BT-Drucksache 17/11897

Durch Humanarzneimittel bedingte Umweltbelastung reduzieren

Vom 12. Dezember 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11897
17. Wahlperiode 12. 12. 2012

Antrag
der Abgeordneten Ralph Lenkert, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, Matthias W.
Birkwald, Eva Bulling-Schröter, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Katja Kipping,
Jutta Krellmann, Dorothee Menzner, Yvonne Ploetz, Dr. Ilja Seifert, Kathrin
Senger-Schäfer, Sabine Stüber, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich,
Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Durch Humanarzneimittel bedingte Umweltbelastung reduzieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Arzneimittel sind für viele Menschen unverzichtbarer Bestandteil eines be-
schwerdefreien Lebens. Nach einer Studie des Umweltbundesamtes (UBA)
nahm der Arzneistoffverbrauch ausgehend vom Jahr 2002 um 28 Prozent zu
(UBA Texte 66/2011). Nach der Einnahme werden die Wirkstoffe, oft unver-
ändert, wieder ausgeschieden und gelangen so in das häusliche Abwasser. Zu-
sätzlich werden schätzungsweise mehrere 100 Tonnen Altarzneimittel pro Jahr
unsachgemäß über die Spüle oder die Toilette entsorgt. Die gängigen Abwasser-
reinigungsanlagen sind jedoch nicht in der Lage, dem Abwasser Arzneiwirk-
stoffe hinreichend zu entziehen und so gelangt der Rest, wenn auch stark ver-
dünnt, in die Umwelt, vorrangig in die Oberflächengewässer und in das Grund-
wasser.

Das potentielle Umweltrisiko eines Arzneimittels wird auf der Grundlage der
Richtlinie 2001/83/EG im Rahmen des Zulassungsverfahrens geprüft. Bei fest-
gestelltem Risiko kann die Zulassung zwar nicht versagt, die Anwendung je-
doch mit Auflagen versehen werden. Problematisch ist, dass das Monitoring
der Arzneimittel-Rückstände nach der Zulassung unzureichend ist. Nach Auf-
fassung des UBA ist dies jedoch besonders für umweltrelevante Arzneimittel
erforderlich. So erklärt UBA-Präsident Jochen Flasbarth: „Die Vorsorge beim
Umgang mit Arzneimittelrückständen muss verbessert werden, denn diese
Stoffe können problematisch für die Umwelt sein. Eine bessere Überwachung
soll helfen, Belastungsschwerpunkte und ökologische Auswirkungen von Me-
dikamenten zu erkennen und die medizinische Versorgung umweltverträglicher
zu gestalten.“ Ein weiteres Defizit der aktuellen Arzneimittelgesetzgebung ist,
dass eine Bewertung des Umweltrisikos nur für neu zugelassene Arzneimittel

erfolgen muss. Folglich liegen für Arzneimittel, die vor Umsetzung der
Humanarzneimittel-Richtlinie (2001/83/EG) zugelassen wurden und die einen
Großteil aller vermarkteten ausmachen, nicht ausreichend viele Informationen
über das Umweltverhalten vor.

Die unsachgemäße Entsorgung von Altarzneimitteln (Arzneimittel, die nicht
mehr benötigt werden oder deren Haltbarkeitsdatum überschritten ist) ist zu

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einem großen Teil auf Fehl- bzw. Nichtinformation der Verbraucherinnen und
Verbraucher zurückzuführen. Sie hat sich seit dem Jahr 2009 noch erhöht, denn
durch die Änderung der Verpackungsverordnung und die darauf folgende Auf-
lösung des damaligen industriefinanzierten Rücknahmesystems ist die Rück-
nahme von Altarzneimitteln in Apotheken nicht mehr verlässlich. Laut Abfall-
verzeichnis-Verordnung sind Arzneimittel mit wenigen Ausnahmen als nicht
gefährliche Abfälle eingestuft. Dafür ist eine Entsorgung über den Hausmüll
vorgeschrieben. Die Wiedereinführung eines von der Arzneimittelindustrie finan-
zierten Rücknahmesystems in Kooperation mit Apotheken (generelle Rück-
gabemöglichkeit für Altarzneimittel an Apotheken) in Verbindung mit einem
gezielten, gut sichtbaren Hinweis dieser Entsorgungsmöglichkeit auf jeder Ver-
packung und dem Beipackzettel des Arzneimittels können helfen, unsachgemä-
ßer Entsorgung durch Verbraucherinnen und Verbraucher vorzubeugen.

