BT-Drucksache 17/11406

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen17/9874, 17/11388 - Entwurf eines Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung

Vom 7. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11406
17. Wahlperiode 07. 11. 2012

Änderungsantrag
der Abgeordneten Jerzy Montag, Ingrid Hönlinger, Volker Beck (Köln), Memet Kilic,
Dr. Konstantin von Notz, Wolfgang Wieland, Josef Philip Winkler und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/9874, 17/11388 –

Entwurf eines Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes
im Recht der Sicherungsverwahrung

Der Bundestag wolle beschließen:

1. Artikel 1 wird wie folgt geändert:

a) Nach Nummer 1 werden die folgenden Nummern 1a bis 1c eingefügt:

‚1a. § 66 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 1 wird wie folgt gefasst:

„(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsver-
wahrung an, wenn

1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen
einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die

a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die
persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung
richtet, oder

b) unter den Achtundzwanzigsten Abschnitt oder unter das
Völkerstrafgesetzbuch fällt, wenn sie im Höchstmaß mit
Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist,
oder

c) den Tatbestand des § 323a erfüllt, soweit die im Rausch
begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buch-
staben a oder b genannten Art ist,

2. der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art,

die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils
zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt
worden ist,

3. er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat
für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe ver-

Drucksache 17/11406 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

büßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßre-
gel der Besserung und Sicherung befunden hat und

4. die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt,
dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, durch
welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt
werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemein-
heit gefährlich ist.

Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1
Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend.“

b) Absatz 3 wird wie folgt gefasst:

„(3) Wird jemand wegen

1. eines Verbrechens nach Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe a
oder b,

2. wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung
außer in Fällen der §§ 180a bis 184g oder

3. wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im
Rausch begangene Tat ein vorgenanntes Verbrechen oder
eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist,

zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann
das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anord-
nen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Strafta-
ten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Frei-
heitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und
die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Vorausset-
zungen erfüllt sind.

Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art be-
gangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei
Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer die-
ser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verur-
teilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4
bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungs-
verwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsent-
ziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Ab-
sätze 1 und 2 bleiben unberührt.“

c) Absatz 4 Satz 3 wird wie folgt gefasst:

„Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und
der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind.“

d) Folgender Absatz 5 wird angefügt:

„(5) Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Kranken-
haus nach § 67d Absatz 6 für erledigt erklärt worden, weil der
die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand,
auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledi-
gungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die
Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anordnen, wenn

1. die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehre-
rer der in Absatz 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde
oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher
Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden
Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von

mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatri-
schen Krankenhaus untergebracht worden war und

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11406

2. die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und er-
gänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entschei-
dung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche
Straftaten nach Absatz 1 begehen wird, durch welche die
Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung
nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe
ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.“

1b. § 66a wird wie folgt geändert:

a) Absatz 1 wird wie folgt gefasst:

„(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Siche-
rungsverwahrung vorbehalten, wenn

1. jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten
Straftaten verurteilt wird,

2. die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind,
soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 ver-
weist, und

3. nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber in hohem
Maße wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66
Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.“

b) Absatz 2 wird aufgehoben.

c) Der bisherige Absatz 3 wird Absatz 2 und folgender Satz wird
angefügt:

„Für die Prüfung, ob die Unterbringung in der Sicherungsver-
wahrung am Ende des Vollzugs der Strafe auszusetzen ist, und
für den Eintritt der Führungsaufsicht, gilt § 67c Absatz 1 des
Strafgesetzbuches entsprechend.“

1c. § 66b wird aufgehoben.“‘

b) Folgende Nummer 8 wird angefügt:

„8. In § 68d Absatz 2 werden die Wörter „zwei Jahren“ durch die Wör-
ter „sechs Monaten“ ersetzt.

2. Artikel 2 wird wie folgt geändert:

a) Nummer 1 wird wie folgt gefasst:

‚1. § 7 wird wie folgt geändert:

aa) Die Absatzbezeichnung „(1)“ wird gestrichen.

bb) Die Absätze 2 bis 4 werden aufgehoben.‘

b) Nummer 3 wird wie folgt gefasst:

„3. In § 82 wird Absatz 3 aufgehoben.“

c) Nummer 4 Buchstabe b wird wie folgt gefasst:

‚b) In Satz 2 werden die Wörter „den Antrag“ durch die Wörter „die
Überprüfung von Vollzugsmaßnahmen“ ersetzt.‘

d) In Nummer 5 wird Buchstabe a wie folgt gefasst:

