BT-Drucksache 17/11639

Situation Jugendlicher und junger Erwachsener zu Beginn des Erwerbslebens

Vom 22. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11639
17. Wahlperiode 22. 11. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Yvonne Ploetz, Jutta Krellmann, Diana Golze, Matthias W.
Birkwald, Dr. Martina Bunge, Heidrun Dittrich, Werner Dreibus, Klaus Ernst,
Katja Kipping, Cornelia Möhring, Kornelia Möller, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Vogler,
Harald Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Situation Jugendlicher und junger Erwachsener zu Beginn des Erwerbslebens

Die Jugend stellt eine eigene, wichtige Lebensphase dar, in der Jugendliche sich
auf die Anforderungen des Erwachsenenstatus vorbereiten, ihre eigene Identität
entdecken, ihren Platz in der Gesellschaft definieren und Selbstvertrauen, Hand-
lungsfähigkeit, Autonomie, Stärke und Solidarität erlernen. Die neoliberal aus-
gerichtete Politik der derzeitigen Regierung verhindert jedoch, dass die jungen
Menschen die verschiedenen Entwicklungsaufgaben bestmöglich bewältigen
können. Erhöhte Anforderungen an junge Menschen durch Individualisierung
und Flexibilisierung sowie der sozialstaatliche Perspektivenwechsel hin zum
aktivierenden Wohlfahrtsstaat verstärken die Tendenz zu einer Prekarisierung
größerer Bevölkerungsteile. Das Ergebnis: Armut ist mittlerweile ein weit ver-
breitetes Phänomen, von dem insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene
bedroht sind. Die Armutsrisikoquote von Kindern und Jugendlichen unter
18 Jahren liegt in Deutschland bei 18,2 Prozent, die der 18- bis 25-jährigen sogar
bei 22,7 Prozent (Statistische Ämter des Bundes und der Länder) und damit
deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung (14,5 Prozent). Die Folgen von Ar-
mut im Jugendalter sind erschreckend. Armut wirkt sich äußerst negativ auf das
schulische Leistungsvermögen junger Menschen aus.

Es entsteht eine zunehmende Diskrepanz zwischen dem eigenen Leben und
einer Normalvorstellung von Übergang, die immer noch institutionell – in Schu-
len, im Ausbildungssystem, bei den Agenturen für Arbeit und Jobcentern – ver-
ankert ist. Übergänge von Schule in Beruf, von Jugend ins Erwachsenensein ver-
laufen in Brüchen. Junge Menschen haben mit großen Unwägbarkeiten beim
Berufseinstieg, insbesondere nach der Ausbildung zu kämpfen. Jugendliche und
junge Erwachsene übernehmen die „Vorreiterrolle“ bei Befristungen, Niedrig-
löhnen oder der Leiharbeit.

Weitere Probleme ergeben sich aus der Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen und
jungen Erwachsenen. Sobald sich unter 25-Jährige im Hartz-IV-Bezug befinden,
werden sie durch Sonderregelungen diskriminiert. Die jungen Erwachsenen
werden in die Bedarfsgemeinschaft ihrer Eltern eingemeindet und werden be-
sonders häufig und hart sanktioniert.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele junge Beschäftigte (15- bis 25-Jährige) sind von Armut bedroht?

Wie hoch ist dieser Anteil an allen jungen Beschäftigten (bitte nach Ge-
schlecht, Behinderung, Migrationshintergrund, Branche und Bundesländern
differenziert angeben)?

Wie haben sich diese Zahlen seit 2000 entwickelt?

Drucksache 17/11639 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil der Absolventen
und Absolventinnen, die nach ihrer Ausbildung oder ihrem Studium Praktika
absolvieren?

a) Wie viele von ihnen haben Praktika nacheinander absolviert und

b) von welcher Dauer waren die einzelnen Praktika

(bitte nach Absolventinnen und Absolventen schulischer, betrieblicher und
außerbetrieblicher Berufsausbildungen, Bachelor und Master aufschlüsseln)?

3. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Ergebnis der
Studie „Generation Praktikum 2011“, insbesondere dass 75 Prozent der Prak-
tikantinnen und Praktikanten mit Hochschulabschluss vollwertige Arbeit
geleistet haben, die fest in den Betriebsablauf eingeplant war?

a) Welche Zahlen liegen dazu der Bundesregierung für die letzten zehn Jahre
vor?

b) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zum Anteil der Praktikan-
tinnen und Praktikanten, die einen schulischen, betrieblichen oder außer-
betrieblichen Berufsabschluss oder keinen Berufsabschluss besitzen (bitte
ebenfalls die Entwicklung der letzten zehn Jahre angeben)?

4. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Ergebnis der
Studie „Generation Praktikum 2011“, dass 40 Prozent der Praktikumsstellen
für Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen unbezahlt sind?

a) Welche Zahlen liegen der Bundesregierung zu Praktikantenstellen für
Hoch- und Fachschulabsolventen vor, und wer sind die Träger der Prak-
tikantenstellen (bitte die Entwicklung der letzten zehn Jahre angeben)?

b) Wie hoch ist der Anteil bei Praktikantinnen und Praktikanten, die einen
schulischen, betrieblichen oder außerbetrieblichen Berufsabschluss oder
keinen Berufsabschluss besitzen, und wie hat sich dieser in den letzten
zehn Jahren entwickelt?

5. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Ergebnis der
Studie „Generation Praktikum 2011“, dass der „Klebeeffekt“ im Anschluss
an ein Praktikum bei Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen
bei lediglich 17 Prozent liegt?

a) Welche Zahlen der letzten zehn Jahre liegen der Bundesregierung zur
Übernahme von Hoch- und Fachschulabsolventen nach dem Praktikum in
eine befristete und eine unbefristete Anstellung vor?

b) Wie hat sich im gleichen Zeitraum der Anteil der übernommenen Prak-
tikantinnen und Praktikanten, die einen schulischen, betrieblichen oder
außerbetrieblichen Berufsabschluss oder keinen Berufsabschluss besit-
zen, entwickelt?

6. Sind der Bundesregierung folgende Forderungen bekannt, und wie steht sie
zu diesen Forderungen:

– Praktika als Lernverhältnisse definieren,

– ein Recht auf einen schriftlichen Praktikumsvertrag mit konkreten Inhal-
ten und Zielen,

– Begrenzung der Praktika auf maximal drei Monate,

– für junge Menschen mit Behinderung auch während der Praktika notwen-
dige Nachteilsausgleiche bedarfsgerecht sowie Einkommens- und vermö-
gensunabhängig gewähren,

– Praktika rentenwirksam machen und

– eine Mindestvergütung von 300 Euro/Praktikumsmonat verankern?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11639

Hat die Bundesregierung die Absicht, diese Forderungen rechtlich bindend
umzusetzen, und wenn nein, warum nicht?

7. Werden Praktikumszeiten auf einen späteren Rentenanspruch angerechnet?

Wenn ja, in welcher Weise, und wenn nein, warum nicht?

8. Hält die Bundesregierung das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom
19. Juni 1974, wonach nur freiwillige Praktika in den Geltungsbereich des
Berufsbildungsgesetzes (BBiG) fallen, nicht aber Pflichtpraktika im Rah-
men der Ausbildung bzw. des Studiums, weiterhin für unverändert gültig,
und wenn ja, sieht sie an dieser Stelle vor dem Hintergrund, dass sich Schü-
lerinnen und Schüler, Auszubildende in schulischen Berufsausbildungen
sowie Studierende in Pflichtpraktika damit nicht einmal auf im BBiG defi-
nierte arbeitsrechtliche Mindeststandards berufen können, politischen
Handlungsbedarf?

Wenn ja, in welcher Form, und wenn nein, warum nicht?

9. Welche spezifischen Probleme bzw. welchen Handlungsbedarf sieht die
Bundesregierung im Bereich der beruflichen Vermittlung und der Beschäf-
tigungssituation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Migra-
tionshintergrund, und welche konkreten Maßnahmen verfolgt sie in diesem
Bereich bzw. hat sie in den letzten zehn Jahren bereits ergriffen, und warum
wurden welche Maßnahmen gegebenenfalls wieder eingestellt?

10. Beabsichtigt die Bundesregierung, im Deutschen Bundestag eine Neurege-
lung des nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 19. Januar
2010, Az. C-555/07) europarechtswidrigen Kündigungsschutzes gemäß
§ 622 Absatz 2 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) herbeizufüh-
ren?

Wenn ja, wann, und wenn nein, warum nicht?

11. Wie viele Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 15 und
25 Jahren beziehen welche staatlichen Transferleistungen trotz Erwerbs-
arbeit (ohne Arbeitslosengeld II – ALG II)?

a) Wie hat sich die Anzahl seit 2000 in den einzelnen Bundesländern ent-
wickelt?

b) Wie viel Prozent aller erwerbsfähigen Jugendlichen entspricht dies?

