BT-Drucksache 16/6772

Telemediengesetz verbessern - Datenschutz und Verbraucherrechte stärken

Vom 23. Oktober 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6772
16. Wahlperiode 23. 10. 2007

Antrag
der Abgeordneten Dr. Lothar Bisky, Ulla Lötzer, Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch,
Dr. Barbara Höll, Dr. Lukrezia Jochimsen, Wolfgang Neskovic, Volker Schneider
(Saarbrücken), Dr. Herbert Schui, Sabine Zimmermann, Dr. Axel Troost,
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Telemediengesetz verbessern – Datenschutz und Verbraucherrechte stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 1. März 2007 ist das „Gesetz zur Vereinheitlichung von Vorschriften über
bestimmte elektronische Informations- und Kommunikationsdienste“ (Elektro-
nischer-Geschäftsverkehr-Vereinheitlichungsgesetz – ElGVG) in Kraft getre-
ten. In Artikel 1 ElGVG wird das neue Telemediengesetz (TMG) eingeführt.
Nach der endgültigen Verabschiedung des TMG am 18. Januar 2007 ist dieses
somit ebenfalls am 1. März 2007 zusammen mit dem Rundfunkstaatsvertrag
(RStV) in der Fassung des 9. Rundfunkänderungsstaatsvertrages (RÄndStV) in
Kraft getreten. Mit dem Inkrafttreten des TMG wurden gleichzeitig das
Teledienstegesetz (TDG), das Teledienstedatenschutzgesetz (TDDSG) und der
Mediendienstestaatsvertrag (MDStV) außer Kraft gesetzt.

Ziel war es, die unterschiedlichen wirtschaftlichen Regelungen der Gesetze in
einem einheitlichen Bundesrecht zusammenzuführen, um so die Rechtslage bes-
ser an die Konvergenz der neuen Medien anpassen zu können. Gleichzeitig soll-
ten alle medienspezifischen Regelungen im Landesrecht (Abschnitt IV RStV)
zusammengeführt werden. Durch die Einführung des TMG wurde gleichzeitig
die EG-Richtlinie 2000/31/EG über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste
der Informationsgesellschaft in nationales Recht umgesetzt. Die Ver-
einheitlichung der unterschiedlichen Vorschriften ist dabei grundsätzlich zu
begrüßen. Durch die Zusammenführung wurden bedeutsame Bereiche im Inter-
net hinsichtlich Fragen der Haftung von Diensteanbietern, Regeln zur Kenn-
zeichnung (Impressumspflicht), der Verfolgung von Spam – E-Mails, Fragen
des Datenschutzes für Diensteanbieter und der Umgang hinsichtlich der Heraus-
gabe von personenbezogenen Nutzerdaten teilweise neu geregelt oder lediglich
in ihrer alten Form aus den anderen Regelungen übertragen.

Wie Vertreter der Koalitionsparteien der CDU, CSU und SPD vor Inkrafttreten
des TMG erklärten, ist das Gesetz unter großem Zeitdruck zustande gekommen.

Dabei wurde angekündigt, dass nach Inkrafttreten des TMG eine Novellierung
des Gesetzes erforderlich sei. Der Gesetzgeber hat es verpasst, eine ausrei-
chende und zufriedenstellende Antwort auf die Herausforderungen der digitali-
sierten Welt der neuen Medien und ihrer speziellen Bedürfnisse zu geben. Viel-
mehr enthält das TMG in seiner jetzigen Fassung eine Vielzahl von ungeklärten,
fraglichen oder praxisfernen Regelungen, die dringend nachgebessert oder ge-
ändert werden müssen. Das neue TMG hat bislang entgegen der Zielstellung bei

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der Einführung mehr Rechtsunsicherheit geschaffen, als zu Rechtssicherheit in
der digitalen Welt beigetragen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. unverzüglich eine Novellierung des TMG vorzulegen, die die Belange des
Verbraucherschutzes und des Datenschutzes berücksichtigt und damit eine
angemessene rechtliche Grundlage schafft, um den Bedürfnissen der Nutze-
rinnen und Nutzer im Internet gerecht zu werden. Des Weiteren muss durch
die Novelle die Rechtssicherheit im Geschäftsbereich des E-Commerce ge-
währleistet und verbessert werden;

2. eine positivrechtliche Definition (Legaldefinition) des Begriffes Teleme-
dien im Gesetzesentwurf zu verankern;

3. im TMG ein Koppelungsverbot zwischen der Nutzung persönlicher Daten
und der Nutzung von Diensten einzufügen;

4. die Erstellung von Nutzerprofilen nur bei einer ausdrücklichen vorherigen
Einwilligung des Nutzers zu erlauben. Dem Nutzer sind auf sein Verlangen
unentgeltlich und unverzüglich die zu seiner Person oder seinem Pseudo-
nym gespeicherten Daten mitzuteilen;

5. die Versendung von Werbemails an die vorliegende Zustimmung des Emp-
fängers zu knüpfen und Verstöße dagegen als Ordnungswidrigkeit zu behan-
deln;

