BT-Drucksache 16/8199

Keine Speicherung von EU-Fluggastdaten

Vom 20. Februar 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8199
16. Wahlperiode 20. 02. 2008

Antrag
der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Volker Beck (Köln), Monika Lazar,
Jerzy Montag, Omid Nouripour, Irmingard Schewe-Gerigk, Rainder Steenblock,
Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Wieland, Josef Philip Winkler und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Speicherung von EU-Fluggastdaten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Vorschläge von EU-Kommissar Franco Frattini, die Fluggastdaten aller
Reisenden zwischen Europa und den Nicht-EU-Staaten 13 Jahre auf Vorrat
zu speichern (KOM(2007) 654 endg.; Ratsdok. 14922/07), sind unter daten-
schutz- und verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten absolut inakzeptabel
und sollten auch aus sicherheitspolitischen Gründen nicht weiterverfolgt und
umgesetzt werden.

2. Der vorgeschlagene Rahmenbeschluss sieht vor, die Fluggastdaten aller Rei-
senden zwischen Europa und den Nicht-EU-Staaten, ohne dass gegen sie der
geringste Verdacht einer strafbaren Handlung oder Gefährdung vorliegen
muss, auf Vorrat in Datenbanken zu erfassen, zur Strafverfolgung von Terro-
rismus sowie Organisierter Kriminalität auszuwerten und 13 Jahre zu spei-
chern. Erfasst, gespeichert und ausgewertet werden sollen 19 Datensätze wie
Name und Anschrift, Kreditkartennummer, Telefonnummer, E-Mail-An-
schrift, Beteiligung an Vielflieger-Bonusprogrammen, Hotel- oder Mietwa-
genbuchungen.

3. Die Speicherung und Auswertung von EU-Fluggastdaten stellt einen erheb-
lichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht dar. Nach der
Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes (vgl. BVerfGE 65, 1, 47)
besteht außerhalb statistischer Zwecke ein „striktes Verbot der Sammlung
personenbezogener Daten auf Vorrat“. Trotz vielfältiger Ankündigungen
liegt immer noch kein Rahmenbeschluss des Rates über den Schutz perso-
nenbezogener Daten vor; folglich fehlen Vorgaben der EU zum Schutz der
Fluggastdaten bei der nun vorgeschlagenen Verarbeitung. Die fehlende Mög-
lichkeit der Betroffenen, über die Datenspeicherung Auskunft zu erhalten,
fehlerhafte Daten korrigieren oder löschen zu lassen, das Fehlen selbst einer
nachträglichen Benachrichtigung der Betroffenen sowie eines entsprechen-
den Rechtsbehelfs widersprechen grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzi-
pien.

4. Nach der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschen-
rechte (EGMR) stellt das systematische, rechtlich unbegrenzte Sammeln
von Daten eine Verletzung von Artikel 8 der Europäischen Menschenrechts-

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konvention (EMRK) dar (Urteil vom 4. Mai 2000 – 28341/95 – Rotaru,
Tz 57 ff.).

5. Ein sicherheitsbedingtes Bedürfnis zu der geplanten Verarbeitung der Flug-
gastdaten weist weder der vorgeschlagene Rahmenbeschluss nach noch die
Folgenabschätzung der Kommission – (SEK(2007) 1453 – zumal Fluggesell-
schaften bereits mit der Richtlinie 2004/82/EG verpflichtet wurden, den
zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten erweiterte Fluggastdaten (API-
Daten) zu übermitteln. Es liegt keine Evaluation über die Wirkung dieser
Richtlinie vor, die die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme aufzeigt.

6. In keiner Weise belegt ist der Sicherheitsgewinn durch den Aufbau solcher
umfangreicher Datensammlungen. Nach Angaben der EU-Kommission
würde der Aufbau der geplanten Fluggastdatenbank im ersten Jahr 600 Mio.
Euro und in den Folgejahren 73 Mio. Euro kosten.

7. Die zweckungebundene Verknüpfung verschiedener Datenbänke unter-
schiedlicher Sicherheitsorgane weicht das deutsche Trennungsgebot zwi-
schen Polizei und Geheimdiensten auf. Die vorgesehene Verwendung der
PNR-Daten für Strafverfolgungsmaßnahmen durch die datensammelnden
Stellen selbst steht im Widerspruch zur Aufgabenverteilung zwischen Polizei
und Staatsanwaltschaft und gibt das Prinzip der staatsanwaltschaftlichen
Sachleistungsbefugnis auf.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

den geplanten EU-Rahmenbeschluss zur Einrichtung eines europäischen Sys-
tems zur Auswertung von Fluggastdaten (PNR) abzulehnen.

