BT-Drucksache 16/9751

G8-Gipfel in Japan für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung nutzen

Vom 25. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9751
16. Wahlperiode 25. 06. 2008

Antrag
der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Jürgen Trittin, Dr. Gerhard Schick,
Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. Uschi Eid, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn,
Ulrike Höfken, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde,
Kai Gehring, Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Omid Nouripour,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Rainder Steenblock
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

G8-Gipfel in Japan für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung nutzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der diesjährige G8-Gipfel wird vom 7. bis 9. Juli 2008 in Japan in Toyako auf
der Insel Hokkaido stattfinden. Die japanische Präsidentschaft hat sich mit den
anderen G8-Staaten darauf verständigt, sich auf vier Themen zu konzentrieren:
Neben der Befassung mit Fragen der Weltwirtschaft und der Stabilisierung der
Finanzmärkte werden die Klima- und Energiepolitik, die Entwicklungen auf
dem afrikanischen Kontinent und die Agrarpolitik, in deren Folge die weltweite
Hungerkrise zu eskalieren droht, die Schwerpunke des diesjährigen G8-Gipfels
bilden.

Die japanische Präsidentschaft hat es ähnlich wie die deutsche Präsidentschaft
vermieden über eine grundsätzliche Transformation oder eine mögliche Erwei-
terung der G8 zu diskutieren. Weiterhin gilt jedoch, dass die G8-Staaten nicht für
sich in Anspruch nehmen können, Entscheidungen zu treffen, die zum Teil
erhebliche Folgen für den Rest der Welt haben. Ohne eine Stärkung des UN-Sys-
tems auf allen Ebenen werden globale Probleme nicht wirkungsvoll bearbeitet
werden können. Als aktuelles Beispiel kann die Debatte um die Fortschreitung
der UN-Klimarahmenkonvention dienen, über deren Fortentwicklung mit dem
Ziel verhandelt wird, über 2012 hinaus einen effektiveren Schutz des Klimas
und die Anpassung an den Klimawandel zu vereinbaren. Nur ein globales Forum
wird unter Beteiligung aller Staaten zu einer Einigung führen können.

Gleichwohl bleibt die G8 auf absehbare Zeit ein wichtiger Teil der globalen
Machtstruktur. Ihre informellen Absprachen und Entscheidungen können zu
messbaren Fortschritten beim Klimaschutz, beim Erhalt der biologischen Viel-
falt, der Umsetzung der Millenniumsziele oder einer nachhaltigen Agrarpolitik

führen. Zudem befinden sich in den G8-Staaten die wichtigsten Finanzplätze.
Deswegen tragen die G8-Staaten die große Verantwortung, den Finanzmärkten
ein effektives Regelwerk zu geben. Denn die gegenwärtig lückenhafte Regulie-
rung verschleiert Risiken und destabilisiert so die Finanzmärkte.

Bei der Auseinandersetzung mit diesen Themen spielen die großen Schwellen-
länder, allen voran Indien und China, eine zunehmend große Rolle. Dem trägt
die japanische G8-Präsidentschaft Rechnung. So wird es im Rahmen des Gipfels

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ein Treffen mit den so genannten O5-Ländern (China, Indien, Brasilien, Süd-
afrika, Mexiko) stattfinden. Dort wird über die Aussichten der Weltwirtschaft,
den Klimawandel, die Ernährungssicherheit und Weltagrarpolitik, Entwick-
lungsfragen im Kontext Afrikas, sowie die Ölpreisentwicklung beraten werden.

Des Weiteren sind Treffen mit regional wichtigen Akteuren (Indonesien, Korea
und Australien) sowie mit einer Reihe afrikanischer Staats- und Regierungs-
chefs geplant und zwar des NePAD-Vorsitzes Äthiopien, der NePAD-Grün-
dungsstaaten (Algerien, Ägypten, Nigeria, Senegal und Südafrika), des jetzigen
und des vergangenen Vorsitzes der Afrikanischen Union (Tansania und Ghana).

