BT-Drucksache 16/7328

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - 16/6000, 16/6002, 16/6407, 16/6423 - Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2008 (Haushaltsgesetz 2008) hier: Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz

Vom 27. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7328
16. Wahlperiode 27. 11. 2007

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Wolfgang Neskovic, Roland Claus, Dr. Gesine Lötzsch,
Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Lutz
Heilmann, Hans-Kurt Hill, Katrin Kunert, Michael Leutert, Dorothee Menzner,
Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/6000, 16/6002, 16/6407, 16/6423 –

Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans
für das Haushaltsjahr 2008 (Haushaltsgesetz 2008)

hier: Einzelplan 07
Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Überlange Verfahrensdauern sind ein dringendes Problem im Bereich der ge-
samten Justiz.

2. So mussten in Strafverfahren wiederholt Entlassungen aus der Untersu-
chungshaft erfolgen, weil der in Haftsachen anzuwendende Beschleuni-
gungsgrundsatz von den Gerichten nicht eingehalten werden konnte. Un-
längst äußerte das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 19. September
2007, 2 BvR 1847/07) hierzu in kaum zu überbietender Deutlichkeit: „Der
Beschwerdeführer hat es nicht zu vertreten, wenn seine Haftsache nicht bin-
nen angemessener Zeit zum Abschluss gelangt, nur weil dem Gericht die per-
sonellen und sächlichen Mittel fehlen, die zur ordnungsgemäßen Bewälti-
gung des Geschäftsanfalls erforderlich sind (vgl. BVerfGE 36, 264 <274>).
Die mit der Haftprüfung betrauten Gerichte verfehlen die ihnen obliegende
Aufgabe, den Grundrechtsschutz der Betroffenen zu verwirklichen, wenn sie
angesichts des Versagens des Staates, die Justiz mit dem erforderlichen rich-
terlichen Personal auszustatten, die im Falle einer Verletzung des Beschleu-
nigungsgebots gebotenen Konsequenzen nicht ziehen. Das unmittelbar in der
Verfassung wurzelnde Gebot der Beschleunigung von Haftsachen darf nicht

zur inhaltsleeren Hülse werden (vgl. bereits BVerfG, Beschluss der 3. Kam-
mer des Zweiten Senats vom 29. November 2005 – 2 BvR 1737/05 –, StV
2006, S. 87 <90>).“

Die menschenrechtswidrige Dauer der Untersuchungshaft stellt auch den
Grund mehrmaliger Rügen des Europäischen Gerichtshofs für Menschen-

Drucksache 16/7328 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

rechte gegenüber der Bundesrepublik Deutschland dar (Urteil vom 31. Mai
2001 – 37591/97 –, Urteil vom 8. Juni 2006 – 75529/01–).

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Strafsachen sieht durch überlange Verfah-
rensdauern sogar die Strafgerechtigkeit in der Bundesrepublik Deutschland
in Gefahr und forderte im Bereich des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts eine
spürbare Stärkung der Justiz, um dem drohenden Ungleichgewicht zwischen
der Strafpraxis bei der allgemeinen Kriminalität und der Strafpraxis in
Steuer- und Wirtschaftsstrafverfahren entgegenzutreten (Urteil vom 2. De-
zember 2005 – 5 StR 119/05).

3. Auch die Verfahrensdauern der anderen Gerichtsbarkeiten können für Betrof-
fene existenzgefährdende Folgen aufweisen. Sie führen zu einer unnötigen
Aufrechterhaltung finanzieller und psychischer Belastungen der Beteiligten,
die durch die Rechtsunsicherheit schwebender Verfahren eintreten.

4. Bestandteil des Problems der überlangen Verfahrensdauern sind auch die
obersten Bundesgerichte. 51,9 Prozent und damit über die Hälfte der Revisio-
nen und Nichtzulassungsbeschwerden vor den Zivilsenaten des BGH wiesen
eine Verfahrensdauer von über einem Jahr allein in dieser Instanz auf. Vor
dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) waren die durch Urteil zu ent-
scheidenden Verfahren im Schnitt 10 Monate und 24 Tage anhängig. In Straf-
sachen werden die Verfahren vor dem BGH demgegenüber zwar überwie-
gend in den ersten 3 Monaten erledigt, doch auch hier ist angesichts der
Grundrechtsrelevanz der Verfahren eine weitere Beschleunigung anzustre-
ben.