‚a) Absatz 3 wird wie folgt gefasst:

„(3) Sicherungsverwahrung darf neben der Strafe nicht angeord-

net werden. Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Siche-
rungsverwahrung vorbehalten, wenn

Drucksache 17/11406 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

1. der Heranwachsende zu einer Freiheitsstrafe von mindestens
7 Jahren verurteilt wird

a) wegen oder auch wegen eines Verbrechens gegen das Leben,
die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbe-
stimmung oder nach § 251 auch in Verbindung mit § 252
oder § 255 des Strafgesetzbuches oder

b) wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung
außer in Fällen der §§ 180a bis 184g des Strafgesetzbuches,

durch welche das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt
oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden ist, die übrigen Vor-
aussetzungen des § 66 Absatz 3 des Strafgesetzbuches erfüllt sind,
soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist,
und

2. die Gesamtwürdigung des Heranwachsenden und seiner Tat
oder seiner Taten ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit
erneut Straftaten der in Nummer 1 bezeichneten Art begehen
wird.“‘

b) In Buchstabe b werden im Änderungsbefehl die Wörter „Der bishe-
rige“ und „Absatz 5 und“ gestrichen.

c) Buchstabe c wird wie folgt gefasst:

‚c) Absatz 5 wird wie folgt gefasst:

„(5) Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn
die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner
Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der
Entscheidung ergibt, dass von ihm Straftaten der in Absatz 3
Satz 2 bezeichneten Art zu erwarten sind; § 66a Absatz 2 Satz 1
des Strafgesetzbuches gilt entsprechend. Für die Prüfung, ob
die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung am Ende des
Vollzugs der Strafe auszusetzen ist, und für den Eintritt der
Führungsaufsicht, gilt § 67c Absatz 1 des Strafgesetzbuches
entsprechend.“‘

d) Buchstabe d wird aufgehoben.

e) Nummer 6 wird aufgehoben.

3. Artikel 3 wird wie folgt geändert:

a) Im Einleitungssatz wird die Angabe „§ 463 der“ durch das Wort „Die“
ersetzt.

b) Der Nummer 1 wird folgende Nummer 1 vorangestellt:

‚1. § 275a wird wie folgt geändert:

a) Absatz 1 wird wie folgt gefasst:

„(1) Ist im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung
vorbehalten (§ 66a des Strafgesetzbuches), übersendet die Voll-
streckungsbehörde die Akten rechtzeitig an die Staatsanwalt-
schaft des zuständigen Gerichts. Diese übergibt die Akten so
rechtzeitig dem Vorsitzenden des Gerichts, dass eine Entschei-
dung bis zu dem in Absatz 5 genannten Zeitpunkt ergehen kann.
Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ge-
mäß § 67d Absatz 6 Satz 1 des Strafgesetzbuches für erledigt er-
klärt worden, übersendet die Vollstreckungsbehörde die Akten

unverzüglich an die Staatsanwaltschaft des Gerichts, das für
eine Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66 Absatz 5 des

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/11406

Strafgesetzbuches) zuständig ist. Beabsichtigt diese, eine An-
ordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Absatz 5 des
Strafgesetzbuches zu beantragen, teilt sie dies der betroffenen
Person mit. Die Staatsanwaltschaft soll den Antrag auf Anord-
nung der Sicherungsverwahrung unverzüglich stellen und ihn
zusammen mit den Akten dem Vorsitzenden des Gerichts über-
geben.“

b) Absatz 3 wird wie folgt gefasst:

„(3) Nachdem die Hauptverhandlung nach Maßgabe des
§ 243 Absatz 1 begonnen hat, hält ein Berichterstatter in Abwe-
senheit der Zeugen einen Vortrag über die Ergebnisse des bishe-
rigen Verfahrens. Der Vorsitzende verliest das frühere Urteil, so-
weit es für die Entscheidung über die vorbehaltene oder die
Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Absatz 5 des
Strafgesetzbuches von Bedeutung ist. Sodann erfolgt die Ver-
nehmung des Verurteilten und die Beweisaufnahme.“

c) Absatz 4 wird wie folgt gefasst:

„(4) Das Gericht holt vor der Entscheidung die Gutachten von
zwei Sachverständigen ein. Die Gutachter dürfen im Rahmen
des Strafvollzugs oder des Vollzugs der Maßregel nicht mit der
Behandlung des Verurteilten befasst gewesen sein.“

d) Absatz 6 wird wie folgt gefasst:

