BT-Drucksache 17/1058

Eurozone reformieren - Staatsbankrotte verhindern

Vom 16. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1058
17. Wahlperiode 16. 03. 2010

Antrag
der Abgeordneten Michael Schlecht, Alexander Ulrich, Dr. Barbara Höll, Eva Bulling-
Schröter, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Andrej Hunko, Harald Koch, Ralph
Lenkert, Ulla Lötzer, Dorothee Menzner, Thomas Nord, Richard Pitterle, Paul
Schäfer (Köln), Dr. Herbert Schui, Sabine Stüber, Dr. Axel Troost, Sahra
Wagenknecht, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Eurozone reformieren – Staatsbankrotte verhindern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Europäische Währungsunion ist bedroht. Die Länder der Eurozone koor-
dinieren ihre Wirtschaftspolitik unzureichend. Dies erschwert eine einheit-
liche Geldpolitik und gefährdet den Währungszusammenhalt.

2. Die führenden Ratingagenturen haben griechische Staatsanleihen herab-
gestuft. Die Risikoaufschläge erreichten gegenüber Bundesanleihen zwi-
schenzeitlich mit rund 3,7 Prozentpunkten den höchsten Stand seit Einfüh-
rung des Euro. Die hohen Risikoprämien wurden durch Spekulation mit
Kreditabsicherungen (Credit Default Swaps) verursacht. Spekulanten und
Ratingagenturen entscheiden über die Politik eines souveränen Staates und
die Lebensbedingungen der griechischen Bevölkerung.

3. In Griechenland werden jährlich etwa 30 Mrd. Euro Steuern hinterzogen. Die
effektiven Steuern auf Kapital von 15,9 Prozent in Griechenland liegen zudem
weit unter dem Durchschnitt der Eurozone. Steuerdumping durch sinkende
Steuern für Unternehmen und hohe Einkommen verursachen steigende Staats-
verschuldung. Auch wenn Griechenland für die Zuverlässigkeit der nationalen
Statistik sorgt und die öffentlichen Haushalte durch einen effektiven Steuer-
vollzug stabilisiert, sind damit die Probleme nicht bewältigt.

4. Weitere Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) sind von Haushalts-
risiken betroffen, obwohl sie vor Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise
über einen geringen Schuldenstand verfügten. Die Probleme Spaniens und
Irlands etwa gehen auf unzureichende Steuereinnahmen sowie die staatlichen
Rettungsmaßnahmen für Banken zurück. Die Leistungsbilanzdefizite Spa-
niens haben die Steuereinahmen verringert und die Kreditkrise begünstigt.

5. Der EU-Ratspräsident Herman van Rompuy rügt die „unkooperative Wirt-

schaftspolitik“ Deutschlands. Die deutschen Reallöhne sinken seit sechs Jah-
ren, der Spielraum der Produktivitätsentwicklung wird nicht ausgeschöpft.
Deutschland betreibt ebenfalls Steuerdumping bei den Unternehmenssteuern.
Dies führt zu sinkenden Kosten für Unternehmen bzw. hohen Exportüber-
schüssen Deutschlands und erhöht die Auslandsschuld der Defizitländer. Zu-
gleich behindert die Abhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft vom Export
ein stetiges Wachstum, da zahlreiche Handelspartner überschuldet sind.

Drucksache 17/1058 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

6. Die EU sowie der Internationale Währungsfonds (IWF) verlangen von Grie-
chenland Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst und Sozialabbau. Diese
Politik hat Entwicklungsländer bereits während der Schuldenkrise der 1980er-
Jahre in eine tiefe Wirtschaftskrise gestürzt. Eine Senkung der Löhne und der
Staatsausgaben gefährdet die wirtschaftliche Erholung in Europa und wird
die politische Krise der EU vertiefen. Stattdessen müssen die Löhne in
Deutschland steigen, um einen Beitrag zur Verringerung der Leistungsbilanz-
defizite von Mitgliedstaaten der Eurozone zu leisten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

