BT-Drucksache 16/7138

Datenschutz bei der Verwendung von RFID-Chips sicherstellen

Vom 14. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7138
16. Wahlperiode 14. 11. 2007

Antrag
der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Grietje Bettin, Volker Beck (Köln),
Monika Lazar, Jerzy Montag, Irmingard Schewe-Gerigk, Hans-Christian Ströbele,
Wolfgang Wieland, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Datenschutz bei der Verwendung von RFID-Chips sicherstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Radiofrequenz-Identifikation (RFID) ist eine Zukunftstechnologie mit gro-
ßen Potentialen. Täglich erreichen neue Anwendungsmöglichkeiten die Pra-
xisreife. In der Logistik sind die kleinen Funkchips mit den gespeicherten
Produktinformationen nicht mehr wegzudenken: hier können sie Waren-
ströme sicherer machen und Prozessabläufe effizienter gestalten. So können
z. B. mithilfe der RFID-Technik Waren selbständig zu ihrem Ziel finden. Die
kleinen Funk-Chips gelten als die technische Grundlage für das sog.
Ubiquitous Computing, in dem Gegenstände „denken“ und miteinander kom-
munizieren können. Die kontaktlos auslesbaren RFID-Chips dringen zuneh-
mend in unser Alltagsleben ein. Unser digitales Gesichtsbild ist im EU-
Reisepass auf RFID-Chips genauso gespeichert wie der Fingerabdruck. In
Bibliotheken wird das Ausleihen von Büchern zunehmend mithilfe von
RFID-Chips organisiert. Im Warenverkehr sollen die kleinen Funkchips in
Zukunft den bisher verwendeten Strichcode ersetzen. RFID-Chips finden wir
heute auf Jeans genauso wie auf Müslipackungen. In Großbritannien herge-
stellte Zigarettenpackungen enthalten seit Oktober 2007 einen RFID-Chip,
der helfen soll, Schmuggel, Fälschungen und Steuerhinterziehung zu vermei-
den. Die breite Palette der zukünftigen Anwendungen wird in RFID-Stores,
auf Ausstellungen und Messen demonstriert.

Diese Entwicklung löst bei Verbraucherinnen und Verbrauchern Ängste und
Bedenken aus. Eine von der EU-Kommission durchgeführte Konsultation
kam zu dem Ergebnis, dass nur 15 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilneh-
mer davon ausgehen, dass die Vorschläge der Industrie zur Selbstregulierung
den Schutz der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger ausreichend ge-
währleisten. 55 Prozent der Befragten sprachen sich für gesetzliche Regelun-
gen aus.

Der Bundestag hält es für unabdingbar, dass die Anwendung der RFID-Tech-

nologie begleitet wird von einer breiten gesellschaftlichen und politischen
Diskussion, die die berechtigten Bedenken und Ängste der Bürgerinnen und
Bürger ernst nimmt, Chancen und Risiken abwägt und sicherstellt, dass das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung bei der Anwendung dieser
neuen Technologie gewährleistet wird.

2. RFID-Technologie ist weltweit auf dem Vormarsch. Das Marktvolumen wird
sich nach Prognosen von ca. 1,85 Mrd. US-Dollar in 2005 auf 12 bis 22 Mrd.

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US-Dollar im Jahr 2010 weltweit steigern. Damit dieses Potenzial national,
europäisch und global optimal genutzt werden kann, sind verbindliche Stan-
dards und harmonisierte europäische Regelungen im Bereich der Frequenz-
ordnung unerlässlich.

Der Bundestag begrüßt daher die Entscheidung der EU-Kommission vom
23. November 2006 zur Harmonisierung der Frequenzbänder für Geräte zur
Funkfrequenzkennzeichnung im Ultrahochfrequenzband und begrüßt grund-
sätzlich das Vorhaben der Kommission, bis Ende 2007 anwendungsbezogene
Leitlinien durch eine Facharbeitsgruppe erarbeiten zu lassen. Verbindliche
Aussagen zu den von den Datenschutzbehörden und Verbraucherschutzorga-
nisationen erhobenen Forderungen zu Transparenz, Kennzeichnungspflicht,
Deaktivierung, Datensicherheit und Profilbildung müssen in diesen Leit-
linien getroffen werden. Das Potential der RFID-Technologie kann sich nur
entfalten, wenn Akzeptanz und Vertrauen bei den Verbraucherinnen und Ver-
brauchern hergestellt wird.

