BT-Drucksache 17/12291

Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes auf die Entwicklung beim Menschenhandel

Vom 6. Februar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12291
17. Wahlperiode 06. 02. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Monika Lazar, Ekin Deligöz, Britta
Haßelmann, Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, Dr. Konstantin von Notz, Tabea
Rößner, Arfst Wagner (Schleswig) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes auf die Entwicklung beim
Menschenhandel

Seit dem Jahr 2002 gilt in Deutschland ein Prostitutionsgesetz (ProstG). Mit
dem Gesetz wurde festgestellt, dass Prostitution in Deutschland nicht verboten
und nicht sittenwidrig ist. Mit der Neufassung wollte der Gesetzgeber die recht-
liche Situation von Prostituierten verbessern und zugleich den in diesem Be-
reich oftmals vorherrschenden kriminellen Begleiterscheinungen, die auch dem
Bereich der organisierten Kriminalität zugerechnet werden müssen, die Grund-
lage entziehen.

In der Öffentlichkeit gibt es unterschiedliche Einschätzungen zu den Auswir-
kungen des Prostitutionsgesetzes in Bezug auf die organisierte Kriminalität. In
einer Studie für die Europäische Kommission kamen die Forscher Seo-Young
Cho, Axel Dreher und Eric Neumayer zum Ergebnis, dass die Liberalisierung
des Prostitutionsrechtes zu einer Ausweitung des Menschenhandels führen
würde. Die Forscher berufen sich in ihrer Studie insbesondere auf Zahlen der
International Labour Organization aus den Jahren 1998 bis 2003. Kritiker be-
mängeln, dass die Studie – obwohl im Jahr 2011 veröffentlicht – keine neueren
Zahlen nutzt. Durch die im Jahr 2001 erfolgte EU-Osterweiterung seien andere
Faktoren entscheidend für den nur vorübergehenden Anstieg der Opferzahlen.

Das Bundeskriminalamt (BKA) dagegen weist in seinem jährlichen Bundes-
lagebericht zum Menschenhandel keinen Anstieg der Anzahl der mutmaßlichen
Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung aus. Im Ge-
genteil, während im Jahr 2000 926 Menschen mutmaßlich Opfer dieses Verbre-
chens wurden (2001: 987, 2002: 811, 2003: 1 235), sind die Zahlen seit dem Jahr
2003 stark rückläufig. Im Jahr 2010 wurden noch 610 Menschen Opfer von
Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und im Jahr 2011 640.
Das entspricht einem Rückgang um 31 Prozent im Vergleich zum Jahr 2001 und
sogar um 48 Prozent im Vergleich zum Höchststand im Jahr 2003. In den 40 Op-
ferberatungsstellen zum Thema Menschenhandel wurden laut „Bundeslage-
bericht Menschenhandel“ des Bundeskriminalamtes in Deutschland im Jahr
2011 202 Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung
beraten.
Die Zahl der erfassten Fälle von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen
Ausbeutung sank laut Polizeilicher Kriminalstatistik im Jahr 2010 mit 621 er-
fassten Fällen auf den niedrigsten Stand des Jahrtausends und blieb mit 636
erfassten Fällen im Jahr 2011 auf diesem Niveau (zum Vergleich: 2000: 1 016
Fälle, 2001: 746 Fälle).

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Ähnliches gilt für die Anzahl der Tatverdächtigen nach § 232 des Strafgesetz-
buches – StGB (Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung), de-
ren Anzahl dem Bericht zufolge im Jahr 2011 im Vergleich zum Jahr 2001 um
10 Prozent zurückging und im Vergleich zum Jahr 2003 sogar um 33 Prozent.
Das BKA kommt in seinem Bundeslagebericht Menschenhandel 2011 zum
Fazit, dass das durch diesen Kriminalitätsbereich ausgehende Gefährdungs-
potential „begrenzt“ sei.

Laut Polizeilicher Kriminalstatistik sind auch andere früher mit dem sogenann-
ten Rotlichtmilieu verbundene Straftaten rückläufig. Die Anzahl der Tatver-
dächtigen nach § 180a StGB (Ausbeutung von Prostituierten) reduzierte sich
vom Jahr 2001 zum Jahr 2011 um 95 Prozent, die der tatsächlich Verurteilten
um 99 Prozent (Quelle: Statistisches Bundesamt, Strafverfolgung, Fachserie
10, Reihe 3). Auch der Tatbestand der Zuhälterei (§ 181a StGB) wurde in deut-
lich geringerem Ausmaß erfüllt; die Zahl der Tatverdächtigen verringerte sich
um 66 Prozent, die der Verurteilten um 81 Prozent im genannten Zeitraum.

Im Bereich der organisierten Kriminalität liegt der Anteil der Kriminalität im
Zusammenhang mit dem Nachtleben (wozu neben den bereits genannten
Themenfeldern auch illegales Glücksspiel zählt) an der gesamten organisierten
Kriminalität im Jahr 2011 bei 3,6 Prozent (Quelle: BKA, „Organisierte Krimi-
nalität“, Bundeslagebild 2011). Insgesamt wurde in 21 Fällen ermittelt. Das
bedeutet einen Rückgang um 89 Prozent seit dem Jahr 2001. Im selben Zeitraum
hat die Bedeutung der organisierten Kriminalität im Zusammenhang mit dem
Nachtleben im Vergleich zu anderen Bereichen von knapp 11 Prozent im Jahr
2001 auf nunmehr 3,6 Prozent abgenommen.

