BT-Drucksache 16/6928

Finanzierung von Frauenhäusern bundesweit sicherstellen und losgelöst von SGB II regeln

Vom 7. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6928
16. Wahlperiode 07. 11. 2007

Antrag
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Katja Kipping, Dr. Barbara Höll,
Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Petra Sitte, Karin Binder, Eva Bulling-Schröter, Dr. Martina
Bunge, Sevim Dag˘delen, Dr. Dagmar Enkelmann, Inge Höger, Dr. Lukrezia
Jochimsen, Ulla Lötzer, Dorothee Menzner, Kornelia Möller, Kersten Naumann,
Petra Pau und der Fraktion der DIE LINKE.

Finanzierung von Frauenhäusern bundesweit sicherstellen
und losgelöst vom SGB II regeln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Häusliche wie sexuelle Gewalt bedrohen Frauen psychisch oder physisch in ih-
rer körperlichen Unversehrtheit, ihrer Würde und in ihrem Selbstbestimmungs-
recht. Neben dem Gewaltschutzgesetz sind in den vergangenen Jahren weitere
Gesetze erlassen worden, die diesem Tatbestand Rechnung tragen.

Kaum Beachtung fand in der öffentlichen Diskussion bisher die Tatsache, dass
mit der Einführung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB II
und XII) die Grundlagen für die Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und
Kinder grundlegend verändert wurden. Erhielten Frauen ohne eigenes Ein-
kommen bisher Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz, so sind sie nun
in der Regel gezwungen, Eingliederungshilfe für Arbeitsuchende nach dem
SGB II zu beantragen, um ihren Aufenthalt im Frauenhaus zu finanzieren. Dafür
werden einzelfallbezogene Tagessätze festgelegt, die zwischen den Trägern der
Frauenhäuser und den Kostenträgern ausgehandelt werden. Frauen, die keinen
Anspruch auf Arbeitslosengeld (ALG) II haben, werden zu Selbstzahlerinnen
und können ohne eigenes Vermögen oder Einkommen den Aufenthalt in einem
Frauenhaus nicht finanzieren. Dies trifft besonders hart die Gruppe der unter
25- jährigen Frauen, Studentinnen oder Asylbewerberinnen.

Die Finanzierung der Beratungsarbeit, die unabhängig von der direkten Frauen-
hausarbeit geleistet werden muss (wie telefonische Beratung, Prävention und die
notwendige Begleitung der antragstellenden Frauen auf die zuständigen Ämter
etc.), ist bei der Tagessatzfinanzierung nicht eingeschlossen und muss daher
durch Mitteleinwerbung gesichert werden. Dies kann von den Frauenhäusern
zusätzlich nicht geleistet werden. Zudem wird die Existenzmöglichkeit des je-

weiligen Frauenhauses in Abhängigkeit zur Zahl der Belegungen gesetzt. Nach-
träglich wurde eine Kostenerstattungsregelung der Hartz-IV-Tagessätze für die
Frauenhausaufenthalte zwischen der Herkunftskommune der Frauen und der
Kommune, in der sich das Frauenhaus befindet, in das SGB II aufgenommen
(§ 36a). Diese Finanzierungssätze decken im Durchschnitt jedoch nur 50 Pro-
zent der tatsächlichen Kosten zur Unterhaltung eines Frauenhauses ab.

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Diese Maßnahmen zusammengenommen stellen eine erhebliche Gefährdung
der Frauenhäuser dar und somit auch eine massive Gefährdung der Frauen, die
diese Schutzhäuser benötigen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Sachstandsbericht über die Auswirkungen der Finanzierung der Auf-
enthalte von Gewalt betroffener Frauen in Frauenhäusern durch Tagessätze
nach dem SGB II zu geben;

2. zu prüfen, inwieweit bundesweite verbindliche Regelungen zur Finanzierung
der Frauenhäuser getroffen werden können, und ein Konzept vorzulegen, mit
dem eine ausreichende und allen betroffenen Frauen offenstehende Infra-
struktur von Frauenhäusern dauerhaft über eine institutionelle Förderung jen-
seits des SGB II organisiert und finanziert werden kann;

3. die vorhandenen Vernetzungswerke der Frauenhäuser und Frauennotrufe in
den Prozess der Erarbeitung der Neuregelung der Frauenhausfinanzierung
einzubeziehen;

4. bis zu einer Neuregelung unmittelbar Nachbesserungen im SGB II vorzuneh-
men, die für die betroffenen Frauen oder die Frauenhäuser verlässliche und
sichere Arbeits- bzw. Lebensbedingungen schaffen. Hierzu zählen die Leis-
tungserstattung durch den Grundsicherungsträger ab dem ersten Tag im Frau-
enhaus, die unbürokratische Gewährung von Vorschüssen und einmaligen
Beihilfen sowie vorübergehender Verzicht auf die Heranziehung von Unter-
haltsverpflichteten und Kontakterzwingung (Cochemer Modell), wenn es
zum Schutz gewaltbetroffener Frauen notwendig ist. Diese Regelungen müs-
sen den Status quo für die betroffenen Frauen im Sozialhilferecht mindestens
wiederherstellen.

