BT-Drucksache 17/10119

Privat versicherte solidarisch versichern - Private Krankenversicherung als Vollversicherung abschaffen

Vom 26. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10119
17. Wahlperiode 26. 06. 2012

Antrag
der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Harald Weinberg, Diana Golze, Matthias W.
Birkwald, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia
Möhring, Yvonne Ploetz, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler,
Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Privat Versicherte solidarisch versichern – Private Krankenversicherung als
Vollversicherung abschaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Nebeneinander einer gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und einer
privaten Krankenversicherung (PKV) als Vollversicherung ist in Europa einma-
lig und der Hauptgrund für die Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland. In der
PKV wird das persönliche Krankheitsrisiko versichert, die Beitragshöhe ist un-
abhängig vom Einkommen und orientiert sich an Alter und bislang noch am Ge-
schlecht der Versicherten sowie am Umfang der versicherten Leistungen und am
Gesundheitszustand zu Beginn der Versicherung. Eine beitragsfreie Familien-
versicherung gibt es in der privaten Krankenversicherung nicht. Dadurch versi-
chern sich gesunde, junge, kinderlose und gutverdienende Menschen, wenn sie
die Voraussetzung für die Versicherungsfreiheit erfüllen, eher privat. Dem soli-
darischen Gesundheitssystem werden dadurch Beiträge von diesen Personen-
gruppen entzogen. Menschen mit Vorerkrankungen können sich häufig nicht in
der Vollversicherung versichern oder sie erhalten Risikozuschläge bzw. müssen
Leistungsausschlüsse in Kauf nehmen.

Die Versicherungspflicht in der GKV wird mit der Schutzbedürftigkeit im Sinne
des Sozialgesetzbuches begründet. Die PKV begründet ihre Existenz damit,
dass sie Personengruppen versichert, die nicht des Schutzes der Solidargemein-
schaft bedürfen. Ein großer Teil der PKV-Versicherten ist aber tatsächlich ähn-
lich schutzbedürftig. Gut die Hälfte der privat Versicherten erzielen ein Einkom-
men unterhalb des Durchschnittseinkommens und 87 Prozent der Versicherten
ein Einkommen unterhalb der Versicherungspflichtgrenze. Selbst PKV-Versi-
cherte mit höherem Einkommen können jederzeit durch Insolvenz, Einkom-
mensverluste oder dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben schutzbedürftig
werden. Insbesondere im Alter steigen die Beiträge trotz Alterungsrückstellun-
gen teilweise enorm, während die Einkommen sinken. Viele stehen daher vor

großen finanziellen Problemen, weil sie privat krankenversichert sind. Die
Schutzbedürftigkeit zeigt sich auch durch die große Zahl der Nichtzahlenden.
Der Basistarif wurde eingeführt, um schutzbedürftigen Menschen einen Versi-
cherungsschutz in der PKV zu ermöglichen. Dieser Tarif erweist sich letztlich
nur als teurer Nottarif. Viele Versicherte im Basistarif berichten von großen Pro-
blemen, Leistungen bei Ärzten und Zahnärzten zu erhalten, weil die Vergütun-
gen oft unter GKV-Niveau liegt und zudem keine Behandlungspflicht besteht.

Drucksache 17/10119 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die PKV löst das Versprechen, Beitragserhöhungen aufgrund des Älterwerdens
auszuschließen, nicht ein (§ 8a Absatz 2 der Musterbedingungen für die
Krankentagegeldversicherungen – MBKT). Dass die Alterungsrückstellungen
nicht funktionieren, wird darin deutlich, dass die PKV ständig auf neue Versi-
cherte angewiesen ist. Viele PKV-Unternehmen kalkulieren Tarifbeiträge mög-
lichst niedrig, um Neukunden zu ködern und Marktanteile zu gewinnen. Versi-
cherungsvertreterinnen und -vertreter erhalten hohe Provisionen. Die Risiko-
annahmen der Tarife sind oft zu optimistisch. Die Beiträge explodieren. Im Er-
gebnis werden Tarife für neu zu Versichernde geschlossen. Der Wechsel in
andere Tarife für Bestandsversicherte ist schwierig.