1. sich auf europäischer Ebene für folgende kurzfristige Maßnahmen zur Be-
wältigung der Haushaltskrisen von Euroteilnehmern einzusetzen:

a) Das Verbot des finanziellen Beistands für EU-Mitgliedstaaten wird ausge-
setzt.

b) Die Mitgliedstaaten der Eurozone legen Euroanleihen auf.

c) Die Europäische Zentralbank erwirbt Staatsschuldtitel entsprechend der
Praxis der Federal Reserve (FED) in den USA bzw. der Bank of England
(BOE) im Vereinigten Königreich.

d) Der Handel mit Credit Default Swaps wird verboten;

2. sich auf europäischer Ebene für die Verwirklichung einer Mindestbesteue-
rung von Einkommen und Unternehmen auf breiter und harmonisier-
ter Be- messungsgrundlage einzusetzen und in diesem Sinne die Arbeiten an
einer Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrund-
lage (GKKB) wieder aufzunehmen. Dabei ist eine Mindestbesteuerung anzu-
streben, die wenigstens dem Durchschnitt der effektiven Steuersätze in der
Eurozone entspricht;

3. sich auf europäischer Ebene für folgende Maßnahme einzusetzen, um eine
makroökonomische Koordination sowie einen ausgeglichenen Außenhandel
zwischen EU-Mitgliedstaaten zu fördern:

a) Der Stabilitäts- und Wachstumspakt wird durch einen außenwirtschaft-
lichen Stabilitätspakt ersetzt. Der Pakt soll das außenwirtschaftliche
Gleichgewicht zwischen EU-Mitgliedstaaten fördern. EU-Mitgliedstaaten
mit Leistungsbilanzüberschüssen gegenüber dem Rest der EU sind auf
verbindliche Maßnahmen zur Wiederherstellung des außenwirtschaft-
lichen Gleichgewichts zu verpflichten.

b) Ein geeigneter EU-Strukturfonds wird geschaffen, um längerfristig an-
dauernde Defizite von EU-Mitgliedstaaten zu finanzieren bzw. eine auf-
holende Entwicklung in den betroffenen Mitgliedstaaten zu ermöglichen;

4. sich auf europäischer Ebene für eine Änderung des Vertrags von Lissabon
einzusetzen, sofern eine der voranstehend genannten Maßnahmen dies erfor-
derlich macht.

Berlin, den 16. März 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1058

Begründung

Rettungsmaßnahmen bei Staatsbankrotten notleidender Währungspartner
sind für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland mit erheb-
lichen Kosten verbunden. Frühzeitige Hilfen für Griechenland verringern das
Risiko, dass Investoren gegen weitere Mitgliedstaaten der Eurozone spekulie-
ren. Es entspräche überdies dem politischen Selbstverständnis der EU, das
Krisenmanagement in Europa nicht dem IWF zu überlassen.

Die EU und der IWF wollen Griechenland zu Kürzungen bei öffentlichen
Investitionen, Sozialleistungen und im öffentlichen Dienst zwingen. Dies
wird die Wirtschaftskrise vertiefen. Damit die Haushalts- und Leistungs-
bilanzdefizite verringert werden, sind daher höhere Löhne und Unterneh-
menssteuern in EU-Mitgliedstaaten mit chronischen Exportüberschüssen
erforderlich. Dadurch werden die Störung des außenwirtschaftlichen Gleich-
gewichts innerhalb der Eurozone behoben, die öffentlichen Finanzen sta-
bilisiert und die Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit in der EU
verbessert.

Zu Nummer 1a

Die Artikel 123 bis 125 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen
Union (AEUV) untersagen wechselseitige Kredite bzw. finanziellen Beistand
zwischen der EU, ihren Mitgliedstaaten und Organen. Allerdings gestatten
Artikel 122 Absatz 2 sowie Artikel 143 Absatz 2 AEUV bei außergewöhnlichen
Notlagen eines Mitgliedstaates bzw. Zahlungsbilanzschwierigkeiten eines Mit-
gliedstaates, der nicht den Euro eingeführt hat, finanziellen Beistand. Es wurde
bereits mittels der Verordnung (EG) Nr. 431/2009 vom 18. Mai 2009 nach Maß-
gabe des Artikels 308 des EG-Vertrags finanzieller Beistand für Lettland,
Ungarn und Rumänien gewährt. Euroteilnehmer sind hiervon ausgenommen. Es
ist jedoch weder sinnvoll noch ersichtlich, ausgerechnet Währungsteilnehmer
von Hilfen auszunehmen.

