, in der konkreten Erwartung, dass
sie nach über einem Vierteljahr beantwortet werden können. Auch sollen die
Antworten der Institutionen und Verbände so der Öffentlichkeit zugänglich
gemacht werden, da sie von öffentlichem Interesse sein dürften.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat die Bundesregierung die Absicht, die Berichte der Selbstverwaltungs-
organe im Original zu veröffentlichen oder wenigstens den Abgeordneten
des Deutschen Bundestages zugänglich zu machen?

Wenn ja, wann?

2. Welche Rückschlüsse zieht die Bundesregierung aus der Prüfung der Konse-
quenzen des genannten BGH-Beschlusses vom 29. März 2012 und aus der
Auswertung der Antworten der maßgeblichen Verbände?

3. Stimmt die Bundesregierung nach Auswertung und Prüfung dieser Angaben
insbesondere mit dem Appell des Großen Strafsenats des BGH überein, der
„die grundsätzliche Berechtigung des Anliegens, Missständen, die – allem
Anschein nach – gravierende finanzielle Belastungen des Gesundheitssys-
tems zur Folge haben, mit Mitteln des Strafrechts effektiv entgegenzutreten“,
anerkennt?

4. Sieht die Bundesregierung korruptives Verhalten niedergelassener Vertrags-
ärztinnen und Vertragsärzte als strafwürdig an?

Wenn ja, plant sie eine entsprechende Gesetzesinitiative?

5. Sieht die Bundesregierung korruptives Verhalten der Pharmaindustrie und
anderer Unternehmen als strafwürdig an, das auf die Beeinflussung der
Leistungserbringung im Gesundheitswesen abzielt?

Wenn ja, plant sie eine entsprechende Gesetzesinitiative?

6. Bleibt die Bundesregierung auch nach Kenntnis der Antwort des GKV-
Spitzenverbandes auf die Abfrage der Bundesregierung der Meinung, dass
die Regelungen in § 128 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) im
Hilfsmittelbereich zu einem „deutlichen Rückgang korruptiver Praktiken“
(Bundestagsdrucksache 17/10547) geführt hat (wenn ja, bitte mit Zahlen be-

legen)?

Wenn nein, plant sie sozialrechtliche Gesetzesänderungen, um die Intention
des § 128 SGB V wirksamer zu verfolgen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12358

7. Wie hat sich insbesondere das Verhältnis der pharmazeutischen Unter-
nehmer zu niedergelassenen Vertragsärztinnen und Vertragsärzten durch
§ 128 SGB V verändert (bitte mit Zahlen belegen)?

8. Wie viele und welche Verträge nach § 128 Absatz 6 in Verbindung mit
Absatz 3 SGB V wurden abgeschlossen?

9. Wie häufig wurden nach Kenntnis der Bundesregierung den Krankenkas-
sen Verstöße gegen die Absätze 2 und 6 des § 128 SGB V seit dem Jahr
2009 bekannt (bitte jeweils nach Jahren aufschlüsseln)?

10. Wie häufig wurden nichtärztliche Leistungserbringerinnen und Leistungs-
erbringer von der Versorgung der Versicherten durch die Kassen durch An-
wendung von § 128 Absatz 3 Satz 2 SGB V ausgeschlossen (bitte jeweils
Berufsgruppe, Jahr und Art des Verstoßes angeben)?

11. Wie oft wurden andere Sanktionen gemäß § 128 Absatz 3 SGB V durch die
Kassen verhängt (bitte nach Art der Sanktion, Jahr und Art des Verstoßes
aufschlüsseln)?

12. Sofern die Auswertung und Prüfung durch die Bundesregierung noch im-
mer nicht abgeschlossen sein sollten, bis wann erwägt die Bundesregie-
rung, Auswertung und Prüfung abzuschließen, und plant sie, eine Gesetzes-
änderung noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg zu bringen?

13. Wie oft wurden nach Kenntnis der Bundesregierung durch die zuständigen
Landesärztekammern eigenständig berufsrechtliche Verfahren wegen Ver-
stoß gegen die §§ 31, 34 Absatz 5 der (Muster-)Berufsordnung eingeleitet
(bitte jeweils nach Bundesland für die letzten fünf Jahre aufschlüsseln)?

14. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dieser Zahl
angesichts der Tatsache, dass allein im Zusammenhang mit dem sog. Ratio-
pharm-Skandal bundesweit Ermittlungsverfahren gegen 3 000 Vertragsärzte
eingeleitet wurden (vgl. z. B. SPIEGEL ONLINE vom 30. Oktober 2010
„Geld und Gefälligkeiten)?

15. Wie oft wurden nach Kenntnis der Bundesregierung im Zusammenhang
mit dem Ratiopharm-Skandal von den zuständigen Landesärztekammern
berufsrechtliche Sanktionen wegen Verstößen gegen die §§ 31, 34 Absatz 5
der (Muster-)Berufsordnung verhängt (bitte jeweils nach Bundesland für
die letzten fünf Jahre aufschlüsseln)?