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich dafür einzusetzen, dass die G8-Staaten in Japan eigene CO2-Reduk-
tionsziele für die Zeit nach 2012 verbindlich benennen. Deutschland sollte
sich zu einer Reduktionsverpflichtung von 40 Prozent bis 2020 und 80 Pro-
zent bis 2050 bereit erklären, die anderen G8-Staaten sollten sich mindes-
tens zu einer Reduktion um 30 Prozent bis 2020 und von 60 bis 80 Prozent
bis 2050 verpflichten;

2. sich dafür einzusetzen, dass die Abhängigkeit der G8-Staaten von fossilen
Rohstoffen durch Zielvereinbarungen der G8 zur Steigerung des Anteils
erneuerbarer Energien verringert wird;

3. das Thema Anpassung an den Klimawandel aufgrund seiner umwelt-,
wirtschafts- und sicherheitspolitischen Relevanz, in den Dialog mit den
G8- Partnern einzubringen und konkrete Vorschläge zu verstärkten gemein-
samen Anstrengungen zu unterbreiten;

4. den Entwicklungsländern finanzielle und technische Unterstützung beim
Kampf gegen den Klimawandel und die Anpassung an den Klimawandel
zuzusagen;

5. sich aktiv am neuen gemeinsamen Programm von G8-Staaten und Schwel-
lenländern zur Einsparung und erhöhten Energieeffizienz, der „Internatio-
nal Partnership for Energy Efficiency Cooperation“ (IPEEC) zu beteiligen,
welches am Rande des G8-Energieministertreffens auf den Weg gebracht
worden ist;

6. den so genannten Heiligendammprozess mit den O5-Ländern (China, In-
dien, Brasilien, Südafrika, Mexiko) umzusetzen und den Deutschen Bun-
destag über die Ziele und Ergebnisse zu unterrichten;

7. klarzustellen, dass aus deutscher Perspektive die Nutzung der Atomenergie
keinen Beitrag zur Lösung des Klimaproblems leisten kann, die gesell-
schaftliche Akzeptanz für die Nutzung der Atomenergie nicht gegeben ist
und der Ausstiegsbeschluss auch zukünftig gilt;

8. sich für klare Grenzwerte von Autos und anderen Konsumgütern einzuset-
zen sowie verbrauchsarme Techniken mit dem Ziel eines verbesserten
Klimaschutzes der G8-Staaten zu fördern;

9. sich dafür einzusetzen, dass die G8-Staaten eine Führungsrolle beim Schutz
der biologischen Vielfalt übernehmen, bezogen auf die Einrichtung und
Finanzierung von Schutzgebieten, beim internationalen Waldschutz, bei
einem Verbot des Handels mit illegalem Holz und bei der nachhaltigen Nut-
zung von Bioenergien;

10. sich für eine Umsetzung der „Potsdam Initiative 2010“ und „Kobe Call for
Action for Biodiversity“ einzusetzen, indem Deutschland diesen Prozess
durch internationale und nationale Verpflichtungen mehr Gewicht verleiht;

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11. sich zu einer sofortigen Beendigung von Exportsubventionen und anderen
marktzerstörenden Subventionen für in den G8-Staaten hergestellte Agrar-
produkte bereit zu erklären;

12. die Bereitschaft zur Beendigung der Exportsubventionen nicht an den
Abschluss der laufenden Welthandelsrunde zu koppeln, da deren Ausgang
ungewiss ist und sich trotz aller Absichtserklärungen noch Jahre hinziehen
kann;

13. die Gewährleistung eines fairen Zugangs für Agrarprodukte aus den Ent-
wicklungsländern zu den Märkten der Europäischen Union, Russlands, der
USA, Kanadas und Japans voranzubringen;

14. in der bi- und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit deutlich mehr
Gelder für die Förderung der ländlichen Entwicklung und der Agrarfor-
schung zur Verfügung zu stellen und in diesem Sektor den Schwerpunkt auf
die Unterstützung von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zu legen; den
Empfehlungen des Weltagrarberichts (IAASTD) folgend sollen besonders
sie darin unterstützt werden, auf nachhaltige Weise Grundnahrungsmittel
für lokale und regionale Märkte herzustellen;

15. Anstöße dafür zu geben, dass Nachhaltigkeits- und Menschenrechtskrite-
rien für den gesamten Agrarbereich entwickelt werden, die vor allem ver-
hindern, dass der verstärkte Anbau von Pflanzen, die als Futtermittel in der
Fleischproduktion oder zur Gewinnung von Agrotreibstoff verwendet wer-
den, zu ökologischen und sozialen Verwerfungen führen;

16. sich im Rahmen der G8 für Regeln einzusetzen, welche die Spekulation mit
Energie- und Agrarrohstoffen begrenzen;

