BT-Drucksache 16/5478

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/4663, 16/5448- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zollfahndungsdienstgesetzes und anderer Gesetze

Vom 23. Mai 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5478
16. Wahlperiode 23. 05. 2007

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck (Köln), Monika Lazar,
Jerzy Montag, Irmingard Schewe-Gerigk, Silke Stokar von Neuforn, Wolfgang
Wieland, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/4663, 16/5448 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zollfahndungsdienstgesetzes
und anderer Gesetze

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Beschluss vom 3. März 2004
(1 BvF 3/92; BVerfGE 110, 33, 52 ff.) die damalige Regelung der Befugnisse
des Zollkriminalamts gemäß den §§ 39 ff. des Außenwirtschaftsgesetzes
(AWG) mangels Normenklarheit und -bestimmtheit für verfassungswidrig
erklärt, zur Verhütung von Straftaten nach dem AWG und dem Kriegswaffen-
kontrollgesetz Brief- und Postsendungen zu öffnen sowie die Telekommu-
nikation zu überwachen und aufzuzeichnen.

Für die bis 31. Dezember 2004 vorzunehmende Neuregelung trug das
Gericht dem Gesetzgeber ausdrücklich auf, die Vorgaben aus den Urteilen
vom 14. Juli 1999 (BVerfGE 100, 313) zur präventiven Fernmeldeüberwa-
chung aufgrund des Artikel-10-Gesetzes und vom 3. März 2004 (1 BvR
2378/98, 1 BvR 1084/99; BVerfGE 109, 279, 313 ff.) zur akustischen Wohn-
raumüberwachung zwecks Strafverfolgung zu beachten: nämlich einen aus
der Menschenwürde-Garantie des Artikels 1 Abs. 1 des Grundgesetzes abzu-
leitenden unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung wirksam zu
schützen.

Diese Vorgaben blieben jedoch in dem bis 31. Dezember 2005 befristeten
„Gesetz zur Neuregelung der präventiven Telekommunikations- und Post-
überwachung durch das Zollkriminalamt … (NTPG)“ vom 21. Dezember
2004 (BGBl. 2004 I S. 3603) bisher ebenso unberücksichtigt wie auch in

dessen Verlängerung bis 30. Juni 2007 aufgrund des „Ersten Gesetzes zur
Änderung des Zollfahndungsdienstgesetzes vom 15. Dezember 2005 BGBl. I
S. 3681)“, wiewohl das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung
vom 27. Juli 2005 (1 BvR 668/04; BVerfGE 113, 348, 391) die Schutzbedürf-
tigkeit des privaten Kernbereichs vor präventiven Überwachungsmaßnah-
men nochmals betonte:

Drucksache 16/5478 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

„Die nach Artikel 1 Abs. 1 GG stets garantierte Unantastbarkeit der Men-
schenwürde fordert auch im Gewährleistungsbereich des Artikel 10 Abs. 1
GG Vorkehrungen zum Schutz individueller Entfaltung im Kernbereich
privater Lebensgestaltung. Bestehen im konkreten Fall tatsächliche Anhalts-
punkte für die Annahme, dass eine Telekommunikationsüberwachung
Inhalte erfasst, die zu diesem Kernbereich zählen, ist sie nicht zu rechtfer-
tigen und muss unterbleiben.“ (Abs. 163)

2. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zollfahndungsdienstgesetz
(ZfdG) setzt diese mehrfachen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts –
entgegen dem selbstgesetzten Anspruch – immer noch nicht ausreichend um
und ist auch im Übrigen verfassungsrechtlich bedenklich. Dies ergab in aller
Deutlichkeit eine Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Deut-
schen Bundestages am 25. April 2007 zu diesem Entwurf, wo nahezu einhel-
lig insbesondere beanstandet wurde:

a) Der Entwurf definiert die „Kontakt- und Begleitpersonen“ Verdächtiger
entgegen verfassungsgerichtlichen Konkretions-Anforderungen so weit-
reichend, dass ein beliebiger Personenkreis planmäßiger Überwachung
ausgesetzt wäre (Nummer 7a bis 10a).

Auf diese Personen schlägt zudem ein abgeleitetes, schon für die Haupt-
verdächtigen bestehendes Bestimmtheitsdefizit bereits des geltenden
ZfdG durch, welches diese entgegen BVerfGE 113, 348 ff. ohne Erforder-
nis konkreter Vorbereitungshandlungen bestimmter Delikte verfassungs-
rechtlich bedenklich unkonturiert definiert.

b) Die Befugnis des Zollkriminalamts, formal zur Eigensicherung seiner
Bediensteten sowie zur Sicherung von (u. U. zweifelhaften) V-Leuten
zeitlich praktisch unbegrenzt Wohnungen optisch und akustisch zu über-
wachen und dabei selbst Unverdächtige zu erfassen, ist (Sachverständigen
zufolge: „wie ein Trojanisches Pferd“) strukturell dazu missbrauchbar, die
dabei gewonnenen Erkenntnisse – mangels hinreichender Beschränkung
im Gesetzentwurf – auch zur Verfolgung zahlreicher anderer Straftaten so-
wie zur Abwehr dringender Gefahren gleich welcher Art zu verwenden
(Nummer 12, 23).

Diese Befugnisse sind umso bedenklicher, als sie ausdrücklich ohne jeden
Anfangsverdacht und damit ohne wirksame Tatbestandseingrenzung auch
zur Verhütung und „Aufdeckung unbekannter Straftaten“ anwendbar sein
sollen (Nummer 11b, 22b). Dass sie (primär) als Sicherungs- statt als
eigenständige Ermittlungsmaßnahme deklariert werden, ändert angesichts
ihrer Eingriffsintensität sowie möglicher Umwidmung so gewonnener
Erkenntnisse nichts an der Verfassungswidrigkeit.

