BT-Drucksache 16/8375

Aktuelle Finanznot der Krankenhäuser beenden

Vom 5. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8375
16. Wahlperiode 05. 03. 2008

Antrag
der Abgeordneten Frank Spieth, Dr. Martina Bunge, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky,
Dr. Dagmar Enkelmann, Diana Golze, Hans-Kurt Hill, Katja Kipping, Elke Reinke,
Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Ilja Seifert, Jörn Wunderlich und der Fraktion
DIE LINKE.

Aktuelle Finanznot der Krankenhäuser beenden

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Finanzierungslücke in den deutschen Krankenhäusern hat für Patientinnen
und Patienten und Personal gleichermaßen bedrohliche Ausmaße angenommen.
Patientinnen und Patienten beklagen die fehlende pflegerische und ärztliche
Betreuung. Gleichzeitig steigt die Anzahl an im Krankenhaus erworbenen Infek-
tionen. Die Verdichtung durch Stellenabbau, Gehaltsabsenkungen durch Not-
lagentarifverträge, Befristung von Arbeitsverhältnissen und Beschäftigung von
Leiharbeitskräften sind Massenphänomene in Krankenhäusern geworden.

Das Rheinisch-Westfälische Instituts für Wirtschaftsforschung Essen (RWI) hat
in seiner Studie „Die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser 2008 und 2009“
vom Februar 2008 berechnet, dass allein in 2008 dem Krankenhausbereich bis
zu 2,2 Mrd. Euro zur Finanzierung von Tariferhöhungen fehlen. Durch diesen
Fehlbetrag geraten die Stellen von 66 000 Pflegekräften oder 40 000 Klinik-
ärztinnen und Klinikärzten in Gefahr.

Ohne die notwendigen Korrekturen verschärft die Bundesregierung den Privati-
sierungsdruck oder die Schließung weiterer Krankenhäuser. Mit der Deckelung
der Veränderungsrate in der Honorierung der Krankenhausleistungen und den
zusätzlichen Belastungen durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der
Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) werden der erneute Sanie-
rungsbeitrag, die geringe Anpassung an die Grundlohnsumme um 0,64 Prozent
und die steigenden Personal- und Sachmittelkosten in 2008 existenzbedrohende
Züge für viele Krankenhäuser zur Folge haben, so das RWI in seiner Studie.

Die aktuellen Tarifforderungen für das pflegerische, technische und medizinische
Personal sowie ansteigende Energie- und Sachkosten sind infolge der gesetzlich
fixierten Deckelung des Krankenhausbudgets nicht mehr finanzierbar. Dadurch
werden die Krankenhausangestellten mehr und mehr von der allgemeinen Ein-

kommensentwicklung abgekoppelt.

Zusätzlich wird durch den Sanierungsbeitrag, mit dem die Kliniken die Kran-
kenkassen stützen sollen, der finanzielle Spielraum weiter eingeengt.

Durch die zunehmende Schwere der Krankenfälle steigen die Kosten pro Be-
handlungsfall, ohne dass dafür die Entgelte entsprechend ansteigen.

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Gleichzeitig kommen die Länder ihrer Pflicht zur Übernahme der Investitions-
kosten nicht nach, wodurch der medizinische Fortschritt an der stationären Ver-
sorgung vorbeigeht. Für die Krankenhäuser baut sich unter diesen Bedingungen
eine fast ausweglose Situation auf, die eine qualifizierte und flächendeckende
Versorgung in Frage stellt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den im GKV-WSG festgelegten Sanierungsbeitrag der Krankenhäuser zur
Entlastung der Gesetzlichen Krankenversicherung zurückzunehmen,

2. die Lohn- und Gehaltsabschlüsse 2008 für die Krankenhäuser von der Decke-
lung auszunehmen und von den Kostenträgern im vollen Umfang gegen-
finanzieren zu lassen,

3. die Anbindung der Budgetsteigerungen (aktuell 0,64 Prozent) im stationären
Bereich an die Entwicklung der Grundlohnsumme auf der Grundlage der
Kalkulation des Schätzerkreises für die Grundlohnsummenentwicklung in
2008 auf 1,4 Prozent anzuheben,

4. gemeinsam mit den Bundesländern eine Regelung zur Behebung des Investi-
tionsstaus in den Krankenhäusern zu treffen.

Berlin, den 4. März 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Auch Kliniken, die bisher wirtschaftlich solide aufgestellt waren, kommen we-
gen der festgelegten einseitigen Belastungen zunehmend in Schwierigkeiten.

