BT-Drucksache 16/9714

Lage der Homosexuellen auf Jamaika

Vom 20. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9714
16. Wahlperiode 20. 06. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Josef Philip Winkler, Kai Gehring,
Marieluise Beck (Bremen), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe,
Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Omid Nouripour,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Rainder Steenblock, Jürgen Trittin
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Lage der Homosexuellen auf Jamaika

Die Lage von Homosexuellen auf Jamaika ist dramatisch. Homosexualität ist
illegal und Homophobie kulturell tief in der Gesellschaft verankert. Bis zu 15
Jahre Haft drohen für einfaches Händchenhalten. Körperverletzungen und
Morde an Homosexuellen haben nach Presseberichten in den letzten Jahren im-
mer mehr zugenommen (vgl. u. a. ARD Weltspiegel 6. Mai 2007 und NEON
Februar 2008). Dabei kommt es häufig zu öffentlichen Mob- und Lynchszenen,
an denen nicht selten auch die Polizei aktiv beteiligt ist. Der Vorsitzende der
jamaikanischen Homosexuellenorganisation J-Flag, Brian Williamson, wurde
2004 ermordet, ebenso wie 2005 der offen homosexuelle Koordinator von Aids-
Hilfsprogrammen Lenford Harvey (Tödliche Hetze im Dancehall-Reggae: Der
Mord an Brian Williamson und die jamaikanischen Hatesongs, Klaus Jetz
[Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)] in Informationsstelle
Lateinamerika, Ausgabe 278, September 2004, http://www.ila-bonn.de/artikel/
278jamaicareggae.htm).

Viele bekannte Musikstars Jamaikas haben schwulenfeindliche Texte im Reper-
toire. Der Hass gegen Homosexuelle wird dabei auch von Pastoren, Gewerk-
schaften und der jamaikanischen Regierung geschürt. Der Premierminister von
Jamaika, Bruce Golding, erklärte im April 2006 auf der Titelseite der „Sunday
Herald“, dass Homosexuelle keine Unterstützung durch sein Kabinett erwarten
dürfen und im Mai 2008 erklärte er, Homosexualität sei nicht jamaikanisch (vgl.
http://www.queer.de/detail.php?article_id=8787). Auf Druck u. a. von Jamaika
wurden im Juni drei Homosexuellengruppen von einer Teilnahme an einer High-
Level-Konferenz von UNAIDS ausgeschlossen.

Die CDs und Lieder der homophoben jamaikanischen Reggae-Sänger sind in
Deutschland frei erhältlich und regelmäßig werden Konzerte gegeben. Auch
wenn den allermeisten Reggae-Fans Homophobie nicht unterstellt werden kann,
so ist es unerträglich, dass mit homophoben und gewaltverherrlichenden

Liedern in Deutschland Geld verdient wird.

„Die Verhältnisse in Jamaika haben uns gezeigt, welche Ausmaße an anti-
schwuler Gewalt die hysterische Schwulenhatz ausgeflippter Interpreten anneh-
men kann. Von der Bühne herab werden Menschen aufgewiegelt, Schwule zu
erschlagen. Regelmäßig kommt es dann in Kingston und anderen Orten der
Karibikinsel zu wilden Verfolgungsjagden auf (vermeintlich) schwule Männer,
oft mit tödlichem Ausgang.“ (Klaus Jetz: Hassmusik ist Volksverhetzung,

Drucksache 16/9714 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

respekt März 2008, http://www.lsvd.de/fileadmin/pics/Dokumente/News/Re-
spekt/respekt0802_hassmusik.pdf).

Der von einigen Sängern in 2007 unterschriebene „Reggae Compassion Act“,
der die Unterzeichner verpflichtet, jegliche Hetze gegen Homosexuelle zu un-
terlassen, wird immer wieder gebrochen bzw. bekennen sich die entsprechenden
Sänger nicht zu ihrer Unterschrift, so z. B. nach Informationen des LSVD und
der deutschen Botschaft in Kingston der Sänger Sizzla (http://lsvd.de/fileadmin/
pics/Dokumente/Homosexualitaet/Sizzla_FactSheet.pdf). Trotz der schengen-
weiten Ausschreibung zur Abweisung konnten sowohl Bounty Killer als auch
Sizzla im März und Mai in den Schengenraum einreisen und u. a. auch in
Deutschland Konzerte geben. Nach Spanien konnte Sizzla hingegen nicht mehr
einreisen (http://www.queer.de/detail.php?article_id=8841). Bereits jetzt sind
weitere Konzerte in Deutschland geplant (http://www.queer.de/detail.php?
article_id=8849). Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat bereits mehr-
mals nach den Hintergründen gefragt. So hat der Sänger Bounty Killer sich
offenbar bereits vor der Ausschreibung zur Zurückweisung im Schengenraum
aufgehalten und konnte so nach Deutschland einreisen und Konzerte geben.
Dem Sänger Sizzla wurde nach Auskunft des Bundesinisteriums des Innern von
Seiten der Französischen Botschaft in Kingston ein Schengenvisum ausgestellt,
bevor von deutschen Behörden eine Sperre in das Schengener Informations-
system (SIS) eingetragen werden konnte (Bundestagsdrucksache 16/9547).

