BT-Drucksache 17/10025

Schlussfolgerungen der Politik aus der Schlecker-Insolvenz

Vom 13. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10025
17. Wahlperiode 15. 06. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Diana Golze,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Werner Dreibus, Klaus Ernst,
Dr. Barbara Höll, Katja Kipping, Harald Koch, Ulla Lötzer, Cornelia Möhring,
Richard Pitterle, Yvonne Ploetz, Michael Schlecht, Dr. Ilja Seifert, Dr. Axel Troost,
Johanna Voß, Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

Schlussfolgerungen der Politik aus der Schlecker-Insolvenz

Nach Ansicht breiter Teile der Öffentlichkeit und der Gewerkschaft ver.di zah-
len mit der Schleckerpleite mehr als 25 000 Beschäftigte und ihre Familien
einen bitteren Preis für Fehlmanagement und politische Versäumnisse. Die Be-
schäftigten machten das Unternehmen groß und erarbeiteten einen Milliarden-
reichtum. Sie erkämpften Tarifverträge und gründeten Betriebsräte. Sie konnten
aber keinen Einfluss auf die Geschäftspolitik nehmen. Mit dem Verlust ihres
Arbeitsplatzes steht nun ihre Existenz auf dem Spiel. Der vormalige Firmen-
besitzer Anton Schlecker dagegen fällt finanziell weich, seine Familie besitzt
nach Presseberichten weiterhin ein Millionenvermögen. So wird das Unterneh-
mensrisiko auf die Beschäftigten und die Gesellschaft abgewälzt.

Anton Schlecker hat sein Unternehmen wie ein Alleinherrscher geführt. Daran
hat auch die Politik ihren Anteil. Sie lässt es bis heute zu, dass Großunternehmen
in der Rechtsform des „eingetragenen Kaufmanns“ geführt werden können,
ohne die Pflicht zur Offenlegung der Gewinn- und Verlustrechnung und ohne
eine kontrollierende dem Aufsichtsrat ähnliche Institution. Bei Insolvenzver-
schleppung geht der Firmeneigner straffrei aus. Damit ist die Politik mitverant-
wortlich für die Schleckerpleite und trägt eine besondere Verantwortung für die
Beschäftigten.

Anders als bei der Bankenrettung seit 2008 hat es die Bundesregierung ab-
gelehnt, in das Insolvenzverfahren von Schlecker einzugreifen und sich für die
Beschäftigten zu engagieren. Zuerst weigerte sie sich das Insolvenzgeld zu ver-
längern, um Zeit zu gewinnen für die Entwicklung eines nachhaltigen, überzeu-
genden Zukunftskonzeptes. Dann lehnte sie es ab, mit der staatlichen KfW Ban-
kengruppe für eine Transfergesellschaft zu bürgen. Stattdessen sprach der
Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Dr. Philipp Rösler, von einer
Anschlussverwertung der Schlecker-Beschäftigten (Reuters, 30. März 2012).
Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen jedoch, dass nur eine Minderheit

der in der ersten Kündigungswelle Entlassenen neue Jobs gefunden haben und
das oftmals zu schlechteren Arbeitsbedingungen und geringeren Löhnen.

Die Beschäftigten von Schlecker, der Betriebsrat und die Gewerkschaft ver.di
wollen sich damit nicht zufrieden geben. Die Öffentlichkeit hat ein Recht
darauf zu erfahren, ob und welche Schlussfolgerungen die Politik aus der
Schleckerpleite zieht.

Drucksache 17/10025 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Was sind nach Ansicht der Bundesregierung die wichtigsten Gründe für die
Insolvenz des Unternehmens Schlecker?

2. Welche Rolle spielt dabei der Umstand, dass Schlecker in der Rechtsform
des „eingetragenen Kaufmanns“ geführt wurde, womit der Firmeneigner
nicht der sonst für Großunternehmen üblichen Publizitätspflicht unterlag
(u. a. zur Gewinn- und Verlustrechnung) und nicht eine dem Aufsichtsrat
ähnliche Institution einrichten musste?

3. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der derzeit gel-
tenden Rechtslage, wonach ein Unternehmer als „eingetragener Kauf-
mann“ in Privatinsolvenz – egal wie groß das Unternehmen ist – strafrecht-
lich nicht der Insolvenzverschleppung belangt werden kann?

