BT-Drucksache 16/9306

Zukunft der Bahn für die Menschen sichern - Bahnprivatisierung stoppen

Vom 28. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9306
16. Wahlperiode 28. 05. 2008

Antrag
der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Dorothee Menzner, Dr. Gesine Lötzsch,
Dr. Dietmar Bartsch, Heidrun Bluhm, Karin Binder, Eva Bulling-Schröter, Roland
Claus, Lutz Heilmann, Hans-Kurt Hill, Katrin Kunert, Michael Leutert, Dr. Ilja Seifert,
Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Zukunft der Bahn für die Menschen sichern – Bahnprivatisierung stoppen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Ziele, die mit der 1993 beschlossenen ersten Stufe der Bahnreform an-
gestrebt wurden, sind im Wesentlichen nicht erreicht worden. Die Deutsche
Bahn AG (DB AG) hat sich seitdem aus der Fläche zurückgezogen, das Schie-
nennetz schrumpfte um mehr als 5 000 Kilometer, die Fahrpreise wurden mehr-
fach deutlich angehoben und etwa 1 000 Bahnhöfe geschlossen. Die Service-
und Beratungsqualität für die Reisenden hat sich verschlechtert. Die Beschäftig-
tenzahl verringerte sich von 380 000, die im Jahr 1994 bei der neugegründeten
DB AG tätig waren, auf 180 000, die Ende 2007 im Schienenbereich der DB AG
arbeiteten. Statt sich darauf zu konzentrieren, Verkehr in sozialer und umwelt-
verträglicher Weise von der Straße auf die Schiene zu verlagern, verwendete die
DB AG einen Teil ihrer Ressourcen darauf, sich zum internationalen Logistik-
konzern zu entwickeln und Marktfähigkeit an der Börse zu erreichen. Trotz einer
vollständigen Entschuldung häufte die DB AG auf diese Weise erneut Verbind-
lichkeiten von rund 20 Mrd. Euro an. Die mit der ersten Stufe der Bahnreform
versprochene Entlastung öffentlicher Haushalte trat nicht ein. Alles in allem hat
diese Politik neue Lasten für künftige Generationen erzeugt.

Der Privatisierungskurs der aus Bundesbahn und Deutscher Reichsbahn hervor-
gegangenen DB AG hat sich als Fehlschlag und Irrweg erwiesen. Auf diese
Weise wurde die Vorgabe des Artikels 87e des Grundgesetzes, dass dem Wohl
der Allgemeinheit Rechnung getragen wird, nicht erfüllt, sondern gröblich ver-
letzt. Eine – auch nur teilweise – Privatisierung öffentlichen Eigentums, das zum
unverzichtbaren Kernbereich der öffentlichen Daseinsvorsorge gehört, führt in
der Konsequenz zur Sozialisierung von Verlusten und der Privatisierung von
Gewinnen. Dies zeigen bei der Bahn internationale Erfahrungen aus Großbritan-
nien und Neuseeland sowie in der Bundesrepublik selbst die Auswirkungen des
Verkaufs des so genannten Tafelsilbers von Bund, Ländern und Kommunen an

private Investoren.

Die Verkehrsminister der Bundesländer haben die geplante Kapitalprivatisierung
von Teilen der DB AG im Beschluss ihrer Tagung im April 2008 in Brüssel kri-
tisiert. Sie befürchten einerseits erhebliche Nachteile im Schienenpersonennah-
verkehr, weil ohne ergänzende gesetzliche Festlegungen das Geld für Instand-
haltung, Erhalt und Ausbau des Bundesschienennetzes knapp werden könnte.
Andererseits rechnen sie mit zusätzlichen Belastungen, sollte die DB AG künftig

Drucksache 16/9306 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
noch mehr Städte vom Fernbahnnetz abkoppeln. Zur Abhilfe hat das Land
Sachsen-Anhalt auf Bundesratsdrucksache 315/08 vom 7. Mai 2008 den Ent-
wurf eines Gesetzes zur Sicherstellung von Eisenbahninfrastrukturqualität und
Fernverkehrsangebot vorgelegt, dem der Deutsche Bundestag Rechnung tragen
sollte, statt ihn durch eine voreilige Entscheidung zu umgehen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die künftige Bahnpolitik in Deutschland in folgenden Schritten neu zu bestim-
men:

1. Der geplante Verkauf von zunächst 24,9 Prozent des Bahnbetriebs an der
Börse wird sofort gestoppt. Alle Gespräche mit potenziellen Kaufinteressen-
ten werden eingestellt. Die Bundesregierung sorgt dafür, dass die auf den
Börsengang gerichteten Beschlüsse des Aufsichtsrates und des Vorstandes
der DB AG aufgehoben werden.

2. Die DB AG bleibt als integriertes Schienenverkehrsunternehmen erhalten
und zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes.

3. Entscheidungen zu Richtlinien der Bahnpolitik werden im Benehmen mit
dem Bundesrat auf gesetzlicher Grundlage und daher nicht eher getroffen, als
der Entwurf eines Gesetzes zur Sicherstellung von Eisenbahninfrastruktur-
qualität und Fernverkehrsangebot im Deutschen Bundestag behandelt wor-
den ist.

4. Jährlich wird dem Deutschen Bundestag ein Schienenverkehrsbericht vor-
gelegt.

5. In der Europäischen Union ist auf eine abgestimmte Schienenverkehrs- und
Bahnpolitik hinzuwirken, die nicht den Dumping-Wettbewerb unter den
Bahnunternehmen, sondern Zusammenarbeit und Kooperation zum gegen-
seitigen Nutzen ins Zentrum rückt.

6. Die Bundesregierung stellt sicher, dass mehr Güter von der Straße auf die
Schiene verlagert werden. Dazu erarbeitet sie bis zum Jahr 2013 eine Planung
für die künftige Netzbeschaffenheit und legt dem Deutschen Bundestag
darüber hinaus weitere Vorschläge zur sozial und ökologisch zukunftswei-
senden Weiterentwicklung des Verkehrs unter besonderer Berücksichtigung
des Schienenverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland als Kernbereich
öffentlichen Eigentums und öffentlicher Daseinsvorsorge vor.

Berlin, den 27. Mai 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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