Händler, die die entsprechenden CDs mit Mord- und Gewaltaufrufen in
Deutschland vertreiben, verweisen darauf, dass diese sich nicht auf dem Index
der Bundesprüfstelle befinden und sie deshalb keinen Anlass sehen, die CDs aus
dem Programm zu nehmen. Die Verbreitung von Mord und Gewaltaufrufen auf
Tonträgern ist Deutschland nach § 111 i. V. m. § 11 Abs. 3 des Strafgesetz-
buches (StGB) strafbar. Dennoch meint „Amazon“ zum Angebot der volksver-
hetzenden Musik:

„Amazon vertreibt weder indizierte noch verbotene Titel … Bei der Bewertung
der Frage, ob ein Produkt vertrieben werden kann, nehmen wir keine eigene
Wertung vor, sondern verlassen uns auf die Ansicht von den Stellen, die zu einer
solchen inhaltlichen Bewertung berufen sind. An die Liste der Bundesprüfstelle
jugendgefährdender Medien (BPjM) halten wir uns selbstverständlich strikt“
(Schreiben von Amazon.de an den Abgeordneten Volker Beck (Köln) vom
16. April 2008).

In Deutschland darf kein Geld mit Hassmusik verdient werden. Dies ist die
geringste Solidarität mit den Opfern von homophober Gewalt und Menschen-
rechtsverletzungen in Jamaika und anderswo in der Welt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die staatliche und nicht-
staatliche Verfolgung und Diskriminierung von Homosexuellen auf Jamaika?

2. Welche aktuellen Zahlen sind der Bundesregierung in Bezug auf Gewalt-
delikte und Morde an Homosexuellen in Jamaika bekannt?

3. Wie viele Strafverfahren gab es gegen Homosexuelle in den letzten Jahren
jeweils?

4. In welcher Weise thematisiert die Bundesregierung die Verfolgung und
Diskriminierung von Homosexuellen in ihren bilateralen Gesprächen?

5. Inwieweit unterstützt die Deutsche Botschaft Organisationen wie J-Flag auf
Jamaika, und inwieweit wird homosexuellen Aktivisten Schutz gewährt?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9714

6. Welche Zahlen liegen der Bundesregierung über homosexuelle Asyl-
suchende in der Bundesrepublik Deutschland und andern EU-Staaten aus
Jamaika vor, und wie ist die Anerkennungs- und Abschiebepraxis?

7. Rechtfertigt die extreme Gewalt gegen Homosexuelle auf Jamaika nach
Meinung der Bundesregierung eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes
– wo das Thema bisher nur kurz in den Reisehinweisen erwähnt wird –, und
wenn nein, wieso nicht?

8. Von welchen Sängern oder Gruppen aus Jamaika, die in Deutschland auf-
treten und/oder deren CDs in Deutschland erhältlich sind, sind der Bundes-
regierung Mord- und Gewaltaufrufe bekannt?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass entsprechende Lieder
in Deutschland frei erhältlich sind, und welche Bestrebungen gibt es von der
Bundesregierung über die uns vom Bundesministerium für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend (BMFSJ) mitgeteilte Indizierung einer einzelnen
CD von Bounty Killer hinaus, Lieder und CDs mit homophoben und volks-
verhetzenden Inhalten durch die Bundesprüfstelle systematisch auf den
Index setzen zu lassen?

10. Hält die Bundesregierung die Inanspruchnahme von § 18 Abs. 4 des Ju-
gendschutzgesetzes (JuSchG) bei Indizierungsverfahren auch bei Mordauf-
rufen für angemessen, um das Ziel einer Verhinderung von Straftaten und
Volksverhetzung zu erreichen?