Über solche Umwidmung dürfte zum wirksamen prozeduralen Grund-
rechteschutz im Übrigen nicht allein ein Einzelrichter entscheiden,
sondern – wegen vergleichbarer Eingriffsintensität – eine Spruchkammer
wie bei der Wohnraumüberwachung zur Strafverfolgung, § 100d Abs. 1
Satz 1 der Strafprozessordnung (StPO).

c) Soweit der Entwurf (abweichend von § 100c Abs. 4 Satz 1 StPO) ledig-
lich Kommunikation „allein“ aus dem Kernbereich privater Lebensgestal-
tung sogleich von Überwachung ausnehmen will, liefe dieser zentrale
Schutz in der Praxis leer, da selbst innerhalb höchstpersönlicher Kommu-
nikation weitere Informationsinhalte minderer Sensibilität nie vorab aus-
geschlossen werden können (Nr. 13c). Zu Recht ist der Regelungsvor-
schlag deswegen in der Sachverständigenanhörung als Placebo bezeichnet
worden, das einer Überprüfung vor dem Bundesverfassungsgericht nicht

standhalten würde.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5478

d) Soweit der Entwurf (abweichend von § 100c Abs. 6 Satz 1 StPO) ledig-
lich Kommunikation von Geistlichen, Strafverteidigern und Abgeordne-
ten im Rahmen ihres Zeugnisverweigerungsrechts grundsätzlich von
Überwachung ausnimmt, jedoch alle anderen ebenso in § 53 StPO ge-
nannten Berufsgeheimnisträger (z. B. Journalisten, Wirtschaftsprüfer,
Rechtsanwälte, Notare, Suchtberater etc.) und ihre Klienten praktisch
ungeschützt lässt, widerspricht solche Differenzierung auch der EMRK
und erscheint willkürlich. Die für letztere Personengruppe lediglich vor-
gesehene Verhältnismäßigkeitsprüfung läuft mangels Konkretion und ob-
jektiver Überprüfungskriterien praktisch leer und würde die betreffende
Kommunikation jederzeit überwachbar lassen (Nr. 13d). Die notwendige
Schutzregelung für die Kommunikation aller Berufsgeheimnisträger darf
anders als im Entwurf vorgesehen nicht nur deren zielgerichtete Ausfor-
schung hindern, sondern muss sie auch vor gegen Dritte gerichtete Maß-
nahmen schützen und immer dann gelten, wenn hierdurch zeugnisverwei-
gerungsberechtigte Personen gleich wie betroffen wären.

e) Der Entwurf fordert – entgegen dem vom BVerfG eingeforderten
Bestimmheitsgebot – bei der Befugnis des Zollkriminalamts zur Erhebung
von Telekommunikations-Verkehrsdaten noch nicht einmal deren genaue
Bezeichnung und ermöglicht die Nutzung solcher Daten selbst dann, wenn
die Erhebungsanordnung richterlich nicht bestätigt wird (Nr. 16).

f) Der Entwurf weitet die Befugnis des Zollkriminalamts zur Übermittlung
personenbezogener Daten auf zahlreiche Aufgabengebiete aus, grenzt die
möglichen Empfängerstellen nicht nach rechtsstaatlichen Kriterien ein
und ermöglicht so eine Übermittlung in Staaten, wo Betroffenen aufgrund
dessen Menschenrechtsverletzungen drohen. Nicht vorgesehen ist die für
derlei vom BVerfGE 109, 279, 353 verlangte strenge Verhältnismäßig-
keitsprüfung, u. a. „welche Nachteile den Grundrechtsträgern aufgrund
der Maßnahmen drohen oder von ihnen nicht ohne Grund befürchtet wer-
den“ (Nr. 26).

g) Soweit außerhalb von Wohnungen zwar nicht Artikel 10 Abs. 1 und Arti-
kel 13 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) berührt sind, jedoch der Zoll
gleichwohl aufgrund der dann anwendbaren §§ 18 bis 22 ZfdG in den
Kernbereich privater Lebensgestaltung eingreifen dürfte (etwa bei Über-
wachung vertraulicher Kontakte und Gespräche unter freiem Himmel),
unterlässt der Entwurf jede Schutzregelung dagegen, obwohl diese für
solche Situationen von Verfassungs wegen ebenso geboten ist.

h) Der vorgesehene Wegfall der derzeitigen Befristung des Gesetzes ist nicht
sachgerecht. Denn die hierfür maßgeblichen Gründe, die tatsächliche
Anwendung und Auswirkungen in der Praxis verfolgen zu wollen, beste-
hen fort, zumindest bis der nach dem geltenden § 23c Abs. 2 Satz 2 ZfdG
zu erstellende erste Evaluierungsbericht vorliegt (Nr. 29).

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

dem Deutschen Bundestag unverzüglich einen neugefassten „Gesetzentwurf zur
Änderung des Zollfahndungsdienstgesetzes“ vorzulegen, der die Entscheidungen
des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1999 sowie 3. März 2004 (BVerfGE
100, 313; 109, 279; 110, 33) vor allem zum Schutz des Kernbereichs privater
Lebensgestaltung sowie insbesondere die vorgenannten Kritikpunkte aus der
Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses angemessen berücksichtigt.

Berlin, den 23. Mai 2007
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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