BT-Drucksache 16/5904

Kommunales Wahlrecht für Drittstaatenangehörige einführen

Vom 4. Juli 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5904
16. Wahlperiode 04. 07. 2007

Antrag
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Katrin Kunert, Petra Pau, Ulla Jelpke,
Kersten Naumann, Jan Korte, Wolfgang Neskovic, Dr. Hakki Keskin, Dr. Dietmar
Bartsch, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus,
Lutz Heilmann, Hans-Kurt Hill, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Dorothee
Menzner, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Kommunales Wahlrecht für Drittstaatenangehörige einführen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die aktive und passive Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen stellt den
Kernbereich politischer Mitbestimmung dar. Der demokratische Gedanke er-
fordert dabei, grundsätzlich eine Kongruenz zwischen den Inhaberinnen und
Inhabern demokratischer politischer Rechte und den dauerhaft einer be-
stimmten Herrschaft Unterworfenen herzustellen. Dies gilt auch bei Kommu-
nalwahlen, die Grundlage demokratischer Selbstverwaltung und eigenver-
antwortlicher Selbsterfüllung aller Angelegenheiten der jeweiligen örtlichen
Selbstverwaltung sind.

2. In der Bundesrepublik Deutschland leben ca. 6,7 Millionen Menschen nicht-
deutscher Staatsangehörigkeit, von denen 4,6 Millionen nicht aus Ländern
der Europäischen Union stammen. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer
dieser Drittstaatenangehörigen betrug Ende 2006 mehr als 17 Jahre und ist
im europäischen Vergleich überdurchschnittlich hoch. Dem demokratischen
Grundsatz, dass die Betroffenheit von der Staatsgewalt der Anknüpfungs-
punkt für die Wahlberechtigung ist, wird durch den Ausschluss der Dritt-
staatenangehörigen vom kommunalen Wahlrecht nicht Genüge getan. Diese
fehlende Möglichkeit einer Beteiligung an kommunalen Entscheidungspro-
zessen für in Deutschland lebende Drittstaatenangehörige stellt ein erheb-
liches demokratisches Defizit dar.

3. Im Vergleich zu EU-Bürgerinnen und -Bürgern, deren Teilnahme an Kom-
munalwahlen durch die Änderung des Grundgesetzes vom 21. Dezember
1992 ermöglicht wurde, stellt der Ausschluss von Menschen nichtdeutscher
Staatsangehörigkeit, die dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland leben
und aus nicht zur Europäischen Union gehörenden Staaten kommen, zudem
eine sachlich nicht gerechtfertigte und daher nicht zu akzeptierende

Ungleichbehandlung dar.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem das Grundgesetz dahingehend ge-
ändert wird, dass Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die dauerhaft
in der Bundesrepublik Deutschland leben und aus nicht zur Europäischen

Drucksache 16/5904 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Union gehörenden Staaten kommen, nach Maßgabe von Landesrecht bei Wah-
len in Kreisen und Gemeinden das aktive und passive Wahlrecht erhalten. Die
Gewährung des aktiven und passiven Wahlrechtes beinhaltet auch das Abstim-
mungsrecht auf kommunaler Ebene.

Berlin, den 3. Juli 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Eine erfolgreiche Integrationspolitik hängt entscheidend davon ab, in welchem
Maße Menschen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit über Mitwirkungs- und
Entscheidungsrechte verfügen. Eine rechtliche Benachteiligung bestimmter
Bevölkerungsgruppen durch Ausschluss von demokratischen Grundrechten
erschwert deren Integration. Das Wahlrecht bildet dabei das Kernstück der poli-
tischen Beteiligung in einer Demokratie. In dieser Erkenntnis wurde EU-Bürge-
rinnen und -Bürgern das kommunale Wahlrecht durch eine Grundgesetzände-
rung bereits im Jahr 1992 zugestanden, um dem Integrationsprozess innerhalb
der Europäischen Union Rechnung zu tragen.

Die Mehrheit der europäischen Länder erkennt neben EU-Bürgerinnen und
-Bürgern auch Drittstaatenangehörigen ein Wahlrecht auf lokaler Ebene zu. In
16 europäischen Ländern wurde bisher unter sehr unterschiedlichen gesetz-
lichen Voraussetzungen Drittstaatenangehörigen ein kommunales Wahlrecht
eingeräumt. Es ist an der Zeit, dass sich die Bundesrepublik Deutschland diesen
Initiativen anschließt und ebenfalls die Einführung eines kommunalen Wahl-
rechts für Drittstaatenangehörige beschließt.

Dem stehen keine rechtlichen Bedenken entgegen: Das Bundesverfassungs-
gericht hat in seinen Urteilen zum kommunalen Wahlrecht (BVerfGE 83, 37
und BVerfGE 83, 60) festgestellt, dass dahingehende Änderungen des Kom-
munalwahlrechts im Einklang mit Artikel 79 Abs. 3 des Grundgesetzes mög-
lich sind. Aus verfassungsrechtlichen Gründen sind sie vielmehr sogar geboten,
wird mit der geforderten Einführung eines Kommunalwahlrechts für Dritt-
staatenangehörige doch dem demokratischen Grundsatz Rechnung getragen,
dass niemand für eine längere Zeit vom politischen Meinungsbildungs-
und Entscheidungsprozess ausgeschlossen werden darf. Zugleich wird auch
die sachlich nicht zu rechtfertigende und verfassungsrechtlich fragwürdige
Ungleichbehandlung derselben gegenüber EU-Bürgerinnen und -Bürgern auf-
gehoben.

Um die rechtlichen Hemmnisse für eine gleichberechtigte Partizipation von
Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit an politischen Entscheidungs-
und Willensbildungsprozessen grundlegend zu beseitigen, ist perspektivisch
auch das allgemeine aktive und passive Wahlrecht für EU-Bürgerinnen und
-Bürger sowie Drittstaatenangehörige, die dauerhaft in der Bundesrepublik
Deutschland leben, auf Landes- und Bundesebene einzuführen.

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