Erwägt die Bundesregierung eine Klarstellung in § 18 Abs. 4 JuSchG, dass
in Fällen von Mord- und Gewaltaufrufen dieser Absatz nicht zum Tragen
kommt?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung die Haltung des Onlineversandhandels
Amazon.de, die entsprechenden CDs der jamaikanischen Sänger trotz
Kenntnis der Inhalte (Aufrufe zum Mord) nicht aus dem Programm zu neh-
men, sondern auf die ausstehende Indizierung durch die Bundesprüfstelle
zu verweisen?

12. Wird wegen Verbreitung von Aufrufen zu Straftaten nach Kenntnis der
Bundesregierung gegen Amazon.de und anderen Händlern ermittelt, und
wenn nein, warum nicht?

13. Welche weiteren Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, den Verkauf
solcher Lieder – in denen zu Mord an Homosexuellen aufgerufen wird – in
Deutschland zu verhindern und bei Auftritten der Musiker in Deutschland
entsprechend gegen diese vorzugehen?

14. Wegen welcher auf CDs verbreiteter Gewalt- und Mordaufrufe wurden
strafrechtliche Ermittlungen aufgenommen, und mit welchem Ergebnis?

15. Strebt die Bundesregierung eine freiwillige Selbstverpflichtung des Han-
dels zur Nichtverbreitung von volksverhetzenden Materialien an, oder auf
welche anderen Maßnahmen setzt sie?

16. Strebt die Bundesregierung eine freiwillige Selbstverpflichtung der Kon-
zertveranstalter an, damit volksverhetzende Sänger und Gruppen grund-
sätzlich keine Auftrittsmöglichkeiten mehr erhalten, oder auf welche ande-
ren Maßnahmen setzt sie?

17. In welchen Fällen (s. Frage 8) hat das BMFSJ einen Antrag gestellt, und mit
welchem Ergebnis?

Warum wurde in anderen Fällen kein Antrag gestellt?

Drucksache 16/9714 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
18. Hat das BMFSJ bei Homosexuellenorganisationen Erkundigungen einge-
zogen, welche Gruppen und Sänger im Sinne der Frage 8 aufgefallen sind?

Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

Wenn nein, warum nicht?

19. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung von den zuständigen Landes-
innenministern über die Konzerte der jamaikanischen Sänger in den Bun-
desländern und den – nach Berichten in Internetforen – möglicherweise
homophoben Äußerungen auf den Konzerten?

20. Warum haben nach Kenntnis der Bundesregierung die Landesinnenminister
von NRW, Bayern und Baden-Württemberg in denen Konzerte von Sizzla
und Bounty Killer stattfanden, trotz der Ausschreibung zur Ausweisung der
Sänger, keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ergriffen, und wie beur-
teilt die Bundesregierung diese lasche Haltung der Länder?

21. Ist nach Kenntnissen der Bundesregierung sichergestellt, dass eine erneute
Einreise der zur Abweisung ausgeschriebenen Sänger nicht erfolgen wird
und dass auch Frankreich, dass das Visum an Sizzla ausgestellt hatte, kein
weiteres Schengenvisum an diese Sänger ausstellen wird?

22. Über welches Land ist Bounty Killer nach der Ausschreibung zur Aus-
weisung eingereist, und welches Land hat das Visum ausgestellt?

23. Welche Hintergründe hatte nach Kenntnis der Bundesregierung die Aus-
ladung der drei Homosexuellengruppen von einer Teilnahme an der High-
Level-Konferenz des UNAIDS am 10. Juni, die nach Pressebericht auf
Druck von Jamaika, Ägypten und Simbabwe erfolgte, und wieso wurde
dem Wunsch entsprochen?

24. Welche Sänger haben nach Kenntnis der Bundesregierung den sog. Reggae
Compassion Act unterschrieben, und wie beurteilt die Bundesregierung die
Tatsache, dass die Unterschrift zumindest von Sizzla unter dem sog. Reggae
Compassion Act verneint wird?

25. Sind der Bundesregierung Verstöße gegen den „Reggae Compassion Act“
bekannt, und reicht nach Einschätzung der Bundesregierung eine solche
Selbstverpflichtung aus?

26. Welche der unter Frage 8 genannten Personen sind im Schengenraum zur
Abweisung ausgeschrieben, und in welchen Fällen will die Bundesregie-
rung entsprechende Schritte noch prüfen?

Berlin, den 20. Juni 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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