17. die bevorzugte Partnerschaft mit den Reformstaaten in Afrika endlich um-
zusetzen, wie auf dem G8-Gipfel 2002 beschlossen und die Instrumente der
Entwicklungszusammenarbeit zu flexibilisieren;

18. sich dafür einzusetzen, dass die Zusagen vom G8-Gipfel 2005, die Hilfe für
Afrika bis 2010 zu verdoppeln, erfüllt werden;

19. die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit gemäß der EU-Beschlüsse
zu erhöhen und dabei mindestens die Hälfte der zusätzlichen Mittel in
Afrika einzusetzen;

20. sich dafür einzusetzen, dass politische Initiativen der G8-Staaten zum
Ausbau der Beziehungen zu Afrika mit der Umsetzung der gemeinsamen
EU-Afrika-Strategie von 2007, des Aktionsplans zur Bekämpfung des
Klimawandels, der Energiepartnerschaft wie auch der Partnerschaft zur
Erreichung der Millenniumsziele abgestimmt werden, damit sich diese
sinnvoll ergänzen;

21. die Zusammenarbeit im Wasserbereich mit afrikanischen Staaten aus-
zubauen, da dort in Folge der geringen Fortschritte bei der Umsetzung der
spezifischen Entwicklungsziele und der sich abzeichnenden Folgen des
Klimawandels großer Handlungsbedarf besteht;

22. den Wasseraktionsplan des G8-Gipfels von Evian 2003 auf Umsetzungs-
lücken hin zu überprüfen und sich auf dem Gipfeltreffen auf einen konkre-
ten Umsetzungsplan zu verständigen, der den Schwerpunktsetzungen des
Wasser- und Sanitärversorgungsgipfels der Afrikanischen Union vom
30. Juni Rechnung trägt und der sanitären Grundversorgung im UN-Sani-
tärjahr deutlich größere Aufmerksamkeit schenkt;

23. innovative Finanzierungsinstrumente einzuführen, die zur Umsetzung der
Millenniumsziele beitragen und kurzfristig in Deutschland eine Flugticket-

steuer einzuführen;

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24. sich für eine international koordinierte Besteuerung der Finanzmärkte und
damit auch der Devisenmärkte auszusprechen, um so für stabilere Märkte
zu sorgen sowie die Initiative für eine EU-weit koordinierte Besteuerung
aller Treibstoffarten zu ergreifen;

25. sich dafür einzusetzen, dass die G8-Staaten gemeinsam mit anderen Län-
dern Vorschläge entwickeln, die den Internationalen Währungsfonds besser
in die Lage versetzen, die Beaufsichtigung der Finanzmärkte zu ermög-
lichen und Frühwarnmechanismen zur Vermeidung von Finanzkrisen zu
entwickeln;

26. solange sich Steuer- und Regulierungsoasen nicht zur Zusammenarbeit be-
reit erklären, Überweisungen in diese Gebiete mit einer Quellensteuer zu
belegen oder aber anderweitig sicherzustellen, dass Finanzmarktakteure mit
Sitz in den G8-Staaten bei grenzüberschreitenden Devisentransfers Her-
kunft und geplante Verwendung vollständig transparent machen;

27. sich dafür einzusetzen, dass die Interessenskonflikte bei Ratingagenturen
offengelegt und behoben werden und dazu beizutragen, dass verbindliche
Regeln für Ratingagenturen entwickelt werden.

Berlin, den 25. Juni 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Bei den von der japanischen G8-Präsidentschaft aufgerufenen Schwerpunkt-
themen besteht international starker Handlungsbedarf. Auch wenn die Reich-
weite und Legitimität von G8-Entscheidungen in Frage gestellt werden kann,
beeinflussen sie ohne Zweifel die Meinungsbildung in anderen internationalen
Foren und Institutionen. In einer ganzen Reihe von Bereichen sind stärkere
Anstrengungen der G8 in Zusammenarbeit mit Schwellen- und Entwicklungs-
ländern notwendig.