„(6) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass
Sicherungsverwahrung § 66 Absatz 5 des Strafgesetzbuches an-
geordnet wird, so kann das Gericht bis zu seiner rechtskräftigen
Entscheidung einen Unterbringungsbefehl erlassen. Für den Er-
lass des Unterbringungsbefehls ist das für die Entscheidung
nach § 67d Absatz 6 des Strafgesetzbuches zuständige Gericht
so lange zuständig, bis der Antrag auf Anordnung der Siche-
rungsverwahrung bei dem für diese Entscheidung zuständigen
Gericht eingeht. In den Fällen des § 66a des Strafgesetzbuches
kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Urteils einen Unter-
bringungsbefehl erlassen, wenn es im ersten Rechtszug bis zu
dem in § 66a Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bestimmten
Zeitpunkt die vorbehaltene Sicherungsverwahrung angeordnet
hat. Die §§ 114 bis 115a, 117 bis 119a und 126a Absatz 3 gelten
entsprechend.“

c) Die bisherigen Nummern 1 und 2 werden die Nummer 2 und 3.‘

4. Artikel 7 wird wie folgt geändert:

a) Nummer 1 wird wie folgt gefasst:

‚1. Artikel 316e wird wie folgt geändert:

a) In der Artikelüberschrift werden nach dem Wort „Übergangs-
vorschriften“ die Wörter „zu dem Gesetz zur Bekämpfung von
Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten und zum
Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung
und zu begleitenden Regelungen“ eingefügt.

b) Die Absätze 1 und 2 werden wie folgt gefasst:

„(1) § 67d Absatz 3 in der Fassung des Gesetzes zur Bekämp-
fung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten

vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 160) findet auf alle Taten An-

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wendung, über die am 31. Januar 1998 noch nicht rechtskräftig
entschieden worden ist.“

„(2) Die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der
Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Siche-
rungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. De-
zember 2010 sind auf alle Taten anzuwenden über die am
31. Dezember 2010 noch nicht rechtskräftig entschieden worden
ist.“‘

b) Nummer 2 wird wie folgt geändert:

a) Die Absatzbezeichnung „(1)“ wird gestrichen.

b) Der Wortlaut des bisherigen Absatzes 1 wird wie folgt gefasst:

„Die ab dem 1. Juni 2013 geltenden Vorschriften über die Siche-
rungsverwahrung finden auf alle Taten Anwendung, über die am
31. Mai 2013 noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist.“

c) Die Absätze 2 und 3 werden aufgehoben.

5. Artikel 8 wird wie folgt gefasst:

„Artikel 8

Änderung des Therapieunterbringungsgesetzes

Das Therapieunterbringungsgesetz vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I
S. 2300, 2305) wird aufgehoben.“

Berlin, den 6. November 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Übergriffe von Menschen gegen Menschen, die Gefährdung und Vernichtung
ihrer Gesundheit, ihres Lebens und auch ihres Eigentums zu verhindern und zu
ahnden, ist eine Aufgabe und Pflicht des Staates und seiner dazu eingerichteten
Institutionen. Menschen haben Angst vor solchen Übergriffen, sie wollen sich
und ihre Kinder und Familien geschützt sehen. Dies ist völlig legitim. Nur
wenn der Staat sich dieser Aufgabe erfolgreich stellt, rechtfertigt er das ihm zu-
stehende Gewaltmonopol und verhindert Akte der Selbstjustiz.

Vorbeugung und Verhütung von Straftaten, Verfolgung und Bestrafung von Tä-
tern, aber in letzter Konsequenz auch der Freiheitsentzug von nach Verurteilung
und Verbüßung einer Freiheitsstrafe weiterhin hochgefährlicher Menschen sind
notwendige Maßnahmen, zu denen der Staat greifen darf und auch muss. Es
gibt leider einige wenige Menschen, die für andere eine so aktuelle und große
Gefahr sind, dass potenzielle Opfer nicht anders geschützt werden können als
dadurch, dass diesen Menschen die Freiheit entzogen wird, solange ihre Ge-
fährlichkeit fortdauert.

Der demokratische Rechtsstaat ist den Menschenrechten aller Menschen, der
Opfer wie der Täter, verpflichtet und darf deshalb – auch zur Abwehr konkreter
Gefahren – nicht zu allen denkbaren und möglichen Maßnahmen greifen. In
dieser Beschränkung auf das menschen- und grundrechtlich Zulässige erweist
sich nicht nur die unabweisbare Erkenntnis, dass es keine absolute Sicherheit

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/11406

vor Kriminalität geben kann, sondern auch die Stärke einer demokratischen und
den Menschen- und Grundrechten verpflichteten Gesellschaft.