Berlin, den 6. November 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Durch die Abschaffung einheitlicher Anspruchsvoraussetzungen für eine Hilfe-
gewährung nach dem Bundessozialhilfegesetz stehen die Frauenhäuser nicht
mehr allen Frauen unabhängig von ihrem sozialen Status offen, sondern sind an
deren Anspruchsberechtigung nach SGB II oder die Möglichkeit der Selbst-
finanzierung gebunden. Nur dort, wo die Unterkunftskosten durch eine pau-
schale Förderung übernommen werden, wird dieses Grundrecht noch uneinge-
schränkt gewährt. Ausgeschlossen sind ansonsten zum Beispiel Auszubildende
und Studentinnen (ALG-II-Anspruch besteht erst, wenn ein BAföG-Antrag ab-
gelehnt wurde). Oft werden Frauen, die jünger als 25 Jahre alt sind, zu ihren
Eltern zurückgeschickt. Zudem ist die Aufnahme von Asylbewerberinnen nicht
gewährleistet, da deren soziale Versorgung häufig ausschließlich durch Ein-
kaufsgutscheine erfolgt. Hinzu kommt, dass Frauen, die Aufnahme im Frauen-
haus finden, in Armut geraten, weil zwischen der Antragstellung von ALG II
und dessen Auszahlung oft viele Wochen vergehen.

Eine Zwischenfinanzierung der Hilfe über SGB XII ist gesetzlich ausgeschlos-
sen. Die Frauen fliehen unter schwierigen Bedingungen aus ihren Wohnungen

ohne jegliche Habe. Sie benötigen Kleidung für sich und ihre Kinder, ebenso
Schulsachen. Sachbeihilfen, wie ehemals in der Sozialhilfe, stehen ihnen nach

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6928

SGB II nur für die Erstausstattung einer neuen Wohnung zu, wenn sie keinen Zu-
griff auf die Möbel in der alten Wohnung haben. Durch das Fehlen einmaliger
Beihilfen hat sich die Situation gewaltbetroffener Frauen nachweislich ver-
schlechtert. Nicht selten stehen den Frauen Unterhaltsleistungen des in der Re-
gel gewalttätig gewordenen Ehemannes oder Partners zu. Auch hier gibt es kein
bundeseinheitliches Vorgehen. Oft übersehen wenig sensibilisierte bzw. qualifi-
zierte Fachkräfte der Bundesanstalt für Arbeit, in welche Gefahr die Frauen
durch eine entsprechende behördliche Mitteilung an den Unterhaltspflichtigen
geraten können, der durch das amtliche Schreiben erfährt, wo sich seine Ehefrau
oder Partnerin aufhält. Dieser Aspekt wird von den Frauenhausmitarbeiterinnen
seit Jahren kritisiert.

Die Tagessatzfinanzierung gilt in zwölf von 16 Bundesländern. Nach Angaben
der Frauenhauskoordinierung e. V. gibt es in der Bundesrepublik Deutschland
etwa 400 Frauenhäuser, in denen jährlich geschätzte 40 000 Frauen Aufnahme
finden. Sie werden in den jeweiligen Ländern von den Tagessatzregelungen
finanziell abhängig gemacht und müssen bis zu 50 Prozent der notwendigen lau-
fenden Ausgaben selbst aufbringen, um die Schutz- und Hilfsangebote für die
betroffenen Frauen aufrechtzuerhalten. Die Frauenhausmitarbeiterinnen werden
zu „Geldbeschafferinnen“ degradiert. Die Einwerbung eines so hohen Anteils an
Fördermitteln oder Spenden kostet viel Zeit, die dann für psycho-soziale Betreu-
ung, die Begleitung der betroffenen Frauen zu Behörden oder Ärztinnen/Ärzten
bzw. Präventionsarbeit fehlt.

Aber es gibt auch positive Beispiele für eine gesicherte Frauenhausfinanzierung.
Ein solches Beispiel für ein Flächenland ist Schleswig-Holstein. Die Zuwendun-
gen für die im Lande existierenden Frauenhäuser werden als Fehlbedarfsfinan-
zierung im Rahmen einer institutionellen Förderung als nicht rückzahlbarer
Zuschuss mit Begrenzung auf einen Höchstbetrag gewährt und erfolgen aus
den Mitteln des kommunalen Finanzausgleichs (Finanzausgleichsgesetz). Der
Höchstbetrag für jeden Frauenhausplatz betrug 2003 10 235 Euro zuzüglich der
individuellen Mietkosten sowie Steigerungsraten zur Anpassung an Kostenstei-
gerungen. Die entsprechenden Gelder werden zentral auf der Landesebene ver-
waltet und über die Kreise und kreisfreien Städte an die Frauenhäuser direkt aus-
gezahlt. Ein positives Beispiel für die Regelung in einem Stadtstaat ist das Land
Berlin, das sechs Frauenhäuser mit 326 Plätzen und 40 Zufluchtswohnungen mit
115 Plätzen für Frauen und ca. 140 Plätzen für Kinder pauschal über den Landes-
haushalt finanziert. Die Planungssicherheit für die Frauenhäuser wird über zwei-
jährige Zuschussverträge sichergestellt.

Angesichts der Tatsache, dass 25 Prozent der in Deutschland lebenden Frauen
körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt haben (siehe Studie „Lebenssituation,
Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von 2004), muss gesichert werden,
dass diese Frauen und ihre Kinder jederzeit unabhängig von der Verfügbarkeit
eines eigenen Einkommens, ihrer Herkunft, Nationalität und des Aufenthaltsta-
tus Zuflucht und unbürokratisch Hilfe finden. Daher müssen die Sicherung einer
kostendeckenden Finanzierung von Frauenhäusern und ihr bedingungsloser Zu-
gang für alle gewaltbetroffenen Frauen und Kinder zur öffentlichen Pflichtauf-
gabe des Bundes werden.

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