BT-Drucksache 16/9607

Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 2a, 5a, 13a, 19)

Vom 18. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9607
16. Wahlperiode 18. 06. 2008

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Renate Künast, Silke Stokar von Neuforn, Jerzy Montag,
Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Monika Lazar, Irmingard Schewe-Gerigk,
Hans-Christian Ströbele, Josef Philip Winkler und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
(Artikel 2a, 5a, 13a, 19)

A. Problem

Das Grundgesetz (GG) wird demnächst 60 Jahre alt. Der rasante technische
Fortschritt gerade bei den Informations- und Kommunikationstechnologien
konnte 1949 nicht vorausgesehen werden. Deshalb blieb es bisher im Wesent-
lichen dem Bundesverfassungsgericht überlassen, den in Hinblick auf diese
neuen Entwicklungen notwendigen Schutz der Grundrechte durch eine Ausle-
gung des überkommenen Grundrechtekatalogs sicherzustellen. Als Meilen-
steine auf diesem Weg sind das Volkszählungsurteil aus dem Jahr 1983 (infor-
mationelles Selbstbestimmungsrecht) und das Urteil zur Online-Durchsuchung
vom 27. Februar 2008 (Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und
Integrität informationstechnischer Systeme) zu nennen.

Gerade im Bereich der Grundrechte ist es wünschenswert, dass die Bürger ihre
grundlegenden Rechte aus der Verfassung selbst auch im Bereich der neuen
Technologien in hinreichender Klarheit entnehmen können. Der verfassungsge-
bende Gesetzgeber ist daher gehalten, die neuen Grundrechtepositionen wider-
spruchsfrei in die bestehende Grundrechteordnung einzufügen. Eine Veranke-
rung klarer Gewährleistungen für den Bereich des Datenschutzes soll darüber
hinaus Aufforderung an den Gesetzgeber sein, die schon lange notwendige
Überarbeitung der Datenschutzgesetze endlich anzugehen und insbesondere
auch den Schutz vor zunehmend bedrohlichen privaten Datensammlungen aus-
zubauen.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass sich mit dem zunehmenden Wandel zu
einer Informations- und Kommunikationsgesellschaft auch das Verständnis der
Bedeutung staatlicher Informationen gewandelt hat. In einer offenen Gesell-
schaft dürfen staatliche Informationssammlungen nicht mehr vor den Bürgern
abgeschirmt werden. Vielmehr muss ihnen grundsätzlich gerade umgekehrt der
Zugang zu diesen Informationen offenstehen. Ein derartiger Zugang wird
gegenwärtig nur durch die einfachen Gesetze gesichert (Informationsfreiheits-
gesetze). Die Wichtigkeit des freien Zugangs zu öffentlichen Informationen
gebietet es jedoch, dieses Recht im Grundrechtekatalog abzusichern.

Drucksache 16/9607 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

B. Lösung

Es werden grundrechtliche Gewährleistungen auf Selbstbestimmung über per-
sönliche Daten (Artikel 2a), die Informationsfreiheit (Artikel 5a) und über den
Schutz informationstechnischer Systeme (Artikel 13a) verankert. Dabei wird
auch der absolute Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung im Wort-
laut der Verfassung abgesichert, da dieser Bereich nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gerade für den Zugriff auf private Daten
besondere Bedeutung gewonnen hat.

C. Alternativen

Beibehaltung des bisherigen Zustandes.

D. Kosten

Keine

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9607

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
(Artikel 2a, 5a, 13a, 19)

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen; Artikel 79 Abs. 2 des Grund-
gesetzes ist eingehalten:

Artikel 1

Änderung des Grundgesetzes

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in
der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1,
veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch
Gesetz vom 28. August 2006 (BGBl. I S. 2034) wird wie
folgt geändert:

1. Nach Artikel 2 wird folgender Artikel 2a eingefügt:

„Artikel 2a

Das Recht, über persönliche Daten selbst zu bestim-
men, wird gewährleistet. Beschränkungen dieses Rech-
tes bedürfen einer gesetzlichen Grundlage.“

2. Nach Artikel 5 wird folgender Artikel 5a eingefügt:

„Artikel 5a

Jeder hat das Recht auf Zugang zu Daten öffentlicher
Stellen. Beschränkungen dieses Rechtes dürfen nur auf

gesetzlicher Grundlage und nur dann erfolgen, wenn
öffentliche Interessen die Vertraulichkeit zwingend ge-
bieten oder ein überwiegendes Interesse Dritter an der
Vertraulichkeit besteht.“

3. Nach Artikel 13 wird folgender Artikel 13a eingefügt:

„Artikel 13a

Jedem wird das Recht auf Vertraulichkeit und Integri-
tät informationstechnischer Systeme gewährleistet.“

4. Artikel 19 wird wie folgt geändert:

a) Nach Absatz 2 wird folgender Absatz 3 eingefügt:

„(3) Der Kernbereich privater Lebensgestaltung ist
unantastbar.“

b) Die bisherigen Absätze 3 und 4 werden die Absätze 4
und 5.