Die Regelungen der Sicherungsverwahrung gehören zu den rechtsstaatlich sen-
sibelsten Regelungen im Strafrecht. Sie bedeuten Freiheitsentziehung jenseits
der und über die Schuld hinaus, die Täter auf sich geladen haben. Sicherungs-
verwahrung setzt eine Prognose zukünftigen strafbaren Verhaltens voraus. Die
Unsicherheit solcher Prognosen in beiden Richtungen, also sowohl der zukünf-
tigen Gefährlichkeit wie Ungefährlichkeit, machen die Gefahren deutlich, die
sich mit der Sicherungsverwahrung – aber auch ihrer Ablehnung – verbinden.

Spätestens seit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Men-
schenrechte (EGMR) im Dezember 2009, der seitdem einige weitere folgten,
steht fest, dass die Sicherungsverwahrung in Deutschland reformiert werden
muss. Auch wenn sich diese Entscheidungen direkt lediglich auf Sondergestal-
tungen des geltenden Rechts in Deutschland beziehen, gehen sie in ihren Kon-
sequenzen weit darüber hinaus. Die Bedingungen, unter denen Sicherungsver-
wahrung in Zukunft angeordnet werden kann, aber auch und besonders der
Vollzug dieser Freiheitsentziehung in der Verantwortung der Bundesländer
müssen neu durchdacht und geregelt werden. Dies hat das Bundesverfassungs-
gericht (BVerfG) in seiner grundlegenden Entscheidung vom 4. Mai 2011 ange-
ordnet. Das Gericht hat seine bisherige Rechtsprechung revidiert und sich den
Entscheidungen des EGMR angenähert. Dieser Entscheidung ging die Reform
der Sicherungsverwahrung aus dem Jahr 2010 voraus, die zum 1. Januar 2011
eingeführt wurde. Diese Reform war halbherzig und verkomplizierte das schon
bis dahin fast nicht mehr durchschaubare Recht der Sicherungsverwahrung.
Aber sie ging wenigstens in die richtige Richtung der Eindämmung der aus
dem Ruder laufenden Sicherungsverwahrung. Das Bundesverfassungsgericht
hat ungeachtet dieser Reform praktisch das gesamte materielle Recht der Siche-
rungsverwahrung für mit der Verfassung unvereinbar erklärt. Gerügt wurden
indessen nicht die Rechtsnormen selbst, sondern der in Länderzuständigkeit
stehende Vollzug der Sicherungsverwahrung. Trotz der seit der Föderalismus-
reform auf die Länder übergegangenen Zuständigkeit für alle Formen der Frei-
heitsentziehung, also auch des Vollzugs der Sicherungsverwahrung, hat das
BVerfG dem Bund aufgegeben, bis zum 31. Mai 2013 die Grundausrichtung
des Vollzugs der Sicherungsverwahrung bundeseinheitlich zu regeln.

Für den Vollzug hat das BVerfG Leitlinien vorgegeben, die gesetzlich umzuset-
zen sind, um den Vollzug der Sicherungsverwahrung menschenrechtskonform
und grundrechteachtend zu gestalten. Aus der Tatsache, dass die Sicherungs-
verwahrung ein letztes Mittel der Gefahrenabwehr darstellt (Ultima-Ratio-Prin-
zip), folgt, dass bereits der vorgehende Vollzug der Freiheitsstrafe therapeutisch
darauf angelegt sein muss, die nachfolgende Sicherungsverwahrung entbehr-
lich zu machen. Unterbleibt dies, so darf die Sicherungsverwahrung nicht voll-
streckt werden. Der Vollzug der Sicherungsverwahrung selbst muss therapie-
und freiheitsorientiert gestaltet werden. Er ist vom regulären Strafvollzug zu
trennen. Die Umsetzung der Leitlinien ist von der Justiz kontinuierlich zu über-
wachen, wobei den Betroffenen umfassender Rechtsschutz zusteht.

Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf zur Reform des Rechts
der Sicherungsverwahrung geht in die richtige Richtung. Er wird von uns in
seiner Zielrichtung unterstützt, die Leitlinien des BVerfG umzusetzen. Da er
aber ansonsten in keinem Punkt über die Reform des Jahres 2010 hinausgeht,
bleibt die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei ihrer Kritik, die sie bereits
damals deutlich formuliert hat und die sie nun wiederholt.