4. Inwiefern sind nach Ansicht der Bundesregierung solche möglichen recht-
lichen Lücken für die Führung von Großunternehmen zu akzeptieren, vor
dem Hintergrund, dass an solchen Firmen die Schicksale zehntausender
Menschen hängen und die entstehenden Soziallasten durch die Beitrags-
zahler und die Gesellschaft getragen werden müssen?

5. Ist der „eingetragene Kaufmann“ die einzige Rechtsform, in der Groß-
unternehmen nicht den allgemein üblichen Publizitätspflichten unterliegen
und entsprechende Kontrollorgane einrichten müssen?

Wenn nein, welche anderen Rechtsformen gibt es?

6. Plant die Bundesregierung gesetzliche Initiativen, um diese möglichen
Regelungslücken zu schließen, und wie begründet sie ihre Antwort?

7. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass die Durchsetzung von Tarifver-
trägen und Betriebsräten einen Anteil an der Insolvenz von Schlecker
hatte?

8. Ist der Bundesregierung bekannt, dass Betriebsräte und Beschäftigte in den
zurückliegenden Jahren Fehlentwicklungen bei Schlecker kritisierten und
Verbesserungsvorschläge äußerten, die aber wegen fehlender Mitbestim-
mung ohne Wirkung blieben?

9. Wie steht die Bundesregierung vor diesem Hintergrund zu den Vorschlä-
gen, die Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten und ihrer Belegschafts-
vertreter bzw. der im Betrieb vertretenen Gewerkschaft auf die Unterneh-
menspolitik auszuweiten?

10. Wie oft hat sich die Bundesregierung in diesem Jahr mit dem Insolvenzver-
walter Arndt Geiwitz bzw. Vertretern seiner Kanzlei getroffen, und was
waren die Inhalte der Gespräche?

Gab es sonstige Kontakte?

11. Welche Kontakte und Unterstützungen seitens der Bundesregierung gab es
gegenüber den Belegschaftsvertretern und der Gewerkschaft ver.di?

12. Gab es in den zurückliegenden Monaten Kontakte der Bundesregierung
oder von Regierungsvertretern mit Mitgliedern oder Vertretern der Familie
Schlecker, und wenn ja, wie häufig, und welcher Art waren diese?

13. Wie hoch wäre die Bürgschaft für die zwischenzeitlich diskutierte
Schlecker-Transfergesellschaft gewesen?

Wie hoch wäre das Risiko des Ausfalls dieser Bürgschaft gewesen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10025

14. Wie hoch sind die durchschnittlichen gesamtwirtschaftlichen Kosten je
Erwerbslosen in Deutschland pro Jahr, und wie hoch wären demnach rech-
nerisch die Kosten, für den Fall, dass

a) 10 000 und

b) 15 000

ehemalige Schlecker-Beschäftigte für ein Jahr keinen Job finden?

15. Inwiefern sieht die Bundesregierung Beschäftigte in der Altersteilzeit von
der Insolvenz besonders betroffen, und wie viele Mitarbeiterinnen hatten
zum Zeitpunkt der Insolvenzanmeldung einen gültigen Altersteilzeitver-
trag?

16. Welche anderen Unternehmensinsolvenzen in der Größe Schlecker gab es
nach Kenntnissen der Bundesregierung bisher in der Geschichte der Bun-
desrepublik Deutschland?

17. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Vermögensverhält-
nisse der Familie Schlecker?

18. Inwiefern verträgt es sich mit dem Anspruch der sozialen Marktwirtschaft,
dass durch die Unternehmensinsolvenz für ehemalige Schlecker-Beschäf-
tigte mit dem Verlust des Arbeitsplatzes ihre Existenz auf dem Spiel steht,
der Familie Schlecker voraussichtlich ein Millionenvermögen verbleibt?

19. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass die Kinder
Anton Schleckers ihr Geld mit der Leiharbeitsagentur „Meniar“ erwirt-
schaftet haben, die die gekündigten Schlecker-Mitarbeiter zu schlechteren
Konditionen wieder einstellte?