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in
Kraft.

Berlin, den 18. Juni 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Drucksache 16/9607 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeines

Das Grundgesetz (GG) wird demnächst 60 Jahre alt. Der
rasante technische Fortschritt gerade bei den Informations-
und Kommunikationstechnologien konnte 1949 nicht vor-
ausgesehen werden. Deshalb blieb es bisher im Wesent-
lichen dem Bundesverfassungsgericht überlassen, den in
Hinblick auf diese neuen Entwicklungen notwendigen
Schutz der Grundrechte durch eine Auslegung des über-
kommenen Grundrechtekatalogs sicherzustellen. Als Mei-
lensteine auf diesem Weg sind das Volkszählungsurteil aus
dem Jahr 1983 (informationelles Selbstbestimmungsrecht)
und das Urteil zur Online-Durchsuchung vom 27. Februar
2008 (Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit
und Integrität informationstechnischer Systeme) zu nennen.

Gerade im Bereich der Grundrechte ist es wünschenswert,
dass die Bürger ihre grundlegenden Rechte aus der Verfas-
sung selbst auch im Bereich der neuen Technologien in hin-
reichender Klarheit entnehmen können. So enthalten bereits
zehn Landesverfassungen eine Verbürgung des informatio-
nellen Selbstbestimmungsrechtes. Gleiches gilt für die euro-
päische Grundrechtecharta. Auch der verfassungsgebende
Gesetzgeber ist daher gehalten, einen Modernisierungs-
schritt zu tun und die neuen Grundrechtepositionen wider-
spruchsfrei in die bestehende Grundrechteordnung einzufü-
gen. Eine Verankerung klarer Gewährleistungen für den Be-
reich des Datenschutzes soll darüber hinaus Aufforderung
für den Gesetzgeber sein, auch die schon lange notwendige
Überarbeitung der Datenschutzgesetze endlich anzugehen
und insbesondere auch den Schutz vor – zunehmend be-
drohlichen – privaten Datensammlungen auszubauen.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass sich mit dem zu-
nehmenden Wandel zu einer Informations- und Kommuni-
kationsgesellschaft auch das Verständnis der Bedeutung
staatlicher Informationen gewandelt hat. In einer offenen
Gesellschaft dürfen staatliche Informationen nicht mehr vor
den Bürgern abgeschirmt werden. Vielmehr muss ihnen
grundsätzlich gerade umgekehrt der Zugang zu diesen In-
formationen offenstehen. Ein derartiger Zugang wird gegen-
wärtig nur durch die einfachen Gesetze gesichert (Informa-
tionsfreiheitsgesetze). Die Wichtigkeit des freien Zugangs
zu öffentlichen Informationen gebietet es jedoch, dieses
Recht im Grundrechtekatalog abzusichern.

Deshalb werden grundrechtliche Gewährleistungen auf
Selbstbestimmung über persönliche Daten (Artikel 2a), die
Informationsfreiheit (Artikel 5a) und über den Schutz infor-
mationstechnischer Systeme (Artikel 13a) verankert. Dabei
wird auch der absolute Schutz des Kernbereichs privater
Lebensgestaltung im Wortlaut der Verfassung abgesichert,
da dieser Bereich nach der Rechtsprechung des Bundesver-
fassungsgerichts gerade für den Zugriff auf private Daten
besondere Bedeutung gewonnen hat. Der Gesamtvorschlag
ist daher – in Verbindung mit den bereits bestehenden
Grundrechten (insbesondere den Artikeln 5, 8, 13 GG) – in
der Lage, die verfassungsrechtliche Grundlage einer umfas-
senden Informations- und Kommunikationsordnung zu bie-
ten (zu dieser Forderung bereits: Roßnagel, Pfitzmann,

Garstka, Modernisierung des Datenschutzrechts, Gutachten
im Auftrag des Bundesministeriums des Innern).

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1

Zu Nummer 1 (Artikel 2a – neu –)

Das Grundrecht sichert allen Menschen – Deutschen wie
Ausländern – das Recht, über ihre persönlichen (im Sinne
von personenbezogenen) Daten selbst zu bestimmen. In
dieses Recht darf nur auf gesetzlicher Grundlage und nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur im
überwiegenden Allgemeininteresse eingegriffen werden.
Die Verwendung der Daten ist auf den im Eingriffsgesetz
konkret bestimmten Zweck begrenzt. Damit ist die Samm-
lung nicht anonymisierter Daten auf Vorrat zu unbestimm-
ten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken nicht zulässig.
Das Recht, über eigene Daten selbst zu bestimmen, umfasst
dabei das Recht, Kenntnis über die die eigene Person betref-
fenden Daten zu erlangen. Die Vorschrift wurde bewusst als
Gewährleistung ausgestaltet. Dadurch soll die Schutz-
pflicht, die den Gesetzgeber im Bereich privater Daten-
sammlungen trifft, zum Ausdruck gebracht werden.

