BT-Drucksache 17/10187

Einführung einer bundesweiten Wohnungsnotfallstatistik

Vom 27. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10187
17. Wahlperiode 27. 06. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, Martin Burkert, Petra Ernstberger,
Iris Gleicke, Ulrike Gottschalck, Michael Groß, Hans-Joachim Hacker, Gustav
Herzog, Johannes Kahrs, Ute Kumpf, Kirsten Lühmann, Thomas Oppermann,
Florian Pronold, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Heidrun Bluhm,
Roland Claus, Dr. Dagmar Enkelmann, Katrin Kunert, Caren Lay, Sabine Leidig,
Michael Leutert, Kornelia Möller, Jens Petermann, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert,
Sabine Stüber, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.
sowie der Abgeordneten Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter,
Stephan Kühn, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Einführung einer bundesweiten Wohnungsnotfallstatistik

Die Bekämpfung von Wohnungslosigkeit ist eine gesamtgesellschaftliche Auf-
gabe. Um ihr angemessen begegnen zu können, sind statistische Daten über ihr
Ausmaß notwendig. Dies haben auch die regierungstragenden Fraktionen der
CDU/CSU und FDP bereits in der 13. Wahlperiode bestätigt. Dennoch gibt es
bis heute keine bundesweite Wohnungsnotfallstatistik, obwohl eine 1998 vor-
gelegte Machbarkeitsstudie zu dem Ergebnis kam, dass Wohnungsnotfälle sta-
tistisch erfassbar seien.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungslosenhilfe e. V. schätzt jähr-
lich das Ausmaß der Wohnungslosigkeit in Deutschland. Sie geht davon aus,
dass diese zwischen 2008 und 2010 um 10 Prozent von ca. 227 000 auf 248 000
Fälle gestiegen ist. Wahrscheinlich ist dies eine Auswirkung der im Wohngeld-
und Mietenbericht 2010 der Bundesregierung festgestellten Dynamisierung der
Wohnungsmärkte in Deutschland. Seit 2009 ist demnach eine verstärkte Nach-
frage von Wohnungen vor allem in wachsenden Wohnungsmärkten nachweis-
bar. Einkommensschwache Haushalte haben hier Schwierigkeiten, sich mit be-
zahlbarem Wohnraum zu versorgen.

Wir fragen die Bundesregierung:

Statistische Erhebung von Wohnungslosigkeit als gesamtgesellschaftliche Auf-
gabe
1. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, dass die BAG Wohnungslosen-
hilfe e. V. und viele andere Verbände sowie Fachexperten seit 30 Jahren eine
bundesweite Wohnungsnotfallstatistik fordern, und wenn ja, wie bewertet die
Bundesregierung die Einführung einer bundesweiten Wohnungsnotfallstatis-
tik als hilfreiche Unterstützung für die Sozialpartner?

Drucksache 17/10187 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine bundeseinheitliche
Notfallstatistik entscheidende Voraussetzung für die wirkungsvolle Umset-
zung zukünftiger Maßnahmen gegen Obdach- und Wohnungslosigkeit in
Deutschland ist?

3. Wenn nein, womit begründet sie dies?

4. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, dass das Statistische Bundes-
amt schon 1998 in einer von der damaligen Bundesregierung in Auftrag
gegebenen Machbarkeitsstudie festgestellt hat, dass eine gesetzliche
Wohnungsnotfallstatistik prinzipiell sinnvoll und machbar ist, und wenn ja,
warum hat die Bundesregierung diese Studie bisher noch nicht als Grund-
lage für ein Gesetzgebungsvorhaben genutzt?

5. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass eine Beschlussempfehlung und
der Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
auf Bundestagsdrucksache 13/1848 bis heute folgenlos blieb und es bis zum
heutigen Datum zu keiner Einführung einer bundesweiten Notfallstatistik
gekommen ist?

6. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, dass im Jahr 2010 im Bundes-
land Nordrhein-Westfalen (NRW) eine landesweite Wohnungsnotfallstatis-
tik eingeführt und in 2011 die Erhebung erfolgreich mit einem Rücklauf von
fast 100 Prozent der Kommunen durchgeführt wurde, und welche Konse-
quenzen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass es in den 15 an-
deren Bundesländern keine solche Statistik gibt?

7. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Landesstatis-
tik von NRW 2011, aus der hervorgeht, dass eine entsprechende Studie ohne
zusätzlichen bürokratischen Mehraufwand möglich ist?

8. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Auffassung
der BAG Wohnungslosenhilfe e. V., dass die Einführung einer Wohnungs-
notfallstatistik auf Bundesebene eine nicht zu unterschätzende Signal- und
Vorbildwirkung zur Folge hat und nur so ein „ganzheitlicher“ Ansatz ver-
folgt werden könne?

9. Welche Schritte sind zur Einführung einer gesetzlichen Einführung einer
Bundesnotfallstatistik neben der Auftragserteilung zur Machbarkeitsstudie
weiterhin notwendig?