Eine Aussetzung des Beistandsverbots begrenzt Risikoprämien auf nationale
Staatsanleihen. Ein derartiges Signal an die Kapitalmärkte reduziert somit die
Risiken von Staatsbankrotten bzw. der ökonomischen und politischen Kosten
eines Bail Outs.

Zu Nummer 1b

Euroanleihen sichern Mitgliedern der Eurozone mit Haushaltsproblemen eine
günstigere Refinanzierung auf den Kapitalmärkten. Die Besicherung der An-
leihen durch EU-Staaten mit chronischen Handelsbilanzüberschüssen leistet
zudem einen Anreiz, Störungen des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts zu
vermeiden. Euroanleihen können wie der Anleihe- und Darlehensplafonds für
Lettland, Ungarn und Rumänien über ein Konto bei der EZB oder der Europäi-
schen Investitionsbank (EIB) abgewickelt werden.

Zu den Nummern 1c und 1d

Hedge-Fonds und Ratingagenturen bedrohen trotz ihrer Verantwortung für die
schwerste globale Wirtschafts- und Finanzkrise seit 80 Jahren erneut die finan-
zielle Stabilität von EU-Mitgliedstaaten. Spekulanten verdienen an der Krise der
öffentlicher Haushalte, die sie selbst verursacht haben. Die Risikoprämien auf
griechische Staatsanleihen wurden durch Spekulation mit Kreditabsicherungen
verstärkt (FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND, 15. Februar 2010). Die
Macht der privaten Kapitalmärkte über demokratisch gewählte Regierungen
muss beschnitten werden.

Drucksache 17/1058 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die FED und die BOE kaufen erfolgreich Staatsanleihen auf, um Kurspflege zu
betreiben. Dem Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz ist zuzustimmen:
„Es wäre kontraproduktiv, wenn die EZB bekannt gäbe, dass sie keine griechi-
schen Anleihen als Sicherheiten akzeptiert. Sollte die EZB jedoch das Urteil
über die Kreditwürdigkeit griechischer Staatstitel den Rating-Agenturen über-
lassen, wäre das mehr als unverantwortlich, es wäre verwerflich“ (The Guardian,
25. Januar 2010).

Darüber hinaus gefährdet eine Entwertung der Staatsanleihen von EU-Mitglied-
staaten das deutsche Bankensystem. Deutsche Finanzinstitute, insbesondere
Landesbanken, halten Staatsanleihen Griechenlands, Irlands, Italiens, Portugals
und Spaniens im Wert von 500 Mrd. Euro in ihren Bilanzen (Société Générale
SA, Shotgun Greek Weeding, 11. Februar 2010).

Zu Nummer 2

Etwa die Hälfte des Steueraufkommens in der EU wird aus Steuern auf Arbeit
bestritten, 28 Prozent aus Verbrauchsteuern. Der Großteil des Steueraufkom-
mens entfällt somit insbesondere auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Nur 23 Prozent des Steueraufkommens in der EU sind Steuern auf Kapital. Seit
dem Jahr 2000 sinken die Spitzensätze der Einkommens- und Körperschaftsteu-
ern in der EU kontinuierlich. Auch die Bundesrepublik Deutschland betreibt mit
einer effektiven Besteuerung von Einkünften aus Gewinnen und Vermögen in
Höhe von 24,4 Prozent im Vergleich zu den großen Volkswirtschaften Frank-
reich mit 40,7 Prozent und dem Vereinigten Königreich mit 42,7 Prozent Steu-
erdumping (Eurostat: Taxation Trends in the European Union, Nr. 92/2009).