Die heute privat Versicherten können sich die deutlichen Beitragssteigerungen
oft kaum leisten. Viele sind gezwungen, auf eigentlich benötigte Leistungen zu
verzichten und haben dann nur noch einen Krankenversicherungsschutz unter-
halb des Niveaus der GKV, der trotzdem einen großen Teil des Einkommens
kostet. PKV-Tarife werden grundsätzlich über den Preis und damit für einen gu-
ten Marktzugang kalkuliert. Eine bedarfsgerechte Versorgung steht dabei nicht
im Mittelpunkt. So leisten 80 Prozent der PKV-Tarife weniger als die gesetzliche
Krankenversicherung, deren Leistungskatalog gesetzlich auf das medizinisch
Notwendige begrenzt ist (DER SPIEGEL, 11. Juni 2012). Auch hier zeigt sich
die Schutzbedürftigkeit der privat Versicherten.

Der Gesetzgeber griff bereits mehrfach ein, um die Finanzsituation der PKV zu
stabilisieren. Dennoch muss bezweifelt werden, dass die PKV zukunftssicher
ist. Aufgrund des individuellen Versicherungsprinzips ist eine Lösung der Pro-
bleme innerhalb der PKV nicht möglich.

Die Sicherstellung der solidarischen Krankenversicherung sowie die Schaffung
eines ausreichenden Versicherungsschutzes für weite Teile der schutzbedürfti-
gen PKV-Versicherten ist höher zu werten als die Rechte der Versicherungen
und rechtfertigt die Abschaffung der PKV als Vollversicherung.

Der Gesetzgeber muss es allen Menschen ermöglichen, bei Krankheit auf dem
aktuellen Stand der Wissenschaft behandelt zu werden. Es gibt keinen Grund,
weswegen einige unnötige und zum Teil sogar schädliche Leistungen erhalten,
andere adäquate Leistungen und dritte wiederum überhaupt nicht behandelt wer-
den. Die Abschaffung der PKV beseitigt diese Ungleichbehandlung zum großen
Teil.

Die Abschaffung der PKV als Vollversicherung sollte in einem – gut vorberei-
teten – einzigen Akt zum gleichen Zeitpunkt für alle erfolgen. Übergänge
braucht es nicht, da bisher in der PKV-Versicherte, die Leistungsbestandteile,
die über den GKV-Leistungskatalog hinausgehen, über eine private Zusatzver-
sicherung wahren können. Für die PKV-Unternehmen ist der sofortige Übergang
für alle Versicherten von existenzieller Bedeutung, da ohne neue bzw. junge Mit-
glieder die derzeitigen Probleme kumulieren würden und ein Kollaps des Sys-
tems absehbar ist.

Der Wegfall der Geschäftsmöglichkeiten der PKV-Unternehmen macht für die
Mitarbeiter eine Regelung zur sozialverträglichen Überführung ihrer Arbeits-
plätze erforderlich. Gleichzeitig wird bei den gesetzlichen Krankenkassen eine
Aufstockung des Personals unumgänglich sein.

Die Abschaffung der PKV ist ein wesentlicher Aspekt einer solidarischen Bür-
gerinnen- und Bürgerversicherung (vgl. Bundestagsdrucksache 17/7197). Die
Überführung der PKV-Versicherten in die gesetzliche Krankenversicherung
stellt für die GKV keine finanzielle Mehrbelastung dar; es würde im Gegenteil
sogar eine Entlastung stattfinden (vgl. Kombination 361 in: Berechnungen der
finanziellen Wirkungen verschiedener Varianten einer Bürgerversicherung in

der gesetzlichen Krankenversicherung, Rothgang, Arnold, Unger, 2010).

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10119

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der folgende Punkte umfasst:

– Die private Krankenversicherung wird als Vollversicherung abgeschafft und
die Versicherten werden in die gesetzliche Krankenversicherung überführt.
Die private Krankenversicherung wird auf das Geschäftsfeld der Zusatzver-
sicherung für medizinisch nicht relevante Leistungen begrenzt.

– Den Beschäftigten der privaten Versicherungsunternehmen ist ein sozialver-
träglicher Übergang in Arbeitsverhältnisse in den gesetzlichen Krankenkas-
sen zu ermöglichen.

Berlin, den 26. Juni 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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