BT-Drucksache 17/11918

Maßnahmen zur Stärkung der deutsche Lebensversicherer: Notwendigkeit und Alternativen

Vom 14. Dezember 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11918
17. Wahlperiode 14. 12. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Dr. Thomas Gambke, Britta
Haßelmann, Lisa Paus, Kerstin Andreae, Sven-Christian Kindler,
Maria Klein-Schmeink, Dr. Tobias Lindner, Elisabeth Scharfenberg und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Maßnahmen zur Stärkung der deutschen Lebensversicherer: Notwendigkeit
und Alternativen

Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum SEPA-Begleitgesetz wurden sei-
tens der Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP Maßnahmen zur Stärkung
der Leistungsfähigkeit der deutschen Lebensversicherer umgesetzt. Neben der
Teilkollektivierung der Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen (RfB)
wurde im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) eine Neuregelung der Beteili-
gung der Versicherten an den Bewertungsreserven der Lebensversicherer vor-
genommen. Künftig sollen – in Abhängigkeit von der Umlaufrendite – nur noch
bestimmte Teile der Bewertungsreserven festverzinslicher Wertpapiere in der
Überschussbeteiligung nach § 153 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) in
Ansatz kommen.

Zur Begründung führten die Koalitionsfraktionen der CDU/ CSU und FDP aus,
man wolle „[…] im Bereich der Lebensversicherung angesichts der anhaltenden
Niedrigzinsphase sicherstellen, dass Bewertungsreserven auf Kapitalanlagen,
die das Versicherungsunternehmen zur Sicherstellung der Garantien an die
Versicherungsnehmer erworben habe und weiter benötige, bei sinkenden Kapi-
talmarktzinsen im Unternehmen verbleiben können. Damit werde die Leistungs-
fähigkeit der Lebensversicherungsunternehmen gestärkt. Man erkenne die Pro-
bleme für die deutschen Lebensversicherer, die eine Folge der aktuellen und
voraussichtlich andauernden Niedrigzinsphase seien. Hierbei seien die Auswir-
kungen der Eurokrise zu spüren. Die Politik der Europäischen Zentralbank sei
infolge der Fiskalpolitik der verschuldeten Staaten im Euroraum von einer Geld-
mengenausweitung und einem zu niedrigen Zinsniveau geprägt. Dies nutze den
verschuldeten Staaten, schädige aber alle Marktteilnehmer, die auf eine rentier-
liche Verzinsung ihrer Anlagen angewiesen seien. Der daraus geborenen Not der
Lebensversicherer begegne man, indem ihnen mehr Gestaltungsfreiheit bei der
Verteilung der Bewertungsreserven eingeräumt werde. Dies komme letztendlich
der Versichertengemeinschaft zugute.“ (vgl. Bundestagsdrucksache 17/11395,
S. 18).
Ob diese einseitig zu Lasten der Versicherten vorgenommene Begrenzung der
Beteiligung an den Bewertungsreserven aber die einzig geeignete Maßnahme
(neben der Teilkollektivierung der RfB) ist, um die Leistungsfähigkeit der deut-
schen Lebensversicherer zu stärken, wurde ebenso wenig dargelegt, wie der tat-
sächliche Bedarf für eine Unterstützung der Lebensversicherungsunternehmen
insgesamt.

Drucksache 17/11918 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Auch eine vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) angefertigte Aufzeich-
nung vom 26. Oktober 2012 bringt hier keine Antworten. Darin wird lediglich
gemutmaßt, dass „[…] nicht ausgeschlossen werden [könne], dass einzelne
Unternehmen künftig in Schwierigkeiten geraten können.“ (vgl. Aufzeichnung
zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes im Rahmen des SEPA-Be-
gleitgesetzes, im Folgenden: BMF-Aufzeichnung).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche konkreten Anhaltspunkte hat das BMF dafür, dass „[…] nicht ausge-
schlossen werden [kann], dass einzelne Unternehmen künftig in Schwierig-
keiten geraten können“ (vgl. BMF-Aufzeichnung, S. 2)?

2. Hat das BMF neben der in der BMF-Aufzeichnung benannten Untersuchung
der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) aus dem Jahr
2011 weitere konkrete Daten und Anhaltspunkte, die sie zu dieser Erkenntnis
gelangen lassen?