Der Steuerwettbewerb bei den Unternehmenssteuern fördert Steuerdumping bei
den Einkommensteuern, da ein sehr unterschiedliches Niveau der Besteuerung
von Unternehmen und privaten Einkommen eine missbräuchliche Steuergestal-
tung erleichtert. Eine harmonisierte Bemessungsgrundlage der Körperschaft-
steuer sowie einheitliche Mindeststeuersätze können missbräuchliche Steuer-
gestaltung eingrenzen.

Zu Nummer 3a

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt behindert eine konjunktur- und wachstums-
gerechte Finanzpolitik. Er hat keinen Beitrag zur Stabilisierung der öffentlichen
Finanzen geleistet und erweist sich angesichts von Defizitverfahren gegen
20 von 27 EU-Mitgliedstaaten als irrelevant. Der Pakt löst das Problem der
finanzpolitischen Trittbrettfahrerei unzureichend. EU-Mitgliedstaaten können
im gemeinsamen Binnenmarkt eigene Impulse zur Belebung der Konjunktur
verweigern und von Konjunkturprogrammen der EU-Partner profitieren. Somit
fällt die Finanzpolitik zu restriktiv aus.

Ein außenwirtschaftlicher Stabilitätspakt verhindert die Ausbeutung der Wäh-
rungsunion. Das Ziel dabei ist nicht, dass die Überschussländer weniger expor-
tieren, sondern dass ihre gesamtwirtschaftliche Nachfrage steigt und sie deshalb
mehr importieren und damit die Handelsungleichgewichte verringern. Ein
außenwirtschaftlicher Stabilitätspakt sichert EU-Mitgliedstaaten zudem ausrei-
chend nationale wirtschaftspolitische Souveränität unter Wahrung des außen-
wirtschaftlichen Gleichgewichts. Die EU-Mitgliedstaaten können weiterhin im
vollen Umfang von ihrer nationalen Finanz-, Steuer- bzw. Arbeitsmarktpolitik
Gebrauch machen, müssen jedoch Auswirkungen auf das außenwirtschaftliche
Gleichgewicht beachten. Starre Regeln für die Haushaltspolitik werden somit
überflüssig.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/1058

Zu Nummer 3b

Längerfristige Handelsungleichgewichte erfordern regelmäßige Finanzströme.
Sollte der außenwirtschaftliche Stabilitätspakt Defizite nicht im angemessenen
Umfang beseitigen, müssen geeignete Strukturfonds der Europäischen Union
Handelsdefizite ausgleichen und Defizitländern eine aufholende Entwicklung
ermöglichen.

Zu Nummer 4

Eine Reform der Eurozone steht in folgenden Bereichen im Konflikt mit dem
Vertrag von Lissabon:

Artikel 122 Absatz 2 AEUV greift nach überwiegender Rechtsauffassung erst
bei drohender Zahlungsunfähigkeit eines EU-Mitgliedstaates. Eine Änderung
des Artikels 125 AEUV ist daher zukünftig erforderlich, um frühzeitige Hilfen
zu ermöglichen.

Der Vertrag von Lissabon verbietet in Artikel 123 AEUV Kreditfazilitäten für
öffentliche Einrichtungen bzw. den unmittelbaren Erwerb von Staatsschuldtiteln
durch die Europäische Zentralbank.

Der Vertrag von Lissabon verweist in den Artikeln 126 sowie 136 Absatz 1
AEUV, dem Protokoll Nr. 12 über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit
sowie den einschlägigen Verordnungen (EG) Nr. 1055/2005 sowie (EG)
Nr. 1056/2005 auf den Stabilitäts- und Wachstumspakt.

Der Vertrag von Lissabon strebt im Unterschied zur Harmonisierung der indi-
rekten Steuern gemäß Artikel 113 AEUV bislang nicht ausdrücklich die Har-
monisierung der direkten Steuern (Einkommen- und Körperschaftsteuer) an.
Der Europäische Gerichtshof hat darüber hinaus die Möglichkeiten der natio-
nalen Begrenzung des Steuerwettbewerbs, etwa in der Entscheidung Cadbury
Schweppes (Rs. C-196/04) vom 12. September 2006, eingeschränkt.

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