BT-Drucksache 17/11686

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes

Vom 28. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11686
17. Wahlperiode 28. 11. 2012

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Kerstin Andreae,
Uwe Kekeritz, Memet Kilic, Jerzy Montag, Tom Koenigs, Dr. Konstantin von Notz,
Wolfgang Wieland, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes

A. Problem

Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft sind gemäß § 93 Absatz 1
Satz 1 des Aktiengesetzes (AktG) verpflichtet, „die Sorgfalt eines ordentlichen
und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden“. Im Hinblick auf die Einhal-
tung menschenrechtlicher, sozialer und ökologischer Standards ist diese Sorg-
faltspflicht nicht definiert. Gemäß der Legalitätspflicht hat sich der Vorstand
einer Aktiengesellschaft gesetzestreu zu verhalten, wovon völkerrechtliche Ver-
träge oder von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierte Übereinkommen mit
erfasst sein können, sofern sie in nationales Recht umgesetzt wurden. Dies ver-
pflichtet die Vorstandsmitglieder jedoch nicht unmittelbar, die Einhaltung ent-
sprechender Standards auf allen Ebenen, etwa in der Produktionskette im Aus-
land, sicherzustellen.

Menschenrechtliche, soziale und ökologische Standards im gesamten Ge-
schäftsbereich zu berücksichtigen, gehört daher bislang nicht zum festen Pflich-
tenkreis des Vorstandes einer Aktiengesellschaft. Wenn durch eine solche
Berücksichtigung höhere Kosten entstehen, die das Vermögen der Aktiengesell-
schaft verringern oder weniger stark wachsen lassen, kann darin eine Pflichtver-
letzung liegen, für die gemäß § 93 Absatz 2 Satz 1 AktG Schadensersatz geleis-
tet werden müsste.

Es würde die nun jahrelangen Bemühungen um verantwortliche Unternehmens-
führung und nachhaltiges Wirtschaften im Bereich der Privatwirtschaft konter-
karieren, wenn das Bemühen von Vorstandsmitgliedern einer deutschen Aktien-
gesellschaft, menschenrechtliche, soziale und ökologische Standards einzuhal-
ten, durch die Sorge um einen Haftungsfall eingeschränkt würde.

B. Lösung

§ 93 Absatz 1 AktG bedarf der Ergänzung, wonach die Einhaltung menschen-

rechtlicher, sozialer und ökologischer Standards in allen Geschäftsbereichen Be-
standteil der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters
sind und damit nicht zu einem Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gegen
den Vorstand führen können.

Drucksache 17/11686 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

C. Alternativen

Alternativ könnte eine gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung eine derar-
tige Konkretisierung der Pflichten des Vorstandes einer Aktiengesellschaft be-
wirken. Einschlägige Rechtsprechung existiert dazu derzeit jedoch nicht. Eben-
so findet sich in der juristischen Fachliteratur kein Verweis auf diese
Problematik.

D. Kosten

Keine.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11686

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Aktiengesetzes

Nach § 93 Absatz 1 Satz 2 des Aktiengesetzes vom
6. September 1965 (BGBl. I S. 1089), das zuletzt durch
Artikel 2 Absatz 49 des Gesetzes vom 22. Dezember 2011
(BGBl. I S. 3044) geändert worden ist, wird folgender Satz

Berlin, den 27. November

Renate Künast, Jürgen T
2012

rittin und Fraktion
eingefügt:

„Eine Pflichtverletzung liegt zudem nicht vor, wenn das Vor-
standsmitglied eine unternehmerische Entscheidung auf
Grundlage menschenrechtlicher, sozialer oder ökologischer
Standards getroffen hat, zu deren Einhaltung sich die Bun-
desrepublik Deutschland völkerrechtlich verpflichtet hat.“

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

schen Standards ausgerichtetem Wirtschaften zuwider. Gute und -arbeitnehmern und ihren Familienangehörigen. Ebenso