3. Bedeutet die Aussage, dass das schwächste Fünftel der Versicherer ab dem
Jahr 2018 die Eigenmittelanforderungen nicht mehr decken kann (vgl. Grafik
„Quotient Kapitalanlagebestand/(DR+AG)“, BMF-Aufzeichnung, S. 2), dass
alle oder die meisten Unternehmen dieses Quintils wahrscheinlich in Schwie-
rigkeit geraten werden, und falls nicht, warum ist das BMF zuversichtlich,
dass nur wenige Unternehmen in Schwierigkeiten geraten werden?

4. Beruht die Aussage, dass „[…] die Kapitalerträge [zur] Finanzierung des
mittleren Rechnungszinses und der Zinszusatzreserve [nicht ausreichen]“
(BMF-Aufzeichnung, S. 2) auf der Annahme realistischer Wiederanlagezin-
sen eines diversifizierten Portfolios oder auf der Annahme, dass die Wieder-
anlage ausschließlich in AAA-Staatspapiere erfolgt?

5. Hat die BaFin konkrete Unternehmen identifiziert, die bei Ausnutzung aller
zur Verfügung stehenden Finanzierungsquellen nicht in der Lage sein wer-
den, den mittleren Rechnungszins sowie die Zinszusatzreserve zu tragen, vor
dem Hintergrund, dass den Lebensversicherungsunternehmen als Finanzie-
rungsquellen neben den Kapitalerträgen auch Überschüsse aus Risiko sowie
Verwaltungskosten zur Verfügung stehen sowie die RfB und stille Reserven
genutzt werden könnten?

6. Wie hoch sind die von der BaFin angenommenen Zusatzbelastungen durch
die Beteiligung an Bewertungsreserven, die laut BaFin Ursache für die
Schwierigkeiten der Versicherer sein sollen (vgl. Jahresbericht der BaFin
2011, S. 131)?

7. Hat die BaFin konkrete Unternehmen identifiziert, die aufgrund der Zinszu-
satzreserve und der Beteiligung an den Bewertungsreserven ihre Garantie-
verpflichtungen auch unter Ausschöpfung aller vorhandenen Finanzierungs-
quellen nicht mehr erfüllen können (vgl. Jahresbericht der BaFin 2011,
S. 131)?

8. Falls nicht, warum hat die Bundesregierung dann in § 56a VAG-E nunmehr
vorgesehen, dass Lebensversicherungsunternehmen künftig zur Sicherstel-
lung der Erfüllbarkeit der Verpflichtungen einen sogenannten Sicherungs-
bedarf von dem den Versicherungsnehmern zustehenden Anteil an den Be-
wertungsreserven in Abzug bringen können?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11918

9. Warum musste § 56a VAG-E überhaupt um eine aufsichtsrechtliche Rege-
lung für die Beteiligung der Versicherten an den Bewertungsreserven erwei-
tert werden, wenn das Gesetz eine Regelung bereits vorsah, nach der die
Beteiligung an den Bewertungsreserven aus Gründen des Aufsichtsrechts
gekürzt werden konnte (§ 153 Absatz 3 Satz 3 VVG in Verbindung mit dem
Aufsichtsrecht) und insbesondere schon bislang aufsichtsrechtliche Rege-
lungen zur Kapitalausstattung unberührt blieben?

Inwiefern hat die bisherige Regelung für die Beteiligung der Versicherten
an den Bewertungsreserven im VVG zu Schwierigkeiten in der praktischen
Anwendung geführt (vgl. Bundestagsdrucksache 17/11395, S. 21)?

10. Ist die Präzisierung durch § 56a Absatz 3 VAG-E geeignet, die in der rechts-
wissenschaftlichen Literatur geäußerte Kritik an der Vorschrift des § 153
Absatz 3 Satz 3 VVG, wonach diese „zu unbestimmt und daher verfas-
sungswidrig [sei], weil sie zur Folge habe, dass die Höhe der Beteiligung
des ausscheidenden Versicherungsnehmers an den stillen Reserven nicht
nachvollziehbar und nicht überprüfbar sei“ (vgl. hierzu Prölss/Martin,
VVG-Kommentar, 28. Auflage, § 153 Rn. 28) zu entkräften?

11. Ist sichergestellt, dass ausscheidende Versicherungsnehmerinnen und -neh-
mer künftig die Höhe ihrer Beteiligung an den stillen Reserven nachvoll-
ziehen und überprüfen können?

