BT-Drucksache 17/12225

Transparenz und öffentliche Kontrolle im Prozess der Organspende herstellen

Vom 31. Januar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12225
17. Wahlperiode 31. 01. 2013

Antrag
der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Kathrin Vogler, Diana Golze, Matthias W.
Birkwald, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Yvonne
Ploetz, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Harald Weinberg, Sabine
Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Transparenz und öffentliche Kontrolle im Prozess der Organspende herstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit Jahren gibt es Kritik an den am Prozess von Organspende und Transplanta-
tion beteiligten Institutionen. Mit den Vorkommnissen in den Transplantations-
zentren der Universitätsmedizin Göttingen und des Universitätsklinikums Re-
gensburg ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Akteure der Organspende
weiter gesunken. Gesetzliche Krankenkassen, wie die Allgemeinen Ortskran-
kenkassen und die SBK Siemens-Betriebskrankenkasse, wollen der gesetzlichen
Verpflichtung zum Versand der Organspendeausweise nicht nachkommen, be-
vor Kontrolle und strikte Transparenz hergestellt worden sind. Die große Zahl
der Fälle zeigt, dass es sich nicht nur um Einzelfälle handelt.

Die Bereitschaft zur Organspende in der Bevölkerung hängt stark vom Ver-
trauen in das Gesundheitssystem und in den Prozess von Organspende und
Transplantation ab. Eine zwingende Voraussetzung für Vertrauen in den Organ-
spendeprozess ist größtmögliche Transparenz. Die Entscheidungen über die
Vergabe, Organisation und Verwaltung der Organspende müssen der öffent-
lichen Kontrolle unterliegen. Alle Regelungen, von der Organvergabe bis zum
Kontroll- und Prüfsystem, müssen auf den Prüfstand.

Weitreichende Änderungen sind nötig, kleinere Nachjustierungen reichen nicht.
Die Intensivierung von Kontrollen in den Transplantationszentren durch anlass-
bezogene Prüfungen oder vermehrte Stichproben, das Erweitern der Prüfungs-
kommission um weitere Experten, das Einsetzen einer Task Force sowie die
engere Kooperation von Prüfungskommissionen, Behörden und Staatsanwalt-
schaft sind zu begrüßen. Interdisziplinäre Transplantationskonferenzen, nach-
vollziehbare Dokumentationen, klare Verantwortlichkeiten sind ebenso not-
wendig wie die Veröffentlichung von Prüfberichten, eine Verstärkung der
Rechtsaufsicht und anonyme Meldestellen. Doch damit allein wird die Trans-
parenz im Organspendeprozess und das Vertrauen bei potentiellen Organspen-

derinnen und Organspendern nicht wesentlich erhöht. Eine Überprüfung der
rechtlichen und organisatorischen Strukturen auf Transparenz und demokra-
tische Legitimierung macht grundlegende Änderungen unabdingbar. Die Richt-
linien über die Zuteilung und die Vergabekriterien müssen verbindlich und
transparent gestaltet werden.

Drucksache 17/12225 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Ob eine Erweiterung vom Vier- auf ein Sechs-Augen-Prinzip bei den Wartelisten
im ansonsten intransparenten System der Organspende genügt, um Manipula-
tionen zu verhindern, darf bezweifelt werden. Sanktionsmöglichkeiten, wie
Approbationsentzug greifen nach Aussagen der Bundesärztekammer nicht,
wenn Ärzte aus altruistischen Gründen Wartelisten zum Wohle ihrer Patien-
tinnen und Patienten manipulieren und gegen festgelegte Allokationsrichtlinen
verstoßen, ohne einen Straftatbestand zu erfüllen. Bonuszahlungen für Leis-
tungsmengen in der Transplantationschirurgie setzen Fehlanreize, die beseitigt
werden müssen. Darüber hinaus sind die strukturellen Ursachen für Fehlverhal-
ten zu ändern. Denn Anreize für Missbrauch entstehen auch im System des Or-
ganspendeprozesses selbst.