20. Hatte die Leiharbeitsfirma Meniar Tarifverträge mit der Tarifgemeinschaft
Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen
(CGZP) abgeschlossen, und gibt es diesbezügliche Forderungen der So-
zialversicherungen nach Beitragsnachzahlungen?

Wenn ja, wie hoch sind die Beträge, die eingefordert werden?

21. Hat es nach Kenntnissen der Bundesregierung seitens Schleckers in den
zehn Jahren vor Beantragung des Insolvenzverfahrens Vermögensschen-
kungen oder Übertragungen an seine Ehefrau, Kinder oder sonstige Ver-
wandte oder Bekannte gegeben (bitte gegebenenfalls konkret mit Höhe be-
nennen)?

22. Inwiefern waren nach Kenntnissen der Bundesregierung in den vergange-
nen zehn Jahren Firmen von Anton Schlecker geschäftlich mit Firmen
tätig, die sich vollständig oder teilweise im Besitz seiner Kinder oder Frau
befinden?

Gibt es Hinweise, dass diese Geschäfte zur Verschiebung des Vermögens
vom Vater zu den Kindern bzw. der Frau genutzt wurden?

23. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass das Logistik-
unternehmen L., das ausschließlich für Schlecker arbeitete und den
Kindern von Anton Schlecker gehört, zwischen 2006 und 2010 bei einem
Umsatz von 161 Mio. Euro insgesamt 58,5 Mio. Euro Jahresüberschuss
erwirtschaftete, was einer Gewinnmarge von 27,5 Prozent entspricht, ob-
wohl die Schlecker-Kette damals bereits zweistellige Millionenverluste
einfuhr (Recherchen des Handelsblatt, 4. Juni 2012)?

24. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Prüfungen der
Insolvenzverwaltungen, welche Transaktionen nach dem Insolvenzrecht

korrekt sind und welche rückgängig gemacht werden können?

Wann ist mit einem Abschluss der Prüfungen zu rechnen?

Drucksache 17/10025 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

25. Welche Forderungen hat die Bundesagentur für Arbeit als Gläubiger
gegenüber dem insolventen Schlecker-Konzern (bitte einzelne Posten nach
Größe nennen)?

Zu welchem Anteil werden nach Ansicht der Bundesregierung diese Forde-
rungen beglichen werden können?

26. Gibt es weitere Forderungen staatlicher Einrichtungen oder/und der Sozial-
versicherungen gegenüber Schlecker?

27. Inwiefern ist Schlecker in der Vergangenheit seinen steuer- und abgabe-
rechtlichen Verpflichtungen nachgekommen?

28. Welche staatlichen Förderungen könnte es nach Kenntnissen der Bundes-
regierung dafür geben, einzelne Läden aus dem insolventen Unternehmen
herauszulösen (einzeln oder im Verbund) und weiterzuführen, etwa in Form
einer Genossenschaft?

29. Wie schätzt die Bundesregierung die Arbeitsmarktlage für Verkäuferinnen
und Verkäufer ein?

30. Wie hoch ist die Zahl der offenen Stellen in den Verkaufsberufen im Ein-
zelhandel und wie hoch die Zahl der Arbeitslosen (bitte nach Bund und
Ländern differenzieren)?

31. Bei wie vielen der offenen Stellen handelt es sich um unbefristete Vollzeit-
stellen (bitte nach Bund und Ländern differenzieren)?

32. Wie viele der bei Schlecker gekündigten Beschäftigten haben nach Kennt-
nissen der Bundesregierung inzwischen einen neuen Arbeitsplatz gefunden
(wenn bereits vorhanden, nach erster und zweiter Kündigungswelle trennen)?

33. Wie viele der Schlecker-Beschäftigten wollen nach Kenntnissen der Bun-
desregierung Vollzeit arbeiten oder haben Vollzeit gearbeitet?

34. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Qualität der ehe-
maligen Arbeitsverhältnisse bei Schlecker, verglichen mit den üblichen
Beschäftigungsverhältnissen im Einzelhandel?

35. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Chefin der Bundesagentur für
Arbeit, Eva Strobel, in Baden-Württemberg, „dass die guten Verdienstmög-
lichkeiten bei Schlecker ein Vermittlungshemmnis sind“, weil „Schlecker
hat seinen Verkäuferinnen zwischen zehn und 14 Euro pro Stunde bezahlt,
viele andere Unternehmen, auch direkte Konkurrenten in der Branche, bie-
ten den Betroffenen nur acht bis zehn Euro.“ (Stuttgarter Zeitung, 30. Mai
2012)?