12. Falls nicht, welchen gesetzgeberischen Handlungsbedarf sieht die Bundes-
regierung, um diese bestehende Intransparenz hinsichtlich der Überschuss-
beteiligung und der Beteiligung an den Bewertungsreserven zu beenden vor
dem Hintergrund, dass sie selbst einräumt, dass das vorhandene Recht keine
vollständige Transparenz herstellt (vgl. Antwort der Bundesregierung auf
die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bundes-
tagsdrucksache 17/9327, S. 2)?

13. Hat die Bundesregierung geprüft bzw. an Modellfällen geschätzt, welche
Auswirkungen die aufsichtsrechtliche Neuregelung der Beteiligung an den
Bewertungsreserven für einzelne Versicherte bei der Vertragsbeendigung
haben kann und welche Minderung sich bei den Auszahlungsbeträgen erge-
ben könnte?

Falls nicht, warum wurden mögliche Auswirkungen für Versicherte nicht
geprüft bzw. geschätzt?

14. Welche zusätzlichen Erkenntnisse hat die Bundesregierung seit der ab-
schließenden Lesung des SEPA-Begleitgesetzes im Deutschen Bundestag
bezüglich der Auswirkungen gewonnen, die die aufsichtsrechtliche Neure-
gelung der Beteiligung an den Bewertungsreserven für einzelne Versicherte
bei der Vertragsbeendigung haben kann und welche Minderung sich bei den
Auszahlungsbeträgen ergeben könnte?

15. Warum lehnt die Bundesregierung den Vorschlag des Bundes der Versicher-
ten e. V. (BdV) ab, eine verbindliche Beteiligung der Versicherten von 50 Pro-
zent an der freien RfB einzuführen (vgl. Stellungnahme des BdV „PA 7-SEPA/
10. VAG-Novelle“ vom 12. Oktober 2012)?

16. Falls Frage 7 zu bejahen ist, handelt es sich bei den im Rahmen des SEPA-
Begleitgesetzes verabschiedeten Maßnahmen zur Stärkung der Leistungs-
fähigkeit der deutschen Lebensversicherer um die „Weiterentwicklung der
regulatorischen Rahmenbedingungen“ (vgl. Jahresbericht der BaFin 2011,
S. 131)?

17. Sind weitere regulatorischen Maßnahmen beabsichtigt?

Drucksache 17/11918 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

18. Ist beabsichtigt, auch konkrete unternehmensspezifische Maßnahmen ein-
zuleiten, um diese gefährdeten Unternehmen robuster zu machen, und wenn
ja, welcher Art sind diese Maßnahmen?

19. Dürfen diese Unternehmen derzeit noch Gewinne an ihre Anteilseigner aus-
schütten?

20. Dürfen variable Gehaltsbestandteile an Mitarbeiter und Management ge-
zahlt werden?

21. Macht die BaFin konkrete Auflagen, dass diese Unternehmen bereits jetzt
neues Eigenkapital aufnehmen müssen?

22. Warum bedarf es präventiver Maßnahmen zur Stärkung der Leistungsfähig-
keit der deutschen Lebensversicherer, vor dem Hintergrund des Bestehens
der Sicherungseinrichtung der deutschen Lebensversicherer, Protektor
Lebensversicherungs-AG?

23. Hält die Bundesregierung in der gegenwärtigen Finanzmarktsituation eine
Nutzung von Protektor für problematisch, und wenn ja, warum?

24. Ist Protektor auch für den Fall einer Schieflage eines der größten Lebens-
versicherer oder mehrerer mittelgroßer Lebensversicherer in der Lage,
seine Aufgabe als Sicherungseinrichtung zu erfüllen?

Wenn nein, hat die Bundesregierung alternative Notfallpläne für solche
Fälle vorgesehen, oder plant sie eine Verbesserung der Sicherungsstruktur
für Lebensversicherungsunternehmen?