10. Auf welche Quellen und Informationen stützt sich die Bundesregierung in
Bezug auf ihre Ausführungen zum Thema Wohnungslosigkeit in dem kom-
menden Armuts- und Reichtumsbericht?

11. Wie wurden die bestehenden Wissensdefizite zum Ausmaß und zu der Ent-
wicklung von Wohnungsnotfällen von Seiten des Beraterkreises diskutiert
und bewertet?

Machbarkeitsstudie als Vorstufe zur Einführung einer Bundesnotfallstatistik

12. Ist der Bundesregierung bekannt, dass die letzte von einer Bundesregierung
(CDU/CSU/FDP) in Auftrag gegebene wissenschaftliche Studie zum Um-
fang der Wohnungsnotfälle in Deutschland 1992 erfolgte und damit
20 Jahre zurückliegt?

13. Wenn ja, wird die Bundesregierung die inzwischen veralteten Daten durch
Beauftragung einer neuen Wohnungsnotfallstudie auf einen aktuellen Stand
bringen, um neue Entwicklungen und neue Erfassungskriterien zu berück-
sichtigen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10187

14. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Einführung einer bun-
desweiten Wohnungsnotfallstatistik eine Machbarkeitsstudie vorgeschaltet
sein muss?

15. Wie hoch sind die Kosten einer Machbarkeitsstudie zur Erstellung einer
bundesweiten Statistik zur Wohnungslosigkeit nach dem Zensus 2011?

16. Würden sich die Kosten einer Machbarkeitsstudie für das Statistische Bun-
desamt verringern, wenn auf die vollständige Datengrundlage der BAG
Wohnungslosenhilfe e. V. zurückgegriffen werden kann, die u. a. auch bei
der Erstellung des Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung
mitwirkt?

17. Wie lange wird die Umsetzung der Machbarkeitsstudie voraussichtlich
dauern?

18. Wird die Bundesregierung nach positiver Durchführung einer Machbar-
keitsstudie eine Statistik einführen?

Nutzen und Kosten einer Bundesstatistik

19. Welche konkreten Probleme können bei der statistischen Erfassung im Rah-
men einer gesetzlichen Bundesnotfallstatistik prinzipiell auftreten?

20. Welche Rubriken/Kriterien hält die Bundesregierung für die Untersuchung
durch das Statistische Bundesamt für zwingend erforderlich (z. B. Differen-
zierung nach Alter, Geschlecht, Haushaltsgröße)?

21. Welchen Aufwand würde es für die Erhebungsstellen bedeuten, die Unter-
scheidungsmerkmale Geschlecht, begleitende Kinder und die ethnische
Herkunft zu erheben?

22. Wie lässt sich nach Kenntnis der Bundesregierung der Anstieg des Anteils
der Frauen unter den Obdachlosen erklären, und wie gedenkt die Bundes-
regierung diesen Aspekt bei der Erhebung in einer bundesweiten Woh-
nungsnotfallstatistik zu berücksichtigen?

23. Wie beurteilt die Bundesregierung die Problematik, dass kommunale Statis-
tiken nicht 1:1 abgefragt werden können?

24. Wie lässt sich nach Kenntnis der Bundesregierung der Anstieg des Anteils
junger Menschen unter den Wohnungslosen erklären, und wie gedenkt die
Bundesregierung, diesen Aspekt bei der Erhebung einer bundesweiten
Wohnungsnotfallstatistik zu berücksichtigen?

25. Inwiefern hätten nach Kenntnis der Bundesregierung bei Einführung einer
bundesweiten Wohnungsnotfallstatistik auch die Kommunen einen Rück-
griff auf die Bundesstatistiken?

26. Sollte nach Auffassung der Bundesregierung das Statistische Bundesamt bei
der Erhebung auch eine Rückkopplung zu den Jobcentern miteinbeziehen?

27. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Aussage
unter anderem von der BAG Wohnungslosenhilfe e. V., dass die spezifi-
schen Regeln – insbesondere der Genehmigungsvorbehalt beim Auszug
junger Menschen aus der elterlichen Bedarfsgemeinschaft sowie die Sank-
tionierung auch der Kosten der Unterkunft und Heizung im Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch – zu einem Anstieg der jungen Menschen in Wohnungs-
losigkeit beitragen?

28. Wie stellt die Bundesregierung nach ihrer Meinung sicher, dass die spezifi-
schen Regeln für junge Leistungsberechtigte nicht zu einer Wohnungslosig-
keit führen?

Drucksache 17/10187 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
29. Besteht nach Kenntnis der Bundesregierung ein Zusammenhang zwischen
der steigenden Altersarmut und der steigenden Zahl von Wohnungslosen?

30. Wie wichtig ist nach Kenntnis der Bundesregierung das Wohngeld bei der
Bekämpfung der Wohnungslosigkeit?

Berlin, den 27. Juni 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion
Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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