6. die Anwendung der Datenschutzvorschriften des Telekommunikationsge-
setzes einschließlich des Fernmeldegeheimnis auf das Telemediengesetz zu
übertragen;

7. bei der Neufassung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 TMG (Allgemeine Informations-
pflichten) eine eindeutige Regelung zu finden, ob zu den „Angaben, die eine
schnelle elektronische Kontaktaufnahme und unmittelbare Kommunikation
(…) ermöglichen“ im Rahmen der Pflichtangaben im Impressum auch die
Angabe einer Telefon- und/oder Faxnummer gehört oder nicht;

8. im Rahmen des § 7 Abs. 2 TMG präventive Überprüfungs- und Überwa-
chungspflichten der Anbieter von Telemediendiensten eindeutig auszu-
schließen und gleichzeitig die Voraussetzungen für die rechtliche Praxis zu
schaffen, dass diese Regelung in der Rechtsprechung tatsächlich auch An-
wendung findet;

9. insbesondere auch für die Betreiberinnen und Betreiber von Suchmaschinen
proaktive Überwachungspflichten eindeutig auszuschließen und gleichzei-
tig die Voraussetzungen für die rechtliche Praxis zu schaffen, dass diese Re-
gelung in der Rechtsprechung tatsächlich auch Anwendung findet;

10. auf die besondere Situation in der digitalen Welt Rücksicht zu nehmen und
im Gesetzentwurf zur Novellierung des TMG die so genannte Störerhaftung
und die Haftung als so genannter Mitstörer (Haftung für fremde Inhalte) ein-
deutig und im Sinne der Nutzerinnen und Nutzer zu verankern;

11. die Haftungsprivilegierung des TMG im Sinne der Internetwirtschaft ein-
deutig auch auf den Unterlassungsanspruch auszuweiten;

12. eine eindeutige Regelung zur Frage der Haftung beim Setzen von Hyper-
links im Gesetzentwurf zu verankern. In Betracht kommt dabei eine Veran-
kerung der Verantwortlichkeit nach dem Prinzip des § 10 TMG ( Speiche-
rung von Informationen);

13. die in § 14 Abs. 2 TMG im Gesetz sehr weitreichenden Auskunftsmöglich-

keiten über Bestandsdaten im Lichte des Datenschutzes zu begrenzen und

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die Herausgabe an eine vorherige gerichtliche Anordnung zu knüpfen und
die Nachrichtendienste aus dem Kreis der berechtigten Stellen zu streichen;

14. in § 13 Abs. 1 TMG eindeutig klarzustellen, ab wann und unter welchen
Umständen und Voraussetzungen vom „Beginn des Nutzungsvorgangs“
auszugehen ist und eine praxisnahe Anwendung zu gewährleisten.

Berlin, den 23. Oktober 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Zu Nummer 2

Im Gegensatz zu den vor dem 1. März 2007 gültigen Regelungen des § 2 TDG
und des § 2 MDStV hat der Gesetzgeber bislang darauf verzichtet eine spezifi-
sche Definition im neuen TMG zu verankern. Das TMG gilt nach dem Gesetzes-
text bislang für „alle elektronischen Informations- und Kommunikations-
dienste“, die nicht unter § 3 Nr. 24 und 25 TKG oder unter § 2 RStV fallen. Es
fehlt eine genaue positivrechtliche Definition des Begriffs Telemedien. Durch
die vorhandenen Ausführungen ist der Anwendungsbereich zu ungenau geregelt
und führt zu Rechtsunsicherheit. Zudem verwendet der Gesetzgeber im Rahmen
der bisherigen Ausführungen in § 1 TMG (Anwendungsbereich) den Begriff
Telemedien fehlerhaft für Informations- und Kommunikationsdienste – also die
Anbieter. Entgegen dem wird in der amtlichen Begründung des TMG in diesem
Zusammenhang richtigerweise nicht von Telemedien, sondern von Telemedien-
diensten gesprochen. Die fehlerhafte Bezeichnung im Gesetz verhindert eben-
falls die notwendige Klarheit des Gesetzeswortlauts. Bei der Novellierung des
Gesetzes sind vorhandene und geplante europäische Richtlinien zu berücksich-
tigen.

Zu Nummer 3

Im Gesetz ist diese Voraussetzung nicht ausdrücklich erwähnt, allerdings findet
sich in der Gesetzesbegründung ein entsprechender diesbezüglicher Hinweis.
Dies hat in der Rechtspraxis dazu geführt, das verschiedene gleichrangige Ge-
richte diese Frage unterschiedlich bewertet haben (Telefon- und Faxnummer
nötig: u. a. OLG Köln, NJW-RR 2004, 1570; nicht nötig: u. a. OLG Hamm,
NJW-RR 2004, 1045).

