BT-Drucksache 17/11624

Umsetzung der den Bereich Medizin betreffenden Empfehlungen des Deutschen Ethikrats aus der Stellungnahme zur Intersexualität

Vom 23. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11624
17. Wahlperiode 23. 11. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Birgitt Bender, Maria Klein-Schmeink, Monika Lazar,
Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Ingrid Hönlinger, Memet Kilic,
Sven-Christian Kindler, Dr. Konstantin von Notz, Josef Philip Winkler und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Umsetzung der den Bereich Medizin betreffenden Empfehlungen des Deutschen
Ethikrats aus der Stellungnahme zur Intersexualität

Die von der Bundesregierung im Dezember 2010 an den Deutschen Ethikrat in
Auftrag gegebene Stellungnahme zur Lebenssituation intersexueller Menschen
wurde nach einem zweijährigen Dialog mit den unterschiedlichen Interessen-
gruppen im Februar 2012 veröffentlicht. Die Stellungnahme des Deutschen
Ethikrats beleuchtet therapeutische, sozialwissenschaftliche, ethische und
juristische Fragestellungen. Die Empfehlungen betreffen insbesondere den
Bereich Medizin.

Der Begriff Intersexualität vereint Menschen, die weder eindeutig dem männ-
lichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können. Zum Teil
werden auch Menschen darunter gefasst, die – nach Angaben des Deutschen
Ethikrats – den Begriff „Intersexualität“ für sich ablehnen, hierbei handelt es
sich insbesondere um Mädchen und Frauen mit dem Adrenogenitalen Syndrom
(AGS). Der Deutsche Ethikrat weist an verschiedenen Stellen der Stellung-
nahme auf die unterschiedliche Situation von AGS-Betroffenen hin.

Die Stellungnahme des Deutschen Ethikrats macht deutlich, dass in den letzten
Jahren, insbesondere aufgrund des Engagements Betroffener, Verbesserungen
erfolgt sind. Es besteht jedoch ein umfassender Handlungsbedarf, um die An-
erkennung der Verschiedenartigkeit intersexueller Menschen und ihr Recht auf
körperliche Unversehrtheit, ihr Persönlichkeitsrecht und ihr Recht auf Wahrung
ihrer geschlechtlichen Identität in Zukunft zu gewährleisten.

Die Empfehlungen des Deutschen Ethikrats decken sich in hohem Umfang mit
den Vorschlägen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Bundestagsdruck-
sache 17/5528), und sollten möglichst bald umgesetzt werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. a) Existieren in Deutschland nach Kenntnis der Bundesregierung interdis-

ziplinäre Kompetenzzentren, die die medizinische und psychosoziale Be-
ratung, Diagnose und gegebenenfalls Behandlung von Intersexualität/DSD
(Disorders of Sex Development)-Betroffenen bereits übernehmen?

Falls ja, wie verteilen sie sich über die Bundesrepublik Deutschland?

Falls nein, wer nimmt heute die Aufgaben der Beratung, Diagnose und
Behandlung insbesondere wahr?

Drucksache 17/11624 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

b) Hat die Bundesregierung mit den Bundesländern, Krankenkassen, Ärzte-
und Krankenhausverbänden Kontakt aufgenommen, um über einen ent-
sprechenden Aufbau bzw. Ausbau solcher interdisziplinärer Kompetenz-
zentren zu beraten, wie der Deutsche Ethikrat (Empfehlung 1) sie emp-
fiehlt?

Liegen bereits Ergebnisse der Gespräche vor?

Falls ja, welche?

Falls nein, wann ist damit zu rechnen?

c) Wie sollte dabei der Ansatz der Peer-Beratung (Empfehlung 3) Berück-
sichtigung finden?

2. Wie stellt sich die Bundesregierung eine räumlich ausgewogene und in ange-
messenem Zeitaufwand erreichbare fortlaufende medizinische Betreuung
(Empfehlung 2) von intersexuellen Menschen vor?

Mit wem ist sie mit welcher Zielstellung darüber im Gespräch?

3. Ist die Bundesregierung mit den Bundesländern sowie der Bundesärztekam-
mer und den Hebammenverbänden im Gespräch darüber, wie das Thema
Intersexualität in der Ausbildung, insbesondere dieser Berufsgruppen, stärker
berücksichtigt werden soll (Empfehlungen 4 und 5)?

Liegen bereits Ergebnisse der Gespräche vor?

Falls ja, welche?

Falls nein, wann ist damit zu rechnen?

4. a) Wie plant die Bundesregierung, die nach heutigem Medizinrecht unbe-
stritten notwendige alters- bzw. entwicklungsgemäße Aufklärung der be-
troffenen Kinder und Jugendlichen (Empfehlung 10) umzusetzen?

b) Sieht sie hier spezifischen Regelungsbedarf im Bereich Intersexualität,
oder plant sie im „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte
von Patientinnen und Patienten“ die Regelungen (§ 630e des Bürgerlichen
Gesetzbuchs n. F. – BGB-E) um eine alters- und entwicklungsgemäße
Aufklärung von Kindern und Jugendlichen über medizinische Eingriffe zu
ergänzen?