36. Wie hoch ist die Zahl und der Anteil der Niedriglöhner im Einzelhandel
(bitte nach Geschlecht differenzieren)?

37. Wie hoch ist die Zahl und der Anteil der Beschäftigten im Einzelhandel mit
aufstockenden Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB II) (bitte nach Geschlecht differenzieren)?

38. Wie hoch sind die monatlichen und jährlichen Ausgaben für aufstockende
Leistungen im Einzelhandel insgesamt und je betroffenem Beschäftigten?

39. Wie bewertet die Bundesregierung das gescheiterte Mindestlohnverfahren
im Einzelhandel, und wie steht sie zu dem Vorschlag, die Grenze der Tarif-
bindung für die Allgemeinverbindlichkeit zu lockern?

40. Wie beurteilt die Bundesregierung allgemein die derzeitige Wettbewerbs-
situation im Einzelhandel?

41. Inwiefern sieht sie das Problem eines Dumpingwettbewerbs?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/10025

42. Wie steht die Bundesregierung zu Vorschlägen, einem möglichen Dumping-
wettbewerb dadurch entgegenzutreten, dass Ladenöffnungszeiten begrenzt
(durch abgestimmte Länderinitiativen), Rabattgesetze rereguliert und die
Preisbindung partiell wieder eingeführt wird?

43. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung vieler Experten, dass nach dem
Ende von Schlecker der Preiskampf in der Drogeriesparte weiter zunehmen
wird, und wie begründet sie ihre Antwort?

44. Wie hat sich seit dem Jahr 2000 bis heute der reale Einzelhandelsumsatz
entwickelt (absolut und relativ)?

45. Wie haben sich seit dem Jahr 2000 bis heute die Verkaufsflächen im Ein-
zelhandel insgesamt und je Beschäftigten entwickelt (absolut und relativ)?

46. Welche Möglichkeiten gibt es seitens der Politik, eine weitere Verkaufs-
flächenexpansion zu unterbinden?

Inwiefern sieht die Bundesregierung hier einen Vollzugsbedarf schon
bestehender Regulierungsmöglichkeiten?

Inwiefern sieht die Bundesregierung einen gesetzgeberischen Bedarf, um
neue Möglichkeiten zu schaffen?

47. Wie haben sich seit dem Jahr 2000 bis heute die Reallöhne im Einzelhandel
entwickelt (absolut und relativ)?

48. Wie haben sich seit dem Jahr 2000 bis heute die Gewinne in der Einzelhan-
delsbranche vor und nach Steuern entwickelt?

49. Wie viele Vermögensmillionäre gibt es nach Kenntnissen der Bundesregie-
rung, die ihre Hauptgeschäftstätigkeit im Einzelhandel haben (bitte wenn
möglich mit Namen, konkretes Unternehmen und geschätztes Vermögen
nennen)?

50. Ist der Bundesregierung die Studie des Instituts für ökologische Wirt-
schaftsforschung GmbH (gemeinnützig) zur „Versorgung mit Waren des
täglichen Bedarfs im ländlichen Raum“ (2005) bekannt, wonach in
Deutschland ein erheblicher Rückgang der Verkaufsstellen festzustellen ist,
mit dem Ergebnis, dass sowohl in ländlichen Räumen aber zunehmend auch
in einzelnen Stadtteilen die Situation der Nahversorgung problematisch ist?

51. Wie geht die Bundesregierung mit Berichten von Bürgermeistern und kom-
munalen Vertretungen um, wonach in einzelnen Orten/Stadtteilen durch
den Rückzug von Schlecker mangels Alternativen keine wohnortnahe Ver-
sorgung mit Drogerieartikeln sowie Gütern des täglichen Bedarfs gewähr-
leistet ist?

52. Wie steht die Bundesregierung zum Vorschlag einer Nahversorgungs-
abgabe im Lebensmitteleinzelhandel, dessen Aufkommen für die Unter-
stützung der Nahversorgung im ländlichen Raum genutzt werden könnte?

Berlin, den 15. Juni 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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