BT-Drucksache 17/10997

Eine solidarische Rentenversicherung für alle Erwerbstätigen

Vom 16. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10997
17. Wahlperiode 16. 10. 2012

Antrag
der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge,
Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia Möhring,
Yvonne Ploetz, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler,
Harald Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion
DIE LINKE.

Eine solidarische Rentenversicherung für alle Erwerbstätigen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Um die gesetzliche Rentenversicherung zukunftsfest zu machen, ist neben der
Wiederherstellung eines den Lebensstandard sichernden Rentenniveaus, seiner
paritätischen Finanzierung und der Stärkung des Solidarausgleichs auch gebo-
ten, den Kreis der Versicherten zu erweitern und alle Erwerbstätigen in die
Solidargemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung einzubeziehen.
Neben den bisher Pflichtversicherten sollen auch Beamtinnen und Beamte, Ab-
geordnete, Ministerinnen und Minister, Freiberuflerinnen und Freiberufler und
andere Selbständige in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden
und leistungsrechtlich denselben Bedingungen unterliegen wie die bisherigen
Pflichtversicherten. Das stärkt nicht nur die Schutzfunktion und die
Solidargemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern ist auch ein
Gebot der Gleichbehandlung und des sozialen Friedens in unserer Gesellschaft.

Diejenigen, die bisher nicht oder nicht ausreichend für das Alter und gegen
Erwerbsminderung abgesichert sind, z. B. viele Soloselbständige, erhalten
dadurch Zugang zum vollen Leistungsspektrum der gesetzlichen Rentenver-
sicherung, das nicht nur die Altersrente, sondern auch den Schutz bei Erwerbs-
minderung und für Hinterbliebene sowie solidarische Ausgleichsmaßnahmen
– etwa bei Kindererziehung und Pflege – umfasst. Dies stellt einen deutlichen
Vorteil gegenüber privaten Versicherungen dar.

Die Existenz unterschiedlicher nebeneinander existierender, teilweise stark
privilegierter öffentlicher Vorsorgesysteme für das Alter hat sich historisch
überlebt und muss zugunsten einer einheitlichen Versicherung für alle Erwerbs-
tätigen aufgegeben werden. Eine für alle – alle für eine: Das ist das Motto einer
zukunftsfähigen solidarischen Rentenversicherung, in die alle zu den gleichen
Bedingungen einbezogen sind.

Um mit dieser Einbeziehung auch die Solidargemeinschaft zu erweitern und die
Finanzbasis der gesetzlichen Rentenversicherung zu stärken, muss die Bei-
tragsbemessungsgrenze an- bzw. aufgehoben werden und das Beitragsleis-
tungsverhältnis, das weiterhin das Leitprinzip der gesetzlichen Rentenversiche-
rung bleibt, im oberen Bereich modifiziert werden. Analog zur Aufwertung von
Zeiten mit geringem Entgelt durch die Rente nach Mindestentgeltpunkten
sollen hohe Rentenansprüche abgeflacht werden.

Drucksache 17/10997 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem der Kreis der in der gesetzlichen
Rentenversicherung Pflichtversicherten unter Beachtung des Bestandsschutzes
sukzessive auf alle Erwerbstätigen ausgeweitet und mehr Solidarität eingeführt
wird.

a) Künftig wird neben bisher Pflichtversicherten – also u. a. sozialversiche-
rungspflichtig Beschäftigten, Kindererziehenden, Pflegenden und Erwerbs-
losen – jede und jeder Erwerbstätige – also auch Beamtinnen und Beamte,
Abgeordnete, Freiberuflerinnen und Freiberufler und Selbständige – in der
gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert, sofern sie oder er am
Stichtag nicht bereits in einem anderen Alterssicherungssystem obligato-
risch versichert ist.

b) Die Beitragsbemessungsgrenze wird perspektivisch abgeschafft, und die da-
mit verbundenen Rentensteigerungen bei Besser- und Bestverdienenden
werden abgeflacht.