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Im Einzelnen sehen wir Änderungsbedarf am Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung aus folgenden Gründen:

Zu Nummer 1

Zu Buchstabe a

Zu Nummer 1a

Zu Buchstabe a (§ 66 Absatz 1)

Die Änderung des Rechts der Sicherungsverwahrung im Jahr 2010 hatte vor-
geblich zum Ziel, dass insbesondere solche Delikte dem Anwendungsbereich
des § 66 des Strafgesetzbuchs (StGB) entzogen werden sollten, die sich nur ge-
gen Eigentum oder das Vermögen (in einem weit verstandenen Sinne) richten
und nicht mit der Anwendung von Gewalt gegen Personen verbunden sind.
Dieses Ziel wurde jedoch nicht konsequent umgesetzt. Nach wie vor kann die
Sicherungsverwahrung bei gewaltlosen Vermögensdelikten, die – ausgehend
von ihrem Strafrahmen – von besonderer Schwere sind, angeordnet werden. Er-
fasst werden nach § 66 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b StGB (bisher) auch alle
Verurteilungen wegen Straftaten, die den Abschnitten 1, 7, 20 und dem Betäu-
bungsmittelgesetz unterfallen und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von
mindestens zehn Jahren bedroht sind.

Der vorliegende Änderungsantrag sieht daher vor, die Sicherungsverwahrung
tatsächlich auf schwerste Gewalt- und Sexualdelikte sowie auf gemeingefährli-
che Straftaten und Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu beschrän-
ken.

Zu Buchstabe b (§ 66 Absatz 3)

Straftaten nach den §§ 182, 224 und 225 Absatz 1 oder 2 werden aus dem Kata-
log der erleichterten Anordnung der Sicherungsverwahrung nach Absatz 3 her-
ausgenommen, bleiben jedoch selbstverständlich mögliche Anlasstat nach Ab-
satz 1. Im Übrigen wird der Wortlaut des Absatzes 3 Satz 1 sprachlich einfacher
gefasst.

Zu Buchstabe c (§ 66 Absatz 4 Satz 3)

Objektive und formale Schranken bei der Verhängung der Sicherungsverwah-
rung sind notwendig, um den absoluten Ausnahmecharakter dieser Maßregel zu
gewährleisten. Zugleich sind sie ein Gegengewicht zu der nicht zu beseitigen-
den Unsicherheit bei der notwendigen Negativprognose. Die Rückfallverjäh-
rung ist ein notwendiges Element zur Beschränkung der Maßregel der Siche-
rungsverwahrung auf Einzelfälle. Nicht die Notwendigkeit mehrerer Straftaten
allein sichert auf formaler Ebene die Richtigkeit der negativen Gefahrenpro-
gnose. Zwischen den mehreren Taten muss auch ein innerer Zusammenhang
bestehen, der jedoch durch Zeitablauf immer schwerer nachweisbar ist. Des-
halb bleibt es richtig, dass gesetzlich eine Höchstfrist von fünf Jahren festge-
setzt wird, außerhalb derer der Nachweis der fortwährenden Gefährlichkeit so
unsicher wird, dass hierauf die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht
mehr gestützt werden kann. Dies gilt auch für Sexualstraftaten, weshalb die in
der letzten Reform verdreifachte Frist wieder auf fünf Jahre reduziert wird.

Zu Buchstabe d (§ 66 Absatz 5 – neu)

Die zuvor in § 66b geregelte Überweisung von der Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus in die Sicherungsverwahrung soll als neuer Ab-
satz 5 dem § 66 angegliedert werden, um systematisch deutlich zu machen,
dass es sich hierbei nicht um eine Form der nachträglichen Anordnung der Si-

cherungsverwahrung handelt, sondern vielmehr um die Überführung von einer
Maßnahme der Sicherung und Besserung (Unterbringung in einem psychiatri-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/11406

schen Krankenhaus nach § 63) in die Sicherungsverwahrung. Dabei müssen
einerseits die strengen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 Satz 1 vorliegen und
andererseits auch eine Gefährlichkeitsprognose, wie sie in § 66 Absatz 1 Satz 1
Nummer 4 gefordert wird.

Zu Nummer 1b (§ 66a)

Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung erscheint notwendig, um bei letzten
Zweifeln über die Gefährlichkeit im Zeitpunkt der Verurteilung eine spätere
Entscheidung zu ermöglichen. Diese Ausweitung der Sicherungsverwahrung
darf jedoch nicht dazu führen, dass die allgemeinen Regelungen unterlaufen
werden, welche die Sicherungsverwahrung als strenge Ausnahmemaßnahme
kennzeichnen.

