BT-Drucksache 17/10235

Inanspruchnahme und Ausgestaltung der Thesaurierungsbegünstigung

Vom 2. Juli 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10235
17. Wahlperiode 02. 07. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus,
Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Sven-Christian Kindler, Dr. Tobias Lindner,
Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Inanspruchnahme und Ausgestaltung der Thesaurierungsbegünstigung

Mit der Unternehmenssteuerreform 2008 wurde die Thesaurierungsoption für
Einzelunternehmungen und Personengesellschaften eingeführt. Ihr Ziel war es,
einbehaltene Gewinne dieser Rechtsformen steuerlich mit thesaurierten Ge-
winnen von Kapitalgesellschaften gleichzustellen. In der öffentlichen Diskus-
sion wird das Instrument oft als unattraktiv dargestellt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Steuerpflichtige haben in den Jahren seit der Einführung der The-
saurierungsbegünstigung diese jeweils genutzt, und wie verteilen sich die
Nutzer auf verschiedene Rechtsformen?

2. In wie vielen Fällen wurde dabei der Gewinn bzw. Gewinnanteil vollständig,
das heißt in maximal möglicher Höhe, thesauriert?

3. Welche Grenzsteuersätze wiesen die Nutzer der Thesaurierungsbegünstigung
im Durchschnitt auf?

4. Welches Volumen an Einkünften wurde insgesamt dem günstigeren Thesau-
rierungssatz unterworfen, und mit welchen Steuermindereinnahmen rechnet
die Bundesregierung dabei insgesamt, und inwiefern wurden die Annahmen
bezüglich der Steuermindereinnahmen bei der Einführung des Instruments
dabei bestätigt bzw. nicht bestätigt?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Inanspruchnahme des Instruments,
und welche Ursachen sieht sie für eine Inanspruchnahme, die hinter den ur-
sprünglichen Erwartungen zurückbleibt?

Erwägt die Bundesregierung derzeit Änderungen an der Thesaurierungs-
begünstigung vorzunehmen?

6. Liegen der Bundesregierung wissenschaftliche Erkenntnisse darüber vor,
inwieweit die Thesaurierungsbegünstigung zur heute insgesamt stärkeren
Eigenkapitalausstattung des Mittelstandes beigetragen hat?
7. Bei welchen Kombinationen aus Renditen, persönlichen Steuersätzen und
Mindestthesaurierungsdauern in Jahren lohnt sich das Instrument der The-
saurierungsbegünstigung derzeit?

Drucksache 17/10235 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

8. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Thesaurierungsbegünsti-
gung in ihrer heutigen Form bei einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes der
Einkommensteuer auf 49 Prozent eine wirkungsvolle Abschirmung der ein-
behaltenen Gewinne von Personenunternehmen darstellt, und erwartet die
Bundesregierung in diesem Fall eine höhere Inanspruchnahme der Thesau-
rierungsbegünstigung?

9. Wie viele Unternehmen welcher Unternehmensgröße (nach Beschäftigten-
zahl) wechselten nach Kenntnis der Bundesregierung in den vergangenen
Jahren jeweils ihre Rechtsform von einer Personengesellschaft/Einzelunter-
nehmung zu einer Kapitalgesellschaft und umgekehrt?

Wie viele Neugründungen dieser Rechtsformen gab es nach Kenntnis der
Bundesregierung jeweils?

Haben sich in der Tendenz seit Einführung der Thesaurierungsbegünstigung
hier Änderungen ergeben?

10. Mit Steuerausfällen in welcher Größenordnung wäre zu rechnen, wenn das
Prinzip des „last-in first-out“ aufgegeben würde und damit Altgewinne
zuerst, und damit ohne Nachversteuerung, ausgeschüttet werden könnten?

11. Ist es aus Sicht der Bundesregierung zwingend, dass nichtabzugsfähige
Betriebsausgaben wie die Gewerbesteuer nicht begünstigungsfähig sind?

12. Wie bewertet es die Bundesregierung, dass in Fällen mit Gewerbesteuer-
zahlung aufgrund der nicht thesaurierungsfähigen Gewerbesteuer die
Gesamtbelastung auch bei maximal möglicher Thesaurierung nicht der
Thesaurierungsbelastung von Kapitalgesellschaften entspricht, sondern
entsprechend höher ausfällt?

Erwägt die Bundesregierung hier Änderungen vorzunehmen, und falls nein,
warum nicht?

13. Sieht die Bundesregierung es als zwingend an, dass die persönliche Ein-
kommensteuer, soweit sie aus dem Unternehmensgewinn beglichen werden
muss, nicht begünstigungsfähig ist?

14. Wie bewertet es die Bundesregierung, dass in Fällen, in denen der Unter-
nehmensgewinn zur Begleichung der Einkommensteuer herangezogen wer-
den muss, die Gesamtbelastung auch bei maximal möglicher Thesaurierung
nicht der Thesaurierungsbelastung von Kapitalgesellschaften entspricht,
sondern entsprechend höher ausfällt?