Berlin, den 16. Oktober 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die Alterssicherung nach Standes- und Statusgruppen ist ein Relikt aus vorde-
mokratischen Zeiten. Wer künftig erstmalig eine Erwerbstätigkeit aufnimmt,
wird nicht in den ggf. für die jeweilige Berufsgruppe bestehenden Altersvorsor-
gesystemen, sondern in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert. Aus
Gründen des Bestandsschutzes sind lange Übergangszeiten notwendig. Lang-
fristig wird es jedoch nur noch eine obligatorische Alterssicherung für alle Er-
werbstätigen in Form der solidarischen Rentenversicherung geben. In diese
sind über den Solidarausgleich auch Erziehende, Pflegende und Erwerbslose
einbezogen.

Die solidarische Rentenversicherung soll weiterhin ihren Charakter als Ersatz-
leistung für Erwerbseinkommen behalten. Anders als in Modellen einer Bür-
gerversicherung werden dementsprechend nicht alle Einkommensarten verbei-
tragt. So werden z. B. Einkommen aus Vermögen und Vermietung nicht heran-
gezogen, weil diese Einkünfte nicht mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze
entfallen und daher nicht ersetzt werden müssen.

Die Beitragsbemessungsgrenze markiert die Höhe des Bruttoentgelts, bis zu der
Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erhoben werden. Sie liegt derzeit
in Westdeutschland bei 5 600 Euro und in Ostdeutschland bei 4 800 Euro brutto
im Monat. Oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze werden keine Beiträge auf
das Einkommen fällig, es entstehen allerdings auch keine Leistungsansprüche.

Soll der Solidarcharakter der gesetzlichen Rentenversicherung durch die Einbe-
ziehung aller Erwerbstätigen tatsächlich gestärkt und die Finanzbasis verbrei-
tert werden, kann nicht lediglich die Beitragsbemessungsgrenze angehoben
bzw. aufgegeben werden. Andernfalls würden diesen Beiträgen äquivalent auch
erhöhte Leistungsansprüche gegenüberstehen. Um Spielraum für Leistungsver-
besserungen und Umverteilung zu erhalten, muss daher auch das Äquivalenz-
prinzip im oberen Bereich modifiziert werden, ähnlich wie es durch die Rente
nach Mindestentgeltpunkten für Beitragszeiten bis 1992 im unteren Bereich
heute bereits der Fall ist. Hier werden Beitragszeiten mit geringem Entgelt um

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10997

das 1,5-Fache bis maximal 75 Prozent des Durchschnittseinkommens der Versi-
cherten aufgewertet, wenn mindestens 35 Jahre an rentenrechtlichen Zeiten
vorliegen.

Denkbar wäre für den oberen Bereich etwa, die Beitragsbemessungsgrenze in
eine Beitragsäquivalenzgrenze umzuwandeln, ab der sich zusätzliche Beiträge
nicht mehr eins zu eins, sondern nur noch anteilig – etwa mit zwei Dritteln –
leistungssteigernd auswirken. Ein Drittel der Beiträge oberhalb der Beitrags-
äquivalenzgrenze stünden dann als Umverteilungsmasse zur Verfügung. Diese
Umwandlung kann von einer schrittweisen Anhebung und mittelfristigen Ab-
schaffung der Beitragsbemessungsgrenze begleitet werden.

Im Gegensatz etwa zur Alters- und Hinterlassenenversicherung der Schweiz,
die die aus Pflichtbeiträgen erwachsenden Rentenansprüche auf dem Niveau
der Maximalrente von 2 360 CHF (entspricht etwa 1 950 Euro) radikal kappt,
wäre damit das Äquivalenzprinzip in der gesetzlichen Rentenversicherung im
Bereich der höheren Einkommen nicht abgeschafft, sondern lediglich modifi-
ziert, was den Vorschlag verfassungsfest und gesellschaftlich breiter akzeptabel
macht.

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