Andererseits wird in vielen Stellungnahmen und Berichten von einer hohen
Dunkelziffer im Bereich des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Aus-
beutung ausgegangen. Eine konkrete Dunkelfeldstudie wurde jedoch bis heute
nicht erstellt.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat einen Gesetzentwurf zur Verbes-
serung der Situation von Opfern von Menschenhandel in Deutschland vorgelegt
(Bundestagsdrucksache 17/10843), der aktuell in den Ausschüssen des Deut-
schen Bundestages beraten wird. Darin fordert die Fraktion unter anderem einen
besseren Opferschutz durch Änderungen des Aufenthaltsrechts. Durch eine ver-
besserte Sicherheit des Aufenthaltstitels für Opfer von Menschenhandel soll die
Erhellung des Dunkelfelds verbessert und die Strafverfolgung von Tätern er-
leichtert werden. Darüber hinaus soll eine Entschädigung der Opfer durch einen
Ausgleichsfonds und verbesserten Zugang zu medizinischen und psychothera-
peutischen Leistungen erleichtert werden. Die möglicherweise bestehende fi-
nanzielle Abhängigkeit soll durch den Abbau von Hürden beim Zugang zum Ar-
beitsmarkt und beim Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialge-
setzbuch (SGB II) reduziert werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Fälle nach § 232 StGB (bzw. 180a und 181 StGB alte Fassung, zu-
sammen: Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung) erfasste
das BKA seit dem Jahr 2000 (bitte nach Jahren unterteilt auflisten)?

2. Gegen wie viele Tatverdächtige wurde nach Kenntnis der Bundesregierung
seit dem Jahr 2000 aufgrund des § 232 StGB (Menschenhandel zum Zweck
der sexuellen Ausbeutung) ermittelt, und wie viele Verurteilungen gab es in
diesem Zeitraum (bitte nach Jahren unterteilt auflisten)?

3. Gab es im genannten Zeitraum einen signifikanten Anstieg oder Rückgang
der Anzahl der Fallzahlen nach § 232 StGB, und wenn ja, wie erklärt die

Bundesregierung diese Entwicklung?

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4. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass sich nach Angaben des BKA
die Anzahl der mutmaßlichen Opfer von Menschenhandel zum Zweck der
sexuellen Ausbeutung vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2011 um knapp
31 Prozent verringert hat und im Vergleich zum Jahr 2003 sogar um
48 Prozent zurückgegangen ist?

5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des BKA, wonach das Gefähr-
dungspotential des Kriminalitätsbereiches des Menschenhandels zum
Zweck der sexuellen Ausbeutung „begrenzt“ bleibt (Bundeslagebericht
Menschenhandel 2011)?

6. Wie viele Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeu-
tung wurden seit dem Jahr 2001 von den Opferberatungsstellen zum
Thema beraten (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

7. Wie hoch ist der Anteil der Opfer, die von Opferberatungsstellen betreut
wurden, und welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um
den Anteil zu erhöhen?

8. Welche anderen gesicherten Zahlen zur Anzahl der Opfer von Menschen-
handel kennt die Bundesregierung für die Jahre 2000 bis 2011 (bitte nach
Jahren unterteilt auflisten), und welche Entwicklung kann die Bundesregie-
rung hier erkennen?

9. Hat die Bundesregierung eine Studie zur Ermittlung des Ausmaßes des
Dunkelfelds des Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung
in Deutschland erstellt?

Wenn ja, welche Erkenntnisse über Ausmaß und Entwicklung hat die Bun-
desregierung daraus gewonnen?

Wenn nein, plant die Bundesregierung die Erstellung einer solchen Studie?

10. Vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Liberalisierung der
Prostitution durch das ProstG im Jahr 2002 zu einer Ausweitung des Phä-
nomens des Menschenhandels von Frauen zum Zweck der sexuellen Aus-
beutung geführt hat, und wie begründet die Bundesregierung diese Auffas-
sung?

11. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass sich der Anteil der „Organisier-
ten Kriminalität im Zusammenhang mit dem Nachtleben“ (vor allem Pros-
titution, Menschenhandel, Glücksspiel) im Vergleich zur gesamten organi-
sierten Kriminalität von 10,1 Prozent im Jahr 2000 auf 3,6 Prozent im Jahr
2011 reduziert hat, und welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus die-
sem Befund?

12. Plant die Bundesregierung Änderungen beim Aufenthaltsrecht, um Opfern
von Menschenhandel einen erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt bzw.
einen sicheren Aufenthaltsstatus zu gewährleisten, um eine Aufhellung des
Dunkelfelds und eine Verbesserung der Strafverfolgung von Tätern zu er-
reichen?

Wenn ja, welche sind dies?

Wenn nein, wieso nicht?

13. Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um die finanzielle
Abhängigkeit von Opfern von Menschenhandel von den Tätern zu verrin-
gern und so eine Aufhellung des Dunkelfelds und eine Verbesserung der
Strafverfolgung von Tätern zu erreichen?

14. Wie viele Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für Opfer von
Menschenhandel nach § 25 Absatz 4a des Aufenthaltsgesetzes wurden seit

Einführung der Regelung im Jahr 2007 jährlich gestellt?

Drucksache 17/12291 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
15. Wie viele der beantragten Aufenthaltserlaubnisse wurden erteilt, und wie
viele wurden aus welchen Gründen abgelehnt?

Berlin, den 6. Februar 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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