Erwägt die Bundesregierung hier Änderungen vorzunehmen, und falls nein,
warum nicht?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung, dass es bei einer Vollthesaurierung und
späterer Nachversteuerung zu einer höheren Gesamtsteuerbelastung
kommt, als bei Ausschüttungen einer Kapitalgesellschaft, die der Abgel-
tungsteuer unterliegen?

Welche Auswirkungen hat dies auf die Attraktivität der Thesaurierungsbe-
günstigung?

Erwägt die Bundesregierung hier Änderungen, und falls ja, welche?

16. Wie beurteilt die Bundesregierung, dass sich eine Inanspruchnahme der
Thesaurierungsbegünstigung für Unternehmer mit niedrigen Steuersätzen
regelmäßig nicht lohnt, weil durch die Nachversteuerung eine dann insge-
samt sehr viel höhere Steuerbelastung als bei einer sofortigen transparenten
Besteuerung auftritt?
Erwägt die Bundesregierung hier Änderungen, und falls ja, welche?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10235

17. Was spricht aus Sicht der Bundesregierung gegen eine Regelung, die die
Nachversteuerung an den individuellen Steuersatz des Unternehmers
koppelt, ähnlich dem Teileinkünfteverfahren bei Dividenden im Fall von
wesentlichen Eigentümern einer Kapitalgesellschaft?

Wäre eine solche Vorgehensweise geeignet, die Thesaurierungsbegünsti-
gung auch für Unternehmer mit niedrigeren persönlichen Steuersätzen
attraktiv zu machen?

Welche Steuerausfälle wären von einer solchen Regelung zu erwarten?

18. Was spricht aus Sicht der Bundesregierung dagegen, im Falle der Nachver-
steuerung, den kompletten Gewinn einer vollen Besteuerung zu unterwerfen
und die zuvor gezahlte Thesaurierungsbelastung bei der sich ergebenden
Einkommensteuerbelastung anzurechnen?

Welche Steuerausfälle wären von einer solchen Regelung zu erwarten?

19. Befürchtet die Bundesregierung bei einer Nachversteuerung, die sich zu-
mindest teilweise am individuellen Steuersatz des Unternehmers orientiert,
Steuergestaltungen in der Form, dass Entnahmen bewusst in Jahre mit
geringen oder negativen anderen Einkünften verlagert werden, um so eine
möglichst geringe Nachversteuerung zu erreichen?

Wie hoch schätzt sie das diesbezügliche Steuerausfallrisiko ein?

20. Aus welchem Grund wurden bei Einführung der Thesaurierungsbegünsti-
gung Unternehmer, die ihren Gewinn nach § 4 Absatz 3 des Einkommen-
steuergesetzes (EStG) ermitteln, vollständig ausgeschlossen?

Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Thesaurierungsbe-
günstigung auch auf diese Unternehmer auszuweiten, bzw. welches Miss-
brauchspotential fürchtet sie?

21. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Vorschlägen
zur Einführung eines virtuellen Trennungsprinzips (vgl. z. B. Schneider und
Wesselbaum-Neugebauer, 2010: Wie kann die Thesaurierungsbegünstigung
eine annähernd belastungsneutrale Besteuerung von Personen- und Kapital-
gesellschaften gewährleisten?), und welche Probleme sieht sie bei der prak-
tischen Umsetzung solcher Vorschläge?

22. Sieht die Bundesregierung rechtliche Möglichkeiten, die Inanspruchnahme
der Thesaurierungsbegünstigung oder eines virtuellen Trennungsprinzips
nicht mehr in das Wahlrecht des einzelnen Unternehmers zu stellen, sondern
im Falle von Personengesellschaften eine gemeinsame Entscheidung der
Gesellschafter für eine an Kapitalgesellschaften angelehnte Besteuerung
zur Voraussetzung zu machen?

Sieht sie hierbei die Möglichkeit, den Wechsel des Besteuerungsregimes,
wie etwa bei der Organschaft, für eine Mindestdauer von x Jahren zu ver-
langen?

23. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse über aus ihrer Sicht missbräuch-
liche Inanspruchnahmen bzw. Steuergestaltungen mit Hilfe der Thesaurie-
rungsbegünstigung vor?

Falls ja, um welche Gestaltungen handelt es sich dabei?

Drucksache 17/10235 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
24. Sieht die Bundesregierung die Gefahr eines steuerlich motivierten Lock-in-
Effekts aufgrund der Thesaurierungsbegünstigung?

Wie bewertet sie die unterbleibende Nachversteuerung im Fall der Zahlung
von Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer als Möglichkeit zur Steuervermei-
dung?

Berlin, den 2. Juli 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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