Die Klimakatastrophe schreitet schneller als erwartet voran. Sie gefährdet die
menschliche Gesundheit, die Landwirtschaft, große Städte und die wirtschaftli-
che Entwicklung weltweit. Dabei sind die Lasten des Klimawandels sehr un-
gleich verteilt. Die Hauptlast des Klimawandels tragen nicht die historischen
Verursacher sondern die Menschen in Entwicklungsländern. Um Fortschritte bei
den Klimaverhandlungen unter dem UNFCCC-Rahmen (UNFCCC: United Na-
tions Framework Convention on Climate Change) zu erzielen, ist eine Bereit-
schaft der G8-Staaten zu einer Reduzierung von CO2-Emissionen in der Grö-
ßenordnung von 80 Prozent notwendig. Auch wenn keine Einigkeit mit dem
scheidenden US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush zu erreichen sein
wird, sollten die anderen G8-Staaten klar ihre eigene Haltung zu dieser Frage
präsentieren – als Botschaft an die Schwellen- und Entwicklungsländer sowie an
den nächsten amerikanischen Präsidenten. Einmal mehr „ernsthaft“ über CO2-
Reduzierungen „nachzudenken“, wie es in der Erklärung von Heiligendamm
vom vergangenen Jahr hieß, ist nicht genug.

Die G8-Umweltminister hatten im Rahmen ihres Treffens im japanischen Stadt
Kobe im Mai angekündigt, die Zusammenarbeit im Bereich der biologischen
Vielfalt zu verbessern. Nachfolgend der „Potsdam Initiative 2010“ vom März
2007 wurde in Kobe der „Kobe Call for Action on Biodiversity“ beschlossen.

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Dieser betont die entscheidende Bedeutung der Erhaltung und nachhaltigen Nut-
zung der biologischen Vielfalt.

Auf der 9. UN-Artenschutzkonferenz, die gerade in Bonn zu Ende ging, war von
einer gemeinsamen und tatkräftigen Politik zum Erhalt der biologischen Vielfalt
nichts zu spüren. Außer Deutschland verpflichtete sich kein anderer G8-Staat
zur verstärkten Finanzierung des Waldschutzes. Beim Verbot des illegalen Holz-
einschlags- und Imports spielten die G8 als wichtige Abnehmer keine positive
Rolle. Erklärungen der G8 werden entwertet, wenn in anderen internationalen
Foren G8-Staaten, wie zum Beispiel Japan und Kanada, Fortschritte zum Schutz
der biologischen Vielfalt systematisch blockieren.

Die G8-Staaten und die Schwellenländer sind als Hauptnutzer der globalen Res-
sourcen aufgefordert, substanziell höhere Beiträge – auch und insbesondere mit-
tels innovativer Finanzierungsinstrumente – zum Erhalt von Meeres- und Wald-
schutzgebieten zu leisten und verbindliche Regeln zum Beispiel im Handel mit
Holz und Holzprodukten zu vereinbaren.

Im Vorfeld des Gipfels haben die G8-Energieminister ihre Sorge vor den Aus-
wirkungen des hohen Ölpreises auf die Wirtschaft zum Ausdruck gebracht. Sie
haben sich für „erhöhte und zeitgerechte Investitionen im Energiebereich“ aus-
gesprochen. Doch noch immer scheinen sich die G8 nicht im vollen Maße der
Ressourcenverknappung bei Erdöl, Erdgas aber auch bei Uran bewusst zu sein.

Die Bundesregierung und die G8-Staaten müssen zur Kenntnis nehmen, dass die
wirksamste Reaktion im Energiesparen und im Umstieg auf erneuerbare Ener-
gien besteht. Für große Irritation hat ein Bericht der Internationalen Energie-
agentur (IEA) gesorgt, der im Auftrag der G8 erstellt worden ist. Dieser schlägt
neben einem massiven Ausbau der Windkraft und anderer erneuerbarer
Energien vor, 1344 Kernkraftwerke bis 2050 zu errichten. Dieser Vorschlag ist
unrealistisch, gefährlich und teuer. Heute betreiben 31 Staaten Nuklearreak-
toren, nach amerikanischen Schätzungen könnte sich die Zahl im Jahr 2030 auf
55 Staaten erhöhen und 2050 bereits 86 Staaten umfassen.

Die Empfehlungen zur Atomenergie dienen den wirtschaftlichen Interessen der
Atomwirtschaft aus den IEA Mitgliedsländern, halten aber keiner ernsthaften
Analyse stand. Neben der Tatsache, dass eine damit verbundene Steigerung der
Uranförderung nicht umsetzbar ist, werden die bekannten Risiken in unverant-
wortlicher Art ignoriert. Hierzu zählen: Störfallrisiken in einer Vielzahl von
Ländern, die Gefahr der Weiterverbreitung von atomwaffenfähigem Material
und die Verschärfung des Atommüllproblems, dessen Lagerung bereits heute
nicht sichergestellt ist.