Die organisatorisch zentralen Fragen der Organzuteilung, wie die Festlegung
von Kriterien der Wartelisten und die praktische Verteilung der Organe, bei de-
nen es aufgrund der Mangelsituation um Fragen von Leben und Tod geht, sind
im Transplantationsgesetz (TPG) nicht befriedigend gelöst. So liegt die Richt-
linienkompetenz für die Organzuteilung bei der Bundesärztekammer – einem
nicht eingetragenen Verein, der nicht gesellschaftlich legitimiert und kontrolliert
ist. Die Allokationsrichtlinien bei der Bundesärztekammer enthalten neben der
Gefahr von Schlupflöchern, wie dem „beschleunigten Verfahren“, auch Rege-
lungen, die nicht in erster Linie medizinisch-fachliche, sondern ethische oder
sogar rechtliche Bedeutung haben und daher in die Hände des Gesetzgebers ge-
hören. Die Verteilung von Organen ist an eine im Ausland beheimatete Stiftung
(Eurotransplant International Foundation) abgetreten, die nicht dem deutschen
Recht unterliegt. Dadurch fehlt jede verbindliche Transparenz und Kontrolle.

Im Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes vom 21. Juli 2012 wur-
den die Rechte der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) gestärkt und
ihre Kompetenzen erweitert. Doch die DSO ist als Stiftung des Privatrechts nur
bedingt geeignet, als Koordinierungsstelle für Organtransplantationen zu fun-
gieren. Die Koordinierungsstelle kann verbindliche Verfahrensanweisungen
(z. B. durch Dienstanweisungen oder Verwaltungsvorschriften) nur erlassen,
wenn sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts oder als öffentlich-rechtliche
Institution unter der Fachaufsicht eines Bundesministeriums organisiert ist.
Interne Vorkommnisse innerhalb der DSO sowie Berichte über Vorteilsnahme,
über die die Presse berichtete, tragen nicht dazu bei, das Vertrauen der Bevölke-
rung in die DSO zu stärken. Diese Fehlentwicklungen haben strukturelle Ursa-
chen, die nicht innerhalb des Stiftungsrechts zu beseitigen sind, sondern nur
durch eine Änderung der Rechtsform und der Schaffung einer Fachaufsicht.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die am 27. August 2012 im Spitzenge-
spräch des Bundesministeriums für Gesundheit vereinbarten Maßnahmen um-
setzt und die folgenden Regelungen enthält:

1. Ausweitung der Kontrollen in den Transplantationszentren durch regelmä-
ßige, unangekündigte Prüfungen, die gewährleisten, dass die Transplanta-
tionszentren turnusmäßig alle zwei Jahre kontrolliert werden;

2. zusätzliche und fortlaufende Kontrollen bei erhärtetem Verdacht auf Manipu-
lationen oder nicht regelgerechtes Führen der Wartelisten;

3. vermehrte Stichproben, das Erweitern der Prüfungskommission um weitere
Experten, das Einsetzen einer Task Force sowie die engere Kooperation von
Prüfungskommissionen, Behörden und Staatsanwaltschaft;

4. interdisziplinäre Transplantationskonferenzen, nachvollziehbare Dokumen-
tationen, klare Verantwortlichkeiten sowie die Veröffentlichung von Prüf-

berichten, eine Verstärkung der Rechtsaufsicht und anonyme Meldestellen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12225

5. verbindliche und transparente, öffentlich legitimierte, dem wissenschaft-
lichen Stand entsprechende Richtlinien über die Zuteilungskriterien von Or-
ganen, Geweben und Gewebezubereitungen;

6. Definition und Festlegung verbindlicher Verfahrensanweisungen und Kon-
trollen für die Koordinierungsstelle;

7. Einrichtung der Koordinierungsstelle in der Rechtsform einer Körperschaft
des öffentlichen Rechts oder einer öffentlich-rechtlichen Institution in Fach-
aufsicht eines Bundesministeriums;

8. Begrenzung der Zahl der Transplantationszentren;

9. Erstattung eines jährlichen Berichts an den Deutschen Bundestag über das
Transplantationsgeschehen in Deutschland auf der Grundlage von unabhän-
gigen Studien;

10. Einrichten eines bundesweiten öffentlichen Registers zur anonymen Erfas-
sung sämtlicher Transplantationen unter besonderer Berücksichtigung der
Vergabe im beschleunigten Verfahren oder an Non-Residents (Menschen
aus Staaten, die nicht zum Eurotransplant-System gehören); Erfassung auch
des Versichertenstatus;

11. Einrichten eines Registers für Fehlverhalten unter Wahrung des Daten-
schutzes;

12. Verbot von Gratifikationen, Bonizahlungen und anderen Anreizen zur Men-
genausweitung;

13. Ausweitung von arbeits-, berufs- und standesrechtlichen Sanktionen auf
Ärztinnen und Ärzte, die aus altruistischen oder anderen Gründen Warte-
listen manipulieren.

Berlin, den 30. Januar 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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