Unternehmensführung in deutschen Aktiengesellschaften
wird immer stärker gefördert und dringt immer tiefer ins Be-
wusstsein ihrer Gremienmitglieder vor. Einerseits werden

sollte keine Pflichtverletzung des Vorstandsmitgliedes vor-
liegen, wenn trotz einer etwaigen negativen wirtschaftlichen
Auswirkung für die Aktiengesellschaft in Situationen be-
Drucksache 17/11686 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeines

Es gehört zu den ethischen Pflichten eines Unternehmens,
menschenrechtliche, soziale und ökologische Standards in
allen Geschäftsbereichen und auf allen Ebenen einzuhalten.
In der Bundesrepublik Deutschland und den Mitgliedstaaten
der Europäischen Union werden internationale menschen-
rechtliche, soziale und ökologische Standards durch nationa-
le Ge- und Verbote abgesichert. In anderen Staaten ist dies
nicht der Fall. Wenn deutsche Aktiengesellschaften in sol-
chen Staaten tätig sind, dann ist es möglich, dass ein Vor-
standsmitglied sich zwar ethisch verpflichtet fühlt, diese
Standards zu befolgen, dass sie aber dennoch nicht unmittel-
bar gemäß der Legalitätspflicht für Vorstandshandeln ver-
pflichtet sind, sie einzuhalten. Denn das Handeln des
Vorstandes einer Aktiengesellschaft hat sich am Unterneh-
mensinteresse zu orientieren.

Zwar fließen Gemeinwohlbelange mittlerweile auch in das
Unternehmensinteresse ein, jedoch nur dann, wenn sie sich
für das Unternehmen lohnen (vgl. Kort, NZG 2012, S. 926,
929). Aufgrund moderner Tendenzen in der Wirtschafts- und
Unternehmensethik – etwa dem Fair-trade-Gedanken – und
der immer stärker werdenden Diskussion um die Corporate
Social Responsibility dient die Einhaltung menschenrecht-
licher, sozialer und ökologischer Standards im gesamten un-
ternehmerischen Handeln mittlerweile auch Wertsteigerung
einer Aktiengesellschaft. Denn die Verletzung solcher Stan-
dards durch transnational agierende Unternehmen rückt zu-
nehmend in das öffentliche Interesse und beeinflusst etwa
das Konsumverhalten von Verbraucherinnen und Verbrau-
chern oder die Vergabepraxis öffentlicher Gelder.

Die Legalitätspflicht zwingt den Vorstand einer Aktienge-
sellschaft dazu, dass sein Handeln dem Gemeinwohl nicht
zuwiderlaufen darf (Grunewald, Gesellschaftsrecht, 8. Auf-
lage 2011, S. 262). Eine darüber hinaus gehende Pflicht zur
aktiven Förderung des Gemeinwohls besteht hingegen nicht.
Gemäß der den Vorstand treffenden Pflichten zur Regeltreue
(Compliance) müssen zwar beispielsweise Zulieferer über-
prüft werden (Schürrle/Olbers, CCZ 2010, S. 102, 104). Die
Verpflichtung, eine entsprechende unternehmerische Ent-
scheidung zu treffen, die wiederum zu Verlusten oder Ge-
winneinbußen der Aktiengesellschaft führen kann, ergibt
sich daraus jedoch nicht. Denn der Compliance-Gedanke
orientiert sich am Unternehmensinteresse, nicht umgekehrt
(Kort, NZG 2012, S. 926, 926). Mangels echter Gemein-
wohlbindung einer Aktiengesellschaft muss eine ethisch
ausgerichtete Entscheidung eines Vorstandsmitgliedes also
derzeit eine positive Auswirkung auf das Gesellschaftsver-
mögen zur Folge haben, andernfalls könnte sich daraus eine
Haftung gemäß § 93 Absatz 2 Satz 1 AktG ergeben.

