BT-Drucksache 16/7745

Energiekosten für Privathaushalte mit geringen Einkommen sofort wirksam senken

Vom 16. Januar 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7745
16. Wahlperiode 16. 01. 2008

Antrag
der Abgeordneten Hans-Kurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch,
Karin Binder, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus, Dr. Dagmar
Enkelmann, Heike Hänsel, Lutz Heilmann, Katrin Kunert, Michael Leutert, Ulla
Lötzer, Dorothee Menzner, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion
DIE LINKE.

Energiekosten für Privathaushalte mit geringem Einkommen
sofort wirksam senken

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Strom- und Gaspreisaufsicht durch die Bundesländer durch den Erlass
einer Verordnung umgehend wieder einzuführen und wirksam auszugestal-
ten. Der Preisaufsicht soll in jedem Bundesland ein Verbraucherbeirat zur
Seite gestellt werden. Ihm gegenüber sind die Energieversorger und die zu-
ständigen Behörde rechenschaftspflichtig. Der Verbraucherbeirat soll den
Rang eines anerkannten Verbraucherschutzverbandes haben und ist im Inte-
resse der Energieverbraucher klagebefugt;

2. das Energiewirtschaftsgesetz dahingehend zu ändern, dass Energieversor-
gungsunternehmen für Haushalte mit geringem Einkommen verpflichtende
Sozialtarife und daran gekoppelte Energieberatungen anbieten müssen. Die
Regelung soll gleichzeitig ein Verbot von Stromsperren aufgrund von Zah-
lungsunfähigkeit in Privathaushalten beinhalten;

3. das Wohngeldgesetz umgehend so zu ändern, dass die Kosten für Heizung
und Warmwasser für wohngeldberechtigte Haushalte in angemessener Höhe
erstattungsfähig werden. Gleichzeitig soll ein Bonussystem diejenigen
Wohngeldempfängerinnen und -empfänger belohnen, die einen sparsamen
Umgang mit Heizenergie nachweisen und Energieberatungen in Anspruch
nehmen;

4. umgehend eine Gewinnabschöpfungsteuer für die leistungslos erzielten Ex-
traprofite der Energiekonzerne durch die kostenlose Vergabe von 90 Prozent
der Emissionszertifikate im Rahmen des EU-Emissionshandels zu erheben.
Ein Teil dieser Mittel ist zur Finanzierung der oben genannten Punkte zu ver-
wenden.

Berlin, den 16. Januar 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Drucksache 16/7745 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Begründung

Die rasant steigenden Strom- und Gaspreise sowie die neuen Rekordmarken bei
Preisen von Mineralöl haben starke negative Folgen für viele private Haushalte.
Während die durchschnittliche Teuerung des privaten Konsums gegenüber 2004
um vier Prozent gestiegen ist und die Realeinkommen in den letzten Jahren ge-
sunken sind, sind die Kosten für Energie weiter drastisch angestiegen. Gegen-
über Januar 2004 wird Strom Anfang 2008 um fast 30 Prozent teurer sein. Erd-
gas und Benzin verteuern sich in diesem Zeitraum um rund 40 Prozent und
Heizöl sogar um über 80 Prozent.

Die staatliche Aufsicht der Strom- und Gastarife wurde mit der Neuregelung des
Energiewirtschaftsgesetzes im Jahr 2006 abgeschafft. In der Folge gab es in im-
mer kürzeren Abständen Strompreiserhöhungen, deren ökonomische Notwen-
digkeit nicht mehr nachzuvollziehen ist. Die Bundesländer haben seither keine
Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Strom- und Gaspreisgestaltung für End-
kunden zu überprüfen. Gleichzeitig werden die Energiekonzerne im Rahmen
des europäischen Emissionshandels zwischen 2008 und 2012 jährlich voraus-
sichtlich weit über 5 Mrd. Euro zusätzliche Gewinne einstreichen, da sie die
Emissionszertifikate zu 90 Prozent kostenlos zugeteilt bekommen, sie ihrem
Wert nach aber auf die Stromrechnungen aufschlagen.