Eine besondere Bedeutung muss den Abwässern aus Krankenhäusern zukom-
men, die eine weitaus höhere arznei- bzw. behandlungsmittelbedingte Belastung
aufweisen. Die Aufbereitung dieser Abwässer ist in kommunalen Kläranlagen
derzeit nicht ausreichend möglich. Doch die getrennte Erfassung und Behand-
lung von Krankenhausabwässern vor der Einleitung in die öffentliche Kanalisa-
tion wurde bereits erfolgreich getestet und wird auch angewandt (vergleiche Ab-
schlussbericht zum Forschungsvorhaben „Eliminierung von Spurenstoffen aus
Krankenhausabwässern mit Membrantechnik und weitergehenden Behand-
lungsverfahren“ für das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Natur- und Ver-
braucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, 2009). Dies ist ein notwendiger
Beitrag, um die Umweltbelastung durch Arzneimittelrückstände zu reduzieren
und müsste in den Wassergesetzen der Länder umgesetzt und über die Länder-
haushalte finanziert werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich im Rahmen der EU dafür einzusetzen, dass im Nachgang jedes zentra-
len Zulassungsverfahrens von Arzneimitteln ein umfassendes Umweltmoni-
toring der Substanzen, ihrer Metaboliten und Transformationsprodukte für
die Hersteller von Medikamenten verpflichtend ist und die Auswertung der
Umweltwirkungen im Rahmen der EU erfolgt;

2. das Arzneimittelgesetz (AMG) dahingehend zu ändern, dass

a) innerhalb einer angemessenen Frist auch für Arzneimittel, deren Zulas-
sung vor Einführung einer Umweltbewertung erfolgt ist, nachträglich
eine durch das Umweltbundesamt durchgeführte, herstellerfinanzierte
Bewertung des Umweltrisikos vorgenommen wird;

b) nach jeder nationalen und dezentralen Zulassung eines Arzneimittels ein
umfassendes, von den Herstellern finanziertes Umweltmonitoring der
Substanz, ihrer Metaboliten und Transformationsprodukte erfolgt, das
durch das Umweltbundesamt durchgeführt und ausgewertet wird, wobei
sich der Aufwand nach dem Ergebnis der Umweltbewertung richtet;

c) bis zum Jahr 2015 ein bundeseinheitliches, von der Pharmaindustrie finan-
ziertes Rücknahmesystem für Altarzneimittel, in Verbindung mit einer
Rücknahmeverpflichtung der öffentlichen Apotheken für haushaltsübliche
Arzneimittelmengen, eingeführt wird;

d) der Hinweis zur Abgabemöglichkeit von Altarzneimitteln in der öffent-
lichen Apotheke gut erkennbar und verständlich auf jeder Verpackung
von Arzneimitteln gedruckt und Bestandteil jedes Beipackzettels von
Arzneimitteln sein muss;

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3. gesetzlich zu verankern, dass für Patientinnen und Patienten in Analogie zu
den Regelungen für Altbatterien in § 11 des Batteriegesetzes die Pflicht zur
ordnungsgemäßen Entsorgung von Altarzneimitteln nach Nummer 2 Buch-
stabe c besteht;

4. ein Evaluationsprogramm auf den Weg zu bringen, durch das der Erfolg die-
ser Maßnahmen überprüft wird;

5. Forschungsprojekte auszuschreiben, die die Umwandlung und den Verbleib
von Arzneimitteln und deren ökologische Auswirkungen ermitteln sowie die
Entwicklung neuer kostengünstiger Technologien zur Verbesserung der
Wasseraufbereitung zu fördern und diese zu erproben und

6. einen Prüfauftrag an das Umweltbundesamt zu vergeben, um zu eruieren in-
wieweit strengere Auflagen für die Anwendung besonders umweltschädlicher
neuer Arzneimittel zu einer Reduktion der Wasserbelastung führen.

Berlin, den 12. Dezember 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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