3. Der Bundestag sieht Gefahren bei der Anwendung der RFID-Technologie im
Endkundenbereich.

Die flächendeckende Einführung von RFID-Chips, bei der alle Waren ein-
deutig gekennzeichnet werden können, ermöglicht die Erstellung von detail-
lierten individuellen Verhaltens- und Konsumprofilen. Gegen dieses erhöhte
Risiko für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung muss das Selbst-
bestimmungsrecht der Vebraucherinnen und Verbraucher gestärkt werden.
Hierfür sollte eine Opt-in-Klausel eingeführt werden, die vorschreibt, dass
die nach dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) bereits notwendige Einwil-
ligung für die Verwendung von Daten erst durch das Ankreuzen einer Aus-
wahlalternative mit „Ja“ erteilt wird.

Der Einsatz der RFID-Technologie im Warenverkehr schafft bislang unge-
löste datenschutzrechtliche Probleme.

Für den Unternehmer, der den RFID-Chip ursprünglich verwendet hat, be-
steht derzeit keine Löschungspflicht, wenn er die Ware dem Kunden über-
lässt. Auf die Daten, die auf einfachen Chips über ein Produkt gespeichert
werden, findet das Bundesdatenschutzgesetz keine Anwendung. Sie haben
aber durchaus datenschutzrechtliche Relevanz. Durch die eindeutige Serien-
nummer des Chips kann jeder Gegenstand eindeutig identifiziert werden. So
können über Chips, die sich etwa in einem Anzug, einer Hose oder einem
Portemonnaie befinden, beim Betreten eines Kaufhauses kontaktlos und da-
her unbemerkt ausgelesen werden. Das identifizierte Produkt lässt Rück-
schlüsse auf das Konsumverhalten der Person zu. Durch die Verknüpfung mit
Hintergrunddatenbanken könnte die Person über den Gegenstand sogar iden-
tifiziert werden. So sieht die IBM „patent application 20020165758“ z. B.
vor, Personen, die ein Kaufhaus betreten, anhand von mitgeführten RFID-
Chips zu identifizieren und bestimmte Eigenschaften zu erfahren, um so spe-
ziell zu dieser Person oder zu diesen Eigenschaften passende Produkte zu be-
werben. Nach Medienberichten gehen die Überlegungen sogar soweit, den
als „besonders kaufkräftig“ identifizierten Kundinnen und Kunden besonders
günstige Angebote zu offerieren. Die weniger Kaufkräftigen gehen dabei leer
aus.

Solche unbemerkten Klassifizierungen und „Diskriminierungen“ darf es
nicht geben. Das Auslesen der Chips muss transparent, also klar nachvoll-
ziehbar erfolgen. Es muss die Möglichkeit bestehen, sich diesen Prozessen zu
entziehen. Dies muss durch eine dauerhafte Deaktivierung der Chips an der
Kasse sichergestellt werden, es sei denn, es wird ausdrücklich etwas anderes
gewünscht. Die Deaktivierung des Funkchips darf mit keinerlei Nachteilen

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für die Verbraucherinnen und Verbraucher verbunden sein, wie z. B. dem
Verlust der Gewährleistungsrechte.

4. Der Bundestag erwartet, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher vor den
Risiken der RFID-Technologie im Warenverkehr wirksam geschützt werden.
Das Bundesdatenschutzgesetz schützt zwar personenbezogene Daten, nicht
aber vor sämtlichen Risiken der RFID-Technologie. Da die Regelungen des
BDSG „technikneutral“ gefasst sind, ist es nicht sinnvoll, alle bestehenden
und künftig möglichen unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten der
RFID-Technologie im Detail gesetzlich zu regeln. Der Bundestag verlangt
daher von der Wirtschaft, dass sie ihrer Verantwortung gerecht wird und eine
allgemeinverbindliche Selbstverpflichtung eingeht, die die RFID-Technik
datenschutz- und verbraucherfreundlich ausgestaltet. Ziele und Inhalte der
Selbstverpflichtung sind gemeinsam mit Datenschutz- und Verbraucher-
schutzverbänden festzulegen. Ihre Einhaltung ist durch unabhängige Kon-
trollen zu überprüfen. Für Verstöße gegen die Selbstverpflichtung sind Sank-
tionen im Bundesdatenschutzgesetz festzuschreiben, die auch von Verbrau-
cherverbänden einklagbar sein müssen.