Das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) beschreibt in § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1
die Aufgaben der Energieversorgungsunternehmen (EVU). Die Versorgung mit
Strom und Gas ist wie der Zugang zu Lebensmitteln oder Bildung eine Gemein-
wohlpflicht der Daseinsvorsorge und Voraussetzung für gesellschaftliche Teil-
habe. Der Entzug von Energie, auch wenn er aus ökonomischer Sicht eines Un-
ternehmens begründet sein mag, ist deshalb nicht zu rechtfertigen. Jede Bürgerin
und jeder Bürger muss einen angemessenen Zugang zu Strom und Gas haben.
Da betriebswirtschaftliche Interessen in der Praxis die Versorgungspflicht be-
schneiden können, bedarf es hier einer Klarstellung im Gesetz. Verpflichtende
Sozialtarife sollen deshalb mindestens 50 Prozent unter dem günstigsten Tarif
des jeweiligen EVU liegen und müssen an eine gezielte Energieberatung gekop-
pelt sein, die von den betroffenen Privathaushalten auch in Anspruch genommen
werden müssen. Im Einzelfall kann so gegebenenfalls auch auf die Inanspruch-
nahme von Sozialtarifen verzichtet werden. Grundsätzlich muss es aber eine
Versorgungspflicht geben.

Es häufen sich die Meldungen, dass Haushalte aufgrund der hohen Energierech-
nungen zahlungsunfähig werden. Energieversorger selbst berichten über eine
deutliche Häufung von Stromsperrungen aufgrund von Zahlungsrückständen.
Die bisherigen Regelungen für Haushalte mit geringem Einkommen sind des-
halb nicht geeignet, ein Abrutschen von Menschen in die Armut aufgrund von
teurer Energie zu verhindern. Die Preisentwicklung können einkommensschwa-
che Haushalte nicht mehr durch Verhaltensänderungen, wie Energiesparen, auf-
fangen. Sie geraten zunehmend in existenzielle Bedrängnis. Ihre soziale Teil-
habe an der Gesellschaft ist gefährdet. 5,2 Millionen Haushalte in Deutschland
müssen laut Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung mit einem
monatlichen Nettoeinkommen von 500 bis 900 Euro auskommen. Jeder zehnte
Einwohner in Deutschland gerät so in ernsthafte finanzielle Nöte, auch aufgrund
der massiv gestiegenen Energiekosten.

Ein wichtiges Instrument ist eine wirksam ausgestaltete Wohngeldförderung.
Diese klammert zwar seit dem Jahr 2005 die Menschen aus, die Arbeitslosen-
geld II beziehen müssen. Die Notwendigkeit, Privathaushalten außerhalb von
Hartz IV mit Wohngeld zu helfen, steigt jedoch aufgrund der zunehmend
schlechten Einkommenssituation bei gleichzeitig rasant steigenden Energieprei-
sen weiter an. Durch das Wohngeldgesetz (WoGG) des Bundes soll die Situation
von Menschen in einkommensschwachen Privathaushalten verbessert werden.
Bezuschusst werden dabei allerdings nur die Kaltmiete und so genannte kalte

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7745

Nebenkosten. Kosten für Heizung und Warmwasser bleiben laut § 5 Abs. 2 des
Wohngeldgesetzes außer Betracht. Deshalb sind die Nummern 1 und 2 in § 5
Abs. 2 des Wohngeldgesetzes ersatzlos zu streichen, da sie die Kostenerstattung
für Heizungs- und Warmwasserversorgung in angemessener Höhe ausschließen.

Die zusätzlichen Kosten für Privathaushalte mit geringem Einkommen, die vor
allem bei den Kommunen anfallen, sind durch eine steuerliche Abschöpfung
unzulässiger Gewinne bei den EVU gegenzufinanzieren. Laut europäischer
Emissionshandelsrichtlinie und deutschem Zuteilungsgesetz werden in der Han-
delsperiode 2008 bis 2012 (zweite Emissionshandelsperiode) 91 Prozent der
Emissionsrechte kostenlos an die Anlagenbetreiber verschenkt, statt entgeltlich
veräußert. Da die Betreiber – wie schon in der ersten Handelsperiode 2005 bis
2007 – die ihnen kostenlos zugeteilten Zertifikate wieder auf den Strompreis
aufschlagen werden, können sie erneut Extraprofite in Milliardenhöhe (so ge-
nannte windfall profits) erzielen. Die Bundesregierung hat jedoch bislang kei-
nerlei Initiativen ergriffen, um diese Extragewinne in irgendeiner Weise von den
Stromkonzernen abzuschöpfen. Dies ist nicht hinzunehmen. Darum müssen die
Sonderprofite über eine Steuer (windfall profit tax) oder ein anderes adäquates
Instrument eingezogen werden, bis das europäische Recht eine 100-prozentige
Versteigerung der Emissionsrechte zulässt.

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