5. a) Wie plant die Bundesregierung, die nach heutigem Medizinrecht unbe-
stritten notwendige alters- und entwicklungsgemäße Einbeziehung der be-
troffenen Kinder und Jugendlichen in die Entscheidung über einen opera-
tiven Eingriff (Empfehlungen 8 und 9) umzusetzen?

b) Sieht sie hier spezifischen Regelungsbedarf im Bereich Intersexualität,
oder plant sie bei der Beratung des „Entwurfs eines Gesetzes zur Verbes-
serung der Rechte von Patientinnen und Patienten“ die Regelungen zur
Einwilligung (§ 630d BGB-E) um eine alters- und entwicklungsgemäße
Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen in die Entscheidung über
medizinische Eingriffe zu ergänzen?

6. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass eine ausreichende Bedenk-
zeit vor der Entscheidungsfindung notwendig ist (Empfehlung 10)?

Falls ja, sieht sie hier einen gesetzgeberischen Bedarf?

Falls ein gesetzgeberischer Bedarf gesehen wird, ist dieser eher spezifischer
oder allgemeiner Natur, und wo sollte eine Verankerung vorgenommen wer-
den?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11624

7. Plant die Bundesregierung, nachdem der Deutsche Ethikrat in seiner Stel-
lungnahme hohe Anforderungen an die Entscheidung über einen operativen
nicht reversiblen Eingriff bei nicht selbst entscheidungsfähigen Betroffenen
(s. o.) empfohlen und angeregt hatte, die Entscheidung eines Familienge-
richts zumindest in bestimmten Fallkonstellationen (Empfehlung 11) vor-
zusehen, eine entsprechende gesetzliche Regelung?

Falls ja, für welche Fallkonstellationen?

Falls ja, plant sie diese Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch im Bereich
der elterlichen Sorge zu verankern oder an welchem anderen Regelungsort?

Falls nein, warum nicht?

8. Plant die Bundesregierung, die in Empfehlung 12 vorgeschlagene Verlänge-
rung der Aufbewahrungsfrist der Dokumentation von medizinischen Be-
handlungen bei intersexuellen Menschen auf mindestens 40 Jahre gesetz-
lich aufzugreifen?

Falls ja, ist dies im Zusammenhang mit dem geplanten § 630f BGB-E (Ent-
wurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und
Patienten) oder an welchem anderen Ort vorgesehen?

Falls nein, warum nicht?

9. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, der Empfehlung 13 des
Ethikrats zur Erstattung verordneter Arzneimittel im Off-label-Gebrauch
von intersexellen Menschen nachzukommen?

Wäre die Einrichtung einer Off-label Expertengruppe (nach § 35c des Fünf-
ten Buches Sozialgesetzbuch – SGB V) DSD/Intersexualität beim Bundes-
amt für Arzneimittel und Medizinprodukte ein geeignetes Vorgehen?

10. Plant die Bundesregierung die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für
Betroffene, bei denen geschlechtszuordnende oder geschlechtszuweisende
Operationen durchgeführt wurden, die dem heutigen medizinischen Stand
nicht entsprechen und deren Lebensqualität als Folge davon erheblich be-
einträchtigt ist?

Falls ja, welchen Umsetzungsansatz verfolgt sie?

Falls ja, plant sie auf Verjährungsfristen zu verzichten?

Falls ja, mit wie vielen Antragstellern bzw. Antragstellerinnen rechnet sie?

Falls nein, warum nicht?

11. a) Ist der Bundesregierung bekannt, in welcher Höhe eine Förderung von
Selbsthilfegruppen und Verbänden von intersexuellen Menschen oder
deren Angehörigen durch öffentliche Mittel geschieht?

Plant sie selbst eine entsprechende Förderung (das Bundesministerium
für Gesundheit – BMG – unterstützt verschiedene Selbsthilfeorganisa-
tionen direkt)?

b) Ist es für Selbsthilfegruppen von Intersexuellen oder deren Angehörigen
möglich, nach § 20c SGB V Selbsthilfefördermittel der gesetzlichen
Krankenversicherung zu beantragen?

Falls ja, in welchem Umfang geschieht dies?

Falls nein, ist eine Änderung des § 20c SGB V oder des Leitfadens des
Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung sinnvoll, und
plant die Bundesregierung, eine solche Änderung umzusetzen/anzure-
gen, oder stößt dies bei Betroffenen auf Ablehnung, da die Vorausset-

zung der Förderung an die Aufnahme in eine Krankheitsliste verbunden
ist?

Drucksache 17/11624 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
12. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Deutschen Ethikrats (Emp-
fehlung 18), dass eine kontinuierliche Begleitforschung der vorgenomme-
nen geschlechtsangleichenden oder zuordnenden Operationen sowie die
Einrichtung einer europaweiten Forschungsdatenbank sinnvoll ist, um die
Evidenzlage deutlich zu erhöhen?

Plant die Bundesregierung, mit den Bundesländern eine gemeinsame Ver-
einbarung abzuschließen, um als ersten Schritt eine bundesweite For-
schungsdatenbank einzurichten und dazugehörige Forschungsprogramme
aus Mitteln des BMG oder des Bundesministeriums für Bildung und For-
schung (mit)zufinanzieren?

Falls nein, welchen Ansatz verfolgt sie?

Berlin, den 23. November 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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