Sollte es zu keiner von Datenschutzbehörden und Verbraucherverbänden
akzeptierten Selbstverpflichtung kommen, ist der Gesetzgeber gefragt.

5. Der Bundestag sieht darüber hinaus die Notwendigkeit, die Umweltaspekte
zu untersuchen. RFID-Chips bestehen aus Kupfer, Blei und Silberleiterbah-
nen. Sollten die RFID-Chips massenhaft global eingesetzt werden, besteht
die Gefahr, dass durch ihre Entsorgung die Umwelt wesentlich stärker belas-
tet würde als dies derzeit z. B. durch Batterien geschieht.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich auf europäischer Ebene einzusetzen für:

a) harmonisierende Regelungen, die einen grenzüberschreitenden Einsatz
von RFID-Chips ermöglichen,

b) einheitliche Regelungen, die sanktionsbewehrt das Recht auf informatio-
nelle Selbstbestimmung gewährleisten,

c) die Entwicklung von Konzepten für einen umweltverträglichen Einsatz
der RFID-Technologie;

2. umgehend Verhandlungen mit der Wirtschaft aufzunehmen, mit dem Ziel, bis
zum Frühjahr 2008 eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft für den Einsatz
der RFID-Technologie im Kundenverkehr herbeizuführen, die von den Da-
tenschutzbeauftragten und Verbraucherverbänden als ausreichend akzeptiert
wird. Der Inhalt dieser Selbstverpflichtung muss:

a) durch unabhängige Kontrollen überprüft werden und einklagbar sein,

b) Sanktionen im BDSG für Verstöße vorsehen, die von den Verbraucher-
schutzorganisationen im Rahmen einer Verbandsklage gerichtlich geltend
gemacht werden können,

c) eine deutlich sichtbare Kennzeichnung von RFID-Chips und Lesegeräten
sowie eine Informationspflicht über Einsatz, Verwendungszweck und In-
halt von RFID-Chips vorsehen,

d) eine endgültige Deaktivierung der RFID-Chips an den Kassen der Ge-
schäfte vorsehen, es sei denn der Verbraucher wünscht ausdrücklich das
Gegenteil,

e) sicherstellen, dass Konsumprofile nur aufgrund einer „opt-in“-Einwilli-

gung der Kundinnen und Kunden erstellt werden können,

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f) sicherstellen, dass die Geräte, die mit der Verarbeitung von RFID-Daten
zu tun haben, technisch bestmöglich vor unbefugten Zugriffen geschützt
sind,

g) jede Benachteiligung von Verbraucherinnen und Verbrauchern verbieten,
die die RFID-Tags deaktivieren lassen,

h) sicherstellen, dass RFID-Tags nicht als technische Schutzmaßnahme
missbraucht werden, um Verbraucherinnen und Verbraucher einseitig zu
benachteiligen,

i) gewährleisten, dass auch in Zukunft die Möglichkeit erhalten bleibt,
anonym einzukaufen;

3. falls die unter Nummer 2 geforderte Selbstverpflichtung nicht bis zum Früh-
jahr 2008 zustande kommen sollte, einen Gesetzesentwurf mit dem entspre-
chenden Inhalt vorzulegen;

4. auch unter Beachtung der Ergebnisse und Empfehlungen der Studie „Auswir-
kungen eines RFID-Masseneinsatzes auf Entsorgungs- und Recyclingsys-
teme“ und des „Zukunftsreports Ubiquitäres Computing“ des Büros für Tech-
nikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag hinsichtlich der Auswir-
kungen der Verwendung von RFID-Chips auf die Umwelt zügig Konzepte
für einen umweltverträglichen Einsatz der RFID-Technik zu entwickeln.

Berlin, den 14. November 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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