Im geltenden Recht nach der letzten Reform wird der Vorbehalt einer später zu
verhängenden Sicherungsverwahrung auch bei Ersttätern zugelassen. Dies sieht
das Gesetz mit guten und weiterhin richtigen Gründen für die Verhängung einer
Sicherungsverwahrung neben der Strafe gerade nicht vor. Die Ausweitung auf
Ersttäter bedeutet, dass die formale Hürde mehrerer Straftaten als äußerer Hin-
weis auf eine mögliche hangbedingte Gefährlichkeit eingerissen wird.

Der Änderungsantrag zielt mit der Streichung des Absatzes 2 auf eine Beseiti-
gung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung bei Ersttätern.

Zusätzlich wird in Absatz 1 der Vorbehalt einer späteren Sicherungsverwah-
rung auf Fälle begrenzt, bei denen das Gericht es mit „hohem Maß für wahr-
scheinlich“ hält, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4
vorliegen.

Da Absatz 2 gestrichen wird, wird der bisherige Absatz 3 zum neuen Absatz 2.

Zu Nummer 1c (Streichung des § 66b)

Die Streichung des § 66b StGB vereinheitlicht das System der Sicherungsver-
wahrung. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegenüber Betroffenen,
die nach § 67d in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, wird
nunmehr in § 66 Absatz 5 geregelt. Damit wird sie systematisch den allgemei-
nen Regeln über die Anordnung der Sicherungsverwahrung zugeordnet. Auf
das Institut der nachträglichen Sicherungsverwahrung wird vollständig verzich-
tet.

Zu Buchstabe b (§ 68d)

Eine Anordnung der elektronischen Fußfessel ist ein ganz erheblicher Eingriff
in Grundrechte.

Trotz einiger Pilotprojekte zur elektronischen Fußfessel in den Bundesländern
gibt es bisher kaum wissenschaftliche Studien zu ihrer Evaluierung. Hier be-
steht dringender Bedarf. Ob diese Maßnahme wirklich ein legitimes und geeig-
netes Mittel im Rahmen der Führungsaufsicht darstellt, ist weitgehend unge-
klärt. Ungeklärt ist insbesondere, wie sich die Fußfessel auf im wesentlichen
triebgesteuerte Täter auswirkt und ob sie durch Abschreckung neue Straftaten
verhindern kann. Es besteht zudem die Gefahr, dass die Fußfessel – sofern sie
erst einmal in diesem engen Bereich implementiert wurde – auch in anderen
Bereichen eingesetzt werden wird. Wenn man bei der Führungsaufsicht trotz-
dem dieses Mittel beibehalten will, ist jedenfalls zu kritisieren, dass die Anord-
nung der Fußfessel nicht ausreichend überprüft wird. Diese Anordnung muss in
kurzen Abständen auf ihre Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit überprüft
werden. Hierfür ist eine Frist von zwei Jahren viel zu lang. Sie muss auf eine
Frist von sechs Monaten herabgesetzt werden.

Drucksache 17/11406 – 10 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Zu Nummer 2

Zu Buchstabe a (§ 7 JGG)

Die Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht stellt einen Systembruch dar.
Das Jugendstrafrecht ist Erziehungsstrafrecht und geprägt von dem Wissen da-
rum, dass sich jugendliche Straftäter in einer körperlichen und sozialen Ent-
wicklungsphase befinden, die nicht linear, sondern in Wellen verläuft.

Die Feststellung der potenziellen Begehung zukünftiger Straftaten mit hoher
Wahrscheinlichkeit im Sinne einer negativen Prognoseentscheidung ist bei Ju-
gendlichen aus diesem Grund wesentlich schwieriger als bei Erwachsenen. Ju-
gendliche sind aufgrund der Kürze ihres bisherigen Lebensweges im Gegensatz
zu Erwachsenen grundsätzlich wesentlich prägbarer und änderungsfähiger.
Ganz überwiegend wird deshalb die Anordnung der Sicherungsverwahrung
gegenüber jugendlichen Straftätern von der Deutschen Vereinigung für Jugend-
gerichte und Jugendgerichtshilfen (DVJJ) e. V. und anderen Praktikern der Ju-
gendgerichtshilfe sowie von Vertretern der Wissenschaft und Forschung abge-
lehnt.

Aus diesen Überlegungen ist die Sicherungsverwahrung bei nach Jugendrecht
Verurteilten insgesamt abzuschaffen.