Der Gesetzgeber hat nach Schätzungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft
(DKG) für 2007 folgende Mehrbelastungen für die Krankenhäuser zu verant-
worten:

– 300 Mio. Euro (Sanierungsbeitrag, den die Kassen bei den Krankenhausrech-
nungen abziehen),

– 500 Mio. Euro (Verlängerung Anschubfinanzierung Integrierte Versorgung),

– 1,3 Mrd. Euro (Mehrkosten durch Änderung des Arbeitszeitgesetzes),

– 500 Mio. Euro (Abschaffung Arzt im Praktikum, Pflegeausbildung, DRG
Systemkosten),

– 500 Mio. Euro (Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19 Prozent),

– 1,0 Mrd. Euro (Auflagen wie Naturalrabattverbot, steigende Anforderungen
an Qualitätssicherung, sicherheitstechnische Auflagen).

Somit mussten bereits im vergangenen Jahr die Krankenhäuser über 4 Mrd. Euro
Mindereinnahmen verkraften. Dazu kommen 1,5 Mrd. Euro Mehrausgaben, die
durch die letzten Tarifabschlüsse (TVöD-Umstellung, Tariferhöhungen für Kli-
nikärzte) hervorgerufen wurden. So fehlen den Krankenhäusern fast 10 Prozent
ihrer Erlöse oder mehr als 5,5 Mrd. Euro.

Diese Belastungen sind auch nicht durch das Heben einer „Wirtschaftlichkeits-
reserve“ auszugleichen; sie gehen an die Substanz. Der regelmäßige Hinweis auf

Wirtschaftlichkeitsreserven in den Kliniken erzeugt bei den Mitarbeiterinnen

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8375

und Mitarbeitern und Patientinnen und Patienten nur noch Unverständnis und
zum Teil auch Wut. Der Abbau von bereits 48 000 Pflegekräften und 60 000
technischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den letzten zehn Jahren hat zu
einer unerträglichen Arbeitsverdichtung geführt. Das Personal kommt aufgrund
der durch das Fallpauschalengesetz erzwungenen Konzentration der Leistungen
an seine psychischen und physischen Belastungsgrenzen. Weitere Mittel- und
Personalkürzungen werden diesen Prozess nur noch weiter verschärfen. Ein
grundsätzlicher Mangel des Fallpauschalengesetzes liegt in der fehlenden Per-
sonalbemessung für die einzelnen Pauschalen. Diesen Mangel gilt es zu behe-
ben.

Die Länder kommen ihren Verpflichtungen zur Finanzierung von Neuinvesti-
tionen gegenüber den Krankenhäusern nur unzureichend nach. Deshalb gibt es
immer weniger Investitionen in Bauten und Geräten. Nach Berechnungen der
DKG beläuft sich der Investitionsstau für die Krankenhäuser auf mittlerweile
50 Mrd. Euro. Damit wird der Anschluss an den medizinischen Fortschritt ge-
fährdet.

Die Auswirkungen der dramatischen Sparpolitik ist in fast allen Krankenhäu-
sern zu spüren: Patientinnen und Patienten klagen über längere Wartezeiten, we-
niger Zuwendung und belastetes Personal. Patientinnen und Patienten werden
schnellstmöglich aus den Krankenhäusern entlassen, ohne dass eine gute nach-
stationäre Versorgung gewährleistet wäre. Der bauliche Zustand vieler Kliniken
ist besorgniserregend. Wegen mangelhafter hygienischer Bedingungen kommt
es zu einer Zunahme der Infektionen.

Statt einer verantwortungsvollen Krankenhausplanung werden durch die Politik
der Bundesregierung rigorose Kürzungen an allen Krankenhäusern vorgenom-
men. Dabei spielt es keine Rolle, ob auch solche Häuser um ihre Existenz kämp-
fen müssen, die in den bereits heute unterversorgten Regionen unverzichtbar
sind. Die Bundesregierung überlässt es hier dem Wettbewerb, also dem freien
Spiel der Kräfte, wer am Markt weiter existieren kann.

Die Sympathiebekundungen von Bundesministerin für Gesundheit, Ulla
Schmidt, für die Lohnforderungen von Krankenpflegekräften sind nicht nach-
vollziehbar. Die Bundesregierung selbst entzieht den Krankenhäusern mit dem
Sanierungsbeitrag rund 300 Mio. Euro, die den Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
tern nicht mehr zur Verfügung gestellt werden können. Somit sind es die Be-
schäftigten, die durch Lohnverzicht oder Personaleinsparungen die Sanierung
der Kassen bezahlen. Es ist unerträglich, allen Beschäftigten in Deutschland
eine Beteiligung am Aufschwung zu versprechen, faktisch aber das Personal im
Krankenhaus davon abzukoppeln.

Die Krankenhäuser fordern, dass sie wie andere Wirtschaftszweige Kosten-
steigerungen in ihren Rechnungen weitergeben können. Dies ist angesichts
einer gesetzlich begrenzten Preiserhöhung der Krankenhaus-Fallpauschalen
von 0,64 Prozent noch nicht einmal ansatzweise möglich. Schon ohne Tarif-
erhöhungen bewegt sich diese Steigerungsrate weit unter der Inflationsrate in
Deutschland.

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