Zu Nummer 2 (Artikel 5a – neu –)

Durch die Vorschrift wird die bisher nur einfachgesetzlich
verbürgte Informationsfreiheit nunmehr grundrechtlich ab-
gesichert. Es ist zu erwarten, dass beispielsweise bei der
Abgrenzung zu den Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen
Dritter die verpflichteten öffentlichen Stellen dem Recht auf
Informationsfreiheit eine höhere Beachtung zukommen las-
sen, als das gegenwärtig der Fall ist.

Zu Nummer 3 (Artikel 13a – neu –)

Das Bundesverfassungsgericht (Online-Durchsuchung,
Urteil vom 27. Februar 2008 – 1 BvR 370/07 und 1 BvR
595/07) hat zu Recht festgestellt, dass es – im Zeitalter des
Personalcomputers und des BlackBerrys – technische In-
formationssysteme gibt, die eines besonderen Schutzes be-
dürfen. Diese Systeme können Informationen enthalten, die
einen umfassenden Einblick in die Persönlichkeit desjeni-
gen geben, der sie nutzt. Diese Systeme müssen daher unter
den Schutz eines besonderen Grundrechtes gestellt werden.
Um ihre besondere Schutzbedürftigkeit auch materiell zum
Ausdruck zu bringen, wird dabei darauf verzichtet, im Ge-
setzestext selbst einen ausdrücklichen Schrankenvorbehalt
anzubringen. Das Grundrecht kann daher nur – wie auch an-
dere besonders wichtige Grundrechte – durch kollidierende
Verfassungsgüter beschränkt werden. Damit kann der
Schutz des neuen Grundrechtes keinesfalls hinter dem des
Artikels 13 GG zurückbleiben.

Zu Nummer 4 (Artikel 19)

Bereits im Elfes-Urteil (BVerfGE 6, 32) hat das Bundesver-
fassungsgericht erstmals erkannt, „dass dem einzelnen Bür-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/9607

ger eines Sphäre privater Lebensgestaltung verfassungskräf-
tig vorbehalten ist, also ein letzter unantastbarer Bereich
menschlicher Freiheit besteht, der der Einwirkung der ge-
samten öffentlichen Gewalt entzogen ist.“ Diesen absoluten
Schutz des „Kernbereichs privater Lebensgestaltung“ – die
Unantastbarkeit – hat das Gericht in der Folge in ständiger
Rechtsprechung bestätigt und deutlich konturiert (vgl. nur:
BVerfGE 27, 1; 32, 41; 34, 238; 35, 35; 38, 312; 80, 367;
209, 279; 113, 348). Im Bereich der Abwehr staatlicher
Informationszugriffe hat dieser absolute Schutz – bei unter-
schiedlichen Grundrechten (BVerfGE 109, 279 zu Arti-
kel 13; E 113, 348 zu Artikel 10 und Urteil zur Online-
Durchsuchung – a. a. O. – zur „Integrität und Vertrau-
lichkeit informationstechnischer Systeme“) dabei besondere
Bedeutung gewonnen. Da es Ziel des vorliegenden Gesetz-
entwurfs ist, den Bestand grundrechtlicher Sicherungen im
Bereich des Datenschutzes im Grundgesetz selbst deutlich
zum Ausdruck zu bringen, ist es mithin eine Notwendigkeit,
auch den – ohnehin und unabänderbar (Artikel 1 i. V. m.
Artikel 79 Abs. 3 GG) geltenden – absoluten Schutz des
Kernbereichs privater Lebensgestaltung in den Wortlaut des
Grundgesetzes aufzunehmen. Um Missverständnissen vor-
zubeugen, sei dabei angemerkt, dass der Kernbereich priva-
ter Lebensgestaltung keinesfalls das Begehen von Straftaten
abdeckt (BVerfGE 109, 279: „Gespräche, die Angaben über
begangene Straftaten enthalten, gehören ihrem Inhalt nach
nicht dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestal-
tung an.“). Für den Bereich der Online-Durchsuchung hat
das BVerfG sein zweistufiges Schutzkonzept zum Kernbe-
reichsschutz bei Datenerhebungen wie folgt zusammen ge-
fasst: „Eine gesetzliche Ermächtigung zu einer Überwa-
chungsmaßnahme, die den Kernbereich privater Lebensge-
staltung berühren kann, hat so weitgehend wie möglich
sicherzustellen, dass Daten mit Kernbereichsbezug nicht
erhoben werden. Ist es – wie bei dem heimlichen Zugriff
auf ein informationstechnisches System – praktisch unver-
meidbar, Informationen zur Kenntnis zu nehmen, bevor ihr
Kernbereichsbezug bewertet werden kann, muss für hinrei-
chenden Schutz in der Auswertungsphase gesorgt sein. Ins-
besondere müssen aufgefundene und erhobene Daten mit
Kernbereichsbezug unverzüglich gelöscht und ihre Verwer-
tung ausgeschlossen werden.“

Zu Artikel 2

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.