12. Wie viele Jugendliche und junge Erwachsene sind insgesamt und in den ein-
zelnen Bundesländern von Armut bedroht, und wie haben sich diese Zahlen
seit 2005 entwickelt?

13. Wie viele Jugendliche und junge Erwachsene, die Transferleistungen bezie-
hen, sind insgesamt und in den einzelnen Bundesländern von Armut be-
droht?

a) Wie hoch ist dieser Anteil an allen Jugendlichen und jungen Erwachse-
nen, die Transferleistungen beziehen (bitte nach Geschlecht, Migrations-
hintergrund und Transferleistungen differenziert angeben)?

b) Wie haben sich diese Zahlen seit 2005 entwickelt?

14. Wie viele Jugendliche und junge Erwachsene sind im ALG-I-Bezug (bitte
nach Geschlecht, höchstem Bildungsabschluss, Behinderung, Migrations-
hintergrund und Bundesländern differenziert angeben)?

a) Wie hat sich die Anzahl seit 2000 entwickelt?

b) Wie viel Prozent der erwerbsfähigen Jugendlichen und jungen Erwach-
senen entspricht dies?

Drucksache 17/11639 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
c) Wie viel Prozent aller erwerbsfähigen Menschen sind insgesamt im
ALG-I-Bezug?

15. Wie hat sich der Anteil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen im ALG-
II-Bezug (bitte nach Geschlecht, höchstem Bildungsabschluss, Behinde-
rung, Migrationshintergrund und Bundesländern differenzieren) seit 2005
entwickelt, und wie stellt sich dies jeweils im Verhältnis zu allen erwerbs-
fähigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen dar?

16. Wie hat sich der Anteil der erwerbstätigen Jugendlichen und jungen Er-
wachsenen mit ergänzendem ALG II seit 2005 entwickelt (bitte nach Teil-
zeit, Vollzeit, Geschlecht, höchstem Bildungsabschluss, Branche, Behinde-
rung, Migrationshintergrund und Bundesländern differenziert angeben),
und wie hoch ist dieser Anteil an allen erwerbsfähigen Jugendlichen und
jungen Erwachsenen?

17. Wie hat sich die Langzeitarbeitslosenquote der 15- bis 25-Jährigen (bitte
nach Geschlecht, höchstem Bildungsabschluss, Behinderung, Migrations-
hintergrund und Bundesländern differenziert angeben) seit 2005 entwickelt?

18. Wie hat sich die durchschnittliche Leistungshöhe beim Bezug von ALG I
bei den jungen Erwerbslosen seit 2000 entwickelt (bitte nach Migrations-
hintergrund, Geschlecht, Behinderung und Bundesländern differenziert an-
geben)?

19. Wie hat sich die durchschnittliche Leistungshöhe beim Bezug von ALG II
bei jugendlichen erwerbsfähigen Leistungsbeziehern und jungen Erwachse-
nen seit 2005 entwickelt (bitte nach Migrationshintergrund, Geschlecht und
Bundesländern differenziert angeben)?

20. Wie hat sich der Anteil der jungen ALG-II-Bezieherinnen und - Bezieher
unter 25 Jahren in einzelnen Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik
seit 2005 entwickelt, und wie stellte sich dies im Verhältnis zu allen er-
werbsfähigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen dar?

21. Wie hat sich der Anteil der jugendlichen ALG-I-Bezieherinnen und -Bezie-
her in einzelnen Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik seit 2005 ent-
wickelt, und wie stellte sich dies im Verhältnis zu allen erwerbsfähigen
Jugendlichen dar?

22. Wie hat sich seit 2005 der Anteil der jungen Arbeitslosen unter 25 Jahren
entwickelt, die bei Eintreten der Arbeitslosigkeit direkt in den ALG-II-
Bezug gekommen sind und kein ALG I beziehen konnten (bitte nach
Geschlecht, Behinderung, Migrationshintergrund und Bundesländern diffe-
renziert angeben)?

23. Plant die Bundesregierung, zu den Fragen, zu denen ihr keine Zahlen bzw.
Antworten vorliegen, dienliche Daten zu erheben (bitte zu den einzelnen
unbeantworteten Fragen Stellung beziehen)?

Wenn ja, wie und wann?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 22. November 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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