BT-Drucksache 16/7482

Arbeit familienfreundlich gestalten - Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Mütter und Väter lebbar machen

Vom 12. Dezember 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7482
16. Wahlperiode 12. 12. 2007

Antrag
der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, Dr. Martina
Bunge, Werner Dreibus, Diana Golze, Dr. Barbara Höll, Katja Kipping, Ulrich
Maurer, Elke Reinke, Dr. Ilja Seifert, Volker Schneider (Saarbrücken), Frank Spieth,
Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Arbeit familienfreundlich gestalten – Vereinbarkeit von Familie und Beruf
für Mütter und Väter lebbar machen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf beginnt am Arbeitsplatz. Das wurde
von der Familienpolitik viel zu lange vernachlässigt. In dem Bemühen, Kinder-
erziehung und Beruf zu vereinbaren, stoßen Eltern zu oft an Grenzen, die Politik,
Wirtschaft und Gesellschaft zu verantworten haben. Prekäre Arbeitsverhältnisse
und materielle Unsicherheit führen bei vielen Menschen dazu, dass der Wunsch
nach Kindern nicht mehr realisiert wird. Für Familien mit Kindern, besonders
für Alleinerziehende, ist der Alltag ein Balanceakt mit zunehmender Absturz-
gefahr. Vor allem junge Frauen müssen mit dem Risiko leben, dass ihnen nach
einer Elternzeit der Wiedereinstieg in den Beruf erschwert oder verwehrt wird.
Politik und Unternehmen stehen in der Verantwortung für eine familienfreund-
liche Arbeitswelt.

Familien benötigen Unterstützung in Form eines Dreiklanges aus Infrastruktur,
Geld und Zeit, so der 7. Familienbericht der Bundesregierung. Dieser Dreiklang
wird so lange nicht harmonisch sein, wie die betriebliche Realität – insbesondere
die Gestaltung der Arbeitszeit – einseitig von der Interessenlage der Unterneh-
men dominiert wird. Die überwiegende Mehrheit von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern wünscht sich Arbeitszeiten, die kürzer als der derzeitige Stan-
dard der Vollzeitarbeit sind und sich im Bereich „lange Teilzeit“ oder „kurze
Vollzeit“ bewegen. Dies sehen viele als Voraussetzung dafür an, Familie und Be-
ruf vereinbaren zu können. Die Entscheidung für ein Kind ist in Deutschland oft
immer noch eine Entscheidung über die Erwerbstätigkeit der Frau. Es ist daher
dringend geboten, die Arbeitszeit so zu gestalten, dass Mütter und Väter beide
die Möglichkeit haben, sowohl erwerbstätig zu sein, als auch ihren Beruf mit der
Familie zu vereinbaren. Um diesem Ziel näher zu kommen, sind die Umvertei-
lung des gesellschaftlich erbrachten Arbeitsvolumens durch kürzere Vollzeit-

standards, die Gleichverteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen den Ge-
schlechtern und eine erhöhte Bereitstellung öffentlicher Infrastruktur notwen-
dig.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie darf keine Frage der individuellen
Durchsetzungsfähigkeit und der Bereitschaft zum „Entgegenkommen“ der
Arbeitgeber sein. Es handelt sich um ein strukturelles Problem, welches gesamt-
gesellschaftlicher Antworten bedarf. Notwendig ist ein Umdenken, das den

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mobilen, flexiblen und umfassend verfügbaren Arbeitnehmer nicht mehr zum
Maßstab unternehmerischer Politik macht. Erforderlich sind darüber hinaus eine
Stärkung der Rechte von Eltern im Berufsleben und eine deutliche Verbesserung
der Rechtsposition von betrieblichen Interessenvertretungen und Gewerkschaf-
ten.

II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

unverzüglich ein Maßnahmenpaket zur Stärkung der Vereinbarkeit von Familie
und Beruf vorzulegen, das folgende Aspekte umfasst:

1. Kündigungsschutz für Eltern ausweiten

Im Elterngeldgesetz und im Kündigungsschutzgesetz wird der besondere Kün-
digungsschutz, wie er schon heute bis zum Ende der Elternzeit gilt, auf den
gesamten Zeitraum bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres des Kindes aus-
geweitet. Darüber hinaus werden die Kriterien, nach denen die obersten Landes-
behörden über die Genehmigung von Kündigungen während des Mutterschutzes
bzw. der Elternzeit entscheiden, deutlich präzisiert und eingeschränkt.

2. Berufsrückkehr fördern

Die Situation von Berufsrückkehrerinnen und Berufsrückkehrern nach der
Elternzeit wird durch ein ausdrücklich im Bundeselterngeldgesetz verankertes
Rückkehrrecht auf den gleichen oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz gestärkt.
Berufsrückkehrerinnen und Berufsrückkehrer erhalten außerdem einen Rechts-
anspruch auf alle Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, auf die sie während
ihrer Abwesenheit Anspruch gehabt hätten. Durch Beteiligung an betrieblichen
Weiterbildungsmaßnahmen und die bevorzugte Möglichkeit zur Übernahme
kurzer Vertretungen soll der Kontakt zum Betrieb auch während der Elternzeit
erhalten bleiben.

3. Gestaltung der Arbeitszeit

Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhalten Eltern von Kindern bis zu
zwölf Jahren ein Initiativrecht zur Gestaltung von Beginn und Ende ihrer regu-
lären Arbeitszeit – verbunden mit einer Ankündigungsfrist- und gleichzeitig das
Recht in Teilzeit arbeiten zu können. Letzteres ist versehen mit einem Rechts-
anspruch auf Rückkehr auf eine Vollzeitstelle bzw. auf eine Verlängerung der
wöchentlichen Arbeitszeit. Die Ablehnung von Teilzeitarbeit ist nur möglich,
wenn dringende betriebliche Gründe vorliegen. Ebenfalls erhalten sie das Recht,
von Mehrschichtbetrieb in Normalschicht zu wechseln und Mehrarbeit abzuleh-
nen. Betriebe, die von Eltern von Kindern bis zu zwölf Jahren Mehrarbeit ver-
langen, müssen die Kosten für zusätzlich anfallende Kinderbetreuung über-
nehmen.

Berlin, den 11. Dezember 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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