5. Die Einstellung einer angemessenen Anzahl wissenschaftlicher Mitarbeiter
an den obersten Bundesgerichten würde einen erheblichen Beitrag zur drin-
gend notwendigen Verkürzung der Verfahrensdauern bedeuten. Darüber
hinaus könnte sich diese Mitarbeit von Nachwuchsrichtern aufgrund der an
den Obergerichten gewonnenen Erfahrung und Qualifikation positiv auf die
Qualität der Instanzgerichte auswirken. Neben der hiermit erfolgenden Nach-
wuchsförderung würde der stattfindende Erfahrungs- und Wissensaustausch
verschiedener Generationen außerdem für die inhaltliche Arbeit ausgespro-
chen förderlich sein.

6. Die Aufstockung der personellen und sächlichen Mittel an den obersten Bun-
desgerichten führt zu einer Verbesserung der Rechtschutzmöglichkeiten der
Bürger, indem sie eine Verfahrensbeschleunigung bewirkt, ohne dass es zu
Qualitäts- und Rechtsschutzeinbußen zu Lasten der Bürger kommt. Sie ist
daher allen Versuchen, eine Beschleunigung von Gerichtsverfahren durch
Erschwerung des Zugangs zu den Gerichten oder durch Rechtsmittelverkür-
zungen zu erreichen, entschieden vorzuziehen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

die Haushaltsposten für personelle und sächliche Ausgaben innerhalb des Ein-
zelplans 07 dergestalt zu erhöhen, dass jedem Richter an einem durch den Ein-
zelplan 07 betroffenen obersten Bundesgericht mindestens ein wissenschaftli-
cher Mitarbeiter zur Seite gestellt werden kann.

Berlin, den 27. November 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7328

Begründung

Überlange Verfahrensdauern sind ein dringendes Problem im Bereich der ge-
samten Justiz. Ziel der Justizpolitik von Bund und Ländern muss daher die Ver-
fahrensbeschleunigung bei gleichbleibend hoher Qualität der Rechtsprechung
sein. Die Verfahrensbeschleunigung darf dabei aber nicht auf Kosten der Rechts-
schutzmöglichkeiten der Bürger erfolgen, vielmehr bedarf es einer erheblichen
Verbesserung der personellen und sachlichen Ausstattung der Justiz.

Ergänzend zu der in Länderzuständigkeit fallenden notwendigen Schaffung wei-
terer Richterstellen für die Instanzgerichte ist es daher erforderlich, auch an den
obersten Bundesgerichten einen Beitrag zur Verfahrensbeschleunigung zu leis-
ten. Ein wirksames Mittel hierzu ist die angemessene Ausstattung der Gerichte
mit wissenschaftlichen Mitarbeitern.

Bisher werden drei bis vier Richterinnen bzw. Richter an den obersten Bundes-
gerichten im Durchschnitt durch nur eine wissenschaftliche Mitarbeiterin bzw.
einen wissenschaftlichen Mitarbeiter unterstützt. So stehen beim BGH 127
Richterinnen bzw. Richtern lediglich 48 wissenschaftliche Mitarbeiterinnen/
Mitarbeiter gegenüber, die 61 Richterinnen/Richter am BVerwG können sogar
nur auf 9 wissenschaftliche Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter zurückgreifen. Beim
Bundesverfassungsgericht verfügt demgegenüber eine Richterin/ein Richter im
Durchschnitt sogar über drei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen oder Mitarbei-
ter. Diesem Missverhältnis zum Nachteil der Obersten Gerichte ist dadurch zu
begegnen, dass der Haushalt des Bundesministeriums der Justiz so weit aufge-
stockt wird, dass jeder Richterin/jedem Richter an einem Obersten Gericht min-
destens ein persönlicher wissenschaftlicher Mitarbeiter oder eine persönliche
wissenschaftliche Mitarbeiterin zur Seite gestellt werden kann.

Die zusätzlichen Kosten für die Beschäftigung, angemessene sächliche Aus-
stattung und räumliche Unterbringung der weiteren wissenschaftlichen Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter sind angesichts der bestehenden Arbeitsüber-
lastung der Obersten Gerichte, die die überlangen Verfahrensdauern mitverur-
sacht, gerechtfertigt. Dies gilt umso mehr als die chronisch unterfinanzierte
Justiz auch im Jahr 2008 mit 0,16 Prozent des Gesamthaushalts den kleinsten
Haushalt unter den Ministerien aufweist.

Außerdem wird durch die angestrebte Maßnahme die Nachwuchsförderung be-
gabter jüngerer Richterinnen und Richter verbessert, so dass hierdurch auch die
Recht sprechende Qualität in den Instanzgerichten gestärkt wird. Schließlich ist
der Wissens- und Erfahrungsaustausch unterschiedlicher Generationen, der sich
in einer solchen Zusammenarbeit ergibt, für die inhaltliche Arbeit von großem
Vorteil.

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