Auch die durch die dramatisch angestiegenen Nahrungsmittelpreise hervorge-
rufene Zuspitzung der weltweiten Hungerkrise erfordert ein entschlossenes
Handeln der G8-Staaten. Neben der kurzfristig wirksamen Bereitstellung von
finanziellen Mitteln für die akute Nothilfe, kommt es insbesondere darauf an,
Maßnahmen zur langfristigen globalen Ernährungssicherung zu ergreifen. Hier-
bei kommt dem auf dem Welternährungsgipfel in Rom vorgestellten Aktions-
plan der vom VN-Generalsekretär initiierten so genannten High Level Task
Force on the Global Food Crisis eine besondere Bedeutung zu.

Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit ist die Förderung der ländlichen
Entwicklung, vor allem die Unterstützung der Kleinbauern, in den letzten Jahr-
zehnten sträflich vernachlässigt worden. Diesen Trend gilt es umzukehren und
deutlich mehr Mittel für diesen Bereich zur Verfügung zu stellen. Besonders in
den Ländern, die in hohem Grade von Nahrungsmittelimporten abhängig gewor-
den sind und in denen sich das Hungerproblem verschärft hat, muss die nachhal-
tige Produktion von Grundnahrungsmitteln stark gefördert werden.

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Wesentliche Veränderungen zur Förderung der Landwirtschaft und Ernährungs-
sicherheit müssen aus den Entwicklungsländern selbst kommen.

Die Industrieländer ihrerseits – vor allem die G8-Staaten – sollten in den Berei-
chen, die direkt oder indirekt zur Hungerkrise beitragen, weitere Strukturände-
rungen umsetzen. Dazu zählt die Abschaffung von Exportsubventionen und ver-
gleichbarer Subventionen, die Märkte in Entwicklungsländern zerstören oder
negativ beeinflussen. Der Deutsche Bundestag stellt mit Besorgnis fest, dass
momentan weder die Diskussion über die so genannte Farm Bill in den USA
noch die Debatte um die Fortentwicklung der europäischen Agrarpolitik Anzei-
chen einer faireren Agrarpolitik erkennen lassen.

Auch der verstärkte Anbau von Pflanzen, die als Futtermittel für die Fleisch-
produktion dienen oder energetisch verwendet werden – vor allem als Agro-
treibstoff – hat das Hungerproblem verschärft. Die G8-Staaten sollten ihre
Zielvorgaben in diesem Bereich überprüfen und sich mit Nachdruck für die Ent-
wicklung und Implementierung von Nachhaltigkeits- und Menschenrechtskri-
terien für den gesamten Agrarbereich einsetzen, die Flächenkonkurrenzen
entschärfen und dem Recht auf Nahrung und dem Erhalt der biologischen Viel-
falt oberste Priorität einräumen.

Ein weiterer Grund für den enormen Preisanstieg bei Lebensmitteln sind Speku-
lationen von Finanzinvestoren und der Markteinstieg institutioneller Anleger
wie Pensionsfonds, die auf der Suche nach renditeträchtigen Anlagemöglichkei-
ten sind. Die G8-Staaten sollten über Wege und Ansätze diskutieren, um die
Spekulation durch verbindliche Absprachen entgegenzuwirken.

Die japanische Präsidentschaft hat die Zusammenarbeit zwischen der G8 und
Afrika auf die Tagesordnung gesetzt und wird gemeinsam mit einer Reihe von
afrikanischen Staats- und Regierungschefs über den Ausbau der Zusammen-
arbeit beraten. Nachdem in den vergangenen Jahren die japanische Entwick-
lungszusammenarbeit in Afrika erheblich nachgelassen hatte, wurde jüngst eine
Aufstockung angekündigt. Japan hat im Bereich „Entwicklung und Afrika“ den
Gesundheits-, Wasser- und Bildungsbereich als Schwerpunkte definiert. Darü-
ber hinaus will die G8-Präsidentschaft in der Förderung der Privatinvestitionen
und in der Reisproduktion in Afrika neue Akzente setzen. Zur Vorbereitung des
G8-Gipfels hat die japanische G8-Präsidentschaft vom 28. bis 30. Mai 2008 die
Tokyo International Conference on African Development abgehalten.