Zu Buchstabe b (§ 82 Absatz 3 JGG)

Es handelt sich um eine Folgeänderung zur Streichung der Sicherungsverwah-
rung für Jugendliche in § 7.

Zu Buchstabe c (§ 92 JGG)

Es handelt sich um eine Folgeänderung zur Streichung der Sicherungsverwah-
rung für Jugendliche in § 7.

Zu Buchstabe d (§ 106 JGG)

Die Änderung bezieht sich auf die vorbehaltene Sicherungsverwahrung bei He-
ranwachsenden, die nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden. Die Gründe
für die Abschaffung der Sicherungsverwahrung bei Jugendlichen gelten in be-
grenztem Maße auch für Heranwachsende. Aus diesem Grund ist es notwendig,
auch bei Heranwachsenden die Voraussetzungen für die Anordnung der vorbe-
haltenen Sicherungsverwahrung zu verschärfen. Der vorliegende Änderungsan-
trag sieht vor, die Anlasstaten zu begrenzen und die Höhe der Freiheitsstrafe
um zwei Jahre zu steigern. Das Gericht darf sich die Anordnung der Siche-
rungsverwahrung nur noch dann vorbehalten, wenn der Heranwachsende
wegen Gewalt- und Sexualverbrechen oder Straftaten gegen die sexuelle
Selbstbestimmung außer in Fällen der §§ 180a bis 184g zu mindestens sieben
Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wird. Außerdem werden die Anforderungen an
die Gefährlichkeitsprognose erhöht. So muss eine hohe Wahrscheinlichkeit dar-
über bestehen, dass der Heranwachsende erneut Straftaten der vorgenannten
Art begehen wird. Zudem soll dem Gericht statt der Anordnung die Möglich-
keit gegeben werden, entsprechend § 67c Absatz 1 StGB die Sicherungsver-
wahrung zur Bewährung aussetzen zu können.

Zu Nummer 3 (§ 275a StPO)

Zu den Buchstaben a, b und d

Der Wortlaut wird angepasst und ggf. durch Hinweis auf § 66 Absatz 5 StGB
neu ersetzt.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 11 – Drucksache 17/11406

Zu Buchstabe c

§ 275a Absatz 4 unterscheidet in seiner bisherigen Form beim Erfordernis der
Sachverständigengutachten zwischen der Anordnung der Sicherungsverwah-
rung nach § 66 Absatz 1 bis 3 StGB und der Überweisung in die Sicherungs-
verwahrung nach § 66 Absatz 5 StGB. Wird bei der Entscheidung über die An-
ordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Absatz 1 bis 3 StGB lediglich
das Gutachten eines Sachverständigen benötigt, so bedarf es bei der Überwei-
sung in die Sicherungsverwahrung nach § 66 Absatz 5 der Gutachten zweier
Sachverständiger. Diese Unterscheidung ist jedoch vor dem Hintergrund glei-
chermaßen schwieriger und komplexer Sachverhalte nicht gerechtfertigt. Aus
diesem Grund schlägt der Änderungsantrag vor, das Erfordernis zweier Sach-
verständiger auf die Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwah-
rung nach § 66 Absatz 1 bis 3 auszuweiten. Die Anordnung der Sicherungsun-
terbringung ist wegen der notwendigen Prognose zukünftiger Gefährlichkeit
erheblich fehlerbehaftet. Um die Gefahr dieser Fehler zu minimieren, wird vor-
geschlagen, grundsätzlich zwei psychiatrische Sachverständige vor einer ge-
richtlichen Entscheidung anzuhören.

Zu Nummer 4

Zu Buchstabe a (Artikel 316e EStGB)

Die Überschrift zu Artikel 316e wird ergänzt, da auch eine Übergangsregelung
zum Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen Straftaten vom
26. Januar 1998 vorgeschlagen wird.

In einem neuen Absatz 1 wird klargestellt, dass das Gesetz zur Bekämpfung
von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftraten vom 26. Januar 1998
auf diejenigen Taten Anwendung findet, über die bis zum Stichtag 31. Januar
1998 noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist.

Damit wird aus dem Urteil des EGMR vom 17. Dezember 2009 die notwendige
Schlussfolgerung gezogen. Die menschenrechtswidrige Rückwirkung des Weg-
falls der Zehnjahreshöchstfrist der Sicherungsverwahrung wird beseitigt.