Dies läuft den gegenwärtigen Bestrebungen für ein nachhal-
tiges, also an menschenrechtlichen, sozialen und ökologi-

re die Rechte der Menschen, die auf unterschiedlichen Ebe-
nen – auch in der Zulieferkette – weltweit für die Aktienge-
sellschaft tätig sind. Diese Tendenz muss unterstützt und
durch eine klarstellende Ergänzung des § 93 Absatz 1 AktG
deutlich gemacht werden.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1

§ 93 Absatz 1 Satz 2 AktG regelt den haftungsfreien unter-
nehmerischen Entscheidungsspielraum. Die Vorschrift er-
richtet einen „sicheren Hafen“ (Hölters in: Hölters, AktG,
1. Auflage 2011, § 93 Rn. 29) für Vorstandsmitglieder bei
ihre unternehmerischen Entscheidungen. Die Regelung ent-
spricht der gängigen Rechtsprechungspraxis und hat in erster
Linie Klarstellungsfunktion (Dauner-Lieb in: Henssler/
Strohn, Gesellschaftsrecht, 1. Auflage 2011, § 93 AktG
Rn. 18). Der neu zu schaffende Satz 3 fügt sich als Konkre-
tisierung der unternehmerischen Sorgfaltspflicht hier an.

Menschenrechtliche, soziale und ökologische Standards be-
ziehen sich auf die international anerkannten Menschenrechte
(vgl. den Bericht des Sonderbeauftragten des Generalsekre-
tärs der Vereinten Nationen für die Frage der Menschenrechte
und transnationaler Unternehmen sowie anderer Wirt-
schaftsunternehmen, John Ruggie: „Leitprinzipien für Un-
ternehmen und die Menschenrechte: Umsetzung des Rah-
mens der Vereinten Nationen für „Schutz, Achtung und
Abhilfe““ (A/HRC/17/31)). Die international anerkannten
Menschenrechte finden sich insbesondere in der Allgemei-
nen Erklärung der Menschenrechte, dem Internationalen
Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dem Internatio-
nalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rech-
te, sowie in anderen völkerrechtlich bindenden und von der
Bundesrepublik Deutschland ratifizierten Abkommen zum
Menschenrechtsschutz. Ausdrücklich davon eingeschlossen
sind Prinzipien in den acht Kernübereinkommen der Interna-
tional Labour Organization (ILO), die in der Erklärung über
grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit dargelegt
sind. Je nach den Umständen können gegebenenfalls zusätz-
liche Standards in Erwägung gezogen werden. Sollte das
Vorstandsmitglied beispielsweise die Menschenrechte von
Personen achten, die bestimmten Gruppen oder Bevölke-
rungsteilen angehören oder die besonderer Aufmerksamkeit
bedürfen, so darf dies im Falle einer negativen wirtschaft-
lichen Auswirkung für die Aktiengesellschaft ebenfalls kein
Haftungsrisiko für das Vorstandsmitglied mit sich bringen.
In diesem Zusammenhang präzisieren Rechtsinstrumente
der Vereinten Nationen die Rechte von indigenen Völkern,
Frauen, Personen, die nationalen oder ethnischen, religiösen
und sprachlichen Minderheiten angehören, Kindern, Men-
schen mit Behinderungen sowie Wanderarbeitnehmerinnen
dadurch die Interessen der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher in Deutschland geschützt, andererseits aber insbesonde-

waffneter Konflikte die Standards des humanitären Völker-
rechts eingehalten werden.

Deutscher Bundestag – 17. rucksache 17/11686
Wahlperiode – 5 – D

Eine unternehmerische Entscheidung geschieht nur dann auf
Grundlage menschenrechtlicher, sozialer oder ökologischer
Standards im Sinne des neu zu schaffenden Satz 3, wenn sich
durch dieses Handeln tatsächliche Verbesserungen der men-
schenrechtlichen, sozialen oder ökologischen Gesamtsitua-
tion im Umfeld des Unternehmens, auch seiner Zulieferbe-
triebe, ergeben haben oder wenn das Vorstandsmitglied
vernünftigerweise annehmen konnte, dass sich solche Ver-
besserungen ergeben würden.

Zu Artikel 2

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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