Fünf Jahre nach der Verabschiedung des G8-Wasseraktionsplans von Evian aus
dem Jahr 2003 sind deutliche Lücken bei dessen Umsetzung zu erkennen, die
durch einen konkreten Umsetzungsplan des G8-Gipfels in Japan geschlossen
werden müssen. Die Afrikanische Union hat Wasser- und Sanitärversorgung
zum Hauptthema ihres Gipfels am 30. Juni 2008 gemacht und die G8 sollten auf
diese afrikanische Prioritätensetzung angemessen reagieren.

Für die europäischen G8-Staaten gilt es, die im Europäischen Rat für All-
gemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen im Mai erneut bekräftigte Er-
höhung der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit in die Tat umzusetzen.
Diese Zusagen sehen vor, die jährlich zur Verfügung gestellte öffentliche Ent-
wicklungshilfe der EU im Jahre 2010 auf mehr als 66 Mrd. Euro zu verdoppeln.
Mindestens die Hälfte dieser gemeinsam aufgebrachten zusätzlichen Mittel soll
Afrika zugute kommen.

Afrikaexperten um den ehemaligen UN-Generalsekretär, Kofi Annan, stellen im
African Progress Panel Report 2008 vom Juni diesen Jahres für die G8-Staaten
insgesamt fest, dass die Geber derzeit weit hinter ihren bereits gemachten Zusa-
gen zurückliegen.

Auf der Grundlage der notwendigen Eigenanstrengungen afrikanischer Staaten

ist ein erhöhter Mitteleinsatz unabdingbar. Die bisherigen Erfolge bei der Um-

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setzung der Millenniumentwicklungsziele in Afrika bleiben in vielen Staaten
weit hinter den Zielen zurück. Durch die Probleme des Klimawandels und seiner
Auswirkungen auf die Landwirtschaft und auf die Verfügbarkeit von Wasser in
Afrika ist gerade hier eine vertiefte Zusammenarbeit zwischen den G8 und
afrikanischen Staaten angezeigt. Dazu gehören zum Beispiel Maßnahmen zur
Ernährungssicherung, zum Schutz vor Katastrophen und zur fairen Nutzung von
Wasser, um Konflikten zwischen Wassernutzern vorzubeugen.

Beim politischen Engagement der G8 und der EU gibt es Überschneidungen, die
eine kohärentere Abstimmung zwischen G8 und EU erforderlich machen. Im
Dezember 2007 hat die EU mit der Afrikanischen Union eine gemeinsame
EU- Afrika-Strategie mit einem gemeinsamen Aktionsplan verabschiedet. Die
G8 verfolgt seit 2001 eine umfangreiche Afrika-Agenda insbesondere zur Um-
setzung von NEPAD (New Partnership for Africa’s Development). Wie eine
komplementäre Arbeitsteilung aussehen könnte, sollte auf dem Gipfel zur Spra-
che kommen.

Dass globale Finanzmärkte globale Regeln brauchen, wurde durch die Immo-
bilienkrise in den USA unterstrichen und ihre Auswirkungen auf das internatio-
nale Finanzsystem deutlich. Da sich zentrale Finanzmärkte in den G8-Staaten
befinden, tragen diese Staaten eine besondere Verantwortung bei der Aufgabe
den Finanzmärkten ein effektives, verbindliches Regelwerk zu geben.

Bisher sind die Finanzmärkte nur lückenhaft reguliert und werden durch ver-
schleierte Risiken destabilisiert. Hedgefonds und Private-Equity-Unternehmen
beispielsweise agieren weitgehend abseits der Regelwerke, mit denen Risiken
im Banken- und Versicherungsbereich eingedämmt werden. Vielfach haben sie
ihren Sitz in so genannten Regulierungsoasen, gemanagt werden sie aber von
New York oder London aus. Eine bessere Regulierung muss die Konsequenz aus
der jetzigen Finanzmarktkrise sein. Kluge Regeln sorgen für mehr Transparenz
auf den Finanzmärkten. Konstruktionen wie die so genannten Zweckgesell-
schaften können ganze Banken an den Rand des Ruins treiben.

Die USA und Großbritannien betreiben mit ihrer Weigerung, systematisch ein
effektives Regelwerk aufzustellen, Klientel- und Standortpolitik zum Schaden
der Weltwirtschaft. Das muss ein Ende haben. Die anderen G8-Staaten sollten
im eigenen Interesse auf eine Zusammenarbeit drängen.

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