Der neu gefasste Absatz 2 sichert, dass die Regelungen des vorliegenden Ge-
setzentwurfes (Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Siche-
rungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen) auf Taten angewendet
wird, über die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes noch nicht
rechtskräftig entschieden worden ist. Damit wird verhindert, dass es in Zukunft
noch auf viele Jahre zu einem Nebeneinander der alten und der neuen Regelun-
gen der Sicherungsverwahrung kommt.

Zu Buchstabe b (Artikel 316f – neu – EStGB)

Aus den zu der Änderung des § 316e EStGB genannten Gründen ist auch
§ 316f EStGB entsprechend zu ändern. Die Regelungen des Gesetzes zur bun-
desrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsver-
wahrung soll so auf alle Taten Anwendung finden, über die am 31. Mai 2013
noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist. Nur so kann eine dem Rechts-
staats- und Vertrauensschutzprinzip widersprechende Zweigleisigkeit des mate-
riellen Strafrechts über Jahrzehnte verhindert werden.

Zu Nummer 5 (ThUG)

Das im Gesetzentwurf vorgesehene „Gesetz zur Therapierung und Unterbrin-
gung psychisch gestörter Gewalttäter“ (ThUG) führt den Begriff der „psychi-
schen Störung“ ein, um die in § 1 Absatz 1 beschriebenen sogenannten Altfälle
unterbringen zu können. Der Begriff der psychischen Störung decke „ein brei-

tes Spektrum von Erscheinungen ab, von denen nur ein Teil in der psychia-

Drucksache 17/11406 – 12 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
trisch-forensischen Begutachtungspraxis als psychische Erkrankung gewertet
wird“ (vgl. Begründung, S. 86).

Gerechtfertigt sein soll die Freiheitsentziehung durch Artikel 5 Absatz 1 Num-
mer 3 (Recht auf Freiheit und Sicherheit) der Europäischen Menschenrechts-
konvention (EMRK). Tatsächlich verlangt jedoch die EMRK etwas anderes als
eine „psychische Störung“, nämlich die Diagnose „psychisch krank“. Zu den
psychisch Kranken in diesem Sinne sind zwar auch Personen zu zählen, die als
permanente Rechtsbrecher in Erscheinung treten, aber diese dürfen aufgrund
einer Persönlichkeitsstörung strafrechtlich nicht verantwortlich sein (vgl.
Peukert in Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 3. Aufl., S. 106 – zur Ent-
scheidung der Europäischen Menschenrechtskommission vom 12. Juli 1976,
Nr. 7493/76).

Entsprechend verlangt § 63 StGB (Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus), dass die Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der
verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen wurde. Die Altfälle waren zur
Tatzeit jedoch als voll schuldfähig anzusehen.

Es wird suggeriert (vgl. Begründung, S. 34, 80, 87), die Probanden seien be-
handlungsfähig, aber auf die Behandlungsfähigkeit kommt es bei der Unter-
bringung gar nicht an. Eine Unterbringung findet auch statt bei Therapieun-
fähigkeit und -verweigerung. Entscheidend ist daher die Einschätzung als
„gefährlich“ (vgl. a. a. O., S. 86).

Die Gesetzgebungskompetenz soll aus der Kompetenz im Titel „Strafrecht“
(Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes) zur Regelung zukunftsge-
richteter Maßnahmen folgen, die ihre sachliche Rechtfertigung auch aus voran-
gegangenen Straftaten beziehen – über § 66b StGB, § 7 Absatz 2 bis 4 und
§ 106 Absatz 5 bis 7 des JGG hinaus (vgl. Begründung, S. 32). Die Vorausset-
zungen des ThUG sind den Unterbringungsgesetzen der Länder nachgebildet.
Diese sind insbesondere für die Gesetzgebung im Bereich der Gefahrenabwehr
zuständig. Die Bundesländer haben insoweit auch von ihrer Gesetzgebungsbe-
fugnis Gebrauch gemacht. Es ist insoweit höchst fragwürdig, ob überhaupt eine
Gesetzgebungskompetenz des Bundes besteht.

Der Gefahr der bevorstehenden – seit Monaten bekannten – Entlassung der Alt-
fälle für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger kann und muss auf andere,
rechtstaatliche Weise begegnet werden. Dazu sind bereits nach geltendem
Recht geeignete Instrumente vorhanden, insbesondere das Mittel der Führungs-
aufsicht. Anderenfalls besteht die begründete Gefahr, dass Deutschland erneut
wegen eines Verstoßes gegen die EMRK verurteilt wird.

Daher ist die Streichung des Gesetzes geboten.

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