16. Welche tatsächlichen Ermittlungskompetenzen haben die zuständigen
Landesärztekammern, um einen Verstoß gegen die §§ 31, 34 Absatz 5 der
(Muster-)Berufsordnung (MBO-Ä) wirksam zu verfolgen?

17. Sind berufsrechtliche Sanktionen bei korruptivem Verhalten von Vertrags-
ärzten nach Ansicht der Bundesregierung angemessen und sachgerecht,
wenn fast ein Fünftel der Ärzte die Regelung in § 31 MBO-Ä entweder
nicht kennen oder sich nie für sie interessiert haben (vgl. Prof. Dr. Kai-D.
Bussmann: Unzulässige Zusammenarbeit im Gesundheitswesen durch
„Zuweisung gegen Entgelt“; empirische Studie im Auftrag des GKV-
Spitzenverbandes, 2012)?

18. Unter welchen Voraussetzungen ist es nach Kenntnis der Bundesregierung
bei einem Verstoß gegen die §§ 31, 34 Absatz 5 der Musterberufsordnung
bislang zu einem Widerruf der Approbation durch die zuständige Landes-
behörde gekommen?

19. Welche Ermittlungsmöglichkeiten haben die zuständigen Landesbehörden,
um einem möglichen Verstoß gegen die §§ 31, 34 Absatz 5 der Muster-
berufsordnung nachzugehen?

Drucksache 17/12358 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
20. Wie häufig ist Ärztinnen und Ärzten nach Kenntnis der Bundesregierung
wegen korruptivem Verhalten die Approbation in den letzten fünf Jahren
widerrufen worden (bitte nach Bundesland und Jahren aufschlüsseln)?

21. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung in diesem Zu-
sammenhang aus der Tatsache, dass ausweislich der Rechtsprechung der
Verwaltungsgerichte in Ermangelung eigener Ermittlungsmöglichkeiten
der Landesgesundheitsbehörden in der Regel zumindest ein rechtskräftiger
Strafbefehl für den Widerruf der Approbation vorausgesetzt wurde (vgl.
etwa BVerwG, Beschl. v. 18. August 2011 – 3 B 6.11)?

22. Wie häufig ist Vertragsärztinnen und Vertragsärzten nach Kenntnis der
Bundesregierung die Kassenzulassung in den letzten fünf Jahren wegen
korruptivem Verhalten tatsächlich entzogen worden (bitte nach Bundes-
land, Jahren und Grund des Zulassungsentzugs aufschlüsseln)?

23. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache,
dass auch dafür nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte in Ermange-
lung eigener Ermittlungsmöglichkeiten der Zulassungsausschüsse in der
Regel zumindest ein rechtskräftiger Strafbefehl für den Entzug der Kassen-
zulassung vorausgesetzt werden dürfte (vgl. Großbölting/Jaklin, NZS 2002,
525, 528)?

24. Wie begründet die Bundesregierung ihre Antwort auf die Kleine Anfrage
(Bundestagsdrucksache 17/10547, Frage 40), das Urteil des Verwaltungs-
gerichts Berlin zur Herausgabe der bei der kassenärztlichen Bundesvereini-
gung gesammelten Daten über verschriebene Medikamente und Honorare
an Transparency International zeige, dass für Informationen zu Anwen-
dungsbeobachtungen eine Transparenz gegeben sei, wo doch diese Bereit-
stellung der Daten nicht freiwillig durch die Kassenärztliche Bundesver-
einigung erfolgte, sondern vor Gericht erstritten werden musste und die
Sichtung von 9 000 Seiten nun durch ehrenamtliche Mitglieder von Trans-
parency International erfolgen muss (www.badische-zeitung.de, 9. Januar
2013)?

25. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Mitwirkung
der kassenärztlichen Organisationen und des GKV-Spitzenverbandes an
den zweijährlich vorzulegenden Berichten nach den §§ 81a und 197a
SGB V in jeweils in qualitativer und quantitativer Hinsicht?

26. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung jeweils aus der
Beantwortung der vom Bundesministerium für Gesundheit initiierten Ab-
frage von Seiten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Kassen-
zahnärztlichen Bundesvereinigung, der Bundesärztekammer, der Bundes-
zahnärztekammer und des GKV-Spitzenverbandes in qualitativer und quan-
titativer Hinsicht?

27. Wie viel Geld haben Ärztinnen und Ärzte für die Durchführung von An-
wendungsbeobachtungsstudien in den letzten fünf Jahren erhalten?

28. Hat die Bundesregierung nunmehr Erkenntnisse über den Geldbetrag der
Vorteile und Vergünstigungen, die insgesamt in Deutschland für die Ver-
ordnung von bestimmten Arzneimitteln gewährt und entgegen genommen
werden?

Wenn ja, wie hoch beziffert sie diesen?

Berlin, den 18. Februar 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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