Zu Nummer 8

Es ist Betreiberinnen und Betreibern von Telemediendiensten nicht zuzumuten,
ständig alle Beiträge von Dritten auf mögliche Rechtsverletzungen hin zu über-
prüfen. Es muss bei dem Grundsatz bleiben, dass die Anbieterinnen und Anbie-
ter erst ab Kenntnisnahme und Abwägung der widerstreitenden Interessen ent-
sprechende Beiträge oder Inhalte löschen bzw. sperren muss. Dies betrifft insbe-
sondere die Betreiberinnen und Betreiber von Meinungsseiten, Foren, Blogs und
andere Internetangebote, die mit einer Kommentarfunktion ausgestattet sind.
Zwar gibt es im TMG eine entsprechende Passage. In § 7 Abs. 2 TMG heißt es:
„Diensteanbieter im Sinne der §§ 8 bis 10 (TMG) sind nicht verpflichtet, die von
ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach

Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen.“ Aller-
dings wird diese Regelung im nächsten Satz in der Form eingeschränkt, dass

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„die Verpflichtung zur Entfernung oder Sperrung der Nutzung von Informatio-
nen nach den allgemeinen Gesetzen (…) unberührt“ bleibt. In der Praxis wird in
vielen Fällen die Störerhaftung oder die Haftung als so genannter Mitstörer in
solchen Fällen herangezogen und die Regelung des TMG unterlaufen. Hier
muss Abhilfe geschaffen und eindeutig dafür gesorgt werden, dass präventive
Überwachungs- und Überprüfungspflichten auch in der Praxis ausgeschlossen
sind.

Zu Nummer 10

Da der Gesetzgeber die bisherigen Haftungsregeln des TDG und des MDStV
identisch übernommen hat, wurde es versäumt, eine Antwort auf die drängenden
aktuellen Probleme im Rahmen der Störerhaftung im Internet zu finden. Man-
gels eindeutiger rechtlicher Vorschriften entscheiden höchste und gleichrangige
Gerichte nach wie vor uneinheitlich. Dies hat zu einer starken Verunsicherung
bei Anbieterinnen und Anbietern von Telemediendiensten und bei Verbrauche-
rinnen und Verbrauchern geführt. Hier ist dringend eine moderne und klare ge-
setzliche Regelung notwendig.

Zu Nummer 11

In der Rolex–Ricardo-Entscheidung hat der Bundesgerichtshof (NJW 2004,
3102) die Privilegierung für Hostingprovider nur im Rahmen des Schadens-
ersatzanspruchs, nicht aber für den Unterlassungsanspruch gelten lassen. Ein
Online-Auktionshaus ist nach der damaligen Entscheidung verpflichtet, bei Be-
kanntwerden einer Verletzung des Markenrechts nicht nur das konkrete bemän-
gelte Angebot zu sperren, sondern darüber hinaus Sorge dafür zu tragen, dass es
nicht zu weiteren Markenverletzungen kommen kann.

Zu Nummer 13

Unter den Bestandsdaten versteht der Gesetzgeber alle personenbezogenen Da-
ten eines Nutzers, „soweit sie für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung
oder Änderung eines Vertragsverhältnisses zwischen dem Diensteanbieter und
dem Nutzer über die Nutzung von Telemedien erforderlich sind (Legaldefini-
tion)“. Konkret gehören dazu unter anderem auch Kenn- und Passwörter, die IP-
Adresse, Zahlungsdaten, Kontonummer, Kreditkartennummer und notwendige
Informationen zur Nutzung weiterer Leistungsmerkmale des Nutzersystems (so
Hoeren: Das Telemediengesetz, NJW 2007, Heft 12, 801 ff.). Diese Vielzahl an
sensiblen Daten geht sogar noch über die Datenkategorien hinaus, die nach der
politisch und rechtlich umstrittenen Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung
(2006/24/EG) gespeichert werden sollen. Die Provider bzw. Diensteanbieterin-
nen und Diensteanbieter haben bislang die Verpflichtung, diese Bestandsdaten
nach Anordnung für Zwecke der Strafverfolgung, zur Gefahrenabwehr durch
die Polizeibehörden der Länder, zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der
Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrich-
tendienstes und des Militärischen Abschirmdienstes herauszugeben. Diese Aus-
kunftsmöglichkeiten sind zu weitgehend und führen zu einer hohen Miss-
brauchsgefahr. Sie gefährden die Regelungen des Datenschutzes. Der Deutsche
Bundestag fordert die Bundesregierung deswegen auf, zumindest die Aus-
kunftsmöglichkeiten der Nachrichtendienste zur Gefahrenabwehr ersatzlos zu
streichen. Zudem muss in § 14 Abs. 2 TMG eine zeitnahe nachträgliche Pflicht
zur Informierung der Betroffenen über die Weitergabe der Daten an die entspre-
chenden Stellen eingefügt werden. Ferner muss eine ausreichende Ermäch-
tigungsschwelle, eine hinreichend klare Zweckbestimmung und der Richter-
vorbehalt, d. h. Auskunft nur auf richterliche Anordnung, im TMG verankert

werden.

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