Berlin, den 20. Februar 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Nach den Vorschlägen von EU-Kommissar Franco Frattini sollen z. B. von allen
Touristen oder von allen Geschäftsleuten, die nach China, Russland, Indien oder
Ägypten reisen, verdachtsunabhängig Risikoprofile erstellt werden. Sowohl der
Grundsatz der Zweckbindung bei der Sammlung von Daten, als auch der Grund-
satz der Verhältnismäßigkeit sind hier nicht mehr gewahrt.

Schon heute führen sog. Non-Flight-Listen in den USA dazu, dass völlig unbe-
scholtene Bürgerinnen und Bürger mit gravierenden persönlichen Folgen und
allenfalls geringen Rechtsschutzmöglichkeiten vom Reiseverkehr mit dem
Flugzeug ausgeschlossen werden. Gesehen werden muss auch die Gefahr, dass
diese Daten zum Zwecke der Wirtschaftsspionage missbraucht werden könnten.

Selbst die Bundesregierung hegt offenbar erhebliche Bedenken gegen das Vor-
haben. Für die Bundesregierung nannte die Bundesministerin der Justiz, Brigitte
Zypries, vor dem 11. Europäischen Polizeikongress am 29. Januar 2008 in Ber-
lin u. a. die folgende Kritikpunkte:

„… PNR steht für „Passenger Name Record“ und damit sind die Daten gemeint,
die eine Fluggesellschaft bei jedem Flug über die einzelnen Passagiere erhebt.
Nach dem Vorschlag der Kommission sollen in Zukunft bei jeder Flugreise aus
der EU hinaus oder in die EU hinein über jeden Passagier über 19 verschiedene
Kategorien persönlicher Daten gespeichert werden: Wie der Reisende heißt, wo

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er wohnt und welche Telefonnummer er hat. Wie er das Ticket bezahlt hat, auf
welchem Sitzplatz er gesessen hat und „sonstige Sitzplatzinformationen“.
Damit sind offenbar auch die Menüwünsche beim Mittagessen gemeint. Erfasst
werden sollen zudem auch Daten Dritter: Etwa der Name des Sachbearbeiters
im Reisebüro, der das Flugticket verkauft hat, die Namen von Mitreisenden und
bei Kindern unter 18 Jahren auch, wer das Kind am Flughafen abgeholt hat und
wie er mit ihm verwandt ist. Alle diese Informationen sollen die Fluggesell-
schaften an staatliche Stellen in den Mitgliedstaaten übermitteln, die diese
Daten zur Terrorismusbekämpfung nutzen dürfen. Der Entwurf der Kommis-
sion sieht vor, dass die staatlichen Behörden in Zukunft jeden Passagier einer
sogenannten Risikoanalyse unterziehen. Wie das genau ablaufen soll, darüber
wird nichts gesagt, aber ganz offensichtlich wird hier an eine Art Rasterfahn-
dung gedacht. Über die konkrete Nutzung der Daten sagt der Entwurf ebenfalls
wenig, dagegen ist er bei deren Weitergabe sehr großzügig. Ein Datenaustausch
ist nicht nur zwischen den Sicherheitsbehörden der Mitgliedstaaten vorgesehen,
sondern auch mit Drittstaaten. Ganz exakt hingegen ist die Dauer der Daten-
speicherung geregelt: Mindestens 13 Jahre lang sollen die Passagierdaten auf-
bewahrt werden. Durch diese lange Speicherdauer gewinnt die Datenerhebung
eine zusätzliche Eingriffstiefe, dann dadurch entsteht ein Bewegungs- oder viel-
mehr ein Reisebild einer Person …

… Ich fürchte, dieser Vorschlag wäre ein weiterer Schritt hin zu einem Präven-
tionsstaat. Zu einem Staat, der schon vorbeugend seine Bürger überwacht und
kontrolliert, ohne das gegen sie irgendetwas vorliegt … Allein für Deutschland
wären von der Speicheraktion jährlich rund 50 Millionen Flugpassagiere betrof-
fen. Ich habe die Sorge, dass hier vor allem viel Datenmüll produziert wird, der
uns bei der Terrorismusbekämpfung überhaupt nichts nützt …“

Angesichts dieser deutlichen öffentlichen Worte der Bundesministerin wäre es
für die Öffentlichkeit überhaupt nicht nachvollziehbar, wenn sich die Bundes-
regierung nicht mit allem Nachdruck in den EU-Gremien gegen die geplante
Speicherung der Fluggastdaten aussprechen würde.

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