25. Inwieweit ist es gerechtfertigt, noch im Oktober 2012 die Herausnahme der
Versicherungsunternehmen aus dem Kreis der Antragsberechtigten (hin-
sichtlich der Gewährung von Maßnahmen des Finanzmarktstabilisierungs-
fonds) unter anderem damit zu begründen, dass Stabilisierungsmaßnahmen
bisher nur an Unternehmen des Bankensektors und demzufolge nicht an
Versicherungsunternehmen gewährt wurden (vgl. Bundestagsdrucksache
17/11138, S. 8), vor dem Hintergrund dass die Bundesregierung heute (No-
vember 2012) konstatiert, dass „[…] nicht ausgeschlossen werden [kann],
dass einzelne [Versicherungs-]Unternehmen künftig in Schwierigkeiten ge-
raten können“ (vgl. BMF-Aufzeichnung, S. 2)?

26. Wie gelangt die BaFin zu der Annahme, dass die Lebensversicherer bis zum
Jahr 2020 zusätzliche Mehraufwendungen von insgesamt 61 Mrd. Euro für
den Aufbau der Zinszusatzreserve leisten müssen (BMF-Aufzeichnung,
S. 2)?

27. Hat die Bundesregierung überprüft, ob mit der Zinszusatzreserve stille Re-
serven auf der Passivseite der Versicherer gebildet werden?

28. Wenn ja, wie hoch sind diese?

29. Wenn nicht, warum ist die Bundesregierung sich sicher, dass hier nicht zu
großzügige Reserven zu Lasten der Versicherten gebildet werden?

30. Führt bei anhaltend niedrigem Zinsniveau die Zuführung zu dieser Rück-
stellung dazu, dass eine Gruppe von Versicherten auf Überschüsse verzich-
ten muss, damit eine andere Gruppe von Versicherten in Zukunft mindes-
tens die Garantieverzinsung erhalten kann?

Wenn ja, wie hoch ist dieser Transfer?

31. Wie hoch sind die erwarteten steuerlichen Mindereinnahmen bis zum Jahr
2020, vor dem Hintergrund, dass die Zinszusatzreserve den zu versteuern-
den Gewinn der Lebensversicherer senkt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/11918

32. Mit welchem Ziel wurde die (zunächst bis zum Jahr 2013 befristete) Über-
gangsregelung zur Auflösung von RfB in § 34 Absatz 10b Satz 3 des Kör-
perschaftsteuergesetzes (KStG) mit dem Jahressteuergesetz 2010 einge-
führt, und inwieweit wurde dieses Ziel erreicht?

33. In welcher Höhe führt die Anpassung der Obergrenze der RfB im KStG zu
steuerlichen Mindereinnahmen?

34. Wie hoch wären die an die Versicherten auszuschüttenden Bewertungsreser-
ven kumuliert in den nächsten Jahren gewesen, wenn die mit der Änderung
des § 56a VAG-E umgesetzte Neuregelung der Beteiligung der Versicherten
an den Bewertungsreserven nicht ergriffen worden wäre (bei gleichbleiben-
dem Zinsniveau)?

35. Wann müsste die Garantieverzinsung spätestens erneut gesenkt werden (bei
gleichbleibendem Zinsniveau)?

36. Wurde seitens der Bundesregierung die Idee einer variablen Garantiever-
zinsung in Form von „Inflation + x“ diskutiert, in Anbetracht, dass das BMF
für den Fall eines Inflationsszenarios die Gefahr eines „run“ von Kundinnen
und Kunden aus Lebensversicherungsverträgen beschreibt (vgl. BMF-Auf-
zeichnung, S. 2 f.)?

37. Wenn nein, warum nicht?

38. Wenn die Idee diskutiert und nicht akzeptiert wurde, warum wurde sie ver-
worfen?

39. Inwiefern gibt es vor dem Hintergrund dessen, dass der Erlass einer Übertra-
gungsanordnung nach § 48a KWG eine Entscheidung darüber nötig macht,
„welche Verbindlichkeiten durch Übertragung auf ein sog. Brückeninstitut
mit Fortführungsperspektive geschützt und welche als weniger schutz-
würdig bei dem gescheiterten Kreditinstitut verbleiben“ (vgl. Stellungnahme
von Dr. Christopher Pleister/Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung
– FMSA – zum 3. Finanzmarktstabilisierungsgesetz), Überlegungen seitens
der BaFin oder der Bundesregierung, welche Arten von Verbindlichkeiten
als stärker bzw. weniger schutzwürdig betrachtet werden, und wäre auch
eine unterschiedliche Beteiligung unterschiedlicher Investoren des gleichen
Haftungsranges denkbar, und was wären jeweils die Kriterien?

Berlin, den 14. Dezember 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.